Einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter der Gegenwert stellt sich in Vers und Prosa der Ewigen Stadt.
'Aufblühen wird man hier, auch als kraut sich gern überlassen.
Dem wohligen Phototropismus. Der man im Norden war, Dieser Eisblock Identität, Psyches Schneemann ist bald zerronnen.' Der so spricht, ist an einem Ort angekommen, wo viele seiner Schreib- und Lebensmotive zusammenlaufen. Durs Grünbeins Jahr in Rom hat Gestalt gewonnen in einem Zeichenbuch. Die Stadt - 'Roma caput mundi' - wird als ein Schauplatz der Zeichen und Verweise erfahren und schlägt sich, wie bei den Reisenden früherer Zeiten, in Zeichnungen nieder - freilich in geschriebener Form. Aus vier Kapiteln gefügt, entstand so sein opus incertum, nach dem Vorbild des altrömischen Mauerwerks aus Bruchsteinen.Grünbeins Aroma eröffnet mit langzeiligen Gedichten in freiem, hexametrisch gewitterndem Versmaß: doch nicht auf der Suche nach dem verlorenen Gestern. Vielmehr sind es die kaleidoskopisch zu fassenden Momente der Gegenwart, die den Blick des Dichters auf Stadt und Umland lenken. Die geistige Bruderschaft im Zeichen der Urbanität findet der Dichter, über die Zeiten hinweg, in Juvenal, dessen Dritte Satire er neu übersetzt und erläutert. In einer Reihe von Prosabildern, die an römischen Erinnerungsorten den Apostel Paulus so gut einfangen wie den Antiquitätenhändler und den afrikanischen Immigranten, bricht Grünbein mit dem lyrischen Maß, bevor in freien Versen das Zeichenbuch ausklingt: 'Die Städte träumen alle voneinander. / Sie rufen sich beim Markennamen, und das Echo / Hallt durch die engen Korridore der Straßen.'
'Aufblühen wird man hier, auch als kraut sich gern überlassen.
Dem wohligen Phototropismus. Der man im Norden war, Dieser Eisblock Identität, Psyches Schneemann ist bald zerronnen.' Der so spricht, ist an einem Ort angekommen, wo viele seiner Schreib- und Lebensmotive zusammenlaufen. Durs Grünbeins Jahr in Rom hat Gestalt gewonnen in einem Zeichenbuch. Die Stadt - 'Roma caput mundi' - wird als ein Schauplatz der Zeichen und Verweise erfahren und schlägt sich, wie bei den Reisenden früherer Zeiten, in Zeichnungen nieder - freilich in geschriebener Form. Aus vier Kapiteln gefügt, entstand so sein opus incertum, nach dem Vorbild des altrömischen Mauerwerks aus Bruchsteinen.Grünbeins Aroma eröffnet mit langzeiligen Gedichten in freiem, hexametrisch gewitterndem Versmaß: doch nicht auf der Suche nach dem verlorenen Gestern. Vielmehr sind es die kaleidoskopisch zu fassenden Momente der Gegenwart, die den Blick des Dichters auf Stadt und Umland lenken. Die geistige Bruderschaft im Zeichen der Urbanität findet der Dichter, über die Zeiten hinweg, in Juvenal, dessen Dritte Satire er neu übersetzt und erläutert. In einer Reihe von Prosabildern, die an römischen Erinnerungsorten den Apostel Paulus so gut einfangen wie den Antiquitätenhändler und den afrikanischen Immigranten, bricht Grünbein mit dem lyrischen Maß, bevor in freien Versen das Zeichenbuch ausklingt: 'Die Städte träumen alle voneinander. / Sie rufen sich beim Markennamen, und das Echo / Hallt durch die engen Korridore der Straßen.'
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010Das Jahr in der Milchschaumbucht
Rom hat viel alte Bausubstanz: Der Flaneur Durs Grünbein hat seine touristischen Tagestouren in Verse gepresst. Der Grund dafür ist das einzige Rätsel des Buchs.
Von Ernst Osterkamp
Rom ist ein heikles Gelände für Dichter. Nach zweitausend Jahren europäischer Romdichtung im weiten Spannungsfeld zwischen spätantiker Admiratio Romae und romantischer Ruinenmelancholie ist dem Romthema nur dann noch etwas abzugewinnen, wenn sich ein Autor nicht von der geschichtlichen Bedeutungsfülle der Stadt einschüchtern lässt und aus der Kraft der Subjektivität ein radikal eigenständiges Bild Roms entwickelt: so wie dies in der klassischen deutschen Literatur Goethe mit dem ungeheuren erotischen Wagnis der "Römischen Elegien" oder in der Moderne Paul Nizon in bedingungsloser Liebe mit "Canto" und Rolf Dieter Brinkmann in bedingungslosem Hass mit "Rom, Blicke" gelang. Was aber dazwischen liegt, ist in aller Regel vom Übel.
Nun hat also auch Durs Grünbein als Gast der Villa Massimo ein Jahr in Rom verbracht und legt mit der marktgerechten Hurtigkeit, die man von diesem Dichter mittlerweile leider gewohnt ist, schon wenige Monate später einen stattlichen Band mit den literarischen Erträgen seines Aufenthalts vor. Der Band enthält immerhin einen schlechthin großartigen Text: Juvenals 3. Satire, in Grünbeins Übertragung, das Urmuster also der literarischen Großstadtschelte, dem seit seinem Band "Nach den Satiren" (1999) Grünbeins unbedingte Verehrung gehört. Wie beglückend wäre es gewesen, wenn Grünbein, dieser sensible Beobachter, sich auch nur ein wenig von Juvenals Schreibhaltung, seiner tiefen emotionalen Verstricktheit in die Stadt, die Liebe jederzeit in Hass umschlagen lassen kann, hätte zu eigen machen können!
Stattdessen hat er sich dazu entschlossen, Rom gegenüber die Haltung des touristischen Flaneurs einzunehmen - eines Flaneurs freilich, dem es unendlich schwerfällt, "ich" zu sagen, und der es deshalb vorzieht, sich hinter einer objektivierenden Instanz namens "er" oder "wir" oder "man" zu verbergen. Ein neuer, herausfordernder, die Dinge verfremdender Blick, der den Leser die Stadt neu zu sehen lehrt, kann so nicht entstehen. Man liest den Band schon jetzt, im Augenblick seines Erscheinens, so, wie man Gedichtbände von Conrad Ferdinand Meyer oder Paul Heyse liest: als literarisches Bildungserlebnis. Nur dass diese Dichter über ein besser entwickeltes Formbewusstsein verfügten.
Allerdings darf Durs Grünbein beanspruchen, für sein neues Buch den peinlichsten Titel in der reichen Geschichte der Romliteratur gefunden zu haben; er stammt tief aus den Niederungen des Kalauers. Der Dichter war also in Rom ("a Roma") und möchte seinen Lesern nun das "Aroma" der Stadt vermitteln. Man fragt sich verstört, was einen Dichter dieses Ranges zu solchen Scherzen der Halbbildung verführt hat. Man fragt sich dies umso mehr, als dem Band genau das fehlt, was im Titel steht: Aroma, der Zauber des unvermuteten, unverwechselbaren, stimulierenden Dufthauchs, der die Magie dieses einen Ortes aufruft.
Grünbein schreibt in der "Rom im Traum" überschriebenen Nachbemerkung, das "Naheliegendste" (gemeint ist das Nächstliegende) beim Namen Rom seien für ihn die Maronen in Papiertüten gewesen, und fährt fort: "Das Aroma von Rom konnte einem vom Geschmack der Artischocken wachgerufen, vom Anblick der Mimosen, von einer Tasse Cappuccino wiedergeschenkt werden." Aromafreier als solche Sätze, die eine standardisierte Geschmackskultur beschwören, sind allenfalls holländische Tomaten.
Natürlich wird jeder Leser Familie Grünbein den Besuch der "vitrinenbestückten Frühstückskapellen" römischer Bars gönnen. Von deren Aroma aber spürt er kaum einen Hauch, wenn er Sätze wie diesen lesen muss: "Dann ließ man den Löffel im Orangensaft klingeln, spreizte fachmännisch die Finger ab beim Schlürfen des geschäumten Milchkaffees oder des Cappuccino und verbiss sich in ein Hörnchen, Cornetto genannt, dass einem der Puderzucker unter der Nase stäubte." So präsentiert Grünbein die römischen Alltäglichkeiten und Banalitäten, in die er sich verbissen hat, in diesem Buch mit lyrisch abgespreiztem Finger, als handle es sich um Preziosen.
Warum die Gereiztheit des Rezensenten? Weil er von einem Dichter, dem wir Meisterwerke wie "Vom Schnee" (2003) verdanken, formal, gedanklich und in der Intensität der Wahrnehmung Bezwingendes erwarten darf. Hier aber tritt Grünbein auf als "der typische absichtslose Flaneur und Eindrückesammler", der Momentaufnahmen in Vers und Prosa liefert, in denen sich kaum je eine originelle Wendung, kaum je ein bezwingendes Bild findet. Der Band wird eröffnet von einem 53 Stücke umfassenden Zyklus, in dem der Dichter in jeweils (zumeist) sechzehn Versen die Ergebnisse seiner Tagestouren zusammenfasst: "Auf in die Stadt, die so vieles zu bieten hat für das Auge." So absolviert er, den 53 Wochen seines Aufenthalts entsprechend, in der Sprache der Reiseführer sein lyrisches Pensum: "Man biegt aus der Gasse und reibt sich die Augen. Da steht er, / Der einzige Bau, der als ganzer fast unversehrt blieb aus der Zeit, / Da Augustus Rom zur Marmorstadt ausrief." Man reibt sich tatsächlich die Augen: Bei diesem bleichen Bildungsparlando soll es sich um Verse von Durs Grünbein handeln? Und warum überhaupt Verse? Denn bei dieser durch Zeilenbruch versifizierten Prosa ist es im Grunde gleichgültig, ob eine Wahrnehmung oder ein Gedanke in Versform oder in Prosa formuliert wird.
So heißt es, die Raumnot in den römischen Mietshäusern mit einem wenig überzeugenden Vergleich akzentuierend, im achten Gedicht des Zyklus: "Ein Japaner war dieser Mensch der Antike - / Zu Hause in niedrigen Kellergewölben." In einer Folge von Prosaskizzen wiederholt Grünbein diesen Vergleich dann in leicht variierter Form: "Sie waren Japaner, diese kleinen Menschen der Antike, ein Leben lang mussten sie mit wenig Platz vorliebnehmen." Warum ein und derselbe Gedanke einmal in Prosa, das andere Mal als Vers erscheint, erschließt sich nicht. Ohnehin bleibt es dem Leser dieses Bandes ein Rätsel, welche Versauffassung Grünbein hat; ob Vers oder Prosa, hier wie dort herrscht derselbe nachlässige Plauderton.
Immerhin gibt es im letzten, "Tänzerin in Tivoli" überschriebenen Teil des Bandes, in dem vermischte Gedichte italienischen Inhalts versammelt sind, doch einige Texte, die den Leser daran erinnern, welch ein guter Lyriker Grünbein sein kann, wenn er sich nicht auf das Geschäft der poetischen Massenkonfektion verlegt. Ein Vers aus dem Titelgedicht, einem Liebesgedicht von wundersamer poetischer Verhaltenheit, gibt zu erkennen, worauf deren Qualität beruht: "Hier holte ihn das Persönliche ein, das Relative, Intime." Dies Persönliche und Intime kommt in den Versen und in der Prosa von Grünbeins römischem Zeichenbuch entschieden zu kurz. "Und hier nun betrat man die Heiligtümer Pomonas." So schreibt "man" über die Markthallen Roms. Wer aber ist "man"? Emanuel Geibel? Ein wilhelminischer Oberlehrer? Oder nicht doch etwa ein bedeutender deutscher Lyriker der Gegenwart?
Durs Grünbein: "Aroma". Ein römisches Zeichenbuch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 184 S., geb., 19,90 [Euro].
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Rom hat viel alte Bausubstanz: Der Flaneur Durs Grünbein hat seine touristischen Tagestouren in Verse gepresst. Der Grund dafür ist das einzige Rätsel des Buchs.
Von Ernst Osterkamp
Rom ist ein heikles Gelände für Dichter. Nach zweitausend Jahren europäischer Romdichtung im weiten Spannungsfeld zwischen spätantiker Admiratio Romae und romantischer Ruinenmelancholie ist dem Romthema nur dann noch etwas abzugewinnen, wenn sich ein Autor nicht von der geschichtlichen Bedeutungsfülle der Stadt einschüchtern lässt und aus der Kraft der Subjektivität ein radikal eigenständiges Bild Roms entwickelt: so wie dies in der klassischen deutschen Literatur Goethe mit dem ungeheuren erotischen Wagnis der "Römischen Elegien" oder in der Moderne Paul Nizon in bedingungsloser Liebe mit "Canto" und Rolf Dieter Brinkmann in bedingungslosem Hass mit "Rom, Blicke" gelang. Was aber dazwischen liegt, ist in aller Regel vom Übel.
Nun hat also auch Durs Grünbein als Gast der Villa Massimo ein Jahr in Rom verbracht und legt mit der marktgerechten Hurtigkeit, die man von diesem Dichter mittlerweile leider gewohnt ist, schon wenige Monate später einen stattlichen Band mit den literarischen Erträgen seines Aufenthalts vor. Der Band enthält immerhin einen schlechthin großartigen Text: Juvenals 3. Satire, in Grünbeins Übertragung, das Urmuster also der literarischen Großstadtschelte, dem seit seinem Band "Nach den Satiren" (1999) Grünbeins unbedingte Verehrung gehört. Wie beglückend wäre es gewesen, wenn Grünbein, dieser sensible Beobachter, sich auch nur ein wenig von Juvenals Schreibhaltung, seiner tiefen emotionalen Verstricktheit in die Stadt, die Liebe jederzeit in Hass umschlagen lassen kann, hätte zu eigen machen können!
Stattdessen hat er sich dazu entschlossen, Rom gegenüber die Haltung des touristischen Flaneurs einzunehmen - eines Flaneurs freilich, dem es unendlich schwerfällt, "ich" zu sagen, und der es deshalb vorzieht, sich hinter einer objektivierenden Instanz namens "er" oder "wir" oder "man" zu verbergen. Ein neuer, herausfordernder, die Dinge verfremdender Blick, der den Leser die Stadt neu zu sehen lehrt, kann so nicht entstehen. Man liest den Band schon jetzt, im Augenblick seines Erscheinens, so, wie man Gedichtbände von Conrad Ferdinand Meyer oder Paul Heyse liest: als literarisches Bildungserlebnis. Nur dass diese Dichter über ein besser entwickeltes Formbewusstsein verfügten.
Allerdings darf Durs Grünbein beanspruchen, für sein neues Buch den peinlichsten Titel in der reichen Geschichte der Romliteratur gefunden zu haben; er stammt tief aus den Niederungen des Kalauers. Der Dichter war also in Rom ("a Roma") und möchte seinen Lesern nun das "Aroma" der Stadt vermitteln. Man fragt sich verstört, was einen Dichter dieses Ranges zu solchen Scherzen der Halbbildung verführt hat. Man fragt sich dies umso mehr, als dem Band genau das fehlt, was im Titel steht: Aroma, der Zauber des unvermuteten, unverwechselbaren, stimulierenden Dufthauchs, der die Magie dieses einen Ortes aufruft.
Grünbein schreibt in der "Rom im Traum" überschriebenen Nachbemerkung, das "Naheliegendste" (gemeint ist das Nächstliegende) beim Namen Rom seien für ihn die Maronen in Papiertüten gewesen, und fährt fort: "Das Aroma von Rom konnte einem vom Geschmack der Artischocken wachgerufen, vom Anblick der Mimosen, von einer Tasse Cappuccino wiedergeschenkt werden." Aromafreier als solche Sätze, die eine standardisierte Geschmackskultur beschwören, sind allenfalls holländische Tomaten.
Natürlich wird jeder Leser Familie Grünbein den Besuch der "vitrinenbestückten Frühstückskapellen" römischer Bars gönnen. Von deren Aroma aber spürt er kaum einen Hauch, wenn er Sätze wie diesen lesen muss: "Dann ließ man den Löffel im Orangensaft klingeln, spreizte fachmännisch die Finger ab beim Schlürfen des geschäumten Milchkaffees oder des Cappuccino und verbiss sich in ein Hörnchen, Cornetto genannt, dass einem der Puderzucker unter der Nase stäubte." So präsentiert Grünbein die römischen Alltäglichkeiten und Banalitäten, in die er sich verbissen hat, in diesem Buch mit lyrisch abgespreiztem Finger, als handle es sich um Preziosen.
Warum die Gereiztheit des Rezensenten? Weil er von einem Dichter, dem wir Meisterwerke wie "Vom Schnee" (2003) verdanken, formal, gedanklich und in der Intensität der Wahrnehmung Bezwingendes erwarten darf. Hier aber tritt Grünbein auf als "der typische absichtslose Flaneur und Eindrückesammler", der Momentaufnahmen in Vers und Prosa liefert, in denen sich kaum je eine originelle Wendung, kaum je ein bezwingendes Bild findet. Der Band wird eröffnet von einem 53 Stücke umfassenden Zyklus, in dem der Dichter in jeweils (zumeist) sechzehn Versen die Ergebnisse seiner Tagestouren zusammenfasst: "Auf in die Stadt, die so vieles zu bieten hat für das Auge." So absolviert er, den 53 Wochen seines Aufenthalts entsprechend, in der Sprache der Reiseführer sein lyrisches Pensum: "Man biegt aus der Gasse und reibt sich die Augen. Da steht er, / Der einzige Bau, der als ganzer fast unversehrt blieb aus der Zeit, / Da Augustus Rom zur Marmorstadt ausrief." Man reibt sich tatsächlich die Augen: Bei diesem bleichen Bildungsparlando soll es sich um Verse von Durs Grünbein handeln? Und warum überhaupt Verse? Denn bei dieser durch Zeilenbruch versifizierten Prosa ist es im Grunde gleichgültig, ob eine Wahrnehmung oder ein Gedanke in Versform oder in Prosa formuliert wird.
So heißt es, die Raumnot in den römischen Mietshäusern mit einem wenig überzeugenden Vergleich akzentuierend, im achten Gedicht des Zyklus: "Ein Japaner war dieser Mensch der Antike - / Zu Hause in niedrigen Kellergewölben." In einer Folge von Prosaskizzen wiederholt Grünbein diesen Vergleich dann in leicht variierter Form: "Sie waren Japaner, diese kleinen Menschen der Antike, ein Leben lang mussten sie mit wenig Platz vorliebnehmen." Warum ein und derselbe Gedanke einmal in Prosa, das andere Mal als Vers erscheint, erschließt sich nicht. Ohnehin bleibt es dem Leser dieses Bandes ein Rätsel, welche Versauffassung Grünbein hat; ob Vers oder Prosa, hier wie dort herrscht derselbe nachlässige Plauderton.
Immerhin gibt es im letzten, "Tänzerin in Tivoli" überschriebenen Teil des Bandes, in dem vermischte Gedichte italienischen Inhalts versammelt sind, doch einige Texte, die den Leser daran erinnern, welch ein guter Lyriker Grünbein sein kann, wenn er sich nicht auf das Geschäft der poetischen Massenkonfektion verlegt. Ein Vers aus dem Titelgedicht, einem Liebesgedicht von wundersamer poetischer Verhaltenheit, gibt zu erkennen, worauf deren Qualität beruht: "Hier holte ihn das Persönliche ein, das Relative, Intime." Dies Persönliche und Intime kommt in den Versen und in der Prosa von Grünbeins römischem Zeichenbuch entschieden zu kurz. "Und hier nun betrat man die Heiligtümer Pomonas." So schreibt "man" über die Markthallen Roms. Wer aber ist "man"? Emanuel Geibel? Ein wilhelminischer Oberlehrer? Oder nicht doch etwa ein bedeutender deutscher Lyriker der Gegenwart?
Durs Grünbein: "Aroma". Ein römisches Zeichenbuch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 184 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Sehr gern mochte Rezensent Andreas Nentwich diesen in Rom entstandenen Gedichtband von Durs Grünbein. So gut Grünbein dies könne, habe er hier den "Panzer des Bildungsdichters" abgeworfen und auf den Gestus des Staatsdichters verzichtet, freut sich Nentwich, der stattdessen einen unbeschwerten Dichter erlebt hat, der sich durch Rom treiben lässt und pflückt, was ihm am Wegesrand begegnet. 53 langzeilige Gedichte sind dabei herausgekommen, informiert Nentwich, die Übersetzung und essayistische Deutung einer Juvenal-Satire sowie verschiedene, mitunter wild fantasierte Prosastücke. Neben "tollkühnen Analogien" und weit gereister Wortbilder" hat der Rezensent dem Band auch ein interessantes Bekenntnis entnommen: Nur nicht sein wie Horaz, der alles richtig mache und den Grünbein als den "römischen Thomas Mann" bezeichnet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit nichts anderem beschäftigt, als dienstbare Gemeinplätze in seinem Kopf so zu rhythmisieren, dass die tausend Nuancen der 'urbanen Urvibration' in ein bildsättiges Parlando überfließen.« Andreas Nentwich DIE ZEIT 20101014