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Dass die herkömmliche Nationalgeschichte heute ein intellektuell unbefriedigendes und überholtes Unterfangen ist, darüber sind sich etliche der Historiker und Historikerinnen in Deutschland einig. In der heutigen vernetzten Welt, unzweifelhaft ein Ergebnis von historischen Globalisierungsprozessen, steigt das Interesse an der Geschichte außerhalb Europas und der USA. Sehr viel weniger Übereinstimmung herrscht allerdings darüber, wie nun eine Geschichte jenseits der Nationalstaaten zu konzipieren sei. Dabei werden von Seiten derer, die außereuropäische Geschichte betreiben, verstärkt auch…mehr

Produktbeschreibung
Dass die herkömmliche Nationalgeschichte heute ein intellektuell unbefriedigendes und überholtes Unterfangen ist, darüber sind sich etliche der Historiker und Historikerinnen in Deutschland einig. In der heutigen vernetzten Welt, unzweifelhaft ein Ergebnis von historischen Globalisierungsprozessen, steigt das Interesse an der Geschichte außerhalb Europas und der USA. Sehr viel weniger Übereinstimmung herrscht allerdings darüber, wie nun eine Geschichte jenseits der Nationalstaaten zu konzipieren sei. Dabei werden von Seiten derer, die außereuropäische Geschichte betreiben, verstärkt auch Bedenken angemeldet gegenüber dem neuen Paradigma. Besteht nicht die Gefahr, dass auf dem Rücken der neuen Globalgeschichte die alten Meistererzählungen, die schon in Frage gestellt schienen, wieder mit ins Zentrum "schwimmen", so wie der Skorpion auf dem Rücken des Frosches in gleichnamiger Parabel? Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass die auf außereuropäische Quellen gestützte "Bodenhaftung" in der neuen Globalgeschichte für eine Art globaler Meistererzählung aufgegeben wird, die ausschließlich auf einen globalisierten Wissenschafts- und Bildungsmarkt zielt. Wo also gibt es Berührungs-, wo Kritikpunkte in der Beziehung zwischen außereuropäischer Geschichte, bzw. area (studies) history in den USA, dem Konzept der "Geschichte der Weltregionen" und der Globalgeschichte, was ist deren Geschichte? Die Beiträge in diesem Band sind sowohl theoretischer Art als auch Beispiele für angewandte Forschung.
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Autorenporträt
Prof. Dr. Birgit Schäbler, Lehrstuhl für Westasiatische Geschichte an der Universität Erfurt, Vorsitzende des Arbeitskreises für Außereuropäische Geschichte (2004-2006)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2008

Alle Historiker sind Welthistoriker

Viele Wissenschaftler betrachten den Aufstieg der Globalgeschichte mit Skepsis. Ein neuer Band macht deutlich, welche Gefahren sie für ihr Fach sehen.

Lange Zeit stellte "Weltgeschichte" ein wenig reputierliches Feld historiographischer Betätigung dar. Zwischen der quellennahen und spezialisierten Fachhistorie und den an großen Synthesen interessierten universalhistorischen Generalisten tat sich eine tiefe Kluft auf. In den vergangenen Jahren ist die Geringschätzung gegenüber globalgeschichtlichen Ansätzen zuweilen gar missionarischem Eifer gewichen. "Alle Historiker", so formulierte es der englische Historiker Christopher Bayly, Autor eines vielgerühmten Werkes zur Globalgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, "sind heutzutage Welthistoriker, auch wenn vielen von ihnen das noch gar nicht bewusst ist." Diese Richtung ist derzeit nicht zuletzt bei jüngeren Historikern "in", vor allem in den Vereinigten Staaten, zunehmend aber auch hierzulande. Dabei beginnt sich erst langsam Klarheit darüber herzustellen, was genau unter Welt- und Globalgeschichte eigentlich verstanden werden soll. Vertreter dieser Richtung interessieren sich jedenfalls für Verflechtung und eine relationale Geschichte der Moderne, argumentieren nichteurozentrisch und wollen nationalgeschichtliche Perspektiven überwinden.

Ungeachtet der gegenwärtigen Konjunktur sind welt- und globalgeschichtliche Entwürfe nicht ohne Kritik geblieben. Dabei werden Probleme nicht nur von jenen Historikern gesehen, die eine nationalgeschichtliche Perspektive verteidigen. Spezialisten der Geschichte und Gesellschaften Asiens oder Afrikas warnen, dass Globalgeschichte zu einem Wegbereiter eines neuen Kolonialismus werden könnte. Denn die Standards dieses Teilgebiets seien gefährdet, weil sich nun viele darauf stürzen, ohne über die für das Studium nichteuropäischer Gesellschaften in der Regel notwendigen Sprachkenntnisse zu verfügen. Würden lediglich Quellen in europäischen Sprachen gelesen, sei die Reproduktion kolonialer Sichtweisen zu befürchten. Globalgeschichte drohe zu einem Schlagwort zu verkommen, "Geschichtswissenschaft light" zu werden.

Viele Vertreter der "Regionalwissenschaften" bzw. "Area Studies" sehen den Aufstieg der Globalgeschichte also mit gemischten Gefühlen. Ein von der Erfurter Nahost-Historikerin Birgit Schäbler herausgegebener Band versucht nun das Spannungsverhältnis zwischen den "Area Studies" und der neuen Globalgeschichte auszuloten. "Area Studies" waren dabei, wie einige Beiträger unterstreichen, niemals eine Alternative zu disziplinären Praktiken der Geschichtswissenschaft, aber sie waren bisher eine wertvolle Ergänzung, indem sie eine intellektuelle Gemeinschaft geformt haben, die auf die Notwendigkeit von fundierten Kenntnissen über die Kultur, Geschichte und innere Situation von außereuropäischen Ländern oder Regionen insistierte. Dieses Wissen könne überdies dazu führen, die Theorien, Epistemologien oder Grenzen einer Disziplin wie der Geschichtswissenschaft in Frage zu stellen. In dem Maße, wie die Ausbildung in Sprachen, Feldforschung, die Kooperation mit einheimischen Forschern und die Einbindung in spezifische lokale Strukturen jedoch entwertet werden und Nachwuchswissenschaftler den Rat bekommen, Mehrländerstudien zu machen, die wenig profundes Wissen über irgendeinen dieser Orte vermitteln, droht, so die Warnung des Bandes, nicht nur die Qualität der "Area Studies" zu leiden, sondern auch die Qualität der Kultur- und Sozialwissenschaften insgesamt.

Die große Stärke eines auf regionalen Spezialkenntnissen basierenden globalgeschichtlichen Zugangs liegt in der dichten Analyse von Verflechtungen und Interaktionen. Wie globale Interaktionen sogar den Kern des Nationalen, den Nationalismus und seine Diskurse, prägen können, verdeutlichen etwa Sebastian Conrad und Klaus Mühlhahn im vorliegenden Band am Beispiel der Migration chinesischer Arbeiter. Die vielen chinesischen Diasporagemeinden in Südostasien, Australien, Amerika und Europa lösten eine Serie nationalistischer Reaktionen in den neuen Heimatländern aus, die wiederum zu einer Verschiebung nationaler Debatten und Politikformen beitrugen. In den Vereinigten Staaten trug seit dem späten neunzehnten Jahrhundert die antichinesische Politik auf lokaler und nationaler Ebene etwa zur Durchsetzung eines Nationalismus bei, der sich, wie Conrad und Mühlhahn hervorheben, immer mehr über ethnische Gemeinsamkeiten definierte. Andere Aspekte wie die Betonung der Bürgerrechte und der Ideologie von Gleichberechtigung und Emanzipation gerieten hingegen in den Hintergrund.

Der Globalisierungsprozess hat an vielen Orten ein Bedürfnis nach einem breiteren Blick und der Situierung der eigenen Gesellschaft in grenzüberschreitenden Zusammenhängen geweckt. Die Aufsätze in "Area Studies und die Welt" bieten insgesamt ein überzeugendes Plädoyer dafür, dass die historische Analyse dieses Prozesses nicht zuletzt durch eine auf außereuropäische Quellen gestützte "Bodenhaftung" geprägt sein sollte.

ANDREAS ECKERT

Birgit Schäbler (Hrsg.): "Area Studies und die Welt". Weltregionen und neue Globalgeschichte. Mandelbaum Verlag, Wien 2007. 260 S., geb., 17,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Eckert hat die Auseinandersetzungen zwischen nationalgeschichtlichen Ansätzen und der sogenannten Globalhistorie mitverfolgt. Über den von Birgit Schäbler herausgegebenen Band freut er sich schon deshalb, verschaffen ihm die Beiträge doch einen Einblick in die herrschenden Spannungsverhältnisse. Die Warnung des Bandes vernimmt Eckert allerdings auch, wenn er hier über die Stärken regional grundierter Globalgeschichte liest. Dem durch den Globalisierungsprozess initiierten Bedarf nach einer grenzüberschreitenden Perspektive auf die eigene Gesellschaft, weiß Eckert nach dieser Lektüre, arbeitet eine auf außereuropäische Quellen gestützte historische Analyse durchaus zu.

© Perlentaucher Medien GmbH