Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 30,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Treffen die Hochrechnungen zu, verschwindet alle 30 Minuten unwiederbringlich eine Tier- oder Pflanzenart auf der Erde. Ein Rückgang in diesem Ausmaß und in so kurzer Zeit ist beispiellos in der Menschheitsgeschichte. Das weltweite Artensterben ist eines der folgenschwersten und beunruhigensten Anzeichen für die ökologische Krise. Die Lösungen, die vorgeschlagen werden, haben den Mangel, von Menschen für Menschen konzipiert zu sein und den Eigenwert der Natur nicht anzuerkennen. Sie verlassen nicht die anthropozentrische Perspektive und gestehen der natürlichen Mittelwelt keinen Eigenwert zu.…mehr

Produktbeschreibung
Treffen die Hochrechnungen zu, verschwindet alle 30 Minuten unwiederbringlich eine Tier- oder Pflanzenart auf der Erde. Ein Rückgang in diesem Ausmaß und in so kurzer Zeit ist beispiellos in der Menschheitsgeschichte. Das weltweite Artensterben ist eines der folgenschwersten und beunruhigensten Anzeichen für die ökologische Krise.
Die Lösungen, die vorgeschlagen werden, haben den Mangel, von Menschen für Menschen konzipiert zu sein und den Eigenwert der Natur nicht anzuerkennen. Sie verlassen nicht die anthropozentrische Perspektive und gestehen der natürlichen Mittelwelt keinen Eigenwert zu.
Dies ist nicht nur unvernünftig für den Erhalt der Natur und das menschliche Überleben auf der Erde, sondern auch unangemessen. Gorke hingegen veranschaulicht exemplarisch am Artensterben nicht nur den ökologischen, sondern auch den ethischen Eigenwert der Natur. Denn nur in einer lebendigen Natur - nicht in einer absterbenden - können Menschen ihr Überleben sicher.
Autorenporträt
Martin Gorke, geb. 1958 in Stuttgart, Dr. rer. nat. Dr. phil., studierte Biologie und Philosophie in Bochum und Bayreuth. Anschließend war er sieben Jahre lang Naturschutzwart auf der Vogelhallig Norderoog. Von 1997 bis 2002 wissenschaftlicher Assistent im Fach Umweltethik an der Universität Greifswald. 2008 Habilitation. Derzeit als Ökologe im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und als Privatdozent für Umweltethik an der Universität Greifswald tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1999

Tanzt, Kinder, tanzt den Truthahn-Tango
Geistesbewegung hält warm: Martin Gorke möchte der Umwelt zuliebe die Zimmertemperatur senken

Die ökologische Krise, so der Biologe und Philosoph Martin Gorke in seiner zweiten, philosophischen Dissertation, ist ein ethisches Problem. Weder läßt sie sich rein wissenschaftlich-technisch bewältigen, noch können wir aus der ökologischen Theorie Normen für einen richtigen Umgang mit der Natur ableiten. Bei den Verantwortlichen der Naturzerstörung wie bei ihren Gegnern herrscht eine szientistische Gesinnung. Sie verstellt die zugrundeliegende ethische Frage, sie gilt es zu kritisieren.

Ökologische Erkenntnis und Gestaltung habe Grenzen. Ökologische Vorgänge sind unüberschaubar komplex und verlaufen nicht-linear. Die Ausbreitung von Seuchen oder die Auswilderung von Raubsäugern auf Inseln zeigt, daß kleine Anfangsveränderungen durch Rückkoppelungen große Wirkungen zeitigen können. Obendrein sind Ökosysteme meist Unikate. Und konstante und stabile Verhältnisse müssen, anders als die Populärökologie es will, eher als Ausnahme angesehen werden. Dem Ökologen bleibt so nur die Einzelanalyse. Was die Risikofolgenabschätzung zu einem unseriösen Unterfangen macht.

Ohnehin ist es nach Gorke eine Täuschung, Grenzwerte als entdeckungsbedürftige Naturphänomene zu behandeln. Umweltstandards sind Konventionen, über die im öffentlichen Diskurs zu entscheiden wäre. Die überforderten Entscheidungsträger, die verunsicherte Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Ökologen selber neigen dazu, den Analysen einen dermativen Charakter zu unterstellen. Vergleichbar wäre die Rolle der Historiker als Gutachter bei den Prozessen zu nationalsozialistischen Verbrechen. Darum betreibt Gorke ausführlich eine Kritik der ökologischen Leitbegriffe.

Der Gedanke eines "ökologischen Gleichgewichts" übersehe, daß Katastrophen wie Waldbrände, Überschwemmungen, Insektenplagen normale Vorgänge sind und daß es für jeden Lebensraum ganz unterschiedliche Gleichgewichte geben kann. Wie sollte sonst Evolution möglich sein? Die Vorstellung "ökologischer Stabilität", gewiß kein Ziel des Ökosystems selber, entstehe, wo die menschliche Lebensspanne willkürlich das Maß bildet. Nicht einmal die Auffassung, "Artenvielfalt" erzeuge Stabilität, läßt sich belegen. Es gibt artenarme, stabile Ökosysteme wie die arktische Tundra oder Meeresdünen und artenreiche empfindliche wie Regenwälder oder Korallenriffe. Ja, es sieht aus, als setze unter stabilen Rahmenbedingungen eine Spezialisierung ein, die die Störungsanfälligkeit gerade erhöht. Auch ist die Natur kein "geschlossener Kreislauf". Korallenriffe, Guanofelsen und nicht zuletzt die Ansammlungen fossiler Brennstoffe sind natürliche Abfallhalden. Und die Rede von der "ökologischen Gesundheit", der intakten Umwelt ist metaphorisch. Ökosysteme sind keine Individuen mit einem festen Bauplan und einem klaren Ziel, das erreicht oder verfehlt werden könnte.

"Während der Biologismus die Natur häufig auf einen Kampfplatz aller gegen alle reduziert, neigt der Ökologismus zur harmonisierenden Verklärung des Naturgeschehens." Und wie Marx sich wunderte, daß Darwin in der Natur die ganze bürgerliche Gesellschaft wiederfand, und wie die Ökologie in der Natur eine Konsensgesellschaft spiegelt, so wird Gorke unter Bedingungen härter gewordener Konkurrenz auf die Brüche und Diskontinuitäten im Naturprozeß aufmerksam und darauf, "daß der Mensch als Konsument grundsätzlich auf Kosten anderer Organismen lebt". Ausdruck derselben Individualisierung mag allerdings sein, daß er die Probleme mit moralphilosophischen Mitteln lösen will.

Auf beiden Seiten werde ein normativistischer Fehlschluß vom Sein aufs Sollen gemacht. Drehpunkt von Gorkes Argumentation ist, daß eine anthropozentrische Begründung des Naturschutzes nicht ausreiche, daß wir eine ökologische Ethik brauchen. Am Beispiel des Artenschutzes als intuitiv gut verankertes Postulat werden Tücken eines Standpunkts gezeigt, der den Nutzen der Natur betont. Wer vom ökonomischen Nutzen ausgeht, dem wird man entgegnen können, daß der potentielle Wert des Fleckenkauzes geringer ist als der aktuelle des Holzeinschlages. Ganz zu schweigen von Arten, die aktuellen Schaden anrichten. Der ökologische Nutzen, der Wert bestimmter Arten für den Erhalt des Ökosystems, ist oft schwer zu erweisen. Teils sind bedrohte Arten selten und spielen nur eine unbedeutende Rolle, teils sind sie, als Nahrung, leicht durch andere zu ersetzen, teils sind sie Endverbraucher. Auf das letzte Seeadlerpaar ist das jeweilige Ökosystem nicht angewiesen. Wer ganz allgemein von einer Abwärtsspirale der Biodiversität ausgeht, behauptet Rückkopplungen, die durch nichts belegt sind. Die bestehende Artenvielfalt ist evolutionär ein spätes Produkt. Die Redundanzen sind zahlreich. Baum- und Straucharten gibt es in Ostasien 876, in Nordamerika 158, in Europa nur 106. Beispiele für tatsächliche Kettenreaktionen haben, so Gorke, nur anekdotischen Charakter. Und der ästhetische Nutzen überzeugt bei den Gliederfüßlern, aus denen die Tierwelt zu 98 Prozent besteht, nur wenige.

Nein, begründen könne man den Artenschutz nur, wenn man der Natur einen Eigenwert zumißt und die anthropozentrische Ethik in Richtung auf einen - vor allem mit Spaemann und Meyer-Abich eingeführten - pluralistischen Holismus überschreitet. Gorke kommt dabei mächtig ins Gedränge und schleppt heran, was irgend als argumentatives Brennholz tauglich scheint und doch nur Rauch macht. Die ästhetische Begründung funktioniere nicht, denn die meisten suchen nur den wohldosierten Konsum einer exotisch-romantischen Erlebniskulisse - ein klarer Fehlschluß zwischen Fakten und Normen. Schon die Astronomie lehre, daß der Mensch nicht im Zentrum steht - aber ist nicht gerade Astronomie eine Leistung des Menschen? An der Natur mache ich die Erfahrung der endgültigen Unverfügbarkeit alles Seienden - nicht eher an meiner Waschmaschine oder der Frau, die ich bebalze? "Sittliche Größe und erfüllte menschliche Existenz ist ohne Einüben von Verzicht nicht denkbar." Das erinnert an den Ferdinand der "Unterhaltungen deutscher Auswanderer", der sich auch später noch manchmal etwas, was ihm Freude würde gemacht haben, zu versagen pflegte, um nur nicht aus der Übung einer so schönen Tugend zu kommen. Wie überhaupt der Rigorismus, mit dem Gorke etwa durch Herabsetzung der Zimmertemperatur auf sechzehn Grad einen Teil unseres Schuldenkontos gegenüber der Natur ausgleichen will, frösteln macht.

Der zentrale Vorbehalt gegen alle Ökoethik gründet auf der fehlenden Reziprozität unseres Verhältnisses zur Natur, ohne die sich keine Pflicht statuieren lasse. Wenn Gorke dagegen setzt, daß uns mit der Natur eine ökologische, eine stammesgeschichtliche und eine ontologische Gemeinschaft verbindet und daß es auch unter Menschen asymmetrische Verhältnisse gebe (ein weiterer Fehlschluß zwischen Fakten und Normen), fehlt ihm offenbar jede Einsicht, warum die Moralphilosophie sich mit der Rekonstruktion von - fichtesch gesprochen - Anerkennungsverhältnisse beschäftigt. Und wenn er die genetische Bevorzugung des Homo sapiens zurückweist, hat er keinen Begriff vom Menschen als Vernunftwesen.

So recht hat er auch keinen Begriff vom Menschen als politischem Wesen. Er nutzt die Moralphilosophie auf der Suche nach einer absoluten Begründung seiner naturschützerischen Intuitionen. Aber wozu eine absolute Begründung? Eine absolute Überzeugung wird sie nie erzeugen. Warum reicht es nicht, auf die Schönheit auch der Käfer aufmerksam zu machen? Warum reicht es nicht, zu sagen, es spricht einiges dafür, daß wir so und so große Gebiete erhalten müssen, damit auch Deine Kinder mal einen Dachs oder einen Seeadler zu Gesicht bekommen? Und warum reicht es nicht, Naturdenkmäler so zu schützen wie technische Denkmäler? Die Natur gehört wie die Geschichte zu unseren Voraussetzungen, und man wird sagen, daß jemand, der sich nicht zu seinen Voraussetzungen verhält, ein entfremdetes Verhältnis zu sich selbst hat. Das ist keine moralische, aber doch eine praktische Frage. Insofern Gorke darauf aufmerksam macht, daß eine rein wissenschaftlich-technische Ökologie und eine abstrakte Nutzenbetrachtung diese praktische Frage verstellen und sich darin selbst mißverstehen, hat er ein gutes Buch geschrieben.

GUSTAV FALKE

Martin Gorke: "Artensterben". Von der ökologischen Theorie zum Eigenwert der Natur. Verlag Klett Cotta, Stuttgart 1999. 376 S., geb., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr