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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2011

Makulierung durch Kommentierung

Der Autor "stellt sich in Widerspruch zum gesicherten internationalen Forschungsstand und verlässt die Grundlagen methodisch seriöser wissenschaftlicher Argumentation". Es kommt vor, dass einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch die Wissenschaftlichkeit abgesprochen wird. Wie ernst man solche Fundamentalkritik nimmt, hängt davon ab, wer die Rezension geschrieben hat und an welchem Ort sie publiziert worden ist. Das zitierte Verdikt markiert ein in der Geschichte des Verlagswesens wohl singuläres Kuriosum: Der Totalverriss ist dem verrissenen Werk beigebunden und firmiert als "kritischer Kommentar".

Als der in Lyon lehrende Mittelalterhistoriker Sylvain Gouguenheim, ein Experte für Hildegard von Bingen und den Deutschen Orden, 2008 in den angesehenen Éditions du Seuil sein Buch "Aristote au Mont-Saint-Michel" veröffentlichte, wurde die These, das christliche Mittelalter habe sich die griechische Wissenschaft ohne arabische Übersetzungshilfe angeeignet, in der Pariser Tagespresse mit Begeisterung aufgegriffen. Die Journalisten wollten zu gern glauben, dass auch die Wissenschaft von der politischen Korrektheit infiziert sei und ein Wunschbild islamischer Kulturleistungen in Umlauf gebracht habe. Mit einhelliger Ablehnung reagierten die zuständigen Fachwissenschaftler. In dieser Zeitung (F.A.Z. vom 19. Juni 2008) sprach der Würzburger Philosophiehistoriker Dag Nikolaus Hasse von einem Skandal. Es handele sich um "ein unseriös gearbeitetes und von Ideologie durchtränktes Buch, das mit einem täuschenden Firnis von Gelehrsamkeit überzogen" sei, das Manifest eines "kulturellen Rassismus".

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat sich durch diese Kritik nicht beirren lassen und eine holprige deutsche Übersetzung herausgebracht (Sylvain Gouguenheim: "Aristoteles auf dem Mont Saint-Michel". Die griechischen Wurzeln des christlichen Abendlandes. Aus dem Französischen von Jochen Grube. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011. 266 S., geb., 29,90 [Euro]), erweitert freilich um den 29 Seiten langen "kritischen Kommentar", eine gutachterliche Stellungnahme des Historikers Martin Kintzinger (Münster) und des Islamwissenschaftlers Daniel G. König (Paris).

Zustimmend verweisen die Kommentatoren auf den Münchner Historiker Thomas Ricklin, der seine Rezension in der "Historischen Zeitschrift" unter die Überschrift "Der Fall Gouguenheim" gestellt hatte, weil er dem Autor Verstöße gegen die elementaren Regeln der professionellen Redlichkeit vorwirft. Indem Gouguenheim jegliche Produktivität muslimischer Gelehrter bestreitet, verlässt er, so urteilt nun auch Kintzinger, "in den Inhalten seiner Aussagen wie in den Methoden seiner Recherche eindeutig die Grundlage der gesicherten Forschungsergebnisse". Unredlich wird das Ganze dadurch, dass die Tatsachen, die am deutlichsten sprechen, sich als Erfindungen erweisen. In Gouguenheims Zusammenfassung auf Seite 167 der deutschen Ausgabe steht, die islamischen Aristoteliker hätten sich Zweifel an Aristoteles nicht vorstellen können. König zeigt auf Seite 236, dass diese Aussage falsch ist. So ist das ganze Buch Makulatur. Die Buchgesellschaft mit der Wissenschaft im Namen sollte jedem Käufer die 29,90 Euro zurückzahlen.

PATRICK BAHNERS

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In Frankreich hat das Buch des Mediävisten Sylvain Gouguenheim eine heftige Kontroverse ausgelöst, und Rezensent Thomas Ricklin möchte sich eigentlich gar nicht mit dem Buch auseinandersetzen, denn in seinen Augen ist mit dem Protest Lyoner Historiker alles gesagt, die dem Autor Islamfeindlichkeit und eine ideologische Geschichtskonstruktion vorwerfen. Gouguenheim hält das weit verbreitete Bild für falsch, demzufolge das christliche Europa im Mittelalter ein Hort der Finsternis war und die Brücke zur griechischen Aufklärung nur durch die arabische Wissenschaft geschlagen wurde. Dagegen verweise Gouguenheim etwa auf Jakob von Venedig, der bereits im frühen 12. Jahrhundert in der Abtei von Mont Saint-Michel Aristoteles übersetzt habe. Ricklin erkennt hier auf "Halbwahrheiten und Unterschlagung im großen Stil".

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