Ohne Übertreibung kann man Arthur Koestler (1905-1983) als den vielseitigsten und engagiertesten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Als Journalist und Bestseller-Autor ("Sonnenfinsternis"), als politischer Aktivist und im Privatleben hat er wie kein Zweiter Grenzen und Extreme ausgelotet. Christian Buckard erzählt das waghalsige und grenzenlos neugierige Leben Arthur Koestlers von seiner Kindheit in Budapest bis zu seiner Selbsttötung im Londoner Exil.
Der ungarisch-jüdische Schriftsteller und Journalist Arthur Koestler war keiner jener Intellektuellen, die - wie Brecht oder Sartre - aus der Deckung des Schreibtischs heraus die Welt verändern wollten. Wenn er von einer Sache überzeugt war, konnte er für sie Kopf und Kragen riskieren: In den zwanziger Jahren prügelte er sich als Wiener Student mit Antisemiten, lebte als Kibbutznik, Limonadenverkäufer und Reporter in Palästina. Anfang der dreißiger Jahre pilgerte er mit Langston Hughes durch Stalins Sowjetunion, spürte arabische Terroristen in Beirut auf, fuhr Ambulanzwagen durch das London des Blitz und berichtete aus dem israelischen Unabhängigkeitskrieg. Koestler saß als kommunistischer Spion in Francos Todeszelle, die französische Vorkriegs-Regierung internierte und die Gestapo jagte ihn, von Moskau wurde er als "nervenkranker" Kalter Krieger beschimpft. Koestler engagierte sich nicht nur in der Politik, zeitlebens bewegte er sich mühelos zwischen den "Zwei Kulturen": Er überflog im Zeppelin den Nordpol, forderte die wissenschaftliche Anerkennung der Parapsychologie, traf Gurus in Indien, stritt sich in Japan mit Zen-Priestern und schlug die gezielte Manipulation des menschlichen Gehirns durch Drogen vor, um der angeborenen autodestruktiven Tendenz unserer Spezies Herr zu werden. - Christian Buckard gelingt auf der Grundlage zahlreicher unveröffentlichter Dokumente, vergessener früher Arbeiten und vieler Gespräche mit Zeitzeugen eine höchst lesenswerte und ungewöhnlich farbige Darstellung, die verständlich macht, welche Hoffnungen und Ideale dieses extreme Leben im Jahrhundert der Extreme geprägt haben.
Rezensionen:
'Buckard bietet zum ersten Mal viele Einzelheiten aus verstreuten Aufsätzen, Interviews und Briefen auf. So entsteht ein farbiges Bild der Kontroversen, in die sich Koestler verwickelte: über den werdenden Staat Israel, die Rolle der Briten, den mörderischen Terrorismus Menachem Begins, die Aufgaben der jüdischen Religion und die Rolle der Orthodoxen. Mal erblickt man diesen furiosen Augenzeugen mit dem Revolver unterm Kopfkissen, mal mit dem Ölzweig in der Hand, vergraben in Dispute zum Beispiel mit Weizman, Ben Gurion und Teddy Kollek, in allen Schwankungen des Urteils.'
Wilfried F. Schoeller, Literaturen, Dezember 2004
"Der Autor hat viel Archivmaterial und viele Interviews mit Personen, die Koestler kannten, ausgewertet. Es ist zu hoffen, daß diese Biographie das Interesse an Koestler in Deutschland neu belebt. Denn wie immer man zu Koestler als Person steht: Er ist ein faszinierender Autor, und als engagierter Zeitzeuge und Intellektueller könnte er in unserer an Intellektuellen armen Zeit ein Vorbild sein. Christian Buckards Biographie zeigt, daß die Wörter "extrem" und "radikal" als Charakteristika eines Journalisten wieder eine positive Bedeutung erlangen."
Friedrich Niewöhner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Oktober 2004
'Der ungarisch-jüdische Schriftsteller und Journalist hatte ein Leben geführt, dem man die 'energiegeladene Spannung von mindestens fünf gewöhnlichen Menschen' bescheinigte. Seinem Biographen ist es gelungen, diese widersprüchliche Existenz, auch auf der Grundlage unveröffentlichter Dokumente, vergessener früherer Arbeiten und vieler Gespräche mit Zeitzeugen, auf äußerst anschauliche Weise zu vergegenwärtigen. (...) Das Leben Arthur Koestlers, das nun einen hervorragenden Biographen gefunden hat, gleicht einer Odyssee durch das 20. Jahrhundert. 'Es ist die Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme'.'
Hermann Glaser, Das Parlament, 5. Oktober 2004
"Faktensatt und sprachlich souverän stellt diese Biografie einen Mann vor, der vor lauter Neugier selbst Abwege nicht verschmähte. (...) Auch Schattenseiten, etwa Koestlers Unfähigkeit zu dauerhafter Liebe, kommen sachlich zur Sprache, ohne das Bild zu verzerren. Mehr könnte man von einem Buch, bei dem sich bereits das Personenregister wie ein Who`s who des frühen 20. Jahrhunderts liest, schwerlich verlangen."
Johannes Saltzwedel, Kultur-Spiegel, 27. September 2004
'Als Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme schildert der Berliner Autor Christian Buckard das Leben Arthur Koestlers. (...) Da kommt die gründlich recherchiert und sicher komponierte Biografie Christian Buckards gerade recht, das Interesse neu zu wecken. Koestlers politische Vita ist nämlich voller aufschlussreicher Bezüge zu unserer Zeit.'
Claudia Kühner, Tages-Anzeiger, 26. August 2004
Inhalt:
Vorwort
1. Kindheit und frühe Jugend (1905-1922)
2. Lehrjahre eines Zionisten (1922-1926)
3. Der Weg nach oben (1926-1929)
4. Die große Illusion (1929-1938)
5. Internierung, Flucht und Krieg (1938-1944)
6. Ein Staat unterwegs (1944-1948)
7. Im Staat Israel (1948-1949)
8. Die Diaspora-Kontroverse (1949-1955)
9. Fast ein Yogi (1955-1976)
10. Die letzten Jahre (1976-1983)
Epilog
Danksagung
Anmerkungen
Verzeichnis der verwendeten publizierten Werke
Arthur Koestlers
Verzeichnis der Abbildungen
Personenregister
Der ungarisch-jüdische Schriftsteller und Journalist Arthur Koestler war keiner jener Intellektuellen, die - wie Brecht oder Sartre - aus der Deckung des Schreibtischs heraus die Welt verändern wollten. Wenn er von einer Sache überzeugt war, konnte er für sie Kopf und Kragen riskieren: In den zwanziger Jahren prügelte er sich als Wiener Student mit Antisemiten, lebte als Kibbutznik, Limonadenverkäufer und Reporter in Palästina. Anfang der dreißiger Jahre pilgerte er mit Langston Hughes durch Stalins Sowjetunion, spürte arabische Terroristen in Beirut auf, fuhr Ambulanzwagen durch das London des Blitz und berichtete aus dem israelischen Unabhängigkeitskrieg. Koestler saß als kommunistischer Spion in Francos Todeszelle, die französische Vorkriegs-Regierung internierte und die Gestapo jagte ihn, von Moskau wurde er als "nervenkranker" Kalter Krieger beschimpft. Koestler engagierte sich nicht nur in der Politik, zeitlebens bewegte er sich mühelos zwischen den "Zwei Kulturen": Er überflog im Zeppelin den Nordpol, forderte die wissenschaftliche Anerkennung der Parapsychologie, traf Gurus in Indien, stritt sich in Japan mit Zen-Priestern und schlug die gezielte Manipulation des menschlichen Gehirns durch Drogen vor, um der angeborenen autodestruktiven Tendenz unserer Spezies Herr zu werden. - Christian Buckard gelingt auf der Grundlage zahlreicher unveröffentlichter Dokumente, vergessener früher Arbeiten und vieler Gespräche mit Zeitzeugen eine höchst lesenswerte und ungewöhnlich farbige Darstellung, die verständlich macht, welche Hoffnungen und Ideale dieses extreme Leben im Jahrhundert der Extreme geprägt haben.
Rezensionen:
'Buckard bietet zum ersten Mal viele Einzelheiten aus verstreuten Aufsätzen, Interviews und Briefen auf. So entsteht ein farbiges Bild der Kontroversen, in die sich Koestler verwickelte: über den werdenden Staat Israel, die Rolle der Briten, den mörderischen Terrorismus Menachem Begins, die Aufgaben der jüdischen Religion und die Rolle der Orthodoxen. Mal erblickt man diesen furiosen Augenzeugen mit dem Revolver unterm Kopfkissen, mal mit dem Ölzweig in der Hand, vergraben in Dispute zum Beispiel mit Weizman, Ben Gurion und Teddy Kollek, in allen Schwankungen des Urteils.'
Wilfried F. Schoeller, Literaturen, Dezember 2004
"Der Autor hat viel Archivmaterial und viele Interviews mit Personen, die Koestler kannten, ausgewertet. Es ist zu hoffen, daß diese Biographie das Interesse an Koestler in Deutschland neu belebt. Denn wie immer man zu Koestler als Person steht: Er ist ein faszinierender Autor, und als engagierter Zeitzeuge und Intellektueller könnte er in unserer an Intellektuellen armen Zeit ein Vorbild sein. Christian Buckards Biographie zeigt, daß die Wörter "extrem" und "radikal" als Charakteristika eines Journalisten wieder eine positive Bedeutung erlangen."
Friedrich Niewöhner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Oktober 2004
'Der ungarisch-jüdische Schriftsteller und Journalist hatte ein Leben geführt, dem man die 'energiegeladene Spannung von mindestens fünf gewöhnlichen Menschen' bescheinigte. Seinem Biographen ist es gelungen, diese widersprüchliche Existenz, auch auf der Grundlage unveröffentlichter Dokumente, vergessener früherer Arbeiten und vieler Gespräche mit Zeitzeugen, auf äußerst anschauliche Weise zu vergegenwärtigen. (...) Das Leben Arthur Koestlers, das nun einen hervorragenden Biographen gefunden hat, gleicht einer Odyssee durch das 20. Jahrhundert. 'Es ist die Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme'.'
Hermann Glaser, Das Parlament, 5. Oktober 2004
"Faktensatt und sprachlich souverän stellt diese Biografie einen Mann vor, der vor lauter Neugier selbst Abwege nicht verschmähte. (...) Auch Schattenseiten, etwa Koestlers Unfähigkeit zu dauerhafter Liebe, kommen sachlich zur Sprache, ohne das Bild zu verzerren. Mehr könnte man von einem Buch, bei dem sich bereits das Personenregister wie ein Who`s who des frühen 20. Jahrhunderts liest, schwerlich verlangen."
Johannes Saltzwedel, Kultur-Spiegel, 27. September 2004
'Als Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme schildert der Berliner Autor Christian Buckard das Leben Arthur Koestlers. (...) Da kommt die gründlich recherchiert und sicher komponierte Biografie Christian Buckards gerade recht, das Interesse neu zu wecken. Koestlers politische Vita ist nämlich voller aufschlussreicher Bezüge zu unserer Zeit.'
Claudia Kühner, Tages-Anzeiger, 26. August 2004
Inhalt:
Vorwort
1. Kindheit und frühe Jugend (1905-1922)
2. Lehrjahre eines Zionisten (1922-1926)
3. Der Weg nach oben (1926-1929)
4. Die große Illusion (1929-1938)
5. Internierung, Flucht und Krieg (1938-1944)
6. Ein Staat unterwegs (1944-1948)
7. Im Staat Israel (1948-1949)
8. Die Diaspora-Kontroverse (1949-1955)
9. Fast ein Yogi (1955-1976)
10. Die letzten Jahre (1976-1983)
Epilog
Danksagung
Anmerkungen
Verzeichnis der verwendeten publizierten Werke
Arthur Koestlers
Verzeichnis der Abbildungen
Personenregister
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004Der Analytiker des Untergangs
Christian Buckards Biographie über Arthur Koestler / Von Friedrich Niewöhner
Walter Benjamin wohnte 1938 in Paris in der Rue de Dombasle, sein Nachbar war der fünfunddreißigjährige Ungar Arthur Koestler, der gerade auf Deutsch "Ein Spanisches Testament" veröffentlicht hatte, seinen Bericht über die dreimonatige Haft in einer Todeszelle General Francos. Walter Benjamin fand "Ein Spanisches Testament" ein "sehr gutes Buch"; regelmäßig pokerte er samstags mit Koestler. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten trafen sich Koestler und Benjamin 1940 in Marseilles wieder. Benjamin teilt sein Gift mit Koestler. Benjamin wird später daran sterben, Koestler wird es erbrechen.
Darauf spielt Gershom Scholem an, als er am 21. Januar 1945, er war gerade ordentlicher Professor in Jerusalem geworden, in sein bis heute nicht veröffentlichtes Tagebuch aus jenen Jahren notiert: "Am Freitag Abend zum Essen . . . mit Arthur Köstler, mit dem ich über Walter B. sprechen wollte. Er hatte ja im selben Haus wie Walter gewohnt und W. pflegte aus bekannten Gründen seiner Diplomatie den Verkehr. Er ist jetzt, vom Kommunismus abgefallen und erfolgreicher bestselling Autor genau so begabt und widerlich als Person und in seinem Gehaben wie er mir damals 1938 in Paris war, als Walter mir Vorwürfe machte, daß ich ihn nicht genug hofiere und sogar offensichtlich schlecht behandele. Er sprach wie ein ,gewiegter' Kenner von Walters Morphium-Ende, erzählte, daß W. ihm von seinen 62 Tabletten 31 abgegeben habe, die er (K.) ebenfalls in Lissabon . . . eingenommen, aber nach 24 Stunden wieder ausgebrochen habe. An Walter aber an geistiger Figur ist er weder interessiert noch zu interessieren. Sein Interesse gilt sich selber: Der Tote ist tot. Jetzt macht er sich über B's ,Marxismus' lustig!! Ein Greuel. Es gibt leider auch diesen Typ Juden." Diese Zeilen charakterisieren Koestler treffend. Der Kernsatz lautet: "Sein Interesse gilt sich selber."
Arthur Koestler (Budapest 1905 bis London 1983) war einer der großen Journalisten und Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts, "geistig tollkühn" (Hilde Spiel), immer engagiert. Durch seinen Roman über die stalinistischen Schauprozesse in Moskau, "Darkness at Noon" ("Sonnenfinsternis", 1940), erlangte Koestler Weltruhm, aber am besten schrieb Koestler, wenn er über sich selbst schrieb. Robert Neumann bemerkte schon 1941, Koestlers Berichte über die Verfolgung und Inhaftierung der Intellektuellen in Frankreich durch die Nationalsozialisten in seinem Buch "Scum of the Earth" ("Abschaum der Erde", 1941) seien "weder Journalismus noch Literatur", sondern "Zeugnis". Koestler war ein brillanter Historiker seiner selbst, davon zeugen seine autobiographischen Erinnerungen (zwischen 1905 und 1950) "Arrow in the Blue" ("Pfeil ins Blaue", 1952) und "The Invisible Writing" ("Die Geheimschrift", 1954). Nachdem Koestler aus der kommunistischen Partei ausgetreten war, schrieb er die vielleicht schärfste Analyse der kommunistischen Illusion in diesem Jahrhundert: "The God That Failed" ("Ein Gott der keiner war", 1949).
Schonungslos erzählt Koestler, wie er sich in den dreißiger Jahren zu "der Partei" (KPD) "bekehrt" hat, wie er ihr hörig gewesen ist, er, ein gefeierter Ullstein-Journalist in Berlin, wie er ihr blind und gläubig gedient hat, offen und im Untergrund der "Zellen", wie er schließlich von ihr abfiel, gewissermaßen eine zweite Konversion durchlebend. Koestler ist dann am aufregendsten, wenn er - oft seine eigenen - Fehler analysiert, notwendige Irrtümer beschreibt, Lebenslügen bloßlegt. Man kann diesen radikalen Wahrheitssucher mit der "Alles-oder-nichts-Mentalität" (Koestler) als einen Analytiker des Untergangs bezeichnen. Die Schärfe und Leichtigkeit seines oft ironischen und sarkastischen Schreibens ist atemberaubend. Koestler ist einer der wenigen Autoren, dem ein Leser allein wegen seines bedingungslosen Stils verfallen kann. Diesem autobiographischen Bericht folgte der antikommunistische Roman "The Age of Longing" ("Gottes Thron steht leer", 1951). Koestler "gehörte zu den einflußreichsten kommunistischen Renegaten der Epoche" (Henning Ritter).
Seit Mitte der sechziger Jahre hat sich Koestler mehr und mehr naturwissenschaftlichen Themen zugewendet: "The Sleepwalkers: A History of Man's Changing Vision of the Universe" ("Die Nachtwandler", 1959), "The Lotus and the Robot" ("Von Heiligen und Automaten", 1960"), "The Case of Midwife Toad" ("Der Krötenküsser. Der Fall des Biologen Paul Kammerer", 1971). Koestler selbst schrieb 1980, in der ersten Hälfte seines Lebens sei er "auf der Suche nach Utopia" gewesen, in der zweiten Hälfte "auf der Suche nach einer Synthese". Diese (und weitere) naturwissenschaftlichen Studien nennt sein Biograph Buckard zwar, er geht aber nicht weiter auf sie ein, denn er ist speziell an Koestlers Auseinandersetzung mit seinem Judentum und an seinen zionistischen Verwicklungen interessiert ("Thieves in the Night", "Diebe in der Nacht", 1946).
Seit 1924 war Koestler mit dem radikal-zionistischen Agitator Vladimir Jabotinsky befreundet. Immer wieder lebte Koestler längere Zeit in Palästina (dessen Staatsbürgerschaft er bis 1948 besaß). Die jüdischen Terroristen in Palästina standen ihm näher als die schlappen "Assimilanten" im Exil. Koestlers Stellung zum Zionismus gipfelt in der These seines Israel-Buchs "Promise and Fulfilment" (1949): mit der Gründung des Staates Israel sei für alle Juden der Augenblick gekommen, sich entweder für Israel zu entscheiden und dorthin auszuwandern oder aber ihr Judentum in der Diaspora ganz aufzugeben, denn: "Der Großteil der Formulierungen und Begriffe des jüdischen Rituals sind seit dem 15. Mai 1948 bedeutungslos geworden." Nach Koestler hat die israelische Staatsgründung die jüdische Religion obsolet gemacht. Auch hier denkt Koestler in Extremen. Hat der Staat Israel den Europäer Koestler von seinem Judentum befreit? Koestler war immer, speziell im Hinblick auf die Juden, von einer unerhörten politischen Aufmerksamkeit und reagierte auf Ereignisse direkt und spontan. So war sein Roman "Arrival and Departure" ("Ein Mann springt in die Tiefe", 1943) der einzige literarische Text in dieser Zeit, der auf die planmäßige Vernichtung der europäischen Juden aufmerksam gemacht hat - auch wenn die Leserschaft Koestlers Bericht von den "gemischten Transporten" keinen Glauben schenkte.
In seinem Essay über Koestler schreibt George Orwell 1944, die Russische Revolution sei das Zentrum in Koestlers Leben, um das sich alle seine Bücher drehten. Diese Sicht ist heute als einseitig zu bezeichnen, doch auch Buckards Blickwinkel ist einseitig, denn der politische wie der naturwissenschaftliche Koestler sollte nicht zugunsten des jüdischen Autors vernachlässigt werden. Auf die Frage, ob er sich als Jude betrachte, sagte Koestler 1950: "Ich betrachte mich erstens als Mitglied der europäischen Gemeinschaft, zweitens als naturalisierten britischen Bürger unbestimmter mischrassiger Herkunft, der die ethischen Werte unserer hellenisch-judäo-christlichen Tradition akzeptiert und ihre Dogmen ablehnt."
Buckards Buch ist dennoch mit Gewinn zu lesen, denn es erzählt Koestlers palästinensisches und europäisches (in Ungarn, Österreich, Deutschland, Rußland, Frankreich und England) Leben detailliert, ohne jede Schnüffelei, mit der man bei Koestler fündig werden könnte, wie das Buch "Arthur Koestler: The Homeless Mind" von David Cesarani, 1999 zeigt (siehe F.A.Z vom 3. Mai 1999). Der Autor hat viel Archivmaterial und viele Interviews mit Personen, die Koestler kannten, ausgewertet. Es ist zu hoffen, daß diese Biographie das Interesse an Koestler in Deutschland neu belebt. Denn wie immer man zu Koestler als Person steht: Er ist ein faszinierender Autor, und als engagierter Zeitzeuge und Intellektueller könnte er in unserer an Intellektuellen armen Zeit ein Vorbild sein. Christian Buckards Biographie zeigt, daß die Wörter "extrem" und "radikal" als Charakteristika eines Journalisten wieder eine positive Bedeutung erlangen.
Christian Buckard: "Arthur Koestler". Ein extremes Leben 1905-1983. C.H. Beck Verlag, München 2004. 416 S., 34 Abb., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christian Buckards Biographie über Arthur Koestler / Von Friedrich Niewöhner
Walter Benjamin wohnte 1938 in Paris in der Rue de Dombasle, sein Nachbar war der fünfunddreißigjährige Ungar Arthur Koestler, der gerade auf Deutsch "Ein Spanisches Testament" veröffentlicht hatte, seinen Bericht über die dreimonatige Haft in einer Todeszelle General Francos. Walter Benjamin fand "Ein Spanisches Testament" ein "sehr gutes Buch"; regelmäßig pokerte er samstags mit Koestler. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten trafen sich Koestler und Benjamin 1940 in Marseilles wieder. Benjamin teilt sein Gift mit Koestler. Benjamin wird später daran sterben, Koestler wird es erbrechen.
Darauf spielt Gershom Scholem an, als er am 21. Januar 1945, er war gerade ordentlicher Professor in Jerusalem geworden, in sein bis heute nicht veröffentlichtes Tagebuch aus jenen Jahren notiert: "Am Freitag Abend zum Essen . . . mit Arthur Köstler, mit dem ich über Walter B. sprechen wollte. Er hatte ja im selben Haus wie Walter gewohnt und W. pflegte aus bekannten Gründen seiner Diplomatie den Verkehr. Er ist jetzt, vom Kommunismus abgefallen und erfolgreicher bestselling Autor genau so begabt und widerlich als Person und in seinem Gehaben wie er mir damals 1938 in Paris war, als Walter mir Vorwürfe machte, daß ich ihn nicht genug hofiere und sogar offensichtlich schlecht behandele. Er sprach wie ein ,gewiegter' Kenner von Walters Morphium-Ende, erzählte, daß W. ihm von seinen 62 Tabletten 31 abgegeben habe, die er (K.) ebenfalls in Lissabon . . . eingenommen, aber nach 24 Stunden wieder ausgebrochen habe. An Walter aber an geistiger Figur ist er weder interessiert noch zu interessieren. Sein Interesse gilt sich selber: Der Tote ist tot. Jetzt macht er sich über B's ,Marxismus' lustig!! Ein Greuel. Es gibt leider auch diesen Typ Juden." Diese Zeilen charakterisieren Koestler treffend. Der Kernsatz lautet: "Sein Interesse gilt sich selber."
Arthur Koestler (Budapest 1905 bis London 1983) war einer der großen Journalisten und Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts, "geistig tollkühn" (Hilde Spiel), immer engagiert. Durch seinen Roman über die stalinistischen Schauprozesse in Moskau, "Darkness at Noon" ("Sonnenfinsternis", 1940), erlangte Koestler Weltruhm, aber am besten schrieb Koestler, wenn er über sich selbst schrieb. Robert Neumann bemerkte schon 1941, Koestlers Berichte über die Verfolgung und Inhaftierung der Intellektuellen in Frankreich durch die Nationalsozialisten in seinem Buch "Scum of the Earth" ("Abschaum der Erde", 1941) seien "weder Journalismus noch Literatur", sondern "Zeugnis". Koestler war ein brillanter Historiker seiner selbst, davon zeugen seine autobiographischen Erinnerungen (zwischen 1905 und 1950) "Arrow in the Blue" ("Pfeil ins Blaue", 1952) und "The Invisible Writing" ("Die Geheimschrift", 1954). Nachdem Koestler aus der kommunistischen Partei ausgetreten war, schrieb er die vielleicht schärfste Analyse der kommunistischen Illusion in diesem Jahrhundert: "The God That Failed" ("Ein Gott der keiner war", 1949).
Schonungslos erzählt Koestler, wie er sich in den dreißiger Jahren zu "der Partei" (KPD) "bekehrt" hat, wie er ihr hörig gewesen ist, er, ein gefeierter Ullstein-Journalist in Berlin, wie er ihr blind und gläubig gedient hat, offen und im Untergrund der "Zellen", wie er schließlich von ihr abfiel, gewissermaßen eine zweite Konversion durchlebend. Koestler ist dann am aufregendsten, wenn er - oft seine eigenen - Fehler analysiert, notwendige Irrtümer beschreibt, Lebenslügen bloßlegt. Man kann diesen radikalen Wahrheitssucher mit der "Alles-oder-nichts-Mentalität" (Koestler) als einen Analytiker des Untergangs bezeichnen. Die Schärfe und Leichtigkeit seines oft ironischen und sarkastischen Schreibens ist atemberaubend. Koestler ist einer der wenigen Autoren, dem ein Leser allein wegen seines bedingungslosen Stils verfallen kann. Diesem autobiographischen Bericht folgte der antikommunistische Roman "The Age of Longing" ("Gottes Thron steht leer", 1951). Koestler "gehörte zu den einflußreichsten kommunistischen Renegaten der Epoche" (Henning Ritter).
Seit Mitte der sechziger Jahre hat sich Koestler mehr und mehr naturwissenschaftlichen Themen zugewendet: "The Sleepwalkers: A History of Man's Changing Vision of the Universe" ("Die Nachtwandler", 1959), "The Lotus and the Robot" ("Von Heiligen und Automaten", 1960"), "The Case of Midwife Toad" ("Der Krötenküsser. Der Fall des Biologen Paul Kammerer", 1971). Koestler selbst schrieb 1980, in der ersten Hälfte seines Lebens sei er "auf der Suche nach Utopia" gewesen, in der zweiten Hälfte "auf der Suche nach einer Synthese". Diese (und weitere) naturwissenschaftlichen Studien nennt sein Biograph Buckard zwar, er geht aber nicht weiter auf sie ein, denn er ist speziell an Koestlers Auseinandersetzung mit seinem Judentum und an seinen zionistischen Verwicklungen interessiert ("Thieves in the Night", "Diebe in der Nacht", 1946).
Seit 1924 war Koestler mit dem radikal-zionistischen Agitator Vladimir Jabotinsky befreundet. Immer wieder lebte Koestler längere Zeit in Palästina (dessen Staatsbürgerschaft er bis 1948 besaß). Die jüdischen Terroristen in Palästina standen ihm näher als die schlappen "Assimilanten" im Exil. Koestlers Stellung zum Zionismus gipfelt in der These seines Israel-Buchs "Promise and Fulfilment" (1949): mit der Gründung des Staates Israel sei für alle Juden der Augenblick gekommen, sich entweder für Israel zu entscheiden und dorthin auszuwandern oder aber ihr Judentum in der Diaspora ganz aufzugeben, denn: "Der Großteil der Formulierungen und Begriffe des jüdischen Rituals sind seit dem 15. Mai 1948 bedeutungslos geworden." Nach Koestler hat die israelische Staatsgründung die jüdische Religion obsolet gemacht. Auch hier denkt Koestler in Extremen. Hat der Staat Israel den Europäer Koestler von seinem Judentum befreit? Koestler war immer, speziell im Hinblick auf die Juden, von einer unerhörten politischen Aufmerksamkeit und reagierte auf Ereignisse direkt und spontan. So war sein Roman "Arrival and Departure" ("Ein Mann springt in die Tiefe", 1943) der einzige literarische Text in dieser Zeit, der auf die planmäßige Vernichtung der europäischen Juden aufmerksam gemacht hat - auch wenn die Leserschaft Koestlers Bericht von den "gemischten Transporten" keinen Glauben schenkte.
In seinem Essay über Koestler schreibt George Orwell 1944, die Russische Revolution sei das Zentrum in Koestlers Leben, um das sich alle seine Bücher drehten. Diese Sicht ist heute als einseitig zu bezeichnen, doch auch Buckards Blickwinkel ist einseitig, denn der politische wie der naturwissenschaftliche Koestler sollte nicht zugunsten des jüdischen Autors vernachlässigt werden. Auf die Frage, ob er sich als Jude betrachte, sagte Koestler 1950: "Ich betrachte mich erstens als Mitglied der europäischen Gemeinschaft, zweitens als naturalisierten britischen Bürger unbestimmter mischrassiger Herkunft, der die ethischen Werte unserer hellenisch-judäo-christlichen Tradition akzeptiert und ihre Dogmen ablehnt."
Buckards Buch ist dennoch mit Gewinn zu lesen, denn es erzählt Koestlers palästinensisches und europäisches (in Ungarn, Österreich, Deutschland, Rußland, Frankreich und England) Leben detailliert, ohne jede Schnüffelei, mit der man bei Koestler fündig werden könnte, wie das Buch "Arthur Koestler: The Homeless Mind" von David Cesarani, 1999 zeigt (siehe F.A.Z vom 3. Mai 1999). Der Autor hat viel Archivmaterial und viele Interviews mit Personen, die Koestler kannten, ausgewertet. Es ist zu hoffen, daß diese Biographie das Interesse an Koestler in Deutschland neu belebt. Denn wie immer man zu Koestler als Person steht: Er ist ein faszinierender Autor, und als engagierter Zeitzeuge und Intellektueller könnte er in unserer an Intellektuellen armen Zeit ein Vorbild sein. Christian Buckards Biographie zeigt, daß die Wörter "extrem" und "radikal" als Charakteristika eines Journalisten wieder eine positive Bedeutung erlangen.
Christian Buckard: "Arthur Koestler". Ein extremes Leben 1905-1983. C.H. Beck Verlag, München 2004. 416 S., 34 Abb., geb., 26,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2004Verliebt in den Fünfjahresplan
Wie man extreme Ideen lebt: Zwischen Rausch und Nüchternheit, Treue und Verrat: Christian Buckard schreibt die Biographie Arthur Koestlers
Die Verlagerung des Blickwinkels vom kommunistischen zum jüdischen Renegaten, die Christian Buckard in seinem Abriss der Lebens- und Gedankenlinien Arthur Koestlers vornimmt, bietet gegenüber dem geläufigen Bild tatsächlich viel Neues. Aber von einer Biographie, die den vielseitigen Begabungen, erstaunlichen Wirkungen und widersprüchlichen Charakterzügen des Mannes gerecht würde, der zu den einflussreichsten Intellektuellen-Aktivisten des 20. Jahrhunderts gehörte, ist das weit entfernt. Den „letzten Renaissance-Menschen”, den George Mikes in seinem toten Budapester Freund sah, bekommen wir allenfalls von Ferne zu Gesicht.
Stattdessen dreht sich Buckards Darstellung fast vollständig um den „in einem assimilierten Milieu aufgewachsenen Juden” Koestler, oder genauer gesagt, um den „politisch engagierten jüdischen Intellektuellen”, der die extremen Ideen und Positionen seines Zeitalters nicht nur gedacht, sondern auch gelebt hat. Das hätte durchaus ein Ansatz zur biographischen Entschlüsselung sein können. Aber dann hätte man auch Psyche und Privatleben dieser zwiespältigen Heldennatur sorgfältiger und stimmiger zeichnen müssen, sein (ihm selbst) oft unbegreifliches Schwanken zwischen Schüchternheit und Draufgängertum, Promiskuität und Treue, Rausch und Nüchternheit, Menschlichkeit und Gewalt, Freundschaft und Verrat. Und man hätte Koestlers Neigung zu extremen Positionen, die er immer wieder wechselte und revidierte, und sein von Hassliebe geprägtes Judentum schon mit einer gewissen Kühnheit zusammendenken müssen. Stattdessen verliert sich Buckards Darstellung (die zu einem Gutteil aus israelischen Quellen geschöpft ist) in merkwürdig insiderhaften Erörterungen, ob sein Protagonist ein guter oder schlechter, ein treuer oder untreuer Jude gewesen sei.
Am Beginn der Karriere Koestlers als Journalist und Aktivist stand, mehr noch als seine Autobiographie preisgab, ein militanter Zionismus, den er als Schüler und dann auch Adjutant des „Revisionisten” Jabotinsky in scharfer Opposition gegen die humanistisch und sozialistisch verklärten Träumereien der zionistischen Pioniere vertrat. Es ging hier ganz unzweideutig um Gewinnung und Erschließung von Land und um kraftvolle, notfalls gewaltsame Selbstbehauptung in einer feindlichen Umwelt. Zugleich ging es beim Projekt der Besiedlung Palästinas aber auch um die Neuzüchtung der Juden als einer neuen Menschengattung oder Rasse, die die (zuweilen fast in antisemitischen Stereotypen beschriebenen) Schwächen und Deformationen der Diaspora-Juden durch harte körperliche Arbeit, im Kampf ums Dasein abstreifen sollten. Es war nicht reine Polemik, wenn linke Zionisten von „jüdischem Faschismus” sprachen und Jabotinsky in eine Reihe mit Mussolini stellten. Jedenfalls waren völkische oder eugenische Vorstellungen diesem Denken nicht fremd.
Wie allerdings aus dem militanten Rechtszionisten Koestler 1930/31 in Berlin - scheinbar über Nacht - der nicht weniger militante Parteikommunist und Komintern-Agent Koestler wurde, dafür liefert Buckard nur recht schwache Indizien. Mehr noch: Die gesamte epische Liebes- und Enttäuschungsgeschichte Koestlers mit dem Kommunismus und seine Wandlung zum prominenten „Renegaten”, als der er vor allem in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist (insbesondere durch seinen Schlüsselroman „Sonnenfinsternis” von 1940, in dem die innere Dialektik des stalinistischen Terrors und der Schauprozesse erstmals entziffert wurde), schrumpft in dieser Darstellung fast schon zur Episode.
Koestlers Wissenschaftsgläubigkeit soll Buckard zufolge die Brücke gebildet haben, über die er zur Kommunistischen Partei kam: „Er verliebte sich in den Fünfjahresplan.” Und der „wissenschaftliche” Marxismus-Leninismus sei ihm „zur Leitidee der Moderne” schlechthin geworden. Nur hatte er den Marxismus bis dahin noch kaum studiert. Woher dann so plötzlich? Hier gibt das Buch nur Fragen, kaum Antworten. Gewiss, da war der aufsteigende Nationalsozialismus, dem sich die Kommunisten durch eine forciert deutschnationale Rhetorik sowie durch offensive Positionen zur „jüdischen Frage” vielfältig anpassten. Buckard sieht, was Koestler betrifft, nur pure Inkonsequenz am Werk. Aber was, wenn die „Aufhebung des Judentums” auf dem Wege sozialistischer Einschmelzung, wie sie eine prominente Komintern-Schrift des österreichischen Kommunisten Otto Heller 1931 propagierte, nicht nur antisemitische Ressentiments der Massen, sondern auch verborgene Motive eines jüdischen Kommunisten und Ex-Zionisten ansprach?
Jedenfalls ließe sich von hier eine plausiblere Linie zu einigen späteren Positionswechseln Koestlers ziehen. So trat er nach dem arabischen Aufstand von 1937, noch immer als (geheimer) KP-Aktivist und zugleich Korrespondent bürgerlicher britischer Zeitungen, mit kompromissloser Härte und fortschrittlich drapierter Zivilisationsarroganz für die Erkämpfung eines eigenen jüdischen Staats in Palästina ein, notfalls auch mit den Mitteln eines jüdischen Gegenterrors. Noch expliziter äußerte er seine Sympathie mit den rechtszionistischenTerroristen der „Irgun” und „Lechi” nach 1945 und setzte ihnen in seinem Roman „Diebe in der Nacht” ein psychologisch stimmiges literarisches Denkmal. Aber als der junge Staat Israel sich 1947/48 in einem Rundumkrieg aus den blutigen Wirren des Weltkriegszeitalters und der Shoa als eine „jüdische Heimstatt” in Waffen konstituierte, forderte derselbe Koestler im Gegenzug die Diaspora-Juden auf, sich nunmehr der Kultur ihrer jeweiligen Länder bedingungslos anzuverwandeln. In Israel selbst sah er eine neue Hebräer-Rasse entstehen, vielfach blond, braun gebrannt und muskulös, und nicht länger „von des Gedankens Blässe angekränkelt”, wie es ihre europäischen Gründerväter noch waren. So war die Kehrseite des militanten Zionismus, der in Buckards Darstellung als der rote Faden im Leben Arthur Koestlers erscheint, ein ebenso radikaler Assimilationismus. So oder so ging es ihm um das „Ende des Judentums”, und damit (wie er hoffte) auch des Antisemitismus.
Diese Seite der Biographie Koestlers mit einer Überfülle an Material herausgearbeitet zu haben, ist der eigentliche Ertrag dieses Buches. Dass dabei nicht nur der Kommunist und Renegat Koestler, sondern auch der Naturwissenschaftler und Spiritist, der Psychologe und Para-Psychologe, der Atheist und Buddhist, der Don Juan und Sexualwissenschaftler, der Koestler in einer Person war, ziemlich kurz kommen, ist der Preis dieser Akzentuierung. So bleiben die eigenen Lebensbeschreibungen Arthur Koestlers (der „Pfeil ins Blaue” von 1952 und „Die Geheimschrift” von 1954), die als farbige Erzählungen zum Kernbestand der Literatur des 20. Jahrhunderts gehören, wie Buckard zu Recht schreibt, Fragmente „einer einzigartigen und faszinierenden Autobiographie, die leider nie geschrieben wurde”. Kurzum: Der Mann bleibt so rätselhaft wie dieses Zeitalter der Extreme selbst - in dem wir immer noch leben.
Christian Buckard
Arthur Koestler
Ein extremes Leben 1905-1983.
C. H. Beck Verlag, München 2004.
416 Seiten, 26,90 Euro.
Arthur Koestler in den siebziger Jahren vor seinem Sommerhaus in Alpbach. „Ich bin ein in Ungarn geborener, in Wien erzogener, in Frankreich verwurzelter, englischer Schriftsteller”, sagte er von sich selbst. Christian Buckard betrachtet ihn auch daraufhin, ob er auch ein guter Jude gewesen sei.
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Wie man extreme Ideen lebt: Zwischen Rausch und Nüchternheit, Treue und Verrat: Christian Buckard schreibt die Biographie Arthur Koestlers
Die Verlagerung des Blickwinkels vom kommunistischen zum jüdischen Renegaten, die Christian Buckard in seinem Abriss der Lebens- und Gedankenlinien Arthur Koestlers vornimmt, bietet gegenüber dem geläufigen Bild tatsächlich viel Neues. Aber von einer Biographie, die den vielseitigen Begabungen, erstaunlichen Wirkungen und widersprüchlichen Charakterzügen des Mannes gerecht würde, der zu den einflussreichsten Intellektuellen-Aktivisten des 20. Jahrhunderts gehörte, ist das weit entfernt. Den „letzten Renaissance-Menschen”, den George Mikes in seinem toten Budapester Freund sah, bekommen wir allenfalls von Ferne zu Gesicht.
Stattdessen dreht sich Buckards Darstellung fast vollständig um den „in einem assimilierten Milieu aufgewachsenen Juden” Koestler, oder genauer gesagt, um den „politisch engagierten jüdischen Intellektuellen”, der die extremen Ideen und Positionen seines Zeitalters nicht nur gedacht, sondern auch gelebt hat. Das hätte durchaus ein Ansatz zur biographischen Entschlüsselung sein können. Aber dann hätte man auch Psyche und Privatleben dieser zwiespältigen Heldennatur sorgfältiger und stimmiger zeichnen müssen, sein (ihm selbst) oft unbegreifliches Schwanken zwischen Schüchternheit und Draufgängertum, Promiskuität und Treue, Rausch und Nüchternheit, Menschlichkeit und Gewalt, Freundschaft und Verrat. Und man hätte Koestlers Neigung zu extremen Positionen, die er immer wieder wechselte und revidierte, und sein von Hassliebe geprägtes Judentum schon mit einer gewissen Kühnheit zusammendenken müssen. Stattdessen verliert sich Buckards Darstellung (die zu einem Gutteil aus israelischen Quellen geschöpft ist) in merkwürdig insiderhaften Erörterungen, ob sein Protagonist ein guter oder schlechter, ein treuer oder untreuer Jude gewesen sei.
Am Beginn der Karriere Koestlers als Journalist und Aktivist stand, mehr noch als seine Autobiographie preisgab, ein militanter Zionismus, den er als Schüler und dann auch Adjutant des „Revisionisten” Jabotinsky in scharfer Opposition gegen die humanistisch und sozialistisch verklärten Träumereien der zionistischen Pioniere vertrat. Es ging hier ganz unzweideutig um Gewinnung und Erschließung von Land und um kraftvolle, notfalls gewaltsame Selbstbehauptung in einer feindlichen Umwelt. Zugleich ging es beim Projekt der Besiedlung Palästinas aber auch um die Neuzüchtung der Juden als einer neuen Menschengattung oder Rasse, die die (zuweilen fast in antisemitischen Stereotypen beschriebenen) Schwächen und Deformationen der Diaspora-Juden durch harte körperliche Arbeit, im Kampf ums Dasein abstreifen sollten. Es war nicht reine Polemik, wenn linke Zionisten von „jüdischem Faschismus” sprachen und Jabotinsky in eine Reihe mit Mussolini stellten. Jedenfalls waren völkische oder eugenische Vorstellungen diesem Denken nicht fremd.
Wie allerdings aus dem militanten Rechtszionisten Koestler 1930/31 in Berlin - scheinbar über Nacht - der nicht weniger militante Parteikommunist und Komintern-Agent Koestler wurde, dafür liefert Buckard nur recht schwache Indizien. Mehr noch: Die gesamte epische Liebes- und Enttäuschungsgeschichte Koestlers mit dem Kommunismus und seine Wandlung zum prominenten „Renegaten”, als der er vor allem in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist (insbesondere durch seinen Schlüsselroman „Sonnenfinsternis” von 1940, in dem die innere Dialektik des stalinistischen Terrors und der Schauprozesse erstmals entziffert wurde), schrumpft in dieser Darstellung fast schon zur Episode.
Koestlers Wissenschaftsgläubigkeit soll Buckard zufolge die Brücke gebildet haben, über die er zur Kommunistischen Partei kam: „Er verliebte sich in den Fünfjahresplan.” Und der „wissenschaftliche” Marxismus-Leninismus sei ihm „zur Leitidee der Moderne” schlechthin geworden. Nur hatte er den Marxismus bis dahin noch kaum studiert. Woher dann so plötzlich? Hier gibt das Buch nur Fragen, kaum Antworten. Gewiss, da war der aufsteigende Nationalsozialismus, dem sich die Kommunisten durch eine forciert deutschnationale Rhetorik sowie durch offensive Positionen zur „jüdischen Frage” vielfältig anpassten. Buckard sieht, was Koestler betrifft, nur pure Inkonsequenz am Werk. Aber was, wenn die „Aufhebung des Judentums” auf dem Wege sozialistischer Einschmelzung, wie sie eine prominente Komintern-Schrift des österreichischen Kommunisten Otto Heller 1931 propagierte, nicht nur antisemitische Ressentiments der Massen, sondern auch verborgene Motive eines jüdischen Kommunisten und Ex-Zionisten ansprach?
Jedenfalls ließe sich von hier eine plausiblere Linie zu einigen späteren Positionswechseln Koestlers ziehen. So trat er nach dem arabischen Aufstand von 1937, noch immer als (geheimer) KP-Aktivist und zugleich Korrespondent bürgerlicher britischer Zeitungen, mit kompromissloser Härte und fortschrittlich drapierter Zivilisationsarroganz für die Erkämpfung eines eigenen jüdischen Staats in Palästina ein, notfalls auch mit den Mitteln eines jüdischen Gegenterrors. Noch expliziter äußerte er seine Sympathie mit den rechtszionistischenTerroristen der „Irgun” und „Lechi” nach 1945 und setzte ihnen in seinem Roman „Diebe in der Nacht” ein psychologisch stimmiges literarisches Denkmal. Aber als der junge Staat Israel sich 1947/48 in einem Rundumkrieg aus den blutigen Wirren des Weltkriegszeitalters und der Shoa als eine „jüdische Heimstatt” in Waffen konstituierte, forderte derselbe Koestler im Gegenzug die Diaspora-Juden auf, sich nunmehr der Kultur ihrer jeweiligen Länder bedingungslos anzuverwandeln. In Israel selbst sah er eine neue Hebräer-Rasse entstehen, vielfach blond, braun gebrannt und muskulös, und nicht länger „von des Gedankens Blässe angekränkelt”, wie es ihre europäischen Gründerväter noch waren. So war die Kehrseite des militanten Zionismus, der in Buckards Darstellung als der rote Faden im Leben Arthur Koestlers erscheint, ein ebenso radikaler Assimilationismus. So oder so ging es ihm um das „Ende des Judentums”, und damit (wie er hoffte) auch des Antisemitismus.
Diese Seite der Biographie Koestlers mit einer Überfülle an Material herausgearbeitet zu haben, ist der eigentliche Ertrag dieses Buches. Dass dabei nicht nur der Kommunist und Renegat Koestler, sondern auch der Naturwissenschaftler und Spiritist, der Psychologe und Para-Psychologe, der Atheist und Buddhist, der Don Juan und Sexualwissenschaftler, der Koestler in einer Person war, ziemlich kurz kommen, ist der Preis dieser Akzentuierung. So bleiben die eigenen Lebensbeschreibungen Arthur Koestlers (der „Pfeil ins Blaue” von 1952 und „Die Geheimschrift” von 1954), die als farbige Erzählungen zum Kernbestand der Literatur des 20. Jahrhunderts gehören, wie Buckard zu Recht schreibt, Fragmente „einer einzigartigen und faszinierenden Autobiographie, die leider nie geschrieben wurde”. Kurzum: Der Mann bleibt so rätselhaft wie dieses Zeitalter der Extreme selbst - in dem wir immer noch leben.
Christian Buckard
Arthur Koestler
Ein extremes Leben 1905-1983.
C. H. Beck Verlag, München 2004.
416 Seiten, 26,90 Euro.
Arthur Koestler in den siebziger Jahren vor seinem Sommerhaus in Alpbach. „Ich bin ein in Ungarn geborener, in Wien erzogener, in Frankreich verwurzelter, englischer Schriftsteller”, sagte er von sich selbst. Christian Buckard betrachtet ihn auch daraufhin, ob er auch ein guter Jude gewesen sei.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nicht wirklich überzeugt zeigt sich Rezensent Gerd Koenen von Christian Buckards Biografie Arthur Koestlers. Zwar hält er ihm zu Gute, mit seiner Verlagerung des Blickpunkts vom Kommunisten Koestler auf den Juden Koestler "viel Neues" zu Tage gefördert zu haben. Von einer Biografie aber, die dem vielseitig Begabten und Widersprüchlichen wirklich gerecht wird, ist diese Darstellung "weit entfernt", findet Koenen. Dass Buckard seinen Focus vor allem auf den in einem assimilierten Milieu aufgewachsenen Juden Koestler legt, hätte nach Ansicht Koenens durchaus ein Ansatz zur Entschlüsselung seines Lebens sein können, hätte er denn Psyche und Privatleben des Porträtierten "sorgfältiger und stimmiger" gezeichnet. Stattdessen bringe Buckard "merkwürdig insiderhafte Erörterungen" darüber, ob Koestler ein guter oder ein schlechter Jude gewesen sei. Auch im Blick auf Koestlers Hinwendung zum Marxismus und zur Kommunistischen Partei bleiben für Koenen viele Fragen offen. Als "eigentlichen Ertrag" des Buches sieht er die Akzentuierung von Koestlers radikalem Assimilationismus. Preis dieser Akzentuierung ist zum Bedauern des Rezensenten, dass die meisten anderen Aspekte der Person Koestler hier zu kurz kommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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