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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2001

Jedes mit jedem
Kombinationskünstler: Nike Bätzner erklärt die "Arte Povera"

Rostender Stahl, Kohle, Lumpen, Lehm und Früchte fallen einem ein, wenn der Name "Arte Povera" fällt. Der Kunsttheoretiker Germano Celant erfand ihn 1967 anläßlich einer Ausstellung italienischer Künstler, die eine von der amerikanischen Kunst unabhängige Position einnahmen. Der Kunstmarkt entdeckte sie in den letzten Jahren wieder, auch weil die Preise im Vergleich mit der amerikanischen Kunst dieser Zeit noch moderat sind.

Das Markenzeichen Arte Povera war - wie so manch anderer "Stilbegriff" der neueren Kunstgeschichte - von Beginn an umstritten. Er scheint eine gemeinsame Haltung der Künstler zu illustrieren: die Verwendung neuer, zu Beginn als schockierend einfach empfundener Materialien. Zeichnung und Photographie, vergängliche Dinge und traditionelles Material wurden miteinander kombiniert. Die herkömmlichen Gattungen waren allenfalls noch Mittel zum Zweck. Aber die Künstler der Arte Povera waren eben keine eingeschworene Gruppe, die sich mit einem griffigen Schlagwort identifizieren konnte wie etwa die Futuristen. Celants Wortschöpfung suggerierte zudem eine einseitige Reduzierung auf die Materialästhetik. Wie die amerikanischen Künstler der sogenannten Minimal Art, wie letztlich schon die Impressionisten und Expressionisten mußten die Italiener jedoch lernen, daß Schlagworte zu Markenzeichen werden und langlebig sein können.

Nike Bätzner hat bereits 1995 "Manifeste, Statements, Kritiken" zur Arte Povera in der Fundus-Reihe des Verlags der Kunst herausgegeben und damit viele Texte erstmals auf deutsch zugänglich gemacht. Nun liegt ihre überarbeitete Berliner Dissertation von 1994 als Buch vor, in der sie einer allgemeinen Einleitung drei Künstlermonographien folgen läßt, die jeweils von der Analyse ausgewählter Werkgruppen ausgehen. Mit den Hauptprotagonisten ihres Buches Giulio Paolini und Michelangelo Pistoletto führt sie die ebenso naheliegende wie einseitige Ebene der Materialästhetik erfolgreich ad absurdum.

Sah man zuerst vor allem das ikonoklastische Potential als Methode dieser Künstler, so erweist sich von heute aus gesehen ihr Rückgriff auf die Kunstgeschichte und alte Ikonographien als ebenso wichtig wie die Formung neuer, individueller Ikonographien. "Im Gegensatz zu Celants Postulat der Ahistorizität wird mit Bruchstücken aus der Kulturüberlieferung gearbeitet. Doch benutzt man dieses Erbe nicht einfach als eine Summe von Bildungsfakten, als griffbereite Enzyklopädie, vielmehr als Quelle der eigenen künstlerischen Identität." Entgegen dem Impetus des Bilderstürmers besteht für die meisten Künstler der Arte Povera die Zukunft in der Aneignung der Vergangenheit. Indem sich die Autorin auf jeweils einige Werkreihen der Künstler konzentriert, kann sie die nahezu serielle Folge der frühen Ausstellungen und die Entwicklung der je eigenen Ikonographie nachzeichnen.

Der Bildphilosoph Paolini, der in seinen oft räumlichen Inszenierungen über die Mechanismen der Kunst nachdenkt, steht am Anfang. Pistolettos Spiegelbilder reflektieren wortwörtlich die Grenze zwischen Kunst und Leben. Am Ende der sechziger Jahre setzte er dies mit seinen Objekten und Rauminstallationen fort. Die von Jannis Kounellis verwendeten, scheinbar bilderstürmenden Materialien Feuer und Rauch schließen die Betrachtung ab. Bei ihm wird der Bezug auf die Geschichte in der Verwendung der Gipsabgüsse antiker Figuren am deutlichsten. Dabei "reaktiviert er bestimmte Mythen, ohne sie jedoch zu illustrieren oder motivgetreu fortzuschreiben".

Die Abfolge der Werkmonographien unterstreicht die Zielrichtung der Argumentation Bätzners - eine italienische Mischung von Concept Art und Einreihung in die europäische Kulturgeschichte herauszuarbeiten, ein künstlerisches Potential zwischen Tradition und Umsturz der traditionellen Kunstvorstellungen. Einmal mehr wird der genuine Beitrag der italienischen Kunst zur Geschichte der sechziger Jahre vor Augen geführt, der angesichts der Dominanz der Amerikaner immer noch ins Hintertreffen gerät. Auch für die fünfziger Jahre wäre anhand von Künstlern wie etwa Alberto Burri zu entdecken, daß die italienisch-amerikanischen Kontakte wechselseitige waren und gerade für die Generation eines Robert Rauschenberg wohl wichtiger als bislang eingestanden.

Nike Bätzner kann darauf hinweisen, daß es bislang noch keine Untersuchung zur Arte Povera gab, die von jemand außerhalb des mit den Künstlern befreundeten Kritikerkreises stammt. Ihr Buch bietet zwar keine endgültige Geschichte dieser Kunst, die man weder als Gruppenphänomen noch als Stil einordnen kann, aber sie entwickelt aus der Analyse der Werke und Positionen heraus eine anregende Perspektive auf diese Kunst. Dies läßt unübersichtliche Anmerkungen und Literaturverzeichnisse verschmerzen. Dem Verlag für moderne Kunst ist eine gewohntermaßen ebenso schlichte wie schöne Ausstattung gelungen.

ANDREAS STROBL

Nike Bätzner: "Arte Povera". Zwischen Erinnerung und Ereignis: Giulio Paolini, Michelangelo Pistoletto, Jannis Kounellis. Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2000. 316 S., 130 Farb- u. S/W-Abb., br., 65,- DM.

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