Keine andere deutsche Großstadt blickt auf eine solch reiche Architekturgeschichte zurück wie Köln. Entstanden ist am Rhein ein faszinierendes Stadtbild, das Resultat von Auseinandersetzungen zwischen Traditionen und immer neuen Modeströmungen ist. Der opulent bebilderte "Architekturführer Köln" erkundet nicht nur die Gestaltung und Geschichte von herausragenden Bauten, wie dem Kölner Dom, romanischen Kirchen oder diversen Ikonen der Moderne. Auch anhand oftmals vernachlässigter und übersehener Bautypen erläutert er exemplarisch die verschiedenen Phasen der Stadtentwicklung und Architekturhistorie, von den römischen Spuren des Oppidum Ubiorum über die mittelalterlichen Baudenkmäler der freien Reichsstadt bis hin zur Stadterweiterung der Gründerzeit und den Entwicklungen der Gegenwart.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Andreas Rossmann bekommt mehr als erwartet mit Anselm Weyers Architekturführer Köln. Das Buch überzeugt Rossmann inhaltlich wie konzeptuell. Unter den knapp 200 behandelten Bauten findet er auch Brücken und Parkhäuser und sogar Bausünden wie das WDR-Archiv. Weyer bietet laut Rezensent Bau- wie Symbolgeschichtliches und Gesellschaftspolitisches, zeigt mittels Karten Brüche und Entwicklungen auf, behandelt den Denkmalschutz und den Wiederaufbauplan, und das alles voller Kenntnis und Umsicht und weitgehend ohne steile Thesen und Wertungen, wie Rossmann lobend erwähnt. Die Industrie kommt etwas kurz, ebenso die modernen Kirchenbauten, meint er, das Register findet er ergänzungsbedürftig. Gebrauchswert aber: 1A.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2021Wo Elefanten auf die Waage kommen
Mehr als ein Architekturführer: Anselm Weyers exzellent recherchierte und reich bebilderte Baugeschichte von Köln bildet die Domstadt im Wandel ab
Die lieferbaren Architekturführer von Köln füllen einen Regalmeter. Anselm Weyer fügt zweieinhalb Zentimeter hinzu - und stößt in eine neue Dimension vor. Sein Buch passt zwar nicht in jede Jackentasche. Doch Inhalt und Konzept wiegen das auf. Fast zweihundert Objekte werden beschrieben. Dass vier der zehn Kapitel die Zeit nach 1945 behandeln, liegt weniger an einer Überbewertung der Gegenwart als daran, dass nur 113 Häuser in der Innenstadt den Bombenkrieg überstanden haben. Der Architekturbegriff ist breit gefasst und schließt Parkhäuser und Haltestellen, Brücken und Bausünden ein.
Die Hohe Domkirche steht am Anfang, die Stadtdominante ist eine Kategorie für sich. Begonnen 1248 und erst 1880 vollendet, umspannt sie mit den Relikten der Vorgänger- sowie den späteren Ergänzungsbauten die zweitausendjährige Stadthistorie. Die langwierige Bau- wird mit der wechselvollen Symbolgeschichte der Kathedrale korreliert, der Blick auch auf Ausgestaltung und Umfeld geworfen. Selbst was selten Beachtung findet, wird gewürdigt: die mitunter atemberaubenden Gerüstkonstruktionen der ewigen Baustelle.
Das Kapitel "Römische Spuren" bilanziert die baulichen Zeugnisse von Colonia Claudia Ara Agrippinensium, doch werden ihm auch romanische Kirchen zugeschlagen, die auf antiken Fundamenten stehen. Im Mittelalter bekunden drei große Stadterweiterungen, die zahlreiche Klöster und Kirchen einbeziehen, die zweite Blütezeit; neben dem Rathaus sind nur wenige Profanbauten erhalten. Das Mittelalter endet in Köln erst 1794, als die Franzosen die Stadt einnehmen. Nach 1815 demonstrieren die Preußen ihre Herrschaft mit klassizistischer Repräsentationsarchitektur und legen einen doppelten Festungsring um die "Wacht am Rhein"; bis 1880 steigt die Einwohnerzahl von 52 000 auf 145 000. Die Stadtmauer wird geschleift, für die Ringstraße dient Wien als Vorbild, zahlreiche Vororte werden eingemeindet: 1888 ist Köln die flächenmäßig größte Stadt im Deutschen Reich.
Auch von den Prachtbauten des Historismus wurden nur wenige - darunter Appellations- und Oberlandesgericht, Synagoge und Alte Universität - wiederhergestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg betreibt Oberbürgermeister Konrad Adenauer den Ausbau zur Metropole: Universität und Messe werden neu gegründet, Grüngürtel, Stadion und Siedlungen angelegt, das Hansahochhaus ist für kurze Zeit das höchste auf dem Kontinent, der Butzweiler Hof wird zum Flughafen ausgebaut und (von Köln nach Bonn) die erste Autobahn eröffnet.
Der Architekturführer bildet die Stadt im Wandel ab, historische Karten markieren Umbrüche und Entwicklungsphasen. Auf technologische Neuerungen und Denkmalschutz wird Bezug genommen, auf Einfamilienhäuser verzichtet. Der Verlust erweist sich als Gewinn. Die Gefahr, sich in einer Aufzählung von Preziosen zu verzetteln, wird vermieden, Entwicklungslinien und Zusammenhänge werden aufgezeigt.
Der Wiederaufbau vollzieht sich zwischen Generalplan und Flickschusterei, visionärem Neuanfang und falscher Kontinuität; in "Stahl, Glas und Beton" manifestieren sich Zweite Moderne und Hochhaus-Ehrgeiz. Weyer lässt Bausünden wie das WDR-Archivhaus oder das Dauerprovisorium Musicalzelt nicht aus, stellt die Trabantenstädte Kölnberg und Chorweiler in ihren gesellschaftspolitischen Kontext und reflektiert die Reaktion darauf: "Postmoderne und kleine Schritte". Für die "Gegenwart und Zukunft" stehen Büro- und Kaufhäuser, Museen oder die Moschee. Das im Bau befindliche Jüdische Museum "MiQua" ist ebenso bereits vertreten wie zwei Klötze, die dem Rudolfplatz zusetzen.
Der Autor schreibt kenntnisreich, umsichtig, gelegentlich anekdotisch und hält sich mit Wertungen zurück. Mehr als ein paar ironische Schlenker gehen ihm nicht durch, und steile Thesen wie die, dass Rudolf Schwarz mit seiner Polemik gegen Walter Gropius dem Bauhaus in Deutschland zum Durchbruch verholfen habe, sind selten. Auch über Auseinandersetzungen hinter den Kulissen und spezielle Details weiß Weyer Bescheid: So berichtet er über den Urheberstreit um die Kranhäuser oder erwähnt, dass im Elefantenpark des Zoos am Ausgang des Innengeheges eine Waage in den Boden integriert ist.
Manche Auslassungen seien, so heißt es im Vorwort, schwergefallen. Insgesamt kommt die "Schäl Sick", die rechte Rheinseite, zu kurz, was kaum daran liegen dürfte, dass der Verlag vor zehn Jahren einen "Architekturführer Rechtsrheinisches Köln" veröffentlicht hat (F.A.Z. vom 5. September 2011). Unterrepräsentiert ist damit die Industrie: Weder die Halle von Bruno Möhring in Deutz noch die Halle Kalk wurden ausgewählt, auch nicht die Rimowa-Kofferfabrik von Dahlbender/Gatermann + Schossig in Ossendorf oder das Briefpostamt 3 von Joachim Schürmann im Zentrum, die beide mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurden. Unter den - zugegeben - zahlreichen modernen Kirchen fehlen zumindest die von Emil Steffann in Lindenthal, Heinz Bienefeld in Blumenberg, Paul Böhm in Vingst und Sauerbruch Hutton in Stammheim. Im Register sind nur Architekten vermerkt, die mit einem Projekt vertreten sind, und nicht auch jene, die nur erwähnt werden - das mindert seinen Gebrauchswert.
Aber das sind punktuelle Einwände gegen ein Buch, das, sorgfältig recherchiert und reich bebildert, mehr hält, als es verspricht: Mit diesem Architekturführer legt Anselm Weyer auch eine Baugeschichte der Domstadt vor.
ANDREAS ROSSMANN
Anselm Weyer:
"Architekturführer Köln".
DOM publishers,
Berlin 2021.
400 S., Abb., br., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mehr als ein Architekturführer: Anselm Weyers exzellent recherchierte und reich bebilderte Baugeschichte von Köln bildet die Domstadt im Wandel ab
Die lieferbaren Architekturführer von Köln füllen einen Regalmeter. Anselm Weyer fügt zweieinhalb Zentimeter hinzu - und stößt in eine neue Dimension vor. Sein Buch passt zwar nicht in jede Jackentasche. Doch Inhalt und Konzept wiegen das auf. Fast zweihundert Objekte werden beschrieben. Dass vier der zehn Kapitel die Zeit nach 1945 behandeln, liegt weniger an einer Überbewertung der Gegenwart als daran, dass nur 113 Häuser in der Innenstadt den Bombenkrieg überstanden haben. Der Architekturbegriff ist breit gefasst und schließt Parkhäuser und Haltestellen, Brücken und Bausünden ein.
Die Hohe Domkirche steht am Anfang, die Stadtdominante ist eine Kategorie für sich. Begonnen 1248 und erst 1880 vollendet, umspannt sie mit den Relikten der Vorgänger- sowie den späteren Ergänzungsbauten die zweitausendjährige Stadthistorie. Die langwierige Bau- wird mit der wechselvollen Symbolgeschichte der Kathedrale korreliert, der Blick auch auf Ausgestaltung und Umfeld geworfen. Selbst was selten Beachtung findet, wird gewürdigt: die mitunter atemberaubenden Gerüstkonstruktionen der ewigen Baustelle.
Das Kapitel "Römische Spuren" bilanziert die baulichen Zeugnisse von Colonia Claudia Ara Agrippinensium, doch werden ihm auch romanische Kirchen zugeschlagen, die auf antiken Fundamenten stehen. Im Mittelalter bekunden drei große Stadterweiterungen, die zahlreiche Klöster und Kirchen einbeziehen, die zweite Blütezeit; neben dem Rathaus sind nur wenige Profanbauten erhalten. Das Mittelalter endet in Köln erst 1794, als die Franzosen die Stadt einnehmen. Nach 1815 demonstrieren die Preußen ihre Herrschaft mit klassizistischer Repräsentationsarchitektur und legen einen doppelten Festungsring um die "Wacht am Rhein"; bis 1880 steigt die Einwohnerzahl von 52 000 auf 145 000. Die Stadtmauer wird geschleift, für die Ringstraße dient Wien als Vorbild, zahlreiche Vororte werden eingemeindet: 1888 ist Köln die flächenmäßig größte Stadt im Deutschen Reich.
Auch von den Prachtbauten des Historismus wurden nur wenige - darunter Appellations- und Oberlandesgericht, Synagoge und Alte Universität - wiederhergestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg betreibt Oberbürgermeister Konrad Adenauer den Ausbau zur Metropole: Universität und Messe werden neu gegründet, Grüngürtel, Stadion und Siedlungen angelegt, das Hansahochhaus ist für kurze Zeit das höchste auf dem Kontinent, der Butzweiler Hof wird zum Flughafen ausgebaut und (von Köln nach Bonn) die erste Autobahn eröffnet.
Der Architekturführer bildet die Stadt im Wandel ab, historische Karten markieren Umbrüche und Entwicklungsphasen. Auf technologische Neuerungen und Denkmalschutz wird Bezug genommen, auf Einfamilienhäuser verzichtet. Der Verlust erweist sich als Gewinn. Die Gefahr, sich in einer Aufzählung von Preziosen zu verzetteln, wird vermieden, Entwicklungslinien und Zusammenhänge werden aufgezeigt.
Der Wiederaufbau vollzieht sich zwischen Generalplan und Flickschusterei, visionärem Neuanfang und falscher Kontinuität; in "Stahl, Glas und Beton" manifestieren sich Zweite Moderne und Hochhaus-Ehrgeiz. Weyer lässt Bausünden wie das WDR-Archivhaus oder das Dauerprovisorium Musicalzelt nicht aus, stellt die Trabantenstädte Kölnberg und Chorweiler in ihren gesellschaftspolitischen Kontext und reflektiert die Reaktion darauf: "Postmoderne und kleine Schritte". Für die "Gegenwart und Zukunft" stehen Büro- und Kaufhäuser, Museen oder die Moschee. Das im Bau befindliche Jüdische Museum "MiQua" ist ebenso bereits vertreten wie zwei Klötze, die dem Rudolfplatz zusetzen.
Der Autor schreibt kenntnisreich, umsichtig, gelegentlich anekdotisch und hält sich mit Wertungen zurück. Mehr als ein paar ironische Schlenker gehen ihm nicht durch, und steile Thesen wie die, dass Rudolf Schwarz mit seiner Polemik gegen Walter Gropius dem Bauhaus in Deutschland zum Durchbruch verholfen habe, sind selten. Auch über Auseinandersetzungen hinter den Kulissen und spezielle Details weiß Weyer Bescheid: So berichtet er über den Urheberstreit um die Kranhäuser oder erwähnt, dass im Elefantenpark des Zoos am Ausgang des Innengeheges eine Waage in den Boden integriert ist.
Manche Auslassungen seien, so heißt es im Vorwort, schwergefallen. Insgesamt kommt die "Schäl Sick", die rechte Rheinseite, zu kurz, was kaum daran liegen dürfte, dass der Verlag vor zehn Jahren einen "Architekturführer Rechtsrheinisches Köln" veröffentlicht hat (F.A.Z. vom 5. September 2011). Unterrepräsentiert ist damit die Industrie: Weder die Halle von Bruno Möhring in Deutz noch die Halle Kalk wurden ausgewählt, auch nicht die Rimowa-Kofferfabrik von Dahlbender/Gatermann + Schossig in Ossendorf oder das Briefpostamt 3 von Joachim Schürmann im Zentrum, die beide mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurden. Unter den - zugegeben - zahlreichen modernen Kirchen fehlen zumindest die von Emil Steffann in Lindenthal, Heinz Bienefeld in Blumenberg, Paul Böhm in Vingst und Sauerbruch Hutton in Stammheim. Im Register sind nur Architekten vermerkt, die mit einem Projekt vertreten sind, und nicht auch jene, die nur erwähnt werden - das mindert seinen Gebrauchswert.
Aber das sind punktuelle Einwände gegen ein Buch, das, sorgfältig recherchiert und reich bebildert, mehr hält, als es verspricht: Mit diesem Architekturführer legt Anselm Weyer auch eine Baugeschichte der Domstadt vor.
ANDREAS ROSSMANN
Anselm Weyer:
"Architekturführer Köln".
DOM publishers,
Berlin 2021.
400 S., Abb., br., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main