Krakau, Kazimierz, Warschau, Budapest, Sisak, die Baranja. Quer durch die Dörfer, Städte und Landschaften Ost- und Mitteleuropas geht die Reise des großen kroatischen Dichters Delimir Resicki auf den Spuren seiner einst aus Polen über Tschechien und Ungarn nach Slawonien ausgewanderten Familie. Sie führt mitten hinein in die Geschichte und Gegenwart der durch den Fall des Eisernen Vorhangs gänzlich aus ihrem Rhythmus geratenen pannonischen Welt.Resicki übersetzt diese 'Arrhythmie' in kaskadierende Bildfolgen und erzählt anschaulich, in einer an Rilke und dem Rock'n'Roll geschulten dichten Sprache, von Verunsicherungen, Ängsten und Hoffnungen. Und nach und nach entfaltet sich, wie nebenbei und doch wesentlich, eine Hommage und Liebeserklärung des Autors an die Landschaft, Geschichte und Poesie Pannoniens.Mit Arrhythmie wird die Lyrik von Delimir Resicki, einem der größten Dichter Kroatiens, endlich auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2008Aus Liebe zur Klette
Auf das Schlimmste gefasst: Delimir Resickis Gedichte
Auf den Trümmern des alten Mitteleuropas wächst eine lebendige Literatur. Neben Juri Andruchowytsch und Andrzej Stasiuk gehört der Kroate Delimir Resicki zu den Autoren, die aus den wilden Blüten der Nostalgie bittersüßen poetischen Nektar saugen. Die Städte und Landschaften Mittelosteuropas, insbesondere die verblassten Umrisse Kakaniens, bilden in seinen Gedichten die Koordinaten eines Bezugssystems, in dem Rilke, Trakl und Celan, Gustav Meyrink, Kafka und Bruno Schulz überraschend präsent sind. "Nostalgie" sei für ihn "die Angst vor dem Verlust der eigenen Gegenwart", sagte Resicki einmal. Die Fragilität des Ich, die Fragwürdigkeit aller Identität kristallisiert sich im neuen Werk "Arrhythmie" in Versen mit einem unruhigen, gegen den Mainstream gerichteten Rhythmus. Die sehnsuchtsvollen Töne werden durch ironische Kontraste, die der mit allen postmodernen Wassern gewaschene Dichter dagegensetzt, gebrochen.
Mit dem von Alida Bremer glänzend übersetzten Band ist Resicki, Jahrgang 1960, jetzt dem deutschsprachigen Publikum zugänglich. In den Achtzigern zählte er zum Kreis um die intellektuelle kroatische Literaturzeitschrift "Quorum", war Schlagzeuger in einer Rock-Band und bereits mit Lyrik hervorgetreten. 1990 legte er mit "Die Die My Darling" seinen vierten Gedichtband vor. Darin schien Resicki in ebenso melancholischen wie popkulturell inspirierten Versen die Zerstörung von Städten wie seiner Heimatstadt Osijek vorauszuahnen.
In "Arrhythmie" spielen die Katastrophen des letzten Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Im Eingangsgedicht "Krakau, Kazimierz", einem elegischen Text über den ehemaligen jüdischen Stadtteil, spürt Resicki den historischen Brüchen in einer Mischung aus Unbehagen und Faszination nach: "Nie hat Gott Vergangenheit und Gegenwart / mit einem derart starken Klebstoff verbunden / wie ich ihn überall dort an der Weichsel / eingeatmet habe / oh du, Yingele ..." In "Warschau" - "eine neue Stadt, / wo einst die alte / zerstört wurde" - bekennt das lyrische Ich seine Erschütterung: "etwas teilte mich hier / für immer in zwei, in drei Teile". Anderswo wird die Bedeutung der Sprache für Krieg und Propaganda beschworen: "Das Mädchen schrieb in ihr Heft: / Bleiern und grau war der Himmel. / Später goss die Lehrerin zu Hause / heimlich aus diesem Blei / Kleinkaliber-Munition / für allwissende Erzähler. / Und wieder konnte unsere Jugend schießen!"
Engel treffen in Resickis Lyrik auf Gespenster und Schatten, auf "Knaben / aus alten österreichisch-ungarischen Kasernen ...". In Leichen ist "Lindenhonig" versteckt, Bäume im Schnee ähneln "toten Knochen in Plastiktüten", am idyllischen Grenzübergang taucht die Erinnerung an einen amerikanischen Porno auf. In einem Blog schreibt Resicki, dass die Klette, diese stachlige Blume mit der kleinen rötlichen Blüte, ihn fasziniere, weil sie "heute bereits so aussieht, als sei sie für den Jüngsten Tag vollkommen bereit". Ähnlich wie mit der Klette ist es mit Resickis Versen. Sie sind auf das Schlimmste gefasst - und lassen einen so schnell nicht los.
JUDITH LEISTER
Delimir Resicki: "Arrhythmie". Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Kroatischen übersetzt von Alida Bremer. Edition Korrespondenzen, Wien 2008. 181 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf das Schlimmste gefasst: Delimir Resickis Gedichte
Auf den Trümmern des alten Mitteleuropas wächst eine lebendige Literatur. Neben Juri Andruchowytsch und Andrzej Stasiuk gehört der Kroate Delimir Resicki zu den Autoren, die aus den wilden Blüten der Nostalgie bittersüßen poetischen Nektar saugen. Die Städte und Landschaften Mittelosteuropas, insbesondere die verblassten Umrisse Kakaniens, bilden in seinen Gedichten die Koordinaten eines Bezugssystems, in dem Rilke, Trakl und Celan, Gustav Meyrink, Kafka und Bruno Schulz überraschend präsent sind. "Nostalgie" sei für ihn "die Angst vor dem Verlust der eigenen Gegenwart", sagte Resicki einmal. Die Fragilität des Ich, die Fragwürdigkeit aller Identität kristallisiert sich im neuen Werk "Arrhythmie" in Versen mit einem unruhigen, gegen den Mainstream gerichteten Rhythmus. Die sehnsuchtsvollen Töne werden durch ironische Kontraste, die der mit allen postmodernen Wassern gewaschene Dichter dagegensetzt, gebrochen.
Mit dem von Alida Bremer glänzend übersetzten Band ist Resicki, Jahrgang 1960, jetzt dem deutschsprachigen Publikum zugänglich. In den Achtzigern zählte er zum Kreis um die intellektuelle kroatische Literaturzeitschrift "Quorum", war Schlagzeuger in einer Rock-Band und bereits mit Lyrik hervorgetreten. 1990 legte er mit "Die Die My Darling" seinen vierten Gedichtband vor. Darin schien Resicki in ebenso melancholischen wie popkulturell inspirierten Versen die Zerstörung von Städten wie seiner Heimatstadt Osijek vorauszuahnen.
In "Arrhythmie" spielen die Katastrophen des letzten Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Im Eingangsgedicht "Krakau, Kazimierz", einem elegischen Text über den ehemaligen jüdischen Stadtteil, spürt Resicki den historischen Brüchen in einer Mischung aus Unbehagen und Faszination nach: "Nie hat Gott Vergangenheit und Gegenwart / mit einem derart starken Klebstoff verbunden / wie ich ihn überall dort an der Weichsel / eingeatmet habe / oh du, Yingele ..." In "Warschau" - "eine neue Stadt, / wo einst die alte / zerstört wurde" - bekennt das lyrische Ich seine Erschütterung: "etwas teilte mich hier / für immer in zwei, in drei Teile". Anderswo wird die Bedeutung der Sprache für Krieg und Propaganda beschworen: "Das Mädchen schrieb in ihr Heft: / Bleiern und grau war der Himmel. / Später goss die Lehrerin zu Hause / heimlich aus diesem Blei / Kleinkaliber-Munition / für allwissende Erzähler. / Und wieder konnte unsere Jugend schießen!"
Engel treffen in Resickis Lyrik auf Gespenster und Schatten, auf "Knaben / aus alten österreichisch-ungarischen Kasernen ...". In Leichen ist "Lindenhonig" versteckt, Bäume im Schnee ähneln "toten Knochen in Plastiktüten", am idyllischen Grenzübergang taucht die Erinnerung an einen amerikanischen Porno auf. In einem Blog schreibt Resicki, dass die Klette, diese stachlige Blume mit der kleinen rötlichen Blüte, ihn fasziniere, weil sie "heute bereits so aussieht, als sei sie für den Jüngsten Tag vollkommen bereit". Ähnlich wie mit der Klette ist es mit Resickis Versen. Sie sind auf das Schlimmste gefasst - und lassen einen so schnell nicht los.
JUDITH LEISTER
Delimir Resicki: "Arrhythmie". Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Kroatischen übersetzt von Alida Bremer. Edition Korrespondenzen, Wien 2008. 181 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Diese Verse lassen Judith Leister nicht los. Für die Rezensentin gehört der Kroate Delimir Resicki zu den Autoren, denen es (gleich Juri Andruchowytsch oder Andrzej Stasiuk) gelingt, aus der Nostalgie angesichts der Trümmer des alten Mitteleuropas "bittersüße" Poesie zu destillieren. Kakanien, Rilke, Trakl, Celan sind Bezugspunkte, die Leister in den Texten ausmacht. Die Fragwürdigkeit aller Identität steht für sie im Mittelpunkt der Verse, deren unruhigem Rhythmus und ironisch gebrochener Sehnsucht sie in der vorliegenden "glänzenden" Übersetzung gerne lauscht. Wenn der Autor den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts nachspürt und das lyrische Ich seine Erschütterung bekennt, ahnt Leister: Sie hat es mit Versen zu tun, die aufs Schlimmste gefasst sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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