Stammtischparolen: Sie kommen plötzlich und aus der Mitte des Alltags. Wer darauf reagieren will, fühlt sich häufig überrumpelt und überfordert. Was sind Stammtischparolen? Wie wirken sie? Warum gibt es sie überhaupt? Und was kann ihnen entgegen gesetzt werden? Klaus-Peter Hufer zeigt Merkmale, Muster und Handlungsmöglichkeiten bei der Konfrontation mit "Stammtischparolen" auf und macht Mut, im Alltag couragiert aufzutreten, wenn man mit ihnen konfrontiert wird. Das Buch beruht auf der langjährigen Erfahrung des Autors mit seinem "Argumentationstraining gegen Stammtischparolen".
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Bier bei Platon
Klaus-Peter Hufer am Stammtisch / Von Dieter Bartetzko
Im Juni 2004 betrug der Ausländeranteil der bundesdeutschen Bevölkerung 8,9 Prozent. Es dürfte wenige geben, die nicht von dieser Zahl überrascht sind. Man hätte sie weit höher geschätzt. Schon findet man sich im Lager derer, die Vorurteile hegen und mental oder real zu den Stammtischlern zählen. Die Zahl findet sich im Schlußteil des schmalen Bands, in dem der Erziehungswissenschaftler Klaus-Peter Hufer die gängigsten Vorurteile - "eindeutiger Spitzenreiter ist ,Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg'" - sichtet und sammelt und Ratschläge gibt, wie ihnen zu widersprechen sei.
Ehe man also bei einer sanften, so manchen sich frei dünkenden Leser beschämenden Philippika qua Wahrheit anlangt, schlendert man mit dem teils launigen, teils beflissen mahnenden Autor durch den Urwald der Befangenheiten unseres Denkens und Handelns: Rassismus, Politikverdrossenheit, die Furcht vor Überfremdung und der Überdruß an der ewigen Vergangenheitsbewältigung - alles, was wir schon als Stammtischpalaver kannten und verurteilten, wird aufgelistet und angeprangert. Ein Gutmensch schwärmt in gesetzten Worten von Zivilcourage und Persönlichkeit, Toleranz und Vernunft. Und er ist sogar gut genug, die Stammtischler zu verstehen: Stammtische stiften Gemeinschaft, wärmen. "Waren nicht Platons Gastmahl, das letzte Abendmahl oder König Artus' Tafelrunde auch eine Art Stammtische?"
Ja, wenn nur nicht die dumpfen, latent gewalterzeugenden Parolen wären, die an den anderen, den bösen Stammtischen geboren werden oder sonstwo, wo Zeitgenossen die Wirklichkeit nach ihrem Bild formen wollen. Zuweilen aber, wenn einen infolge des Wiederkäuens bekannter Dummheiten und ihrer Gegenreden ein Gähnen ankommt, überrascht eine originelle Beobachtung: Stammtischparolen sind "Mutmacher und Wutmacher" - mit diesem Doppelbegriff faßt Hufer die Gefahren des Palavers unter Gleichgesinnten zusammen. Wo Mut und Wut einander befeuern, können aus ressentimentgeladenen Duckmäusern hirnlose Sprengkörper werden.
Angesichts dessen aber lesen sich Hufers Ratschläge wie ein Handbuch für Therapeuten: nicht moralisieren, zuhören und andere zum Zuhören auffordern, Vernunft gegen Gefühl setzen, Ruhe gegen Wut, Geduld gegen Hast, Argument gegen Behauptung. Doch wer bringt es schon zuwege, täglich als Therapeut zu handeln, zumal, wenn er denselben Ängsten, denselben Neigungen zu Kurzschlüssen und beruhigenden Vorurteilen ausgesetzt ist wie diejenigen, die er therapieren soll?
Wer in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen ist, wer in der Kindheit seine Eltern als zuverlässig und standhaft erlebte, ist weniger anfällig für Haß, Angst und Autoritätshörigkeit und damit widerständig gegen Stammtischparolen. Wer wüßte das nicht? Und welche Institution, von der Bundesregierung bis zum Boulevardblatt, vom Fernsehmoderator bis zur Sprechstundenhilfe, träte nicht für Humanität und Toleranz ein? Dann liest man Theodor Mommsens Fazit zum Berliner Antisemitismusstreit von 1893: "Sie täuschen sich, wenn Sie annehmen, daß etwas durch Vernunft erreicht werden könnte. Was ich oder irgend jemand (gegen den Antisemitismus) sagen könnte, sind in letzter Linie Argumente, auf die kein Antisemit hören wird. Sie hören nur ihren eigenen Haß und Neid, ihre eigenen niedrigsten Instinkte."
Im Ernstfall, so zeigen Geschichte und Gegenwart, ist unser aller Gehör anfällig. Vor diesem Hintergrund liest sich Hufers Buch - "schließlich wird man ja noch weiter von der Kraft der Aufklärung und der Vernunft überzeugt sein dürfen" - wie ein frommer Wunsch.
Klaus-Peter Hufer: "Argumente am Stammtisch". Verlagshaus Wochenschau, Schwalbach 2006. 141 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klaus-Peter Hufer am Stammtisch / Von Dieter Bartetzko
Im Juni 2004 betrug der Ausländeranteil der bundesdeutschen Bevölkerung 8,9 Prozent. Es dürfte wenige geben, die nicht von dieser Zahl überrascht sind. Man hätte sie weit höher geschätzt. Schon findet man sich im Lager derer, die Vorurteile hegen und mental oder real zu den Stammtischlern zählen. Die Zahl findet sich im Schlußteil des schmalen Bands, in dem der Erziehungswissenschaftler Klaus-Peter Hufer die gängigsten Vorurteile - "eindeutiger Spitzenreiter ist ,Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg'" - sichtet und sammelt und Ratschläge gibt, wie ihnen zu widersprechen sei.
Ehe man also bei einer sanften, so manchen sich frei dünkenden Leser beschämenden Philippika qua Wahrheit anlangt, schlendert man mit dem teils launigen, teils beflissen mahnenden Autor durch den Urwald der Befangenheiten unseres Denkens und Handelns: Rassismus, Politikverdrossenheit, die Furcht vor Überfremdung und der Überdruß an der ewigen Vergangenheitsbewältigung - alles, was wir schon als Stammtischpalaver kannten und verurteilten, wird aufgelistet und angeprangert. Ein Gutmensch schwärmt in gesetzten Worten von Zivilcourage und Persönlichkeit, Toleranz und Vernunft. Und er ist sogar gut genug, die Stammtischler zu verstehen: Stammtische stiften Gemeinschaft, wärmen. "Waren nicht Platons Gastmahl, das letzte Abendmahl oder König Artus' Tafelrunde auch eine Art Stammtische?"
Ja, wenn nur nicht die dumpfen, latent gewalterzeugenden Parolen wären, die an den anderen, den bösen Stammtischen geboren werden oder sonstwo, wo Zeitgenossen die Wirklichkeit nach ihrem Bild formen wollen. Zuweilen aber, wenn einen infolge des Wiederkäuens bekannter Dummheiten und ihrer Gegenreden ein Gähnen ankommt, überrascht eine originelle Beobachtung: Stammtischparolen sind "Mutmacher und Wutmacher" - mit diesem Doppelbegriff faßt Hufer die Gefahren des Palavers unter Gleichgesinnten zusammen. Wo Mut und Wut einander befeuern, können aus ressentimentgeladenen Duckmäusern hirnlose Sprengkörper werden.
Angesichts dessen aber lesen sich Hufers Ratschläge wie ein Handbuch für Therapeuten: nicht moralisieren, zuhören und andere zum Zuhören auffordern, Vernunft gegen Gefühl setzen, Ruhe gegen Wut, Geduld gegen Hast, Argument gegen Behauptung. Doch wer bringt es schon zuwege, täglich als Therapeut zu handeln, zumal, wenn er denselben Ängsten, denselben Neigungen zu Kurzschlüssen und beruhigenden Vorurteilen ausgesetzt ist wie diejenigen, die er therapieren soll?
Wer in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen ist, wer in der Kindheit seine Eltern als zuverlässig und standhaft erlebte, ist weniger anfällig für Haß, Angst und Autoritätshörigkeit und damit widerständig gegen Stammtischparolen. Wer wüßte das nicht? Und welche Institution, von der Bundesregierung bis zum Boulevardblatt, vom Fernsehmoderator bis zur Sprechstundenhilfe, träte nicht für Humanität und Toleranz ein? Dann liest man Theodor Mommsens Fazit zum Berliner Antisemitismusstreit von 1893: "Sie täuschen sich, wenn Sie annehmen, daß etwas durch Vernunft erreicht werden könnte. Was ich oder irgend jemand (gegen den Antisemitismus) sagen könnte, sind in letzter Linie Argumente, auf die kein Antisemit hören wird. Sie hören nur ihren eigenen Haß und Neid, ihre eigenen niedrigsten Instinkte."
Im Ernstfall, so zeigen Geschichte und Gegenwart, ist unser aller Gehör anfällig. Vor diesem Hintergrund liest sich Hufers Buch - "schließlich wird man ja noch weiter von der Kraft der Aufklärung und der Vernunft überzeugt sein dürfen" - wie ein frommer Wunsch.
Klaus-Peter Hufer: "Argumente am Stammtisch". Verlagshaus Wochenschau, Schwalbach 2006. 141 S., br., 10,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine gewisse Skepsis bleibt bei Rezensent Dieter Bartetzko nach der Lektüre dieses Buchs des Erziehungswissenschaftlers Klaus-Peter Hufer zurück. Wie er berichtet, nimmt der Autor darin zahlreiche Stammtischparolen unter die Lupe und entkräftigt sie. Das findet Bartetzko durchaus honorig, auch wenn ihn die Präsentation bekannter Dummheiten a la "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" und der Gegenreden dazu bisweilen ein wenig ermüdet. Die Ratschläge des Autors, wie dem Stammtischlern und ihrem Palaver zu begegnen sei, lesen sich für Bartetzko schließlich wie ein "Handbuch für Therapeuten". Angesichts der Realitäten scheinen ihm viele von Hufers Ausführungen letztlich "wie ein frommer Wunsch".
© Perlentaucher Medien GmbH
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