Von der Faszination moderner Ruinen
Vor 100 Jahren eine quirlige Goldgräberstadt in Namibia, heute begraben im Wüstensand; einst der größte Freizeitpark Ostdeutschlands, heute allenfalls als Filmkulisse genutzt. Was ist da schiefgelaufen? Davon erzählt dieses Buch. Es führt zu den spektakulärsten Architekturflops der ganzen Welt, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute: zu monumentalen Geisterstädten in Asien, den traurigen Überbleibseln amerikanischer Shoppingmalls oder einer Atomzentrale auf der Krim. Es berichtet von ehrgeizigen Plänen, gescheiterten Visionen und überoptimistischen Erwartungen - in unterhaltsamen Geschichten und beeindruckenden Fotos. Ein schön-schauriges Vergnügen, zum Staunen und Sich-Überraschen-Lassen!
Vor 100 Jahren eine quirlige Goldgräberstadt in Namibia, heute begraben im Wüstensand; einst der größte Freizeitpark Ostdeutschlands, heute allenfalls als Filmkulisse genutzt. Was ist da schiefgelaufen? Davon erzählt dieses Buch. Es führt zu den spektakulärsten Architekturflops der ganzen Welt, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute: zu monumentalen Geisterstädten in Asien, den traurigen Überbleibseln amerikanischer Shoppingmalls oder einer Atomzentrale auf der Krim. Es berichtet von ehrgeizigen Plänen, gescheiterten Visionen und überoptimistischen Erwartungen - in unterhaltsamen Geschichten und beeindruckenden Fotos. Ein schön-schauriges Vergnügen, zum Staunen und Sich-Überraschen-Lassen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2017Alles, was
der Verfall ist
Moderne Bauruinen – und was daraus zu lernen ist
Der Eiffelturm ist eine Kopie. Eine, die man zu heiß gewaschen hat. Das Wahrzeichen von Paris, nachgebaut vor zehn Jahren in der chinesischen Provinz Zhejiang, ist nicht 324 Meter hoch wie das Original. Sondern 108 Meter. Und es leben auch nicht wie geplant mehr als 10 000 Einwohner in dem bizarren Paris-Imitat, sondern nur ein paar Hundert. Die Stadt Tianducheng ist eine Geisterstadt. Unter dem Eiffelturm wird jetzt Gemüse angebaut. Irgendwas muss ja mal wachsen.
Die schönste Ruine Deutschlands, nein, das ist nicht der große alte Mann des deutschen Pop, sondern in gewisser Weise der Flughafen Berlin-Brandenburg, hat keine Aufnahme in das großartige Buch „Archiflop“ gefunden (DVA 2017, 192 Seiten, 29,95 Euro). Da aber der italienische Architekt Alessandro Biamonti darin „die spektakulärsten Ruinen“ der zeitgenössischen Baugeschichte versammelt, muss man wohl anerkennen: Richtig groß im Scheitern sind die Deutschen noch nicht.
In der Champions League der geplatzten Träume befindet sich Deutschland mit dem Ostberliner Spreepark zwischen der Stadterweiterung Kangbashi New Area in der inneren Mongolei und der im Kaspischen Meer halberrichteten Stadt Neft Dashlari etwa dort, wo sich auch der FC Bayern München befindet. Man ist ambitioniert, kommt aber über das eher mittlere Skandalon eines Vergnügungsparks, den halt irgendwann keiner mehr besuchen wollte, nicht hinaus.
Gelassenheit ist also das eine, was einem das so anschauliche wie anregende Buch empfiehlt. Angesichts des Weltmaßstabs im Scheitern am Bau, also angesichts all der toten Retortenstädte, der moosbewachsenen Vergnügungsparks und der Betongerippe überall, könnte man sich fast sagen: Alles nicht so schlimm, anderswo scheitern sie ja noch viel doller.
Doch so leicht macht es einem das Buch, das die weltweite Hitliste jüngerer Pannen-Projekte abarbeitet, dann doch nicht. Dessen Klugheit verdankt sich nicht dem Relativieren, sondern dem Analysieren. Biamonti entwickelt fast eine kleine Botanik des Bauwahnsinns. Vor allem spürt er den spezifischen Ursachen des jeweiligen Fehlschlags nach. So gibt es Projekte, die beispielsweise deshalb scheitern, weil sie auf allzu optimistischen bevölkerungsstatistischen Annahmen gründen – „es werden viele Tausende kommen“. Oder man täuscht sich über das ökonomische Potenzial – „es wird riesige Gewinne bringen“.
Erstaunlicherweise führen all die depressiv verstimmten Szenerien, die blinden Fenster oder die wie faulige Zahnstummel herumstehenden Tragwerke beim Durchblättern nicht nur zu wutbürgerlicher Empörung. Es steckt auch eine irritierende, weil außerordentlich poetische Kraft in den Bildern vom Scheitern. Ein bisschen so, als fände man am Strand die Überreste des Lebens. Kaputte Muschelschalen, vergilbte Seeigelskelette. Es war Leben – und man weiß: Es wird auch wieder Leben daraus. Alles auf Erden unterliegt der Transformation, das gilt für Materielles, aber auch für das Geistige. Eines geht aus dem anderen hervor. So nährte sich die Idee der gotischen Kathedrale von den Ruinen der Romanik, um selbst dem Barock Platz zu machen. Schon in der Antike wurden die Ruinen permanent recycelt. Man nutzte das Baumaterial, um daraus Neues, Besseres, manchmal auch Klügeres zu machen. In diesem Sinne stehen auch die absurdesten Architektur-Flops der Weltgeschichte nicht nur für das Risiko des Scheiterns, sondern auch für die Chance des Daraus-Lernens. Das Buch vom Schrecken der Vergänglichkeit ist so am Ende eines, das vor allem von der Zuversicht erzählt. Dem Ende wohnt eben doch ein Anfang inne.
GERHARD MATZIG
Die Bauruinen erinnern an
kaputte Muschelschalen und
Seeigelskelette – Lebensüberreste
Gescheiterte Visionen:
Der Lincoln-Turm in Rio
(oben, danach im Uhrzeigersinn) steht zur Hälfte leer.
Seit 1969. Eine Geisterstadt
ist auch das chinesische Paris-
Imitat. Die Metro von
Charleroi wurde nie vollendet.
Und aus „Sealand“, einer
Plattform vor Suffolk,
wurde Privatbesitz.
Fotos: DVA
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der Verfall ist
Moderne Bauruinen – und was daraus zu lernen ist
Der Eiffelturm ist eine Kopie. Eine, die man zu heiß gewaschen hat. Das Wahrzeichen von Paris, nachgebaut vor zehn Jahren in der chinesischen Provinz Zhejiang, ist nicht 324 Meter hoch wie das Original. Sondern 108 Meter. Und es leben auch nicht wie geplant mehr als 10 000 Einwohner in dem bizarren Paris-Imitat, sondern nur ein paar Hundert. Die Stadt Tianducheng ist eine Geisterstadt. Unter dem Eiffelturm wird jetzt Gemüse angebaut. Irgendwas muss ja mal wachsen.
Die schönste Ruine Deutschlands, nein, das ist nicht der große alte Mann des deutschen Pop, sondern in gewisser Weise der Flughafen Berlin-Brandenburg, hat keine Aufnahme in das großartige Buch „Archiflop“ gefunden (DVA 2017, 192 Seiten, 29,95 Euro). Da aber der italienische Architekt Alessandro Biamonti darin „die spektakulärsten Ruinen“ der zeitgenössischen Baugeschichte versammelt, muss man wohl anerkennen: Richtig groß im Scheitern sind die Deutschen noch nicht.
In der Champions League der geplatzten Träume befindet sich Deutschland mit dem Ostberliner Spreepark zwischen der Stadterweiterung Kangbashi New Area in der inneren Mongolei und der im Kaspischen Meer halberrichteten Stadt Neft Dashlari etwa dort, wo sich auch der FC Bayern München befindet. Man ist ambitioniert, kommt aber über das eher mittlere Skandalon eines Vergnügungsparks, den halt irgendwann keiner mehr besuchen wollte, nicht hinaus.
Gelassenheit ist also das eine, was einem das so anschauliche wie anregende Buch empfiehlt. Angesichts des Weltmaßstabs im Scheitern am Bau, also angesichts all der toten Retortenstädte, der moosbewachsenen Vergnügungsparks und der Betongerippe überall, könnte man sich fast sagen: Alles nicht so schlimm, anderswo scheitern sie ja noch viel doller.
Doch so leicht macht es einem das Buch, das die weltweite Hitliste jüngerer Pannen-Projekte abarbeitet, dann doch nicht. Dessen Klugheit verdankt sich nicht dem Relativieren, sondern dem Analysieren. Biamonti entwickelt fast eine kleine Botanik des Bauwahnsinns. Vor allem spürt er den spezifischen Ursachen des jeweiligen Fehlschlags nach. So gibt es Projekte, die beispielsweise deshalb scheitern, weil sie auf allzu optimistischen bevölkerungsstatistischen Annahmen gründen – „es werden viele Tausende kommen“. Oder man täuscht sich über das ökonomische Potenzial – „es wird riesige Gewinne bringen“.
Erstaunlicherweise führen all die depressiv verstimmten Szenerien, die blinden Fenster oder die wie faulige Zahnstummel herumstehenden Tragwerke beim Durchblättern nicht nur zu wutbürgerlicher Empörung. Es steckt auch eine irritierende, weil außerordentlich poetische Kraft in den Bildern vom Scheitern. Ein bisschen so, als fände man am Strand die Überreste des Lebens. Kaputte Muschelschalen, vergilbte Seeigelskelette. Es war Leben – und man weiß: Es wird auch wieder Leben daraus. Alles auf Erden unterliegt der Transformation, das gilt für Materielles, aber auch für das Geistige. Eines geht aus dem anderen hervor. So nährte sich die Idee der gotischen Kathedrale von den Ruinen der Romanik, um selbst dem Barock Platz zu machen. Schon in der Antike wurden die Ruinen permanent recycelt. Man nutzte das Baumaterial, um daraus Neues, Besseres, manchmal auch Klügeres zu machen. In diesem Sinne stehen auch die absurdesten Architektur-Flops der Weltgeschichte nicht nur für das Risiko des Scheiterns, sondern auch für die Chance des Daraus-Lernens. Das Buch vom Schrecken der Vergänglichkeit ist so am Ende eines, das vor allem von der Zuversicht erzählt. Dem Ende wohnt eben doch ein Anfang inne.
GERHARD MATZIG
Die Bauruinen erinnern an
kaputte Muschelschalen und
Seeigelskelette – Lebensüberreste
Gescheiterte Visionen:
Der Lincoln-Turm in Rio
(oben, danach im Uhrzeigersinn) steht zur Hälfte leer.
Seit 1969. Eine Geisterstadt
ist auch das chinesische Paris-
Imitat. Die Metro von
Charleroi wurde nie vollendet.
Und aus „Sealand“, einer
Plattform vor Suffolk,
wurde Privatbesitz.
Fotos: DVA
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»Eine Sammlung aus 25 Pleiten-, Pech- und Pannen-Bauten zwischen Pjöngjang, Caracas und Berlin« Spiegel Online