Der Volksschullehrer Asmus Semper wußte nicht so recht, ob er ein sehr glücklicher oder ein sehr unglücklicher Mann sei. In dem Augenblick, da diese Geschichte beginnt, war er jedenfalls ein sehr glücklicher Mann. Er saß nämlich im blank geputzten Wohnzimmer seiner Dreistubenwohnung und las den fünf Damen, die bei ihm Literaturunterricht nahmen, aus Gottfried August Bürgers Gedichten vor. Wie liebte er diesen Bürger, der so gar kein Bürger war, wie liebte er ihn um seines tiefen Unglücks willen! Wie er alle liebte, auf die der Pharisäer mit dem Finger zeigt. Wie er schon als Knabe den Esau geliebt hatte und nicht den Gottesgünstling Jakob, wie er Saul geliebt hatte und nicht das Schoßkind Jehovas: David. Wie einsam er gewesen sein mußte, dieser arme Amtmann von Altengleichen! Und wie es Asmussen zu diesem Einsamen hin drängte! Schiller hatte ihn nicht verstanden, wie Goethe den Kleist und den Uhland nicht verstanden hatte; er hatte seine Kunst mit den Worten und Überzeugungen eines anständigen Mannes verurteilt. Das war kein Verbrechen; Asmus liebte den Schiller darum nicht weniger. Jeder wirkliche Künstler ist ein einziger Gedanke der Natur, den unmöglich jeder begreifen kann, auch nicht jeder Künstler. Im Paradiesgarten der wahren Kunst ist keine Blume zweimal zu finden. Aber wenn er den Schiller um seines Irrtums willen nicht weniger liebte, so liebte er den »zügellosen« Bürger, den die Schulästhetiker in die Besserungsanstalt ihrer Literaturgeschichten steckten, um jener Rezension willen noch mit einer Extraliebe. Gewiß, er hatte Molly schon geliebt, als er noch mit Doretten nur verlobt war. Aber er konnte das Verlöbnis nicht brechen, ohne zugleich ein Herz zu brechen, er, der das schönste Lied an das Herz gesungen hat. Seine Schuld kam aus der Güte.
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