Tierquälerei ist schwer erträglich. Trotzdem lassen wir es stillschweigend zu, dass unzählige Tiere in Versuchslaboren gequält und in Mastställen und Schlachthöfen angeblich "artgerecht" misshandelt werden, weil wir auf "tierische Produkte" nicht verzichten wollen. Es wird Zeit, die richtigen Fragen zu stellen : Dürfen wir Tiere im medizinischen Interesse malträtieren? Hilal Sezgin plädiert dafür, Tiere als Individuen mit eigenen Rechten anzuerkennen - auch in unserem eigenen Interesse. Denn am Ende dieser engagierten Tierethik steht die Vision einer Menschheit, die sich die Erde gerecht mit anderen Tieren teilen kann.
"Das ideale Buch für Leser, die glauben, dass es gute Gründe für alle möglichen Ausnahmen bei ehtischen Fragen gibt. Und bereit dafür sind, dass es anders kommt.", Maren Keller, DER SPIEGEL 20151120
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2014Der Bio-Metzger erteilt keinen Freispruch
Sollte man also besser doch zum Veganer werden? Hilal Sezgin lässt wenig übrig von den Versuchen, unseren Verbrauch von Tieren zu rechtfertigen.
Dieses Buch handelt nicht von einem Informationsdefizit. Jeder weiß, wie die Tiere gehalten und geschlachtet werden, deren Produkte und Überreste wir in den Kühlregalen, Schuhgeschäften und Apotheken finden. Trotzdem ändern wir nichts. Wir stecken in einer Sackgasse, konstatiert die Journalistin und Autorin Hilal Sezgin: Das, was in der "Tierproduktion" legal ist oder als Routine geduldet wird, passe nicht zu unseren moralischen Vorstellungen und unserem Bild einer zivilisierten Gesellschaft, die sich etwas auf halbwegs gewaltfreies Zusammenleben zugutehält und in der im Allgemeinen als ausgemacht gilt, dass uns das Wohl der Tiere nicht egal zu sein hat. Wenn die Schlachthäuser Glaswände hätten, wären alle Menschen Vegetarier, formulierte Paul McCartney. Wenn Ställe Glaswände hätten, wären alle Menschen Veganer, ergänzt Sezgin. Haben sie aber nicht, im Gegenteil, sie haben nicht einmal Fenster und stehen irgendwo draußen an den Autobahnrändern, wohin sich gewöhnlich kein Mensch verirrt.
Um einen Weg aus der Sackgasse aufzuzeigen, unternimmt Sezgin, die selbst einen kleinen Gnadenhof mit Hühnern und Schafen unterhält, eine kritische, provozierende, persönliche und brillant geschriebene Tour durch die Tierethik: Dürfen wir Tiere quälen, sie töten, sie nutzen? Dabei gelingt ihr das Kunststück, die philosophischen Auseinandersetzungen ernst zu nehmen und sie doch immer wieder an der konkreten Erfahrung zu messen. Gewiss, über Anthropomorphismus lässt sich hochgelehrt streiten. Wer weiß schon, wie es ist, eine Fledermaus, eine Forelle, ein Mastschwein oder eine Legehenne zu sein. Aber dass es einem Schwein besser gefällt, auf einer Weide herumzutollen und im Matsch zu wühlen, als sein Leben in einer Box zu verbringen, in der es sich nicht einmal umdrehen kann, ist dennoch keine besonders gewagte Interpretation. Um festzustellen, dass Hühner ihr Staubbad lieben, braucht es keine wissenschaftlichen Studien. Und um zu wissen, dass es nicht in Ordnung ist, Kühen die Kälber wegzunehmen, muss man nur einmal zuhören, wie sie stundenlang nach einander rufen.
Niemand ist auf der Welt, um einem anderen von Nutzen zu sein. Tiere, zumindest die, die wir gewöhnlich verspeisen, haben Interessen, sie erleben Zufriedenheit und Wohlbefinden, und sie wollen weiterleben. Von dieser Basis ausgehend, zerlegt Sezgin alle halbherzigen Versuche, sich die Lage schönzureden. Fleisch statt im Supermarkt beim Bio-Metzger oder im Hofladen kaufen? Auch wenn die Tiere dort ein wenig besser gehalten werden und vor ihrem Tod nicht ganz so große Qualen auszustehen haben, werden ihre basalen Interessen an Leben, Gemeinschaft und artgerechtem Verhalten auch dort missachtet. Viele Tierethiker argumentieren, einem Tier, das keine Vorstellung von der Zukunft habe, werde nichts genommen, wenn man es tötet. Doch seit wann, so Sezgin, bemisst sich der Wert eines Lebens am Verfolgen von Zukunftsplänen? Andere meinen, dass Tiere mangels Verstands weniger leiden. Vielleicht aber leiden sie gerade, weil sie sich nicht mental von dem distanzieren können, was ihnen geschieht, sogar mehr als Menschen. Und auch die Vegetarier brauchen sich nichts einzubilden, denn wo bleiben wohl die männlichen Küken und die Kälber der Milchkühe? Wir müssen uns nicht fragen, wie wir das Los der Nutztiere verbessern können, sondern vom freien Tier aus denken und fragen, woher wir überhaupt das Recht nehmen, sie unseren Zwecken unterzuordnen, so die Autorin. Denn dass wir Fleisch und Lederschuhe zum Überleben benötigen, kann hierzulande niemand behaupten.
Bleibt die Frage, wie ein moralisch akzeptables Zusammenleben mit Tieren aussehen könnte. Manche Tierethiker halten dies schlicht für unmöglich und plädieren dafür, die Welten von Mensch und Tier zu trennen. Andere zeichnen komplexe Szenarien, in denen Tiere als Mitbürger mit spezifischen Rechten anerkannt werden. Sezgin fasst ihre Ergebnisse mit einem Slogan der Tierschutzbewegung zusammen: Artgerecht ist nur die Freiheit. Doch für freie Kühe, Schweine und Schafe ist in unserer Welt kaum noch Platz. Wie die Vision einer Zukunft aussehen kann, in der wir nicht mehr die Zumutung für den Rest der Spezies sind, lässt die Autorin offen. Wir stünden ganz am Anfang einer neuen Sicht auf unser Verhältnis zu den Tieren und könnten nicht absehen, wohin uns der Weg führen werde. Veganer sollten wir trotzdem werden. Es fühle sich gut an, die Komplizenschaft mit dem System der Tierausbeutung weitgehend hinter sich zu lassen, verspricht Sezgin.
Es sei eine Krux komplexer Gesellschaften, dass jeder die Verantwortung auf den anderen schieben könne: auf den Bauern, den Schlachter, den Konsumenten, die EU. So verdankten wir den aktuellen Zustand unseren blinden Flecken und Inkonsistenzen. Wir wollen nicht, dass Tiere für unsere Produkte leiden, aber die Produkte wollen wir und sind dankbar, dass die Fleischindustrie das dezent erledigt und wir unseren Kindern Geschichten von glücklichen Bauernhofschweinen vorlesen können.
Der Überzeugungskraft von Sezgins manchmal suggestiver Argumentation kann man sich kaum entziehen. Zudem macht es das Buch sympathisch, dass die Autorin auch zugibt, wo sie mehr Fragen als Antworten hat und wo ihr die Begriffe verschwimmen. Im Zweifelsfalle, so gesteht sie zu, zählen die Interessen der Menschen eben doch stärker als die der Tiere. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man eine Kröte oder einen Menschen überfährt. Und darf man nicht doch ein Schwein für eine Herzklappe töten, die einen Menschen retten würde? Doch solche Zweifel sind kaum geeignet, von Sezgins zentralem und berechtigtem Anliegen abzulenken: die massenhafte Gewalt gegen Tiere zu stoppen.
MANUELA LENZEN
Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die Freiheit". Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen.
Verlag C.H. Beck, München 2014. 302 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sollte man also besser doch zum Veganer werden? Hilal Sezgin lässt wenig übrig von den Versuchen, unseren Verbrauch von Tieren zu rechtfertigen.
Dieses Buch handelt nicht von einem Informationsdefizit. Jeder weiß, wie die Tiere gehalten und geschlachtet werden, deren Produkte und Überreste wir in den Kühlregalen, Schuhgeschäften und Apotheken finden. Trotzdem ändern wir nichts. Wir stecken in einer Sackgasse, konstatiert die Journalistin und Autorin Hilal Sezgin: Das, was in der "Tierproduktion" legal ist oder als Routine geduldet wird, passe nicht zu unseren moralischen Vorstellungen und unserem Bild einer zivilisierten Gesellschaft, die sich etwas auf halbwegs gewaltfreies Zusammenleben zugutehält und in der im Allgemeinen als ausgemacht gilt, dass uns das Wohl der Tiere nicht egal zu sein hat. Wenn die Schlachthäuser Glaswände hätten, wären alle Menschen Vegetarier, formulierte Paul McCartney. Wenn Ställe Glaswände hätten, wären alle Menschen Veganer, ergänzt Sezgin. Haben sie aber nicht, im Gegenteil, sie haben nicht einmal Fenster und stehen irgendwo draußen an den Autobahnrändern, wohin sich gewöhnlich kein Mensch verirrt.
Um einen Weg aus der Sackgasse aufzuzeigen, unternimmt Sezgin, die selbst einen kleinen Gnadenhof mit Hühnern und Schafen unterhält, eine kritische, provozierende, persönliche und brillant geschriebene Tour durch die Tierethik: Dürfen wir Tiere quälen, sie töten, sie nutzen? Dabei gelingt ihr das Kunststück, die philosophischen Auseinandersetzungen ernst zu nehmen und sie doch immer wieder an der konkreten Erfahrung zu messen. Gewiss, über Anthropomorphismus lässt sich hochgelehrt streiten. Wer weiß schon, wie es ist, eine Fledermaus, eine Forelle, ein Mastschwein oder eine Legehenne zu sein. Aber dass es einem Schwein besser gefällt, auf einer Weide herumzutollen und im Matsch zu wühlen, als sein Leben in einer Box zu verbringen, in der es sich nicht einmal umdrehen kann, ist dennoch keine besonders gewagte Interpretation. Um festzustellen, dass Hühner ihr Staubbad lieben, braucht es keine wissenschaftlichen Studien. Und um zu wissen, dass es nicht in Ordnung ist, Kühen die Kälber wegzunehmen, muss man nur einmal zuhören, wie sie stundenlang nach einander rufen.
Niemand ist auf der Welt, um einem anderen von Nutzen zu sein. Tiere, zumindest die, die wir gewöhnlich verspeisen, haben Interessen, sie erleben Zufriedenheit und Wohlbefinden, und sie wollen weiterleben. Von dieser Basis ausgehend, zerlegt Sezgin alle halbherzigen Versuche, sich die Lage schönzureden. Fleisch statt im Supermarkt beim Bio-Metzger oder im Hofladen kaufen? Auch wenn die Tiere dort ein wenig besser gehalten werden und vor ihrem Tod nicht ganz so große Qualen auszustehen haben, werden ihre basalen Interessen an Leben, Gemeinschaft und artgerechtem Verhalten auch dort missachtet. Viele Tierethiker argumentieren, einem Tier, das keine Vorstellung von der Zukunft habe, werde nichts genommen, wenn man es tötet. Doch seit wann, so Sezgin, bemisst sich der Wert eines Lebens am Verfolgen von Zukunftsplänen? Andere meinen, dass Tiere mangels Verstands weniger leiden. Vielleicht aber leiden sie gerade, weil sie sich nicht mental von dem distanzieren können, was ihnen geschieht, sogar mehr als Menschen. Und auch die Vegetarier brauchen sich nichts einzubilden, denn wo bleiben wohl die männlichen Küken und die Kälber der Milchkühe? Wir müssen uns nicht fragen, wie wir das Los der Nutztiere verbessern können, sondern vom freien Tier aus denken und fragen, woher wir überhaupt das Recht nehmen, sie unseren Zwecken unterzuordnen, so die Autorin. Denn dass wir Fleisch und Lederschuhe zum Überleben benötigen, kann hierzulande niemand behaupten.
Bleibt die Frage, wie ein moralisch akzeptables Zusammenleben mit Tieren aussehen könnte. Manche Tierethiker halten dies schlicht für unmöglich und plädieren dafür, die Welten von Mensch und Tier zu trennen. Andere zeichnen komplexe Szenarien, in denen Tiere als Mitbürger mit spezifischen Rechten anerkannt werden. Sezgin fasst ihre Ergebnisse mit einem Slogan der Tierschutzbewegung zusammen: Artgerecht ist nur die Freiheit. Doch für freie Kühe, Schweine und Schafe ist in unserer Welt kaum noch Platz. Wie die Vision einer Zukunft aussehen kann, in der wir nicht mehr die Zumutung für den Rest der Spezies sind, lässt die Autorin offen. Wir stünden ganz am Anfang einer neuen Sicht auf unser Verhältnis zu den Tieren und könnten nicht absehen, wohin uns der Weg führen werde. Veganer sollten wir trotzdem werden. Es fühle sich gut an, die Komplizenschaft mit dem System der Tierausbeutung weitgehend hinter sich zu lassen, verspricht Sezgin.
Es sei eine Krux komplexer Gesellschaften, dass jeder die Verantwortung auf den anderen schieben könne: auf den Bauern, den Schlachter, den Konsumenten, die EU. So verdankten wir den aktuellen Zustand unseren blinden Flecken und Inkonsistenzen. Wir wollen nicht, dass Tiere für unsere Produkte leiden, aber die Produkte wollen wir und sind dankbar, dass die Fleischindustrie das dezent erledigt und wir unseren Kindern Geschichten von glücklichen Bauernhofschweinen vorlesen können.
Der Überzeugungskraft von Sezgins manchmal suggestiver Argumentation kann man sich kaum entziehen. Zudem macht es das Buch sympathisch, dass die Autorin auch zugibt, wo sie mehr Fragen als Antworten hat und wo ihr die Begriffe verschwimmen. Im Zweifelsfalle, so gesteht sie zu, zählen die Interessen der Menschen eben doch stärker als die der Tiere. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man eine Kröte oder einen Menschen überfährt. Und darf man nicht doch ein Schwein für eine Herzklappe töten, die einen Menschen retten würde? Doch solche Zweifel sind kaum geeignet, von Sezgins zentralem und berechtigtem Anliegen abzulenken: die massenhafte Gewalt gegen Tiere zu stoppen.
MANUELA LENZEN
Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die Freiheit". Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen.
Verlag C.H. Beck, München 2014. 302 S., br., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dem Dackel des Nachbarn darf man nicht den Schwanz abschneiden, aber Milliarden männlicher Küken dürfen pro Jahr geschreddert werden. Auch für den Rezensenten Jens Bisky scheint es an der Zeit, sich über unser Verhältnis zu Tieren noch einmal grundsätzlich Gedanken zu machen. Das Buch der Journlistin Hilal Sezgin, die in der Lüneburger Heide einen Gnadenhof für Tiere betreibt, findet er dann stark, wenn sie auf die Leidensfähigkeit der Tiere rekurriert und ihre moralische Berücksichtigung einfordert. Auch gefällt ihm, dass sie - anders als etwa die Amerikaner Sue Donaldsen und Will Kymlicka - auf persönliche Verhaltensänderung setzt und relativ nah am Leben argumentiert. Aber auch Sezgin lässt ihn etwas ratlos zurück, nicht alles findet er plausibel und mitunter auch unhistorisch argumentiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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