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Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 280
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 300g
  • ISBN-13: 9783251201723
  • Artikelnr.: 25128881
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Menschenfresser in Nussschalen
Vieles entsetzt, nichts aber ist entsetzlicher als der Mensch: Christian Brückner liest Edgar Allan Poes Roman „Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket”
Ganz am Ende, nachdem dieser Roman alle Abenteuer und Höllenkreise der Seefahrt durchkreuzt hat, darunter Meuterei, Havarie und Menschenfresserei, entdeckt er ein horizontloses Neuland, das alles Vorangegangene noch über-trifft: Er entdeckt die Farbe Weiß. Sie hatte sich schon angekündigt, durch fahlweiße Vögel und eigentümliche, weißpelzige Krallentiere, nun aber treibt der Held in einer Nussschale von Kanu Richtung Südpol, treibt durch einen weißgrauen, das Meer milchig färbenden Ascheregen, treibt einem polar-lichtweißen Himmelsvorhang und einem gewaltigen Katarakt entgegen: Die Welt scheint eine Scheibe und alles in endgültige Weißheit hinabzustürzen.
Irgendwie wird der Held dann gerettet. Wir erfahren nicht wie und auch sonst nichts weiter über die ausufernde Nichtfarbe, die diesen Text am Ende verschlingt wie das weiße Loch aus Sinnlosigkeit und Zweifel, das irgendwo in jedem Menschen nagt. Eins aber ist sicher: Edgar Allan Poes „Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket”, sein 1838 veröffentlichter einziger Roman, hat mit der Farbe Weiß jenen nach Deutung schreienden Mangel, jene übercodierte Leere mitentdeckt, die die Moderne begleitet. Dreizehn Jahre vor Melvilles „Moby Dick” ist Poes Held Pym in ein Reich weißer Abstraktion hinabgestürzt, in dem dieser Roman zwar noch abbricht. Nach jener monochromen Gegend aber sehnen sich später die Helden Baudelaires oder Ransmayrs, Becketts Reduktionsartisten spielen darin weiter, aus Mark Rothkos Bildern strahlt sie als kalt leuchtende Lockung.
Der Stimmkünstler Christian Brückner hat nun seine Lesung des Romans veröffentlicht. Brückners kratzender, leicht ins Hohe changierender Bariton ist zum vokalen Inbegriff jenes amerikanischen Männertyps geworden, der bei aller Kernigkeit auch ein wenig zur Hysterie neigt. Das liegt nicht zuletzt an seiner Synchronisationsarbeit, als deutsche Stimme de Niros etwa. Darüber hinaus betreibt der Schauspieler und studierte Germanist seit Jahren einen eigenen Hörbuch-Verlag, die „edition parlando”, deren herrlich anspruchsvolles Programm sich vorwiegend der Poesie des Kargen, Stillen, Harten widmet. Insbesondere die Desolation des westlichen Helden erforscht Brückner, in Lesungen McCarthys, DeLillos, Chandlers; ein Höhepunkt war 2006 seine Gesamtaufnahme des amerikanischen Überromans schlechthin, des „Moby Dick”.
Es mutet wie die archäologische Schürfung nach dem Ursprung dieser Figuren und Themen an, wenn Brückner nun den längsten, rätselhaftesten Text Edgar Allan Poes zu Gehör bringt. Äußerlich gibt Poes 200. Geburtstag am 19. Januar 2009 den Anlass. Dazu würde „Pym” insofern passen, als man ihn als allegorische Autobiografie sehen wollte, wozu die sich als Tatsachenbericht ausweisende Erzählung fast einzuladen scheint: Poe tritt namentlich als Herausgeber auf, der den Bericht des geretteten, kurz vor Abschluss der Niederschrift verstorbenen Pym veröffentlicht – da könnte man schon an eine Verwandtschaft glauben. Tatsächlich ist Poes Herausgeberschaft eher ein literarischer Kunstgriff, um die „unbegriffene und unbegreiflichen Ereignisse” überhaupt erzählen zu können. Denn von der Floskel der Lebensreise abgesehen, fehlt dem Text jedes Merkmal einer Biografie. Viel eher hinterlässt er den Eindruck, dass sich das Menschendasein eben nicht sinnorientiert erzählen lässt. Ist Pyms Unfalltod nicht eine giftig Pointe? Da hat der Mann alle denkbaren Todesnöte auf undenkbarste Weise überlebt, und nun rafft es ihn, kurz vor Lösung des Welträtsel, am Schreibtisch dahin!
Trotz seiner künstlerischen Pionierleistung in den weißen Flecken des Erhabe-nen, die in späteren Fällen dem Leser oft viel Geduld abverlangen, ist dieser Roman kein Ausdauertraining. Im Gegenteil. Poe schreibt von Cliffhanger zu Cliffhanger, streckenweise reihen sich die Spannungsmomente im Fünf-Minuten-Takt. Abgesehen von einigen Exkursen kargt Poe mit Sätzen, die nicht der Dramaturgie von Gefahr und Zeitmangel dienen. Schon der Anfang setzt Maßstäbe: Der junge Arthur Gordon lässt sich von einem befreundeten Kapitänssohn zu einer nächtlichen Bootstour überreden. Und merkt zu spät, dass der Mut seines Freundes der Wahnwitz des Suffs ist.
Das Boot treibt steuerlos aufs offene Meer zu, die beiden Jungen rettet nur die Kollision mit einem Walfänger. Nach diesem Muster von blindem Mutwillen, Krise und Rettung durch ein Unglück ist das Werk gestrickt: Das glimpfliche Kentern weckt in Arthur nur noch größeres Verlangen nach der See. Er schmuggelt sich auf ein Schiff und geht in seinem Versteck fast zugrunde, als eine Meuterei ausbricht. Zwar gelingt die Rückeroberung, das Schiff verwandelt aber bald der Sturm in ein Wrack, dem die Überlebenden kaum das Nötigste entbergen können. Als Hunger und Durst unerträglich werden, veranstaltet man eine kannibalische Lotterie: Der Verlierer soll aufgegessen werden. Hier tönt ein Echo aus der Realität herüber – vom Floß der Medusa, jenem Kannibalismus-Fall, der 1816 die Welt erschütterte – doch es ist ein hintersinniges Echo: Das Los trifft den, der es vorschlug. Bald darauf greift die Überlebenden ein Handelsschiff auf, das zu heimtückischen Wilden weitersegelt. Wenige Erzählwerke pflegen einen so präzisen Equilibrismus des Grauens: Jede vorläufige Rettung aus der Not erfolgt durch ein in der Konsequenz weit schlimmeres Übel. Poe tüftelt die unwahrscheinlichsten Horrorszenarien aus, und Pym nennt jede einzelne davon die Allerschlimmste – was ein wenig unlogisch ist.
Doch überhaupt ist Pyms Sprache ist kein psychischer Ausdruck des leidenden Ich, sondern eine Erzählkonstruktion, die entsetzen will. Diese Erzählweise verpflichtet den Interpreten also keineswegs zur Nachempfindung – und genau so transponiert Christian Brückner sie in seinen Lesestrom: Er vergegenwärtigt, malt aus, beschreibt exakt. Nie aber stürzt er mit voller Verve ins Nacherleben, sondern verharrt davor in innerem Erstarren. Vielleicht ist das der Sinn des mantraartig wiederholten „Horror”, der Pym so oft fesselt: Die Haltung des abenteuergierigen, blind lospreschenden Menschen, der vor dem Fremden, Anderen zurückschreckt, das er doch, zu Handelszwecken, erobern will. Einen paradoxen Geist (den des Kolonialismus?) hat Poe in seinem See- und Schockroman gebannt. Und nicht ohne Witz: Seine Todesfallen bestehen meist in Enge, Begrenzung, Verschüttung – als wollte Poe dem Fernweh Pyms nach der Meeresweite sarkastisch heimleuchten. Brückner liest die brillante Übersetzung Arno Schmidts, der Poes apart-umständlichen Ton aus zimmermannshafter Akkuratesse, lexikaler Trockenheit und tiefster Seelenpein genau spiegelt. In Brückners Interpretation kann man das Augenzwinkern des sarkastischen Horrormeisters Poe vernehmen.
Einmal, als es gegen die Meuterer geht, schlüpft Pym in die Kleider eines Toten und erschreckt einen Abergläubischen zu Tode (wortwörtlich natürlich). Plötzlich verursacht der arme Held höchsteigen jenen Horror, der sonst ihn quält. Es ist eben doch der Mensch selbst der Quell allen Schreckens. WILHELM TRAPP
Edgar Allan Poe
Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket. Gelesen von Christian Brückner. Edition parlando, Berlin 2008. 7 CDs, 9 Std., 29,95 Euro.
Jede vorläufige Rettung erfolgt durch ein in der Konsequenz weitaus schlimmeres Übel
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