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Band 14 der "Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts" widmet sich den Arbeitern der DDR in der Ära Ulbricht - ein Staat, in dem sie die "führende Klasse" sein sollten. Damit vollendete die DDR im Anspruchsdenken der SED die Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung. Doch wie gingen die Arbeiter mit ihrer Rolle angesichts faktischer Machtlosigkeit um? Wie wichtig war ihre ideologische Stilisierung durch die Staatspartei in sozialer und politischer Hinsicht? Die SED-gesteuerte Geschichtsschreibung brachte zwar eine Flut von…mehr

Produktbeschreibung
Band 14 der "Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts" widmet sich den Arbeitern der DDR in der Ära Ulbricht - ein Staat, in dem sie die "führende Klasse" sein sollten. Damit vollendete die DDR im Anspruchsdenken der SED die Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung. Doch wie gingen die Arbeiter mit ihrer Rolle angesichts faktischer Machtlosigkeit um? Wie wichtig war ihre ideologische Stilisierung durch die Staatspartei in sozialer und politischer Hinsicht? Die SED-gesteuerte Geschichtsschreibung brachte zwar eine Flut von Heldengeschichten zur Arbeiterklasse im "ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat" hervor, doch keine kritische Studie, die auch die sozialen Konturen der neuen Gesellschaft nachzeichnet. Durch eine umfassende sozial- und kulturhistorische Darstellung wären Spannungslinien und Interessenkonflikte offen gelegt worden, die das Bild "der Arbeiterklasse" bunt und widersprüchlich gestaltet hätten - nicht nur mitBlick auf die Erhebung vom 17. Juni 1953, sondern auch auf das Verhalten von Arbeitern in den Betrieben und ihr tägliches Leben. Außerdem konnte sich die SED bei ihrem Versuch, eine "Diktatur des Proletariats" zu verwirklichen, nie dem politischen und sozialen Magnetfeld der Bundesrepublik entziehen. Dies unterschied die Entwicklung einer "verstaatlichten" kommunistischen Arbeiterbewegung in der DDR von den osteuropäischen Volksdemokratien.
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Autorenporträt
Christoph Kleßmann geb. 1938, Dr. phil, Professor für Zeitgeschichte an den Universitäten Bielefeld (seit 1976) und Potsdam (seit 1993), von 1996 bis zur Emeritierung 2004 Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, Potsdam. Arbeitsschwerpunkte: deutsche und polnische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere der NS-Zeit, der Bundesrepublik und der DDR.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2008

Politisch machtlos, gesellschaftlich stark
An der Erziehung der Arbeiterklasse scheiterten die SED-Führung und die Staatssicherheit

War die DDR ein Arbeiter-und-Bauern-Staat oder eine "betriebszentrierte Arbeitsgesellschaft"? Schon die erste, von der SED unablässig wiederholte Selbststilisierung ist unzutreffend, weil Bauern im anderen deutschen Staat weniger als zehn Prozent ausmachten. Aber auch in der zweiten Begriffsfassung heutiger Forschung geht die politische und soziale Realität "der Werktätigen" in der DDR nicht völlig auf. Was bedeutete es, Arbeiter im Arbeiterstaat zu sein? Dies ist keineswegs eine müßige Frage, die nach dem Verschwinden des SED-Staates einfach ad acta gelegt werden kann, da sie angeblich nicht mehr relevant sei. Vielmehr haben Millionen von Deutschen als Arbeiter (und Angestellte) in der DDR gelebt und sind davon geprägt worden - bis heute.

Meinungsumfragen im wiedervereinten Deutschland haben wiederholt erwiesen, dass soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit für ehemalige DDR-Bürger einen höheren Stellenwert aufweisen als für Westdeutsche. Doch war die "führende Klasse" im anderen deutschen Staat tatsächlich auch die führende Klasse? Auf den ersten Blick handelte es sich um ein sozialistisches Herrschafts-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das die Geschichte der Arbeiterbewegung missionarisch zu vollenden behauptete. Auf den zweiten Blick indes usurpierte es deren freiheitliche Traditionen und zerstörte sie zum größten Teil. Doch obwohl eine selbsternannte Avantgarde sich zur "Vorhut" der Arbeiterklasse erklärte, mit sowjetischer Hilfe deren Führung übernahm und sich dann völlig verselbständigte - erinnert sei nur an Wandlitz -, konnte auch sie auf die politische und historische Legitimation der Arbeiterbewegung niemals verzichten. Das ergibt eine schwierige, im Lauf von vierzig Jahren DDR-Geschichte sich immer wieder verändernde Konstellation, die gleichwohl zwischen drei Determinanten festgezurrt blieb: zwischen internationaler, speziell deutscher Tradition der Arbeiterbewegung, zwischen realsozialistischer Diktatur sowjetischer Provenienz und schließlich dem westdeutschen Klassenfeind, dessen kapitalistischer Wohlfahrtsstaat allzeit Referenzmodell und Vergleichsmaßstab in einem verkörperte. Das galt für die Arbeiterschaft wie für die SED selbst.

Doch selbst im Interpretament einer "verstaatlichten Arbeiterbewegung" geht und ging das Leben der werktätigen Klasse in der DDR nicht völlig auf. Folgerichtig beschäftigt sich Christoph Kleßmann in seinem opus magnum ausführlich mit der sozialen und ökonomischen Entwicklung der Arbeiterschaft im ehemaligen anderen deutschen Staat. Dabei stützt er sich auf eine beeindruckende Fülle unterschiedlichster Quellen, unter Einschluss auch und nicht zuletzt zeitgenössischen Materials aus der früheren Bundesrepublik. Eine durchweg differenziert abwägende Quellenkritik zeichnet sein Werk ebenso aus wie die souveräne Kenntnis einer kaum mehr überschaubaren Literatur.

Was sind die Ergebnisse und Erkenntnisse dieser Darstellung, die so umfassend wie detailliert die Geschichte von Arbeitern im Arbeiterstaat DDR in der Ulbricht-Zeit beschreibt und analysiert? Deutlich wird zunächst, dass die Arbeiterbewegung und ihre Traditionen trotz unnachsichtiger Verfolgung durch die Nationalsozialisten keineswegs völlig zerstört waren. Das zeigte schon ihr hinhaltender Widerstand gegen die Institutionalisierung des FDGB als Pseudogewerkschaft beziehungsweise sowjetischer Gewerkschaftstyp, dem vor allem die Funktion der Produktivitätssteigerung oblag. Es kostete die SED daher nicht wenig Mühe, mehr noch aber fast jede Reputation, der Arbeiterschaft dieses Modell aufzuzwingen. Ebenso wenig trat die Arbeiterklasse im sich entwickelnden sozialistischen Staat als "geschlossene Kraft" auf, wie es die jahrzehntelange Propaganda verkündete.

Dem Mythos des politischen Einheitswillens stand schon die heterogene soziale Zusammensetzung der Arbeiterschaft nach dem Kriegsende entgegen. Gleichwohl blieben sozialdemokratische Traditionen virulent, die wiederum die SED mit geradezu inquisitorischer Vehemenz über Jahre hinweg auszulöschen suchte. Als Kern kollektiver Arbeitsorganisation wurden demgegenüber ab 1947 die Brigaden eingeführt. Sie sollten als kollegiale Werksgruppen am Arbeitsplatz zur Steigerung des Wettbewerbs und der Produktivität beitragen, um die meist überzogenen Wirtschaftspläne zu erfüllen. Gerade hier wird die Andersartigkeit der Arbeitsverhältnisse in der DDR sichtbar, sollten die Brigaden sich doch bald zu einem Zwitter entwickeln: Auf der einen Seite wurden sie Aushandlungsort nahezu aller Arbeitsprobleme, nicht zuletzt von Lohn und Prämie; auf der anderen Seite wurden sie durch den gleichsam institutionalisierten Interessenausgleich zum herrschaftsstabilisierenden Element. Gegen sie konnten technische Arbeitsnormen und Betriebskollektivverträge nur mit Androhung von Repressalien durchgesetzt werden - am Ende der DDR überhaupt nicht mehr. Sie entwickelten eine Eigendynamik, die häufig den Steuerungsinteressen von Partei, Gewerkschafts- und Betriebsleitung widersprach. Brigadefeste, Ausflüge und gemeinsam verbrachte Freizeit verstärkten ihren inneren Zusammenhalt und relativierten dadurch von außen herangetragene "Zumutungen", wie etwa die Erhöhung von Arbeitsleistungen und Produktivitätssteigerungen.

Nachdem die Arbeiterklasse die SED-Führung am 17. Juni 1953 das Fürchten gelehrt hatte, ging man mit den Brigaden noch vorsichtiger um. In ihnen konnte sich deshalb jene "Mischung aus Meckern, Mitmachen und Verweigern" herausbilden, die neben dem ineffizienten Planwirtschaftssystem zur permanent defizitären Arbeitsproduktivität in der DDR beitrug. Jedenfalls erwiesen sich die Betriebe nur gelegentlich als das von der SED gewünschte "Zentrum der politischen Massenarbeit". Dass der vielbeschworene Wohlstand überdies auf sich warten ließ und die Bundesrepublik in dieser Hinsicht immer weiter davonzog, konnte zudem Partei und Gewerkschaft angelastet werden. SED und Stasi kamen daher nicht an der desillusionierenden Erkenntnis vorbei, dass die Erziehung der Arbeiterschaft schwierig blieb und sich politisches Desinteresse hartnäckig bei den Werktätigen hielt. Ein "sozialistisches Verhältnis" zur Arbeit stellte sich jedenfalls bei ihnen kaum ein, wie es die Partei wünschte. Dem standen schon die immer wieder auftretenden Probleme der Arbeitsorganisation sowie der Material- und Ersatzteilbeschaffung entgegen. Doch zu dieser bis zum Ende der DDR nicht gelösten Problematik trug auch die SED bei: Indem sie eine letztlich nach sowjetischem Vorbild ausgerichtete (Schwer-)Industriepolitik verfolgte, produzierte und konservierte sie gerade jenen Arbeitertypus kommunistischer Ideologie, der für den Übergang von einer industriellen zu einer Dienstleistungsgesellschaft nur schlecht geeignet war. Daraus erwuchs die mangelnde Arbeitsproduktivität.

Mit der Verstaatlichung der Arbeiterklasse und der Usurpierung ihrer Traditionen, Symbole und Rituale, auf die die Partei selbst nicht verzichten konnte, reduzierte sie deren eigentliche Leistungsfähigkeit. Kleßmann schließt denn auch mit der einleuchtenden These: "Das Paradoxon, das die Geschichte der Arbeiter in der DDR durchzieht, bestand in der politischen Machtlosigkeit der Arbeiterklasse und ihrer gleichzeitigen gesellschaftlichen Stärke; offensichtlich scheiterte der Arbeiter-und-Bauern-Staat absurderweise an seiner Arbeiterklasse." Kleßmanns Studie wird noch auf Jahre hinaus Bestand haben, zumal sie Aufschluss über essentielle Gründe des Scheiterns der SED-Diktatur gibt.

GÜNTHER HEYDEMANN

Christoph Kleßmann: Arbeiter im "Arbeiterstaat" DDR. Deutsche Traditionen, sowjetisches Modell, westdeutsches Magnetfeld (1945 bis 1971). Dietz Verlag, Bonn 2007. 892 S., 58,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Anführungszeichen im Titel macht einen der fundamentalen Zweifel deutlich, auf die dieses "opus magnum" des Historikers Christoph Kleßmann hinausläuft. Abgesehen davon, dass die DDR mit ihren zehn Prozent in der Landwirtschaft Beschäftigten kein Bauernstaat war - auch den Titel Arbeiterstaat hat sie sich nur sehr bedingt verdient. Vor allem, weil es der Führung nicht gelang, die Arbeiterschaft, in der lange sozialdemokratische Impulse spürbar blieben, auf die Linie des Sowjetsozialismus zu bringen. Die Lösung, die sich fand, war die Brigade als "kollegiale Werksgruppe am Arbeitsplatz". Die Brigaden allerdings entwickelten ihre "Eigendynamik" und verkörperten geradezu die produktivitätshemmende DDR-Mentalität einer "Mischung aus Meckern, Mitmachen und Verweigern". Kleßmann konstatiert deshalb ein Paradox: Politisch war die Arbeiterklasse schwach, gesellschaftlich aber zu stark für die reibungslose Durchsetzung der Staatsideologie. Der Rezensent Günther Heydemann findet die Studie durchweg bewundernswert, staunt über die "beeindruckende Fülle unterschiedlichster Quellen" und prognostiziert, dass das Buch "auf Jahre hinaus" ein Standardwerk der Forschung bleiben wird.

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