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Lorimer Black ist Versicherungsangestellter in London. Sein Auftrag: Die Schadensfälle seiner Versicherung stets zu deren Gunsten zu regeln. Sein Traum: Die Sicherheit eines glücklichen Privatlebens. Sein Schicksal: Er wird zum perfekten Werkzeug der dunklen Mächte, für die nur eines zählt: GELD!

Produktbeschreibung
Lorimer Black ist Versicherungsangestellter in London. Sein Auftrag: Die Schadensfälle seiner Versicherung stets zu deren Gunsten zu regeln. Sein Traum: Die Sicherheit eines glücklichen Privatlebens. Sein Schicksal: Er wird zum perfekten Werkzeug der dunklen Mächte, für die nur eines zählt: GELD!
Autorenporträt
William Boyd, geb. 1952 in Ghana, gehört zu den überragenden europäischen Erzählern der Gegenwart. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher und wurde vielfach ausgezeichnet. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und Südfrankreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.1999

Ein Chamäleon bekennt Farbe
Zu bunt getrieben: William Boyd reguliert Schäden

"Armadillo", der jüngste Roman des 1952 in Ghana geborenen und heute in London lebenden Autors William Boyd, war in Großbritannien ein großer Publikumserfolg. Auch die Kritik äußerte sich freundlich bis begeistert. Bis jetzt, so meinte der "Guardian", sei Boyd eher der "invisible man" in der Amis-Barnes-Ishiguro-Rushdie-Generation britischer Romanciers gewesen; mit "Armadillo" könne sich das ändern. Wegen seiner thematischen und stilistischen Wandlungsfähigkeit litt Boyds bisheriges Werk stets ein wenig unter einem Dilemma: Seine Romane, so gut sie waren, hätten fast so gut auch von jemand anderem sein können. Im Falle von "Armadillo" ist das nur insofern anders, als sich diesmal kein Vergleich mit Martin Amis oder Kazuo Ishiguro aufdrängt. Statt dessen möchte man nach der Lektüre glauben, Hanif Kureishi und Emir Kusturica hätten sich zu einem Gemeinschaftsprojekt verabredet, der eine zuständig für den Londoner Vorstadt-Multikulturalismus, der andere für den Balkan in uns allen und besonders in Lorimer Black, dem dreiunddreißigjährigen Schadensregulierer aus Transnistrien. Es gehört offenbar zu William Boyds Talenten, den Leser an Bücher denken zu lassen, die andere nie geschrieben haben.

Boyd spreizt sich nicht groß mit seiner Autorschaft. Er leistet sich lieber Scherze wie die Monographie über Nat Tate, den großen (und fiktiven) Unbekannten des abstrakten Expressionismus, mit welcher Boyd in amerikanischen Kunstkreisen Verwirrung stiftete. Als Stil- und Stimmenimitator ist Boyd auch in eigener Sache tätig. Er habe sehen wollen, ob er noch einmal etwas so Finster-Komisches zustande brächte wie seine frühen Bücher, gab er als Schreibgrund für den jetzt vorgelegten Roman an. Ist William Boyd ein Chamäleon, oder doch, wie sein Romanheld Lorimer Black, ein Gürteltier?

"Armadillo" heißt das Gürteltier auf englisch. Das Wort kommt, wie Boyd vorab mitteilt, aus dem Spanischen und ist der Diminutiv von "armado", was bekanntlich "Bewaffneter, Geharnischter" heißt. So gerüstet, treten wir ins Innere des Romans ein und lernen Lorimer Black in dem Augenblick kennen, als er, unterwegs zu einem Geschäftstermin, einen Erhängten auffindet. Als Schadensregulierer ist der Mann zwar beruflich mit einer dicken Haut versehen, aber trotzdem geht Lorimer Black der Anblick des am Wasserrohr Baumelnden seltsam nahe. "Mister Dupree", heißt es, "war der erste Tote in seinem Leben, zugleich der erste Selbstmord und der erste Erhängte; Lorimer fand diese Häufung von Erstmaligkeiten zutiefst beunruhigend." Von diesem Tag an gerät Lorimer Blacks beruflich und erotisch erfolgreiche Existenz ins Trudeln, bis am Ende und nach mancherlei Strapazen derselbe Lorimer Black, dann aber unter seinem wahren Namen, aus der Asche seiner privaten und beruflichen Verhältnisse phönixgleich wieder emporsteigt, neuen und verheißungsvollen Zielen entgegen.

Das wäre die komprimierteste Form, den Inhalt von Boyds Roman wiederzugeben. Bemüht man sich, den Feinheiten des Handlungsverlaufs nachzugehen, fällt auf, daß Boyd seinen Protagonisten fast rücksichtslos mit Eigenschaften ausstaffiert hat. Es geht in diesem Roman unter anderem um Schadensregulierung, Traumanalyse, Ritterrüstungen und eine transnistrische Großfamilie - und alle diese Themen sind derart an Lorimer Black aufgehängt, daß vor lauter skurrilen Attributen die Figur aus dem Blick gerät. Vieles wirkt forciert in diesem Roman. So mißt Boyd allergrößtes Gewicht dem Umstand bei, daß Lorimer Black - was niemand außerhalb seiner Sippe weiß und wissen darf - in Wahrheit Milomre Blocj heißt und ein Zigeuner ist. Außerdem tischt Boyd dem Leser die Mutwilligkeit auf, daß Lorimer Black an chronischer Schlaflosigkeit leidet und die Einfälle seiner schlaflosen Stunden einem "Buch der Verklärung" anvertraut, aus dem Kostproben über den Roman verteilt werden. Und schließlich haben wir uns mit der Tatsache anzufreunden, daß dieser Lorimer Black antike Helme und Rüstungen sammelt, eben weil in diesem Beruf und mit dieser Biographie ein Harnisch unerläßlich ist. Daneben geht es um eine Liebesaffäre mit einer Filmschauspielerin und einer Intrige in der Londoner Versicherungswirtschaft mit Lorimer Black als Spielball undurchsichtiger Finanzmagnaten. Alle diese Bälle - und noch einige mehr - versucht der Romanerzähler Boyd in der Luft zu halten und erinnert dabei ein wenig an den Jongleur, der irgendwo im Roman auftaucht und händeweise bunte Bälle in die Höhe wirft, wobei er auch noch "mühelos ihre Flugmuster und -kurven variiert". Jonglieren will gelernt sein, und Boyds spielerische Fertigkeiten sind unbestritten. Aber irgendwann steht auch dem ausdauernden Zuschauer der Mund nicht mehr vor Staunen offen.

Von der Auf- und Abrüstung des Lorimer Black, von seinem Dienst- und Lebens-Panzer, handelt Boyds Roman und verirrt sich doch lieber auf Nebenwege. Aber die Ambitionen reichen weiter. Boyd hat es auf ein Panorama der Londoner Verhältnisse am Ende der neunziger Jahre abgesehen, wenn nicht gar auf eine soziologisch-moralische Inventur der Ära Blair. Dieses Projekt ist mißlungen. Boyd hat seine ernste Absicht in Gags verfüttert, die ihrerseits zu moralisch sind, um lustig zu wirken. Moral und Albernheit stehen einander im Wege. Dabei ist ja "Armadillo" ein manchmal amüsanter, flott geschriebener, von literarischer Bildung und Weltwissen zeugender Großstadt- und Sittenroman. Keiner kann Boyd vorwerfen, er habe sich zu wenig vorgenommen. Das Gegenteil ist der Fall.

Immerhin hält Boyds Roman manche kluge Betrachtung über das Geschäft des Schadensregulierers bereit. Spätestens seit Atom Egoyans Film "The Adjuster" ahnt man, welch sonderbarer Beruf sich dahinter verbirgt. Der Schadensregulierer kann der beste Freund des Versicherten werden, aber auch sein ärgster Feind. Er tritt den Ansprüchen der Versicherten mit einer Schadensmathematik gegenüber, die auch vor körperlicher Gewalt nicht zurückschreckt; er wittert den Kriminalfall, der hinter jedem Versicherungsfall schläft. "Die Versicherung", so hat es Lorimer Black in sein "Buch der Verklärung" geschrieben, "hat den Zweck, vernünftige Vorsorge und Zuversicht in eine Welt zu tragen, die von Ängsten und blinden Zufällen regiert wird. Dies besitzt einen überragenden sozialen Wert." William Boyd hat ein großes Thema etwas leichtfertig an kleinere Einfälle verschenkt. CHRISTOPH BARTMANN

William Boyd: "Armadillo". Roman. Aus dem Englischen von Chris Hirte. Carl Hanser Verlag, München 1999. 384 S., geb., 39,80 DM.

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