In seiner Studie über Arthur Schnitzler arbeitet Le Rider die zentralen Elemente im literarischen Werk des meistgelesenen Autors der Wiener Moderne heraus und beleuchtet die kritische Perspektive, die dieser in Bezug auf die gesellschaftlichen Konflikte der damaligen Zeit einnahm.Arthur Schnitzler (1862-1931) war einer der herausragenden Vertreter und kritischen Interpreten der Wiener Moderne. Schon in seiner Zeit als Arzt betätigte er sich als Schriftsteller und widmete sich später ganz dem Schreiben. Schnitzler hat den psychologischen Roman gleichsam revolutioniert, so dass sein ebenfalls in Wien wirkender Zeitgenosse und Freund Sigmund Freud ihm schrieb, er betrachte ihn als seinen Doppelgänger. Immer wieder haben seine Novellen Kinoverfilmungen angeregt (zuletzt Stanley Kubricks Eyes Wide Shut), und seine Theaterstücke werden auch heute noch auf allen europäischen Bühnen gespielt. Als Wiener Jude wurde Schnitzler, der die Lebensbedingungen der Juden zur damaligen Zeit mit großer Sensibilität thematisierte, häufig zur Zielscheibe antisemitischer Angriffe.
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Süddeutsche ZeitungLiebe, Traum, Tod
Willkommen: Jacques Le Rider über Arthur Schnitzler
Mit Arthur Schnitzler steht es merkwürdig. Kaum einer, der sich in der deutsch-österreichischen Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts auskennt, wird bestreiten, dass er zu den großen, ja größten Autoren der Epoche zu zählen ist. Der „Reigen”, der „Weg ins Freie”, das „Weite Land” sind regelmäßig zitierte Titel, die „Traumnovelle” – Stanley Kubrick sei Dank – wurde wiederentdeckt, aber wo ist die große Schnitzler-Biographie? Giuseppe Fareses solide Darstellung ist es nicht geworden, die Ulrich Weinzierls wollte es nicht werden und ist dennoch ein brillanter biographischer Essay, an dem man nicht vorbeigehen kann. Und wo ist die wissenschaftlich abgesicherte Ausgabe seiner Schriften? Während die alexandrinisch ausufernde Hofmannsthal-Ausgabe sich ihrem Abschluss nähert, müssen wir uns bei Schnitzler immer noch (mit Ausnahme der Tagebücher) mit einer Leseausgabe aus den sechziger Jahren begnügen – das widerspricht jedem Gerechtigkeitsempfinden.
In dieser Situation kommt Jacques Le Riders Buch gerade recht. Der französische Literaturwissenschaftler hat sich in einer ganzen Reihe von Büchern den gut begründeten Ruf eines eminenten Kenners der Wiener Jahrhundertwende erworben: über Otto Weininger, über Hofmannsthal, über Freuds Antikenbild, über die Tagebücher der Wiener Literaten wird man dort fundiert und abwechslungsreich informiert. Nun also Schnitzler – auch hier schöpft Le Rider aus der Fülle seines Wissens, das seine besonderen Schwerpunkte in der Rolle der Psychoanalyse über ihre therapeutischen Grenzen hinweg und in den verquälten Facetten der jüdischen Identität dieser Generation hat. Le Rider untersucht zunächst den Literaturbegriff Schnitzlers, stellt noch einmal die vielberufenen „Doppelgänger”-Gefühle zwischen Sigmund Freud und Schnitzler dar, verfolgt das Todesmotiv und die Patriarchatsthematik und lässt die Betrachtung mit einem Blick auf die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Schnitzler ausklingen. Schnitzlers jüdische Identität wird leider nur knapp gestreift.
Die Darstellung ist reich an Spiegelungen und Vergleichen, auch mit französischen Verhältnissen; immer wieder wünscht sich der Leser, sie möge an diesem und jenem Punkt länger verweilen, tiefer loten. Dem Buch ist anzumerken, dass es für ein französisches Publikum geschrieben ist, dem vieles erläutert, auch in Inhaltsangaben vorgestellt werden muss, was deutsch-österreichischen Schnitzler-Lesern vertraut sein dürfte.
Auch die Einführung des Begriffs „Belle Époque” im französischen wie im deutschen Titel hat diese Tendenz; die Begründung dafür, dass der bewährte Begriff des Fin de siècle aufgegeben wird für einen anderen, dessen umstandsloser Übertragung von Paris nach Wien sich doch gewisse Hindernisse in den Weg stellen dürften, wird im Text selbst nicht geliefert. Das Buch als Ganzes hinterlässt das Gefühl, man habe Vorstudien zu einer großen Darstellung des Schnitzlerschen Schaffens gelesen, und das ist ja nichts Geringes. Es fehlen nämlich nicht nur die große Biographie und die große Werkausgabe, sondern es fehlt eben auch diese große Darstellung. Jacques Le Rider vermittelt in seinem neuen Buch den Eindruck, dass seine immensen Kenntnisse des Wiener Fin de siècle und des Schnitzlerschen Werkes ihn zu dem prädestinierten Autor eines solchen Buches machen. Haben wir also noch etwas Geduld. JENS MALTE FISCHER
JACQUES LE RIDER: Arthur Schnitzler oder Die Wiener Belle Époque. Passagen Verlag, Wien 2007. 242 Seiten, 28 Euro.
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Willkommen: Jacques Le Rider über Arthur Schnitzler
Mit Arthur Schnitzler steht es merkwürdig. Kaum einer, der sich in der deutsch-österreichischen Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts auskennt, wird bestreiten, dass er zu den großen, ja größten Autoren der Epoche zu zählen ist. Der „Reigen”, der „Weg ins Freie”, das „Weite Land” sind regelmäßig zitierte Titel, die „Traumnovelle” – Stanley Kubrick sei Dank – wurde wiederentdeckt, aber wo ist die große Schnitzler-Biographie? Giuseppe Fareses solide Darstellung ist es nicht geworden, die Ulrich Weinzierls wollte es nicht werden und ist dennoch ein brillanter biographischer Essay, an dem man nicht vorbeigehen kann. Und wo ist die wissenschaftlich abgesicherte Ausgabe seiner Schriften? Während die alexandrinisch ausufernde Hofmannsthal-Ausgabe sich ihrem Abschluss nähert, müssen wir uns bei Schnitzler immer noch (mit Ausnahme der Tagebücher) mit einer Leseausgabe aus den sechziger Jahren begnügen – das widerspricht jedem Gerechtigkeitsempfinden.
In dieser Situation kommt Jacques Le Riders Buch gerade recht. Der französische Literaturwissenschaftler hat sich in einer ganzen Reihe von Büchern den gut begründeten Ruf eines eminenten Kenners der Wiener Jahrhundertwende erworben: über Otto Weininger, über Hofmannsthal, über Freuds Antikenbild, über die Tagebücher der Wiener Literaten wird man dort fundiert und abwechslungsreich informiert. Nun also Schnitzler – auch hier schöpft Le Rider aus der Fülle seines Wissens, das seine besonderen Schwerpunkte in der Rolle der Psychoanalyse über ihre therapeutischen Grenzen hinweg und in den verquälten Facetten der jüdischen Identität dieser Generation hat. Le Rider untersucht zunächst den Literaturbegriff Schnitzlers, stellt noch einmal die vielberufenen „Doppelgänger”-Gefühle zwischen Sigmund Freud und Schnitzler dar, verfolgt das Todesmotiv und die Patriarchatsthematik und lässt die Betrachtung mit einem Blick auf die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Schnitzler ausklingen. Schnitzlers jüdische Identität wird leider nur knapp gestreift.
Die Darstellung ist reich an Spiegelungen und Vergleichen, auch mit französischen Verhältnissen; immer wieder wünscht sich der Leser, sie möge an diesem und jenem Punkt länger verweilen, tiefer loten. Dem Buch ist anzumerken, dass es für ein französisches Publikum geschrieben ist, dem vieles erläutert, auch in Inhaltsangaben vorgestellt werden muss, was deutsch-österreichischen Schnitzler-Lesern vertraut sein dürfte.
Auch die Einführung des Begriffs „Belle Époque” im französischen wie im deutschen Titel hat diese Tendenz; die Begründung dafür, dass der bewährte Begriff des Fin de siècle aufgegeben wird für einen anderen, dessen umstandsloser Übertragung von Paris nach Wien sich doch gewisse Hindernisse in den Weg stellen dürften, wird im Text selbst nicht geliefert. Das Buch als Ganzes hinterlässt das Gefühl, man habe Vorstudien zu einer großen Darstellung des Schnitzlerschen Schaffens gelesen, und das ist ja nichts Geringes. Es fehlen nämlich nicht nur die große Biographie und die große Werkausgabe, sondern es fehlt eben auch diese große Darstellung. Jacques Le Rider vermittelt in seinem neuen Buch den Eindruck, dass seine immensen Kenntnisse des Wiener Fin de siècle und des Schnitzlerschen Werkes ihn zu dem prädestinierten Autor eines solchen Buches machen. Haben wir also noch etwas Geduld. JENS MALTE FISCHER
JACQUES LE RIDER: Arthur Schnitzler oder Die Wiener Belle Époque. Passagen Verlag, Wien 2007. 242 Seiten, 28 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit diesem Buch hat sich der französische Literaturwissenschaftler Jacques le Rider aus Sicht von Rezensent Jens Malte Fischer qualifiziert, die große, bislang noch fehlende Darstellung von Arthur Schnitzlers Leben und Schaffen zu schreiben. Das vorliegende Buch selbst nämlich sei diese Darstellung jedoch noch nicht. Vielmehr hatte der Rezensent beim Lesen stets das Gefühl, es mit einer Vorstudie dazu zu tun zu haben. Trotzdem kommt man der Einschätzung Fischers zufolge in Zukunft an diesem lesenswerten Werk nicht mehr vorbei. Er bescheinigt le Rider fundiertes Wissen, sowohl was die Epoche insgesamt als auch Schnitzlers Leben und Werk betrifft. Doch oft wünscht sich der Rezensent intensivere Betrachtungen einzelner Aspekte, beispielsweise von Schnitzlers jüdischer Identität. An den vielen Erläuterungen ihm vertrauter Themen und Komplexe merkt Fischer zudem, dass das Buch für ein französisches Publikum geschrieben wurde. Die in diesem Zusammenhang zustande gekommene Ersetzung des Begriffs "Fin de Siecle" durch "Belle Epoque" findet er dann auch nicht ganz unproblematisch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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