Produktdetails
  • Essay Bd.40
  • Verlag: Literaturverlag Droschl
  • 1999.
  • Seitenzahl: 38
  • Deutsch
  • Abmessung: 180mm
  • Gewicht: 64g
  • ISBN-13: 9783854205180
  • ISBN-10: 385420518X
  • Artikelnr.: 08072820
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Jean Baudrillard, geboren 1929 in Reims, war von 1968 bis 1987 Professor für Soziologie an der Universität Paris-Nanterre. Auszeichnung: 1995 mit dem Siemens-Medienkunstpreis. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie der Kultur- und Medienkritik an der European Graduate School in Saas Fee. Buchveröffentlichungen. Jean Baudrillard verstarb 2007.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.1999

Groß und elegant beim Denken ist out

Viele Bücher scheinen gerne etwas Größeres sein zu wollen. Doch nicht bei jedermann löst der prachtvolle Umschlag, das Kunstdruckpapier, die Fadenheftung oder auch der schiere Umfang tatsächlich eine Kauf-, geschweige denn eine Leseentscheidung aus. Die Attraktivität der Schönheit beim Buch ist reine Theorie, und was bedeutet Theorie? "Eine Falle aufzustellen in der Hoffnung, dass die Realität naiv genug sein wird, sich darin einfangen zu lassen." So sieht es der französische Philosoph Jean Baudrillard in seinem Buch "Transparenz des Bösen", erschienen bei Merve. Merve - das ist ein Verlag, der seine Fallen anders auslegt: kleinformatige Bücher mit einer scheußlichen Schmuckfarbe, dickes Papier, Klebebindung und meist recht schmal geraten. Aber dafür überwiegend recht klug. Wie die Publikationen aus der Reihe "Essay" des Grazer Droschl-Verlags. Auch sie sind klein geraten und sehr dünn, muten allerdings ungleich eleganter an als die Merve-Bändchen, deren Suprematismus-Ästhetik etwas hoffnungslos Antiquiertes hat. Jetzt ist auch Baudrillard in der Reihe vertreten ("Architektur: Wahrheit oder Radikalität?" Aus dem Französischen von Colin Fournier, Maria Nievoll und Manfred Wolff-Plottegg. Literaturverlag Droschl, Graz 1999. 43 S., 8 Abb., br., 18,- DM), und zwar mit einem Vortrag, den er im Januar anlässlich einer Ausstellung mit eigenen Fotografien gehalten hat. Nun ist nur eines dieser Bilder in den Band gelangt (das mit Abstand schlechtest gedruckte), doch der Vortrag lässt sich auch lesen als Kommentar auf die Buchreihe, in der er erscheint. Architektur fordert für Baudrillard die Umgebung heraus, indem sie Illusionen schafft: Sie verheißt in ihren besten Momenten Zukunft, eine "antizipatorische Illusion". Dadurch erzeugt sie erst den Raum, der zuvor leer war. Diese ursprüngliche Leere nennt Baudrillard die "Radikalität des Raumes", weil sie eine Herausforderung zur Gestaltung darstellt. Nun wechseln wir ins Buchgeschäft. Auch Bücher fordern die Umgebung heraus, und niemand würde ihnen absprechen, dass sie - besonders aus philosophischer Feder - antizipatorische Illusionen erzeugen. Und was beim Raum der Architektur noch zweifelhaft gewesen sein mag (wo doch vor Errichtung eines Gebäudes Landschaft, Wolken, Horizont die Radikalität gemindert haben müssten), mag man dem Buch gerne zugestehen: dass es Welten zu erschaffen vermag, in denen es sich bewegt. Baudrillard gibt selbst zu: "Was das Schreiben anbelangt, sehe ich besser, wie das vor sich gehen kann, bei der Architektur sehe ich es viel weniger klar . . ." So ist es wohl. Die Erwartungen jedenfalls, mit denen Bücher gelesen und Häuser benutzt werden, sind wichtiger als die äußere Form. Wahrheit ist deshalb vielleicht das Ziel des Architekten oder Autors, aber nicht notwendig das Ergebnis ihrer Tätigkeit. Die Fassade gerät bei Baudrillard denn auch nur dann in den Blick, wenn sie als Vexierspiel sich selbst verleugnet. So funktionieren auch die Buchausstattungen von Merve und Droschl. Äußerste Schlichtheit lässt nur wenig ahnen vom postmodernen Zitaten- und Verweisspiel, das viele der Autoren, besonders aber Baudrillard, im Inneren inszenieren: "Diese Fähigkeit, präsent zu sein und sich gleichzeitig unsichtbar zu machen, scheint mir eine grundlegende Eigenschaft zu sein." Mit Wahrheit will das gar nichts zu tun haben. Darin aber liegt auch ein Risiko. Wie dem Buch droht auch der Architektur im Zeitalter des Virtualität der Untergang. Zu viel ist möglich, und dem Guggenheim-Museum in Bilbao, das Baudrillard als abschreckendes Beispiel für Fortschritt nennt, könnte man die gefällig-bunten neuen Suhrkamp-Taschenbuchtitel ebenso zur Seite stellen, wie man manch opulent umbrochenen Titel von Akademie oder Campus als Parallele zur neuen Bibliothèque Nationale in Paris sehen könnte, die Baudrillard wegen ihrer überdimensionierten Räume verabscheut. Die Planung wird zum Opfer der Radikalität, der Konflikte, die der Bau hervorruft. "In dieser Konstellation kann sich der Architekt damit spielen, seine eigenen Pläne zu vereiteln." Sich? Doch, natürlich: Der Architekt spielt sich selbst in seinem Bau. So konstruiert auch Baudrillard seine Texte. Welch kongeniale Übersetzung, eine echte Radikalität!

ANDREAS PLATTHAUS

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