Arbeit macht krank, auch die Erfolgreichen
Wie wütend macht es Sie, dass Sie zu viel arbeiten? Und wie viel Wut ist in einem, der trotz aller Bemühungen keine Arbeit findet? Zwischen beiden Formen von Arbeitswut gibt es einen Zusammenhang: Je mehr die einen arbeiten, umso weniger Arbeit bleibt für die anderen.
Stetig wachsende Produktivität, längere Arbeitszeiten und Vollbeschäftigung sind einfach unvereinbar. Nicht die Faulheit der Arbeitslosen ist das Problem, sondern die weit über die eigenen Konsumbedürfnisse hinausgehende Arbeitswut der großen Mehrheit. Arbeit und Konsum müssen wieder in Einklang gebracht werden. Deshalb kann es nicht darum gehen, die Faulen zur Arbeit zu zwingen, sondern die »Normalen« aus den Sachzwängen zu befreien, zu viel zu arbeiten. »Arbeitswut« kanalisiert dies nicht nur treffend und scharf, es zeigt auch, wie man sich ganz praktisch von der Wut befreien kann.
Wie wütend macht es Sie, dass Sie zu viel arbeiten? Und wie viel Wut ist in einem, der trotz aller Bemühungen keine Arbeit findet? Zwischen beiden Formen von Arbeitswut gibt es einen Zusammenhang: Je mehr die einen arbeiten, umso weniger Arbeit bleibt für die anderen.
Stetig wachsende Produktivität, längere Arbeitszeiten und Vollbeschäftigung sind einfach unvereinbar. Nicht die Faulheit der Arbeitslosen ist das Problem, sondern die weit über die eigenen Konsumbedürfnisse hinausgehende Arbeitswut der großen Mehrheit. Arbeit und Konsum müssen wieder in Einklang gebracht werden. Deshalb kann es nicht darum gehen, die Faulen zur Arbeit zu zwingen, sondern die »Normalen« aus den Sachzwängen zu befreien, zu viel zu arbeiten. »Arbeitswut« kanalisiert dies nicht nur treffend und scharf, es zeigt auch, wie man sich ganz praktisch von der Wut befreien kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008Ihr Angsthasen, hetzt euch nicht ab!
Philipp Löpfe und Werner Vontobel loben die Gelassenheit / Von Dirk Schümer
Die Menschen arbeiten den größten Teil ihrer Zeit, um zu leben, und das bisschen, das ihnen an Freiheit übrigbleibt, ängstigt sie so sehr, dass sie alle Mittel anwenden, es loszuwerden." Dieses Zitat aus Goethes "Werther" eignet sich kaum als frohgemutes Motto für Philipp Löpfes und Werner Vontobels Buch über die Arbeitswut. Als Zustandsbeschreibung über die Lage des Kapitalismus hingegen würden die Autoren es wohl durchgehen lassen. Denn die Umverteilung von unten nach oben, der zunehmende Zeit- und Kostendruck, das globale Wettrennen um immer niedrigere Löhne und Herstellungspreise bildet den Rahmen für dieses dringliche Pamphlet.
"Warum es sich nicht lohnt, sich abzuhetzen und gegenseitig die Jobs abzujagen" - der Untertitel klingt wie eine Verheißung. Doch wissen die Autoren ebenso gut wie Millionen verängstigte Angestellte, dass es sich für die meisten sehr wohl lohnt, trotz satten Volkswohlstands länger zu arbeiten und auf adäquate Gehaltszuwächse zu verzichten. Angst ist ein guter Motivator: Die anderen produzieren preiswerter, ohne teuren Sozialstaat - die Zivilisierten ziehen den Kürzeren.
Die Autoren finden das skandalös, zu Recht. Sie rechnen vor, dass es bei uns nicht zu wenig Arbeit gibt, weil mitteleuropäische Beschäftigte zu unproduktiv wären, sondern weil es sich genau umgekehrt verhält: Weil wir so produktiv und innovativ sind, sichern immer neue Maschinen einen höheren Wohlstand als zuvor Millionen von Händen. Im Prinzip haben wir längst eine 25-Stunden-Woche. Nur eben ist die Arbeitszeit ungerecht verteilt: auf der einen Seite fröhliche Frührentner - auf der anderen abgehetzte Hamster im Rad des Arbeitsalltags. Und genau dieser immer länger arbeitenden Mehrheit droht das Schicksal von Millionen Hartz-IV-Empfängern: Marginalisierung, Verarmung, Kontrolle, Scheinarbeiten von Staats wegen, obwohl dieser Staat gar keine Arbeit mehr anbieten kann.
Die Autoren gehören nicht zu den Optimisten, die wie die Mehrheit unserer Politiker und Wirtschaftsweisen immer schärfere Anstrengungen fordern, um gegen Konkurrenten aus Billiglohnländern zu bestehen. Durch Lohndumping bei gleichzeitigem Exportwunder bekämen wir reiche Länder mit immer ärmeren Bewohnern. Obendrein lässt dieses vergebliche globale Wettrennen außer hohen Renditen an den Börsen vor allem soziale Massenkrankheiten wie Stress, Phobien, Mobbing, Suizid und Tablettensucht wuchern. Die Analyse folgt dem illusionslosen Bild, das linke amerikanische Soziologen, allen voran Richard Sennett, über die Entfremdung im entfesselten Kapitalismus gezeichnet haben: Der "flexible Mensch", dem eine Anpassung an immer mehr wechselnde Arbeitsabläufe abverlangt wird und der trotzdem permanent sozial absteigt, hält dieses Rattenrennen nicht ohne Schäden aus. Zu den zivilisatorischen Defekten rechnen die Autoren übrigens auch die "neuen Oligarchen", die sich mit immensen Börsengewinnen und obszönen Managergehältern vom Rest der Bevölkerung abkoppeln.
Wenn also, wie die Autoren klug argumentieren, Arbeitslosigkeit unser "Krankmacher Nummer 1" ist, wenn Hartz IV nichts anderes ist als "offener Vollzug", wenn die gepredigte Lohnzurückhaltung nur immer größere Armut schafft - wie lässt sich das stählerne Gehäuse der gezielt asozialen Marktwirtschaft durchbrechen? Bei den Remedien geht das Buch notgedrungen von der knallharten Analyse zu den Hoffnungen über. Die wichtigste Einsicht: Wir müssten uns die immer knapper werdende Arbeit teilen. Ja, wir dürfen sie uns teilen, denn eigentlich ist es ja ein zivilisatorischer Wahrtraum, wenn immer mehr schwere Arbeit wegfällt. Die freie Zeit könnten Millionen Menschen für Familie und Fortbildung, musische Neigungen und Erholung nutzen, lebten sie denn in einer gerechten Zivilisation. Die Arbeit gerechter zu teilen, das war das Ziel gewerkschaftlicher Bestrebungen zur Einführung von Teilzeit und 35-Stunden-Woche. Doch sind gerade die Gewerkschaften hier zurückgerudert, akzeptieren längere Arbeitszeiten bei niedrigeren Gehältern.
Für unsere Autoren müsste demnach der Staat in die Bresche springen: durch einen behutsamen Übergang zur 25-Stunden-Woche und ein Bürgergeld. Bei Letzterem folgen Löpfe und Vontobel weitgehend dem deutschen Drogerie-Großhändler Götz W. Werner, der in "Einkommen für alle" unsere Grundbedürfnisse von der Wirtschaft für gedeckt erklärt und für ein von Arbeit unabhängiges Einkommen von etwa 700 Euro pro Kopf plädiert. Ob eine solch stolze Behauptung der nationalen Lohn- und Arbeitsnormen nicht an der globalen Verflechtung der Geld- und Warenströme scheitern würde? Sind es nicht die Schuftenden selbst, die auf Geld und Freizeit zugunsten von einer geringen Lebenssicherheit notgedrungen verzichten?
Zwar mögen die Autoren mit ihrer Behauptung recht haben, dass der Markt keine neue Arbeit schafft. Doch kann das fragmentierte staatliche System dem weltweiten Markt überhaupt noch die Stirn bieten? Für unsere Bürgergesellschaft haben Löpfe und Vontobel recht, wenn sie in Bausch und Bogen von einer "Bankrotterklärung" unserer Politik und deren neoliberalen Beratergremien sprechen. Doch dürften scharfe Analyse und guter Wille für Reformen bei diesem abschüssigen Zivilisationsprozess einstweilen wenig bewirken. Die erbarmungslose Frage lautet leider: Hat unsere Zivilisation gegen die neofeudale Profitstruktur des Weltmarktes überhaupt noch eine Chance?
Philipp Löpfe, Werner Vontobel: "Arbeitswut".
Warum es sich nicht lohnt, sich abzuhetzen und
gegenseitig die Jobs abzujagen. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008. 170 S., br., 17,90 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philipp Löpfe und Werner Vontobel loben die Gelassenheit / Von Dirk Schümer
Die Menschen arbeiten den größten Teil ihrer Zeit, um zu leben, und das bisschen, das ihnen an Freiheit übrigbleibt, ängstigt sie so sehr, dass sie alle Mittel anwenden, es loszuwerden." Dieses Zitat aus Goethes "Werther" eignet sich kaum als frohgemutes Motto für Philipp Löpfes und Werner Vontobels Buch über die Arbeitswut. Als Zustandsbeschreibung über die Lage des Kapitalismus hingegen würden die Autoren es wohl durchgehen lassen. Denn die Umverteilung von unten nach oben, der zunehmende Zeit- und Kostendruck, das globale Wettrennen um immer niedrigere Löhne und Herstellungspreise bildet den Rahmen für dieses dringliche Pamphlet.
"Warum es sich nicht lohnt, sich abzuhetzen und gegenseitig die Jobs abzujagen" - der Untertitel klingt wie eine Verheißung. Doch wissen die Autoren ebenso gut wie Millionen verängstigte Angestellte, dass es sich für die meisten sehr wohl lohnt, trotz satten Volkswohlstands länger zu arbeiten und auf adäquate Gehaltszuwächse zu verzichten. Angst ist ein guter Motivator: Die anderen produzieren preiswerter, ohne teuren Sozialstaat - die Zivilisierten ziehen den Kürzeren.
Die Autoren finden das skandalös, zu Recht. Sie rechnen vor, dass es bei uns nicht zu wenig Arbeit gibt, weil mitteleuropäische Beschäftigte zu unproduktiv wären, sondern weil es sich genau umgekehrt verhält: Weil wir so produktiv und innovativ sind, sichern immer neue Maschinen einen höheren Wohlstand als zuvor Millionen von Händen. Im Prinzip haben wir längst eine 25-Stunden-Woche. Nur eben ist die Arbeitszeit ungerecht verteilt: auf der einen Seite fröhliche Frührentner - auf der anderen abgehetzte Hamster im Rad des Arbeitsalltags. Und genau dieser immer länger arbeitenden Mehrheit droht das Schicksal von Millionen Hartz-IV-Empfängern: Marginalisierung, Verarmung, Kontrolle, Scheinarbeiten von Staats wegen, obwohl dieser Staat gar keine Arbeit mehr anbieten kann.
Die Autoren gehören nicht zu den Optimisten, die wie die Mehrheit unserer Politiker und Wirtschaftsweisen immer schärfere Anstrengungen fordern, um gegen Konkurrenten aus Billiglohnländern zu bestehen. Durch Lohndumping bei gleichzeitigem Exportwunder bekämen wir reiche Länder mit immer ärmeren Bewohnern. Obendrein lässt dieses vergebliche globale Wettrennen außer hohen Renditen an den Börsen vor allem soziale Massenkrankheiten wie Stress, Phobien, Mobbing, Suizid und Tablettensucht wuchern. Die Analyse folgt dem illusionslosen Bild, das linke amerikanische Soziologen, allen voran Richard Sennett, über die Entfremdung im entfesselten Kapitalismus gezeichnet haben: Der "flexible Mensch", dem eine Anpassung an immer mehr wechselnde Arbeitsabläufe abverlangt wird und der trotzdem permanent sozial absteigt, hält dieses Rattenrennen nicht ohne Schäden aus. Zu den zivilisatorischen Defekten rechnen die Autoren übrigens auch die "neuen Oligarchen", die sich mit immensen Börsengewinnen und obszönen Managergehältern vom Rest der Bevölkerung abkoppeln.
Wenn also, wie die Autoren klug argumentieren, Arbeitslosigkeit unser "Krankmacher Nummer 1" ist, wenn Hartz IV nichts anderes ist als "offener Vollzug", wenn die gepredigte Lohnzurückhaltung nur immer größere Armut schafft - wie lässt sich das stählerne Gehäuse der gezielt asozialen Marktwirtschaft durchbrechen? Bei den Remedien geht das Buch notgedrungen von der knallharten Analyse zu den Hoffnungen über. Die wichtigste Einsicht: Wir müssten uns die immer knapper werdende Arbeit teilen. Ja, wir dürfen sie uns teilen, denn eigentlich ist es ja ein zivilisatorischer Wahrtraum, wenn immer mehr schwere Arbeit wegfällt. Die freie Zeit könnten Millionen Menschen für Familie und Fortbildung, musische Neigungen und Erholung nutzen, lebten sie denn in einer gerechten Zivilisation. Die Arbeit gerechter zu teilen, das war das Ziel gewerkschaftlicher Bestrebungen zur Einführung von Teilzeit und 35-Stunden-Woche. Doch sind gerade die Gewerkschaften hier zurückgerudert, akzeptieren längere Arbeitszeiten bei niedrigeren Gehältern.
Für unsere Autoren müsste demnach der Staat in die Bresche springen: durch einen behutsamen Übergang zur 25-Stunden-Woche und ein Bürgergeld. Bei Letzterem folgen Löpfe und Vontobel weitgehend dem deutschen Drogerie-Großhändler Götz W. Werner, der in "Einkommen für alle" unsere Grundbedürfnisse von der Wirtschaft für gedeckt erklärt und für ein von Arbeit unabhängiges Einkommen von etwa 700 Euro pro Kopf plädiert. Ob eine solch stolze Behauptung der nationalen Lohn- und Arbeitsnormen nicht an der globalen Verflechtung der Geld- und Warenströme scheitern würde? Sind es nicht die Schuftenden selbst, die auf Geld und Freizeit zugunsten von einer geringen Lebenssicherheit notgedrungen verzichten?
Zwar mögen die Autoren mit ihrer Behauptung recht haben, dass der Markt keine neue Arbeit schafft. Doch kann das fragmentierte staatliche System dem weltweiten Markt überhaupt noch die Stirn bieten? Für unsere Bürgergesellschaft haben Löpfe und Vontobel recht, wenn sie in Bausch und Bogen von einer "Bankrotterklärung" unserer Politik und deren neoliberalen Beratergremien sprechen. Doch dürften scharfe Analyse und guter Wille für Reformen bei diesem abschüssigen Zivilisationsprozess einstweilen wenig bewirken. Die erbarmungslose Frage lautet leider: Hat unsere Zivilisation gegen die neofeudale Profitstruktur des Weltmarktes überhaupt noch eine Chance?
Philipp Löpfe, Werner Vontobel: "Arbeitswut".
Warum es sich nicht lohnt, sich abzuhetzen und
gegenseitig die Jobs abzujagen. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008. 170 S., br., 17,90 [Euro]
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zustimmend hat Rezensent Dirk Schümer dieses Buch über "Arbeitswut" gelesen. Er schätzt die glasklaren Analysen und klugen Argumente der Autoren. Überzeugend zeigen sie seines Erachtens, dass es nicht zu wenig Arbeit gibt, sondern die Arbeit ungerecht verteilt ist: die einen schuften mehr oder weniger freiwillig viel zu viel, während die anderen gerne überhaupt arbeiten möchten. Deutlich wird für ihn die Unvereinbarkeit von wachsender Produktivität, längerer Arbeitszeiten und Vollbeschäftigung. Er sieht die Autoren in der Tradition amerikanischer Soziologen wie Richard Sennett, die ein desillusionierendes Bild von der Entfremdung im totalen Kapitalismus gezeichnet haben. Während er den Diagnosen der Autoren nur beipflichten kann, scheint Schümer im Blick auf die mögliche Lösung der Probleme pessimistischer als diese, wenn er am Ende seiner Besprechung die Frage aufwirft: "Hat unsere Zivilisation gegen die neofeudale Profitstruktur des Weltmarkts überhaupt noch eine Chance?"
© Perlentaucher Medien GmbH
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