Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001Sagenhaft dunkle Nächte
Der erste Teil einer Trilogie um König Artus
Wenn ein Roman den Namen "Artus" trägt, so weiß man, daß sich die Handlung um den sagenhaften König Britanniens drehen muß. Seit acht Jahrhunderten, von Johann von Salisbury über Wolfram von Eschenbach, Mark Twain, T. H. White bis hin zu John Steinbeck und Marion Zimmer-Bradley, scheinen Schriftsteller von dem Mythos um Artus immer wieder gefesselt. Der Stoff eroberte Bühne und Leinwand und wurde vielfältig interpretiert, umgestaltet, parodiert. Auch wird allerlei Unfug mit der ach so mythisch-mystischen Vergangenheit Englands getrieben.
Die Sagenwelt um den verklärten Herrscher der Briten läßt sich grob in zwei Bereiche einteilen: einerseits seine angebliche Lebensgeschichte und auf der anderen Seite die Abenteuer der Tafelrunde, jenes Ritterkreises, den der Zauberer Merlin um Artus versammelt haben soll und dessen Hauptaufgabe die Suche nach dem Heiligen Gral ist. Oft ist auch beides mehr oder weniger kunstvoll miteinander verwoben. Kevin Crossley-Hollands Jugendroman "Artus. Der magische Spiegel" muß wohl eher ersterer Gattung zugerechnet werden. Allerdings versucht der Autor, einen neuen Zugang zu finden.
Wir schreiben das Jahr 1199. König Richard stirbt bei einem seiner zahlreichen Raubzüge in Frankreich, sein Bruder Johann besteigt den Thron, und der Papst in Rom ruft zum vierten Kreuzzug auf. Ort der Handlung ist das Grenzgebiet zwischen England und Wales. Das Herzogtum mit dem roten Drachen im Wappen ist noch nicht vollständig von England kolonialisiert. Auf den Gütern seines Vaters und seines Onkels wächst der dreizehnjährige Artus auf und träumt davon, einmal ein Ritter zu werden. Doch Serle, der älteste Sohn im Haus, dient bereits als Knappe, und Artus befürchtet, daß ihm die Laufbahn eines Mönches vorherbestimmt sein könnte. Er lernt bei dem Priester Oliver lesen und schreiben, ist mit dem geheimnisvollen alten Merlin befreundet und lauscht gerne den Geschichten der walisischen Großmutter.
Eines Tages schenkt ihm Merlin einen schwarzen Stein. Bald entdeckt Artus dessen magische Eigenschaften, der ihm wie ein Bildschirm die Geschichte von einem britischen König Uther, einer Königin Ygerna und einem Knaben namens Artus vorführt. Als er die Erwachsenen am Hof danach fragt, scheint niemand die Geschichte zu kennen, doch immer mehr Parallelen zwischen der Geschichte des Artus im Stein und seinem Leben werden ihm bewußt. Am Ende dieses ersten Bandes der angekündigten Trilogie steht der Aufbruch von Artus zum Kreuzzug. Seinen Zauberstein nimmt er mit sich.
Kevin Crossley-Holland zeichnet ein recht realistisches Bild des Lebens im ausgehenden 12. Jahrhundert. Die Nächte sind richtig dunkel, die Wälder gefährlich, ein Stück Schinken kann für manche eine freudige Überraschung, für viele aber unerschwinglich sein. Die christliche Kirche agiert in einer Welt des Unwissens, das sie selbst bisweilen fördert. Auf welcher Seite dabei der stärkere Aberglaube herrscht, muß der Leser selbst beantworten.
Das Leben in der Welt des Knaben Artus ist weniger abenteuerlich als in einem höfischen Roman der Zeit und um vieles beschwerlicher, aber mindestens genauso interessant und um einiges nachvollziehbarer geschildert. Der sympathische Roman wird als die eigene Geschichte des jungen Artus, des Ich-Erzählers, vorgestellt. Einige kleinere Ungereimtheiten in der Handlung können so bestehen bleiben, da sie auf Artus' Wissensstand basieren. Freilich führen der magische Stein und die undurchsichtige Figur des Merlin eindeutig, aber doch behutsam in die Welt des Phantastischen hinüber.
Auch dem jungen Leser, der mit dem Artusmythos vertraut ist, wird viel Bekanntes aus neuer Perspektive dargestellt. Im 12. Jahrhundert entstanden zwar die grundlegenden Werke der Artusdichtung, aber der Autor Crossley-Holland hält die Fiktion einer offenbar unbekannten Sagenwelt ziemlich glaubwürdig durch, auch wenn ihm das ein oder andere Mal die Erzählperspektiven verschwimmen. Umstände, die für den Leser oft schon lange klar sind - wie die Identität des Merlin im Stein -, erfaßt der Ich-Erzähler Artus unangebracht spät. Aber wenn man tatsächlich noch nie von der Tafelrunde gehört haben sollte, lernt man zusammen mit dem Knaben aus dem Hochmittelalter die angelsächsische Ausformung des Sagenkreises um König Artus Schritt für Schritt kennen.
Die ansprechende Aufmachung, die leichte Lesbarkeit, die gelungene Übersetzung und der Anhang mit Worterklärungen tragen zur Qualität des Buches bei. Noch ist die andere Welt nicht weiter als in die Augen des Titelhelden vorgedrungen. Wird das phantastische Element die Oberhand gewinnen? Ein wenig berechnend wirkt daher die Form der Trilogie, denn der Spannungsbogen wird auf die Fortsetzung hin aufgebaut. Als selbständiger Roman bleibt "Der magische Spiegel" trotz des flüssigen Stils ein bißchen unbefriedigend.
MARTIN LHOTZKY.
Kevin Crossley-Holland: "Artus. Der magische Spiegel". Aus dem Englischen übersetzt von Alexandra Ernst. Urachhaus Verlag, Stuttgart 2001. 338 S., geb., 34,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der erste Teil einer Trilogie um König Artus
Wenn ein Roman den Namen "Artus" trägt, so weiß man, daß sich die Handlung um den sagenhaften König Britanniens drehen muß. Seit acht Jahrhunderten, von Johann von Salisbury über Wolfram von Eschenbach, Mark Twain, T. H. White bis hin zu John Steinbeck und Marion Zimmer-Bradley, scheinen Schriftsteller von dem Mythos um Artus immer wieder gefesselt. Der Stoff eroberte Bühne und Leinwand und wurde vielfältig interpretiert, umgestaltet, parodiert. Auch wird allerlei Unfug mit der ach so mythisch-mystischen Vergangenheit Englands getrieben.
Die Sagenwelt um den verklärten Herrscher der Briten läßt sich grob in zwei Bereiche einteilen: einerseits seine angebliche Lebensgeschichte und auf der anderen Seite die Abenteuer der Tafelrunde, jenes Ritterkreises, den der Zauberer Merlin um Artus versammelt haben soll und dessen Hauptaufgabe die Suche nach dem Heiligen Gral ist. Oft ist auch beides mehr oder weniger kunstvoll miteinander verwoben. Kevin Crossley-Hollands Jugendroman "Artus. Der magische Spiegel" muß wohl eher ersterer Gattung zugerechnet werden. Allerdings versucht der Autor, einen neuen Zugang zu finden.
Wir schreiben das Jahr 1199. König Richard stirbt bei einem seiner zahlreichen Raubzüge in Frankreich, sein Bruder Johann besteigt den Thron, und der Papst in Rom ruft zum vierten Kreuzzug auf. Ort der Handlung ist das Grenzgebiet zwischen England und Wales. Das Herzogtum mit dem roten Drachen im Wappen ist noch nicht vollständig von England kolonialisiert. Auf den Gütern seines Vaters und seines Onkels wächst der dreizehnjährige Artus auf und träumt davon, einmal ein Ritter zu werden. Doch Serle, der älteste Sohn im Haus, dient bereits als Knappe, und Artus befürchtet, daß ihm die Laufbahn eines Mönches vorherbestimmt sein könnte. Er lernt bei dem Priester Oliver lesen und schreiben, ist mit dem geheimnisvollen alten Merlin befreundet und lauscht gerne den Geschichten der walisischen Großmutter.
Eines Tages schenkt ihm Merlin einen schwarzen Stein. Bald entdeckt Artus dessen magische Eigenschaften, der ihm wie ein Bildschirm die Geschichte von einem britischen König Uther, einer Königin Ygerna und einem Knaben namens Artus vorführt. Als er die Erwachsenen am Hof danach fragt, scheint niemand die Geschichte zu kennen, doch immer mehr Parallelen zwischen der Geschichte des Artus im Stein und seinem Leben werden ihm bewußt. Am Ende dieses ersten Bandes der angekündigten Trilogie steht der Aufbruch von Artus zum Kreuzzug. Seinen Zauberstein nimmt er mit sich.
Kevin Crossley-Holland zeichnet ein recht realistisches Bild des Lebens im ausgehenden 12. Jahrhundert. Die Nächte sind richtig dunkel, die Wälder gefährlich, ein Stück Schinken kann für manche eine freudige Überraschung, für viele aber unerschwinglich sein. Die christliche Kirche agiert in einer Welt des Unwissens, das sie selbst bisweilen fördert. Auf welcher Seite dabei der stärkere Aberglaube herrscht, muß der Leser selbst beantworten.
Das Leben in der Welt des Knaben Artus ist weniger abenteuerlich als in einem höfischen Roman der Zeit und um vieles beschwerlicher, aber mindestens genauso interessant und um einiges nachvollziehbarer geschildert. Der sympathische Roman wird als die eigene Geschichte des jungen Artus, des Ich-Erzählers, vorgestellt. Einige kleinere Ungereimtheiten in der Handlung können so bestehen bleiben, da sie auf Artus' Wissensstand basieren. Freilich führen der magische Stein und die undurchsichtige Figur des Merlin eindeutig, aber doch behutsam in die Welt des Phantastischen hinüber.
Auch dem jungen Leser, der mit dem Artusmythos vertraut ist, wird viel Bekanntes aus neuer Perspektive dargestellt. Im 12. Jahrhundert entstanden zwar die grundlegenden Werke der Artusdichtung, aber der Autor Crossley-Holland hält die Fiktion einer offenbar unbekannten Sagenwelt ziemlich glaubwürdig durch, auch wenn ihm das ein oder andere Mal die Erzählperspektiven verschwimmen. Umstände, die für den Leser oft schon lange klar sind - wie die Identität des Merlin im Stein -, erfaßt der Ich-Erzähler Artus unangebracht spät. Aber wenn man tatsächlich noch nie von der Tafelrunde gehört haben sollte, lernt man zusammen mit dem Knaben aus dem Hochmittelalter die angelsächsische Ausformung des Sagenkreises um König Artus Schritt für Schritt kennen.
Die ansprechende Aufmachung, die leichte Lesbarkeit, die gelungene Übersetzung und der Anhang mit Worterklärungen tragen zur Qualität des Buches bei. Noch ist die andere Welt nicht weiter als in die Augen des Titelhelden vorgedrungen. Wird das phantastische Element die Oberhand gewinnen? Ein wenig berechnend wirkt daher die Form der Trilogie, denn der Spannungsbogen wird auf die Fortsetzung hin aufgebaut. Als selbständiger Roman bleibt "Der magische Spiegel" trotz des flüssigen Stils ein bißchen unbefriedigend.
MARTIN LHOTZKY.
Kevin Crossley-Holland: "Artus. Der magische Spiegel". Aus dem Englischen übersetzt von Alexandra Ernst. Urachhaus Verlag, Stuttgart 2001. 338 S., geb., 34,- DM. Ab 12 J.
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