»Nie wieder«, denkt Leo Cernitori nach seiner gescheiterten Ehe, bis er die rätselhaft reizvolle Manuela trifft und sich dem Spannungsbogen einer neuen Liebe doch nicht entziehen kann. Was mit Leidenschaft beginnt, steigert sich über Eifersucht und Verwüstung zum bedrohlichen Finale Furioso.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.1995Bevor sie ihn kannte
Leider ein wenig überspannt: Andrea De Carlos Liebesbogen
Die Ausgangslage ist die denkbar schlechteste für Leo Cernitori: Seit einigen Jahren geschieden, seinen Kindern entfremdet, leer und ausgebrannt, versucht er in zahlreichen nichtssagenden Affären und beim Photographieren von Stühlen und Feuerzeugen sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Mit zynischem Blick streicht er durch das vorweihnachtliche Mailand, besucht teilnahmslos eine Schickeria-Party nach der anderen und hat sich ein Selbstverständnis zugelegt, das sich aus Introvertiertheit und Voyeurismus speist: "Ich nahm mich wahr wie jemanden, den ich von außen beobachtete, ohne Anteilnahme und ohne große Sympathie, nur auf das achtend, was er falsch machte." Er legt sich eine unterkühlte kleine Blondine als Freundin zu, und seine Gleichgültigkeit geht so weit, daß er die Weihnachtstage mit ihr und ihren oberflächlichen Freunden - verzogene Kinder reicher Mailänder Eltern - in Monte Carlo verbringt.
Doch der Titel des neuesten Romans von Andrea De Carlo, "Arcodamore", läßt hoffen, daß bei Leo in Sachen Liebe noch nicht alles verloren ist. Tatsächlich tritt etwas Außergewöhnliches in sein Leben: die junge Harfenistin Manuela Duini, fleischgewordene Kombination von Musikalität und Weiblichkeit. Der Ausbruch aus der Tiefkühlatmosphäre, in der Leo festgefroren schien, gestaltet sich einigermaßen eruptiv: Am Neujahrsmorgen klaut er den Porsche eines der reichen Schnösel und rast von Monte Carlo nach Mailand, um Manuela im Sturm zu erobern. Allerdings zeigt sich nach dem Rausch der Eroberung recht bald, daß Leo weder von Musik noch von Frauen wirklich etwas versteht.
Die Metapher des "Liebesbogens", der sich ekstatisch aufbäumt, nach seinem Höhepunkt aber unweigerlich abfällt, läßt schon ahnen, daß der Romanze keine allzulange Zeit des Erblühens gegönnt ist. Und das liegt nicht nur an der Eigendynamik dieses amour fou. Zwar ist Leos krankhafte Eifersucht auf Manuelas Vergangenheit ein wichtiger Faktor in diesem Prozeß: Er ist eifersüchtig auf die Falten in ihren Schuhen, die von einem Lebensweg ohne ihn zeugen; er schneidet ihr mit Genugtuung die Haare ab, weil damit ein Stück des Vergangenen von ihr abfällt.
Aber vor allem läßt der Einbruch der Realität in die leidenschaftliche Traumwelt nicht lange auf sich warten. In einem Land, das noch korrupter ist, als man zu vermuten wagte, ist keine Vergangenheit unbelastet. So tritt mit Domenico Cerino, dem Manuela "zwei Jahre lang zu Willen war", ein Handlanger der Verderbtheit und der Zersetzung auf, der einflußreich genug ist, auch noch ex post seine ehemalige Geliebte unter psychischen Druck zu setzen. Da nützt es nichts, daß Cerino schließlich Selbstmord begeht, als seine Machenschaften aufzufliegen drohen. Der Liebesbogen ist bereits überspannt, Amors Pfeile haben sich in Werkzeuge der willentlichen Selbstzerfleischung verwandelt. Wer etwas über die Liebe und das heutige Italien erfahren möchte, ist mit Andrea De Carlos "Arcodamore" nicht schlecht beraten. CHRISTINE TAUBER
Andrea De Carlo: "Arcodamore". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Renate Heimbucher. Diogenes Verlag, Zürich 1995. 352 S., geb., 39,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leider ein wenig überspannt: Andrea De Carlos Liebesbogen
Die Ausgangslage ist die denkbar schlechteste für Leo Cernitori: Seit einigen Jahren geschieden, seinen Kindern entfremdet, leer und ausgebrannt, versucht er in zahlreichen nichtssagenden Affären und beim Photographieren von Stühlen und Feuerzeugen sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Mit zynischem Blick streicht er durch das vorweihnachtliche Mailand, besucht teilnahmslos eine Schickeria-Party nach der anderen und hat sich ein Selbstverständnis zugelegt, das sich aus Introvertiertheit und Voyeurismus speist: "Ich nahm mich wahr wie jemanden, den ich von außen beobachtete, ohne Anteilnahme und ohne große Sympathie, nur auf das achtend, was er falsch machte." Er legt sich eine unterkühlte kleine Blondine als Freundin zu, und seine Gleichgültigkeit geht so weit, daß er die Weihnachtstage mit ihr und ihren oberflächlichen Freunden - verzogene Kinder reicher Mailänder Eltern - in Monte Carlo verbringt.
Doch der Titel des neuesten Romans von Andrea De Carlo, "Arcodamore", läßt hoffen, daß bei Leo in Sachen Liebe noch nicht alles verloren ist. Tatsächlich tritt etwas Außergewöhnliches in sein Leben: die junge Harfenistin Manuela Duini, fleischgewordene Kombination von Musikalität und Weiblichkeit. Der Ausbruch aus der Tiefkühlatmosphäre, in der Leo festgefroren schien, gestaltet sich einigermaßen eruptiv: Am Neujahrsmorgen klaut er den Porsche eines der reichen Schnösel und rast von Monte Carlo nach Mailand, um Manuela im Sturm zu erobern. Allerdings zeigt sich nach dem Rausch der Eroberung recht bald, daß Leo weder von Musik noch von Frauen wirklich etwas versteht.
Die Metapher des "Liebesbogens", der sich ekstatisch aufbäumt, nach seinem Höhepunkt aber unweigerlich abfällt, läßt schon ahnen, daß der Romanze keine allzulange Zeit des Erblühens gegönnt ist. Und das liegt nicht nur an der Eigendynamik dieses amour fou. Zwar ist Leos krankhafte Eifersucht auf Manuelas Vergangenheit ein wichtiger Faktor in diesem Prozeß: Er ist eifersüchtig auf die Falten in ihren Schuhen, die von einem Lebensweg ohne ihn zeugen; er schneidet ihr mit Genugtuung die Haare ab, weil damit ein Stück des Vergangenen von ihr abfällt.
Aber vor allem läßt der Einbruch der Realität in die leidenschaftliche Traumwelt nicht lange auf sich warten. In einem Land, das noch korrupter ist, als man zu vermuten wagte, ist keine Vergangenheit unbelastet. So tritt mit Domenico Cerino, dem Manuela "zwei Jahre lang zu Willen war", ein Handlanger der Verderbtheit und der Zersetzung auf, der einflußreich genug ist, auch noch ex post seine ehemalige Geliebte unter psychischen Druck zu setzen. Da nützt es nichts, daß Cerino schließlich Selbstmord begeht, als seine Machenschaften aufzufliegen drohen. Der Liebesbogen ist bereits überspannt, Amors Pfeile haben sich in Werkzeuge der willentlichen Selbstzerfleischung verwandelt. Wer etwas über die Liebe und das heutige Italien erfahren möchte, ist mit Andrea De Carlos "Arcodamore" nicht schlecht beraten. CHRISTINE TAUBER
Andrea De Carlo: "Arcodamore". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Renate Heimbucher. Diogenes Verlag, Zürich 1995. 352 S., geb., 39,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»An den Romanen Andrea De Carlos fasziniert immer wieder seine Beobachtungsgabe, seine Geduld, genau hinzusehen, und seine klare Sprache.« Ditta Rudle / Buchkultur Buchkultur