Fragen nach dem Glück einer Gesellschaft. Während seiner Zeit in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo hat Göran Gnaudschun (geb. 1971) weniger das Postkarten-Rom, so wie es von Millionen Touristen bereist wird, mit seiner fotografischen Linse festgehalten. In der Serie "Are You Happy?" richtete der Künstler seinen Blick stattdessen auf die östlichen Randgebiete der Ewigen Stadt und ihre Bewohner_innen. Diese leben auf sehr engem Raum; ihre Wohnblocks sind umgeben von Brachland. Nur einige Meter stadteinwärts erstrecken sich junge, trendige Wohnviertel, die durch die antike Stadtmauer von der Peripherie abgeschirmt sind.Gnaudschun flanierte durch die Hochhauskomplexe und Investruinen der sogenannten Problembezirke. Mit der Konkretheit seiner Porträts und dem Blick auf das Atmosphärische der kargen Architektur der den Ostteil Roms prägenden Stadtlandschaft analysiert Gnaudschun das alltägliche Dasein, den urbanen Lebensraum und die Organisation von Lebenszeit. Die Texte schrieben Emilia Giorgi, Göran Gnaudschun, Yvonne Dohna Schlobitten und Marie-Amélie zu Salm-Salm.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2020Keine Spur vom Glück
Als sich noch niemand Gedanken über das Wort Quarantäne machte, war Göran Gnaudschun auf der Via Prenestina unterwegs von Rom nach Palestrina, um die Vorstädte und ihre Bewohner zu fotografieren - Menschen, deren Lebensmotto "Dennoch" zu heißen scheint.
Von Freddy Langer
Die Frage ist eine Falle. "Bist du glücklich?", wollen zwei junge Zuhälter von der noch jüngeren Stella wissen, nachdem sie das blonde, naive und herzensgute Mädchen von Kopf bis Fuß neu eingekleidet haben und dafür ihre letzten Lira aufwendeten - mit Blick auf eine saftige Rendite. "Bist du zufrieden?", wird die Frage wiederholt. Schon weniger charmant. Doch wer will das Glück definieren in den heruntergekommenen Siedlungen am Stadtrand von Rom, in denen die Tagediebe beim Wein vor schäbigen Tavernen sitzen und die Straßendirnen zwischen antiken Trümmern mal auf Kundschaft warten, mal vor der Polizei davonlaufen. Es ist ein Elend, hier wie dort, doch selbst von den Fassaden der Neubausiedlungen, die sich hinter Brachland im gleißenden Licht der Sonne dem Himmel entgegenstemmen, geht weniger ein Gefühl der Verheißung als des Schauders aus. Die Antwort, wie Glück aussehen kann, blieb Pier Paolo Pasolini im Spielfilm "Accattone" schuldig, seinem Regiedebüt aus dem Jahr 1961.
Und heute? "Are you happy?" nennt der deutsche Fotograf Göran Gnaudschun seine Bildreportage, für die er auf der Via Prenestina, der alten Konsularstraße, von Rom aus Richtung Palestrina unterwegs war, also genau in jener Gegend, in der Pasolini damals filmte. Noch immer ist es ein Gemisch aus Brachland, sozialem Wohnungsbau und Elendsvierteln, hier ein wenig gentrifiziert, dort ein wenig zu sehr heruntergekommen. Die Bevölkerung aber beschränkt sich nicht länger auf einfache Arbeiter und kleine Beamte, sondern wird durch eine heterogene Gesellschaft zum Abbild der geopolitischen Situation unserer Tage. Der Osten von Rom scheint zuallererst ein Sammelbecken für jene zu sein, mit denen es das Leben nicht nur gut meint.
Die Frage, ob sie glücklich seien, hat sich Göran Gnaudschun denn auch verkniffen, als er Passanten in den Vorstädten bat, für seine Serie Modell zu stehen. Zumal er die Antwort nicht verstanden hätte, er spricht kein Italienisch. Stattdessen beschränkte er sich knapp auf die Anweisung, bitte nicht zu lächeln. Und nun schauen diese Menschen wiederum uns an, junge Mädchen mit herausforderndem Blick oder scheuer Miene, tätowierte Männer, die Arme abweisend verschränkt oder ein Kind an die Brust gedrückt, Männer und Frauen mit ihren Hunden, alte Menschen, teils skeptisch, teils resigniert. Dazu gibt es Aufnahmen von Straßen, von verwilderten Flächen und ein ums andere Mal von einfallslosen Wohnblocks, die bei Gnaudschun nicht gleißend hell strahlen, sondern matt das Licht des Abendhimmels reflektieren. Der Vielfalt der Gesichter stellt er damit eine Monotonie der Architektur gegenüber, und man braucht nicht lange, um zu ahnen, dass die Gesichter der Fassaden über kurz oder lang Einfluss auf die Konterfeis ihrer Bewohner nehmen werden. Was Gnaudschun mit "Are you happy?" gelang, ist eine ergreifende Sozialstudie des Stadtrands von Rom - zusammengestellt aus lauter kleinen Kunstwerken.
"Are you happy?" von Göran Gnaudschun. Distanz Verlag, Berlin 2019. 128 Seiten, 69 Abbildungen. Gebunden, 39,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als sich noch niemand Gedanken über das Wort Quarantäne machte, war Göran Gnaudschun auf der Via Prenestina unterwegs von Rom nach Palestrina, um die Vorstädte und ihre Bewohner zu fotografieren - Menschen, deren Lebensmotto "Dennoch" zu heißen scheint.
Von Freddy Langer
Die Frage ist eine Falle. "Bist du glücklich?", wollen zwei junge Zuhälter von der noch jüngeren Stella wissen, nachdem sie das blonde, naive und herzensgute Mädchen von Kopf bis Fuß neu eingekleidet haben und dafür ihre letzten Lira aufwendeten - mit Blick auf eine saftige Rendite. "Bist du zufrieden?", wird die Frage wiederholt. Schon weniger charmant. Doch wer will das Glück definieren in den heruntergekommenen Siedlungen am Stadtrand von Rom, in denen die Tagediebe beim Wein vor schäbigen Tavernen sitzen und die Straßendirnen zwischen antiken Trümmern mal auf Kundschaft warten, mal vor der Polizei davonlaufen. Es ist ein Elend, hier wie dort, doch selbst von den Fassaden der Neubausiedlungen, die sich hinter Brachland im gleißenden Licht der Sonne dem Himmel entgegenstemmen, geht weniger ein Gefühl der Verheißung als des Schauders aus. Die Antwort, wie Glück aussehen kann, blieb Pier Paolo Pasolini im Spielfilm "Accattone" schuldig, seinem Regiedebüt aus dem Jahr 1961.
Und heute? "Are you happy?" nennt der deutsche Fotograf Göran Gnaudschun seine Bildreportage, für die er auf der Via Prenestina, der alten Konsularstraße, von Rom aus Richtung Palestrina unterwegs war, also genau in jener Gegend, in der Pasolini damals filmte. Noch immer ist es ein Gemisch aus Brachland, sozialem Wohnungsbau und Elendsvierteln, hier ein wenig gentrifiziert, dort ein wenig zu sehr heruntergekommen. Die Bevölkerung aber beschränkt sich nicht länger auf einfache Arbeiter und kleine Beamte, sondern wird durch eine heterogene Gesellschaft zum Abbild der geopolitischen Situation unserer Tage. Der Osten von Rom scheint zuallererst ein Sammelbecken für jene zu sein, mit denen es das Leben nicht nur gut meint.
Die Frage, ob sie glücklich seien, hat sich Göran Gnaudschun denn auch verkniffen, als er Passanten in den Vorstädten bat, für seine Serie Modell zu stehen. Zumal er die Antwort nicht verstanden hätte, er spricht kein Italienisch. Stattdessen beschränkte er sich knapp auf die Anweisung, bitte nicht zu lächeln. Und nun schauen diese Menschen wiederum uns an, junge Mädchen mit herausforderndem Blick oder scheuer Miene, tätowierte Männer, die Arme abweisend verschränkt oder ein Kind an die Brust gedrückt, Männer und Frauen mit ihren Hunden, alte Menschen, teils skeptisch, teils resigniert. Dazu gibt es Aufnahmen von Straßen, von verwilderten Flächen und ein ums andere Mal von einfallslosen Wohnblocks, die bei Gnaudschun nicht gleißend hell strahlen, sondern matt das Licht des Abendhimmels reflektieren. Der Vielfalt der Gesichter stellt er damit eine Monotonie der Architektur gegenüber, und man braucht nicht lange, um zu ahnen, dass die Gesichter der Fassaden über kurz oder lang Einfluss auf die Konterfeis ihrer Bewohner nehmen werden. Was Gnaudschun mit "Are you happy?" gelang, ist eine ergreifende Sozialstudie des Stadtrands von Rom - zusammengestellt aus lauter kleinen Kunstwerken.
"Are you happy?" von Göran Gnaudschun. Distanz Verlag, Berlin 2019. 128 Seiten, 69 Abbildungen. Gebunden, 39,90 Euro.
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