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Die Bildmontagen von Naomi Schenck zeigen Szenerien für ungedrehte Filme: Meist menschenleere Räume, aufgelassene Gebäude, mit Zufallsrequisiten befrachtete Orte, die einst von Leben gefüllt waren und irgendwann verlassen wurden. Die aber "von Stoffen voll" sind, die ganz besondere Geschichten beherbergen oder verbergen. 35 deutschsprachige Autoren, Essayisten und Publizisten haben sich von den Bildern und Montagen anregen lassen, diese Geschichten zu finden und zu bergen, die Räume mit neuem Leben zu füllen, sie in einen eigenen Sprach-Film einzumontieren. Es gab keine Vorgabe: Ob Erzählung,…mehr

Produktbeschreibung
Die Bildmontagen von Naomi Schenck zeigen Szenerien für ungedrehte Filme: Meist menschenleere Räume, aufgelassene Gebäude, mit Zufallsrequisiten befrachtete Orte, die einst von Leben gefüllt waren und irgendwann verlassen wurden. Die aber "von Stoffen voll" sind, die ganz besondere Geschichten beherbergen oder verbergen. 35 deutschsprachige Autoren, Essayisten und Publizisten haben sich von den Bildern und Montagen anregen lassen, diese Geschichten zu finden und zu bergen, die Räume mit neuem Leben zu füllen, sie in einen eigenen Sprach-Film einzumontieren. Es gab keine Vorgabe: Ob Erzählung, Gedicht, Essay oder Dialogszene - alles ist möglich in diesem Archiv verworfener Möglichkeiten.
Mit Texten von Marcel Beyer, Barbara Bongartz, Helmut Böttiger, Dorothea Dieckmann, Heinz Emigholz, Saskia Fischer, Arno Geiger, Wilhelm Genazino, Judith Hermann, Dagrun Hintze, Thomas Kapielski, Sandra Kellein, Georg Klein, Gert Loschütz, Michaela Mélian, Andreas Neumeister, Rolf Nohr, Annette Pehnt, Kathrin Röggla, Felix Römer, Ulrich Rüdenauer, Ulrike Almut Sandig, Sabine Scho, Lutz Seiler, Bernd Stiegler, Hans Thill, Stephan Thome, Wim Wenders, Roger Willemsen, Hubert Winkels, Frank Witzel, Jens Wonneberger, Norbert Zähringer, Feridun Zaimoglu, Ulf Erdmann Ziegler
Autorenporträt
Naomi Schenck, geboren 1970, wirkte als Szenenbildnerin an etwa 30 Filmen mit. In ihrem "Archiv verworfener Möglichkeiten" sammelt sie die abgelehnten Motivvorschläge der Filme. Ulrich Rüdenauer, geboren 1971, arbeitet als Autor für Zeitungen und Rundfunk. Er ist u.a. Mitherausgeber des Briefwechsels zwischen Peter Handke und Hermann Lenz ("Berichterstatter des Tages", Insel Verlag 2006).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2010

Mach uns eine Szene, Autor!

Ein Bildwerk? Eine Textmaschine? Ja und ja! Naomi Schencks erstaunliche Anthologie konfrontiert deutsche Schriftsteller mit zeitgenössischer Fotografie - sehr zum verstörenden Vergnügen des Lesers.

Wenn ein Buch eine Maschine zum Denken ist, wie es der große englische Literaturwissenschaftler I.A. Richards einmal gesagt hat, dann ist eine Anthologie wohl im besten Fall ein kraftvoller Mehrzylindermotor. Kombiniert man darin nun noch die Medien Text und Bild miteinander, so wie es die Szenenbildnerin Naomi Schenck und der Autor Ulrich Rüdenauer in ihrer Publikation vormachen, erhalten Leser und Betrachter schnell eine solche Fülle von Denk- und Phantasieanstößen, dass schon die beschreibende Klassifizierung des Werks als große Einengung erscheint. Ist es Bilderlyrik? Oder ist es ein Wortfilm, den die beiden da zwischen zwei Buchdeckel gebannt haben?

Zuerst einmal findet sich der Leser als Betrachter in einer Gemäldegalerie wieder, die größtenteils menschenleere Räume präsentiert: Flure, Treppenhäuser, Büros und Keller, aber auch schwerer definierbare Räumlichkeiten mit Schlafgelegenheiten, in denen kürzlich noch Leben gewesen sein muss. Dies sind, so klärt das Vorwort auf, Motivfotos für mögliche Filmdrehorte, an denen allerdings nie gedreht wurde - insofern sind es also "verworfene Möglichkeiten".

Um aber das einladende Potential dieser teils beeindruckenden, streckenweise an den Fotokünstler Jeff Wall erinnernden Motive noch anderweitig zu nutzen, haben die Herausgeber zahlreiche Autoren gebeten, im Medium der Schrift auf die Bildmotive zu reagieren - was sie in höchst verschiedener Weise tun: Sie entwerfen fiktionale Szenarien wie Georg Klein und Wilhelm Genazino, sie dichten wie Ulrike Almut Sandig und Marcel Beyer - oder sie betätigen sich essayistisch wie der Kritiker Hubert Winkels.

Gleich doppelt inspirieren lässt sich etwa der Autor Stephan Thome, indem er zunächst die Szene eines umzugswilligen Pärchens ausmalt, das nach jedem Maklertermin nur wieder zur Einsicht gelangt, dass es niemals umziehen wird. Und gleich darauf folgt die Zeitungsrezension dieses erfundenen Gedankenfilms.

Ein besonderer Glücksfall ist der Text von Lutz Seiler ("Aus der Lebenskiste"): Der Autor erinnert an seine Einberufung zum Wehrdienst in der ehemaligen DDR. Diese Erzählung ist mit einem verstörenden Bild kombiniert, auf dem ein gekachelter Raum mit mehreren Frisierstühlen vor Waschbecken zu sehen ist. An Stelle von Spiegeln finden sich dort jedoch Rundbögen, die wie zugemauerte Fenster erscheinen. Am Ende steht eine ergreifende Szene, in der sich der Autor mit seinem Porträt als junger Mann im Dienstausweis versöhnt: Er meint, ein Lächeln im Gesicht des Soldaten von damals zu erkennen, als dieser auf das Schreibgerät in der Hand des ihn Betrachtenden blickt.

Während der Beitrag des Filmemachers Wim Wenders eher zu den schwächeren gehört, ist am stimmigsten wohl die Herangehensweise eines Heinz Emigholz: Er erfindet zu den einzelnen Bildern konkrete Beschreibungen ihrer zunächst geplanten Nutzung (etwa für einen sogenannten Quality-Zweiteiler der Produktionsfirma Degeto mit Sky Dumont) und daraufhin auch die Gründe für das letztliche Verwerfen der ursprünglichen Idee: "Nun hat sich Herr Breloer entschieden, die Handlung des Films nach Binz auf Rügen im ausgehenden 19. Jahrhundert zu verlegen, um eine gewisse, dem Etat angemessene, ausstatterische Opulenz zu ermöglichen."

Eine vorgeschriebene Lesart für dieses Buch gibt es nicht, nur viele Möglichkeiten: Man kann es als Bildband aufschlagen und eine unmittelbare ästhetische Erfahrung mit den seltsamen Kunstwerken Naomi Schencks und ihrer je eigenen, poetischen Wahrheit machen, ohne je zu fragen, wo diese Bilder aufgenommen wurden. Man kann sich als Neugieriger dabei ertappen, wie man dann doch hinten im Bildregister die dokumentarische Wahrheit aufspüren will und erfährt, dass manche Motive etwa aus dem Namibischen Nationalarchiv in Windhoek oder von "privat, Heidelberg" stammen.

Man kann sich von der Sprachkraft einzelner Texte so vereinnahmen lassen, dass man keinerlei Bilder mehr benötigt. Und man kann, sollte man von der Ästhetik des Verlassenseins etwas bedrückt sein, sich entlang des irrwitzig-fröhlichen Narrativs der Bildkommentare durch den Band hangeln: Schon wird aus dem Buch eine Maschine zum Lachen.

JAN WIELE

Naomi Schenck: "Archiv verworfener Möglichkeiten".

Bilder und Texte.

Hrsg. v. Ulrich Rüdenauer. Belleville, München 2010. 176 S., br., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dies Buch ist viele. Jan Wiele kann sich noch nicht recht entscheiden, ob er es einfach als Bildband, als Sammlung von mehr oder weniger überzeugenden Texten oder als die Gelüste eines Voyeurs befriedigendes Bildregister nutzen soll. Sicher ist nur, dass Wiele von Naomi Schenck und Ulrich Rüdenauer jede Menge Denkanstöße bekommt, die Klassifizierung des Bandes wird darüber zweitrangig. Nimmt Wiele die hier versammelten Motivfotos potenzieller Drehorte als reines Bildarchiv, fühlt er sich an Jeff Wall erinnert. Liest er die mal szenischen (zum Beispiel bei Georg Klein), mal lyrischen (etwa bei Marcel Beyer) Bildkommentare, scheidet Wiele Geglücktes (Lutz Seiler) von Schwächerem (Wim Wenders) und entscheidet sich schließlich für eine weniger konventionelle Lesart, der frei schweifenden nämlich.

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