Längst hat die Frau, aufgewachsen am Fuss des Bristenstocks, das Reusstal verlassen, getrieben von der Lust auf Neues, jenseits der Grenzen. Sie geht durch fremde Strassen, lässt sich von Geräuschen und Gerüchen einfangen, sieht in unbekannte Gesichter, ahnt Freude und Schmerz, erkennt die Zeichen von Flucht und Zerstörung. Aufmerksam ist sie, reagiert sensibel auf die Flut von Eindrücken, äussert ihren Unmut über Ungerechtigkeiten. Leonor Gnos, die zwar eine Fremde in der Fremde ist, aber sich trotzdem mitten in der Grossstadt nicht allein fühlt, hat ihre Heimat in der Sprache gefunden. Und damit eine grosse Liebe. Zärtlich nähert sie sich der Fragilität der Worte an, tastet sie ab, befühlt ihren Kern. Mit den Mitteln der Sprache lassen sich Natur und Urbanes verschwistern, Räume und Zeiten zum erhellenden Nebeneinander fügen, sodass der Föhn mit dem Mistral ein Bündnis eingeht und das Meeresrauschen an die ungebärdige Reuss denken lässt. Hier wie dort, am kleinen Urner Himmel und am weiten des Midi, ziehen die Wolken dahin, für das Kind damals die stummen Träger der Sehnsucht. Heute folgt die Dichterin den Erinnerungsspuren, kehrt auf die Wege des Dorfes zurück, weckt das Gedächtnis an die Toten auf, die Eltern, die Freundin. Doch lastet keine Schwere auf den Zeilen, vielmehr betört Leonor Gnos mit der zauberhaften Leichtigkeit ihrer Bilder. Und schaut man genauer hin, regt sich in diesen Texten noch immer die Widerstandkraft eines Bergkinds.
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