André Gide hatte sich vorgenommen, die Revolution, die Mallarmé auf dem Gebiet der Poesie ausgerufen hatte, für den Roman zu vollziehen. Die Suche nach dem einzigen, absoluten Roman führte aber ironischerweise zum Zersplittern des Genres in eine Vielzahl »kleiner Literaturen«. »Die Gräfin« und »Die WillKür«, beide von Gide als Sotie bezeichnet, sind nicht nur spielerische Fingerübungen, sondern zugleich humorvolle Kommentare zu Geschichte und Theorie der literarischen Gattungen. Ergänzt werden sie von dem Text »Die unermüdliche Marquise«, in dem Éric Chevillard den poetologischen Gehalt der…mehr
André Gide hatte sich vorgenommen, die Revolution, die Mallarmé auf dem Gebiet der Poesie ausgerufen hatte, für den Roman zu vollziehen. Die Suche nach dem einzigen, absoluten Roman führte aber ironischerweise zum Zersplittern des Genres in eine Vielzahl »kleiner Literaturen«. »Die Gräfin« und »Die WillKür«, beide von Gide als Sotie bezeichnet, sind nicht nur spielerische Fingerübungen, sondern zugleich humorvolle Kommentare zu Geschichte und Theorie der literarischen Gattungen. Ergänzt werden sie von dem Text »Die unermüdliche Marquise«, in dem Éric Chevillard den poetologischen Gehalt der Sotien in den Kontext der Erneuerung des Romans stellt. Ausgangs- und Endpunkt dieser nun erstmals auf Deutsch zugänglichen Texte ist ein Geheimnis, das zwischen den Worten und in den Auslassungen, in Körperhaltung, Tonfall und Gestik der Figuren ungreifbar beharrt und Gides eigener Erfahrung entspringt. Die Zusammenstellung dieser Sotien in einem Band erzeugt dabei eine absurde Echokammer, in der wiederkehrende Motive und Phrasen aufeinander antworten: Launenhafte Grafen und exzentrische Gräfinnen, verstörte Kinder und todgeweihte Papageien ziehen kaleidoskopartig an den Lesenden vorbei und setzen mit all ihrer Umtriebigkeit das Treiben der Sprache selbst ins Werk.
André Gide (1869-1951) zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Sein literarisches, essayistisches und autobiografisches uvre widmet sich dem Widerstreit von Freiheit und bürgerlicher Moral und beeinflusste von Oscar Wilde bis zu Jean-Paul Sartre Autoren unterschiedlichster literarischer Strömungen. Franziska Humphreys, 1987 geboren, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Romanistik in Tübingen, München und Paris. Seit August 2023 leitet sie die renommierte Maison Heinrich Heine in Paris. Franziska Humphreys, 1987 geboren, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Romanistik in Tübingen, München und Paris. Seit August 2023 leitet sie die renommierte Maison Heinrich Heine in Paris.
Rezensionen
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Marko Martin ist voll überschwänglicher Freude angesichts dieser beiden für ihn recht überraschenden Texte von André Gide und des aufschlussreichen Kommentars der Übersetzerin Franziska Humphreys. Dass der Meister neben seinen großen Werken Zeit und Kraft für diese eher volkstümlichen, doch vor Sprachwitz sprühenden kleinen Burlesken hatte, findet Martin erstaunlich. Nicht weniger überrascht zeigt er sich von Gides analytischer Spannkraft in den beiden Texten über einen lasziven Adel. Wie Realismus und Fantasma, kausale und poetische Logik hier miteinander wetteifern, erscheint dem Rezensenten höchst faszinierend.