»Eine Biografie, die alle bislang erschienenen in den Schatten stellt, auch weil darin eine Geschichte von Moderne und Modernisierung erzählt wird.« (Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung)
Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, Ronja Räubertochter und viele weitere - Astrid Lindgrens Figuren revolutionierten die Kinderliteratur. Schon zu Lebzeiten ließen sie die Autorin zu einer Legende werden, die als junge Frau ihren unehelichen Sohn zu Pflegeltern geben musste. Jahrzehntelang begleitete sie dieser Schmerz, sie engagierte sich bis ins hohe Alter für Frieden, Gerechtigkeit und die Rechte von Kindern und hat mit ihre Büchern Millionen Kinder glücklich gemacht.
Jens Andersen blickt in dieser ersten umfassenden Biografie nach Astrid Lindgrens Tod 2002 hinter die Fassade des weltweiten Erfolgs und erzählt das Leben der allseits geliebten Bestsellerautorin neu. Ein einfühlsam-respektvolles Buch, das uns den Menschen Astrid Lindgren zeigt, die bekannteste Geschichtenerzählerin der Welt, eine bedeutende politische Autorin und die Kämpferin für Menschenrechte.
Mit zahlreichen Abbildungen
»Ich finde, man sollte jeden Tag so behandeln, als wäre es der Einzige, den man hat. 'Dieser Tag, ein Leben.'« Astrid Lindgren
Ausstattung: mit farbigen Abb.
Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, Ronja Räubertochter und viele weitere - Astrid Lindgrens Figuren revolutionierten die Kinderliteratur. Schon zu Lebzeiten ließen sie die Autorin zu einer Legende werden, die als junge Frau ihren unehelichen Sohn zu Pflegeltern geben musste. Jahrzehntelang begleitete sie dieser Schmerz, sie engagierte sich bis ins hohe Alter für Frieden, Gerechtigkeit und die Rechte von Kindern und hat mit ihre Büchern Millionen Kinder glücklich gemacht.
Jens Andersen blickt in dieser ersten umfassenden Biografie nach Astrid Lindgrens Tod 2002 hinter die Fassade des weltweiten Erfolgs und erzählt das Leben der allseits geliebten Bestsellerautorin neu. Ein einfühlsam-respektvolles Buch, das uns den Menschen Astrid Lindgren zeigt, die bekannteste Geschichtenerzählerin der Welt, eine bedeutende politische Autorin und die Kämpferin für Menschenrechte.
Mit zahlreichen Abbildungen
»Ich finde, man sollte jeden Tag so behandeln, als wäre es der Einzige, den man hat. 'Dieser Tag, ein Leben.'« Astrid Lindgren
Ausstattung: mit farbigen Abb.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015Der Weltkrieg der Reptilien
In Briefen, Kriegstagebüchern und einer Biographie zeigt sich eine bislang unbekannte Astrid Lindgren.
Von Tilman Spreckelsen
Die Briefe kamen säckeweise, jedes Jahr wurden es mehr. Wildfremde Menschen baten Astrid Lindgren um Rat, manche auch um Geld, oder sie machten ihr Heiratsanträge. Die zwölfjährige Sara, die 1971 an die damals schon weltberühmte Autorin schrieb, hatte ein anderes Ziel: Sie wollte unbedingt Schauspielerin werden, und da auch Astrid Lindgrens Werke verfilmt worden waren, könnte sie bestimmt ein gutes Wort für Sara einlegen - "willst du mich glücklich machen?" war der Brief überschrieben, und am Ende stand, dass er von einem "sehr einsamen Mädchen" stamme.
Astrid Lindgren antwortete zwar, aber nicht wie erwünscht, so dass die junge Empfängerin den Brief zerriss und in der Toilette herunterspülte. Unter anderem fragte Lindgren Sara, die ihren Bewerbungsbrief mit dem Hinweis versehen hatte, wie schlecht alle Kinderschauspieler der Lindgren-Verfilmungen seien, ob sie sich eigentlich nicht vorstellen könnte, warum sie so einsam sei?
Der Briefwechsel, der trotzdem darauf folgte und am Ende etwa achtzig Schreiben umfasste, zeigt ein labiles, zwischen Arroganz und dem Gefühl eigener Wertlosigkeit schwankendes Mädchen und eine Autorin, die sich ihrer so einfühlsam und besorgt annimmt, als wären sie enge Freundinnen oder Verwandte - obwohl sie sich nie getroffen haben. Sie ringt um Sara, warnt sie vor Alkohol und Drogen, beschwört sie, die Schule nicht abzubrechen, und trifft den richtigen Ton. Vor allem aber kommentiert Lindgren die Eröffnungen Saras gern mit dem Hinweis auf eigene Erfahrungen im selben Alter. Und fragt die Dreizehnjährige sogar: "Kann ich Dir alles schreiben, was mir einfällt?"
Lindgrens Briefwechsel mit Sara Schwardt ist nur eines von drei jüngst erschienenen Büchern, die den Namen der berühmteste Kinderbuchautorin der Welt im Titel tragen. Weil keines von ihnen fiktional ist, versprechen sie einen neuen Blick auf die Frau, die "Pippi Langstrumpf" oder "Michel aus Lönneberga" schrieb, und das Interesse der erwachsenen Leser ist so groß, dass zwölf Jahre nach Lindgrens Tod wieder eines ihrer Bücher auf den Bestsellerlisten steht.
Es handelt sich um die Edition der sogenannten "Kriegstagebücher", die sie zwischen 1939 und 1945 führte - Notizen, die den Alltag der jungen Familie Lindgren ebenso wie die politischen und militärischen Ereignisse schildern. Ein drittes kommt hinzu: Astrid, seit 1931 mit dem Automobilclub-Funktionär Sture Lindgren verheiratet, sorgte nicht nur für ihre beiden Kinder Lasse und Karin, sondern arbeitete für eine schwedische Behörde, die den Postverkehr mit dem Ausland überwachte. Was sie dabei über die Verhältnisse in Europa lernte, die vielen deprimierenden und schockierenden Nachrichten etwa aus den von Hitler besetzten Gebieten, ergänzte die Zeitungsberichte, die in Schweden kursierten (F.A.Z. v. 13. Mai). Einige dieser Artikel und Fotos schnitt Lindgren aus und klebte sie ins Tagebuch. Sie schrieb Gedichte ab, referierte Nachrichten aus Stalingrad oder von der afrikanischen Front und notierte persönliche Katastrophen wie das Geständnis ihres Mannes, dass er eine Geliebte hätte und sich scheiden lassen wolle. Dazu kam es nicht, die familiären Verhältnisse wurden 1945 entschieden besser, und überhaupt fällt das Kriegsende zusammen mit dem rasanten Beginn einer beispiellosen Schriftstellerinnenkarriere: Lindgren gewann einen Literaturpreis für ein Jugendbuchmanuskript und reichte nun ein weiteres beim Verlag ein. Es enthielt die Abenteuer einer gewissen Pippi Langstrumpf, Geschichten, die Lindgren 1941 am Bett ihrer kranken Tochter Karin spontan erzählt und in den Folgejahren weiter ausgesponnen hatte. Auch in sie ist die Zeitgeschichte eingegangen - etwa in der Beschreibung eines Zirkusbesuchs, als Pippi im Ringkampf gegen den "starken Adolf" antritt und den aufgeblasenen Athleten im Nullkommanichts besiegt. Sehr zum Missvergnügen des Zirkusdirektors, der einen deutschen Akzent hat.
Nachzulesen ist das jetzt auch in Jens Andersens Astrid-Lindgren-Biographie, dem gewichtigsten unter den drei Bänden. Andersen zeichnet das Bild eines rebellischen Mädchens, geboren 1907, das in der Kleinstadt Vimmerby in der schwedischen Provinz Småland aufwächst - später wird das Bild dieser Gegend um die Welt gehen, liebevoll beschrieben von Lindgren in den "Bullerbü"- und "Michel"-Büchern und anderen mehr. Einen Aufsatz der Dreizehnjährigen legt ihr Lehrer dem Besitzer und Chefredakteur der lokalen Tageszeitung vor, der den Text druckt, später dessen Verfasserin als Volontärin einstellt und noch später eine Liebesbeziehung mit der dreißig Jahre Jüngeren beginnt. Astrid Ericsson wird schwanger, bringt das Kind in Dänemark zur Welt und verlässt dessen Vater, der sie gern geheiratet hätte. Ihr Sohn Lasse aber verbringt die ersten Jahre getrennt von der Mutter in Kopenhagen, und in einer gespenstischen Szene beschreibt der Biograph, wie Lasse, als er schon wieder bei seiner Mutter lebt, diese auffordert, dänisch mit ihm zu sprechen und so zu tun, als sei sie seine Pflegemutter.
Andersen betont, wie traumatisch Astrid Lindgren die Trennung von ihrem Sohn erlebt hat, und kaum zufällig wimmelt es im Werk dieser Autorin von vaterlosen Kindern. Explizit geht Andersen diesen Verbindungslinien aber nicht nach, so wie er sich insgesamt gern auf die Darstellung der Biographie zurückzieht, ohne sich in der Interpretation des Werks zu verlieren. Offensichtliches wird geschildert, aber nicht weiter ausgedeutet, etwa Lindgrens Bild vom Nationalsozialismus und vom Kommunismus als zwei urzeitliche Reptilien, die sich bekämpfen, in ihren Kriegstagebüchern - dreißig Jahre später kehrt das verwandelt in "Die Brüder Löwenherz" wieder, und vor dem Hintergrund der frühen Ausformung gewinnt der späte Märchenroman auf einmal eine politische Dimension.
Ein Beispiel für viele. Wer jedenfalls Lindgrens Werk weiter ausleuchten wollte, fände zahlreiche Ansätze dazu in Andersens materialreicher Biographie, Wegzeichen, denen der sonst so fleißige Autor offenbar nicht sehr viel weiter nachgehen wollte. Eine künftige Astrid-Lindgren-Forschung jedenfalls müsste exakt hier ansetzen: mit der Frage, welchen Anteil die erlebte Zeitgeschichte an der Gestaltung von Bullerbü, von Lönneberga, von Saltkrokan oder auch dem zum "Land der Dämmerung" umgeformten Stockholm einnimmt.
Jens Andersen: "Astrid Lindgren". Ihr Leben.
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 448 S., geb., Abb., 26,99 [Euro].
Astrid Lindgren/Sara Schwardt: "Deine Briefe lege ich unter die Matratze". Ein Briefwechsel 1971-2002.
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Oetinger Verlag, Hamburg 2015. 240 S., geb., 19,99 [Euro].
Astrid Lindgren: "Die Menschheit hat den Verstand verloren". Tagebücher 1939-1945.
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch und Gabriele Haefs. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 576 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Briefen, Kriegstagebüchern und einer Biographie zeigt sich eine bislang unbekannte Astrid Lindgren.
Von Tilman Spreckelsen
Die Briefe kamen säckeweise, jedes Jahr wurden es mehr. Wildfremde Menschen baten Astrid Lindgren um Rat, manche auch um Geld, oder sie machten ihr Heiratsanträge. Die zwölfjährige Sara, die 1971 an die damals schon weltberühmte Autorin schrieb, hatte ein anderes Ziel: Sie wollte unbedingt Schauspielerin werden, und da auch Astrid Lindgrens Werke verfilmt worden waren, könnte sie bestimmt ein gutes Wort für Sara einlegen - "willst du mich glücklich machen?" war der Brief überschrieben, und am Ende stand, dass er von einem "sehr einsamen Mädchen" stamme.
Astrid Lindgren antwortete zwar, aber nicht wie erwünscht, so dass die junge Empfängerin den Brief zerriss und in der Toilette herunterspülte. Unter anderem fragte Lindgren Sara, die ihren Bewerbungsbrief mit dem Hinweis versehen hatte, wie schlecht alle Kinderschauspieler der Lindgren-Verfilmungen seien, ob sie sich eigentlich nicht vorstellen könnte, warum sie so einsam sei?
Der Briefwechsel, der trotzdem darauf folgte und am Ende etwa achtzig Schreiben umfasste, zeigt ein labiles, zwischen Arroganz und dem Gefühl eigener Wertlosigkeit schwankendes Mädchen und eine Autorin, die sich ihrer so einfühlsam und besorgt annimmt, als wären sie enge Freundinnen oder Verwandte - obwohl sie sich nie getroffen haben. Sie ringt um Sara, warnt sie vor Alkohol und Drogen, beschwört sie, die Schule nicht abzubrechen, und trifft den richtigen Ton. Vor allem aber kommentiert Lindgren die Eröffnungen Saras gern mit dem Hinweis auf eigene Erfahrungen im selben Alter. Und fragt die Dreizehnjährige sogar: "Kann ich Dir alles schreiben, was mir einfällt?"
Lindgrens Briefwechsel mit Sara Schwardt ist nur eines von drei jüngst erschienenen Büchern, die den Namen der berühmteste Kinderbuchautorin der Welt im Titel tragen. Weil keines von ihnen fiktional ist, versprechen sie einen neuen Blick auf die Frau, die "Pippi Langstrumpf" oder "Michel aus Lönneberga" schrieb, und das Interesse der erwachsenen Leser ist so groß, dass zwölf Jahre nach Lindgrens Tod wieder eines ihrer Bücher auf den Bestsellerlisten steht.
Es handelt sich um die Edition der sogenannten "Kriegstagebücher", die sie zwischen 1939 und 1945 führte - Notizen, die den Alltag der jungen Familie Lindgren ebenso wie die politischen und militärischen Ereignisse schildern. Ein drittes kommt hinzu: Astrid, seit 1931 mit dem Automobilclub-Funktionär Sture Lindgren verheiratet, sorgte nicht nur für ihre beiden Kinder Lasse und Karin, sondern arbeitete für eine schwedische Behörde, die den Postverkehr mit dem Ausland überwachte. Was sie dabei über die Verhältnisse in Europa lernte, die vielen deprimierenden und schockierenden Nachrichten etwa aus den von Hitler besetzten Gebieten, ergänzte die Zeitungsberichte, die in Schweden kursierten (F.A.Z. v. 13. Mai). Einige dieser Artikel und Fotos schnitt Lindgren aus und klebte sie ins Tagebuch. Sie schrieb Gedichte ab, referierte Nachrichten aus Stalingrad oder von der afrikanischen Front und notierte persönliche Katastrophen wie das Geständnis ihres Mannes, dass er eine Geliebte hätte und sich scheiden lassen wolle. Dazu kam es nicht, die familiären Verhältnisse wurden 1945 entschieden besser, und überhaupt fällt das Kriegsende zusammen mit dem rasanten Beginn einer beispiellosen Schriftstellerinnenkarriere: Lindgren gewann einen Literaturpreis für ein Jugendbuchmanuskript und reichte nun ein weiteres beim Verlag ein. Es enthielt die Abenteuer einer gewissen Pippi Langstrumpf, Geschichten, die Lindgren 1941 am Bett ihrer kranken Tochter Karin spontan erzählt und in den Folgejahren weiter ausgesponnen hatte. Auch in sie ist die Zeitgeschichte eingegangen - etwa in der Beschreibung eines Zirkusbesuchs, als Pippi im Ringkampf gegen den "starken Adolf" antritt und den aufgeblasenen Athleten im Nullkommanichts besiegt. Sehr zum Missvergnügen des Zirkusdirektors, der einen deutschen Akzent hat.
Nachzulesen ist das jetzt auch in Jens Andersens Astrid-Lindgren-Biographie, dem gewichtigsten unter den drei Bänden. Andersen zeichnet das Bild eines rebellischen Mädchens, geboren 1907, das in der Kleinstadt Vimmerby in der schwedischen Provinz Småland aufwächst - später wird das Bild dieser Gegend um die Welt gehen, liebevoll beschrieben von Lindgren in den "Bullerbü"- und "Michel"-Büchern und anderen mehr. Einen Aufsatz der Dreizehnjährigen legt ihr Lehrer dem Besitzer und Chefredakteur der lokalen Tageszeitung vor, der den Text druckt, später dessen Verfasserin als Volontärin einstellt und noch später eine Liebesbeziehung mit der dreißig Jahre Jüngeren beginnt. Astrid Ericsson wird schwanger, bringt das Kind in Dänemark zur Welt und verlässt dessen Vater, der sie gern geheiratet hätte. Ihr Sohn Lasse aber verbringt die ersten Jahre getrennt von der Mutter in Kopenhagen, und in einer gespenstischen Szene beschreibt der Biograph, wie Lasse, als er schon wieder bei seiner Mutter lebt, diese auffordert, dänisch mit ihm zu sprechen und so zu tun, als sei sie seine Pflegemutter.
Andersen betont, wie traumatisch Astrid Lindgren die Trennung von ihrem Sohn erlebt hat, und kaum zufällig wimmelt es im Werk dieser Autorin von vaterlosen Kindern. Explizit geht Andersen diesen Verbindungslinien aber nicht nach, so wie er sich insgesamt gern auf die Darstellung der Biographie zurückzieht, ohne sich in der Interpretation des Werks zu verlieren. Offensichtliches wird geschildert, aber nicht weiter ausgedeutet, etwa Lindgrens Bild vom Nationalsozialismus und vom Kommunismus als zwei urzeitliche Reptilien, die sich bekämpfen, in ihren Kriegstagebüchern - dreißig Jahre später kehrt das verwandelt in "Die Brüder Löwenherz" wieder, und vor dem Hintergrund der frühen Ausformung gewinnt der späte Märchenroman auf einmal eine politische Dimension.
Ein Beispiel für viele. Wer jedenfalls Lindgrens Werk weiter ausleuchten wollte, fände zahlreiche Ansätze dazu in Andersens materialreicher Biographie, Wegzeichen, denen der sonst so fleißige Autor offenbar nicht sehr viel weiter nachgehen wollte. Eine künftige Astrid-Lindgren-Forschung jedenfalls müsste exakt hier ansetzen: mit der Frage, welchen Anteil die erlebte Zeitgeschichte an der Gestaltung von Bullerbü, von Lönneberga, von Saltkrokan oder auch dem zum "Land der Dämmerung" umgeformten Stockholm einnimmt.
Jens Andersen: "Astrid Lindgren". Ihr Leben.
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 448 S., geb., Abb., 26,99 [Euro].
Astrid Lindgren/Sara Schwardt: "Deine Briefe lege ich unter die Matratze". Ein Briefwechsel 1971-2002.
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Oetinger Verlag, Hamburg 2015. 240 S., geb., 19,99 [Euro].
Astrid Lindgren: "Die Menschheit hat den Verstand verloren". Tagebücher 1939-1945.
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch und Gabriele Haefs. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 576 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tilman Spreckelsen ist enttäuscht von Jens Andersens Lindgren-Biografie. Zwar beschreibt der Autor das Leben der Lindgren recht umfassend und schildert auch eine Reihe erhellender Momente - etwa wenn Lindgrens, die ersten Jahre bei Pflegeeltern aufgewachsener, dann aber bei ihr lebender Sohn sie auffordert, seine Pflegemutter zu spielen. Aber bei der Schilderung bleibt es auch, Interpretation ist nicht die Sache dieses Biografen, bedauert Spreckelsen. Er wünscht sich ein Buch, das dort ansetzt, wo Andersen aufhört und die "erlebte Zeitgeschichte" in Lindgrens Kinderbüchern sucht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.11.2015Gegen Gewalt und Demagogen
Eine neue Biografie der kämpferischen Astrid Lindgren
„Vollkommen glücklich bin ich wohl nur, wenn ich schreibe“, bekannte Astrid Lindgren 1958 ihrer deutschen Freundin Louise Hartung: „Damit meine ich nicht eine bestimmte Schaffensperiode, sondern genau die Augenblicke, in denen ich tatsächlich schreibe.“ Zu dieser Zeit hatte sich die 1907 geborene Autorin schon längst zur Chronisten ihres Lebens und ihrer Zeit entwickelt. Mit den Tagebucheinträgen über politische und persönliche Ereignisse, ihren zahllosen Briefen an Freunde und Verwandte, mit ihren Notizen in ihrem Haushaltsbuch über die Entwicklung der Kinder und der Korrespondenz als Lektorin bei Raben & Sjögren.
Für sein Buch „Astrid Lindgren. Ihr Leben“, sichtete Jens Andersen das riesige Archiv, wählte zahlreiche Zitate und Fotos aus. Und versuchte eine Verbindung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit als literarische Spur ihres Lebens darzustellen. Am Anfang begegnet man einer stürmischen, jugendlichen Astrid, die gegen das Leben in der smaländischen Kleinstadt rebelliert – eine Bauerntochter, die sich eine Zukunft als Journalistin wünscht und ein Volontariat in der Zeitung antritt. Ausführlich wird dargestellt, wie sie mit ihren Freundinnen Wandertouren unternimmt und darüber schreibt, dass sie sogar die Pianistin Elly Ney treffen, oder wie ein „gut gelaunter Deutscher auf ihr Wohl trinkt“. Der Autor lässt seiner Erzähllust viel Raum, er will nicht nur ein Lebens-, sondern auch ein Zeitbild entwerfen, das die Leser über die Persönlichkeit von Astrid Lindgren hinaus, mit der schwedischen Kultur- und Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, vertraut macht und eine Fundgrube für Skandinavisten sein dürfte.
Ein Motiv, das immer wieder in den Schriften und Reden Astrid Lindgrens auftaucht, ist der Einsatz für die Rechte von Frauen und Kindern Mit diesen Rechten musste sie sich schon als achtzehnjährige auseinandersetzen, denn sie wurde Mutter eines unehelichen Sohnes. Ein Skandal, der sie fluchtartig nach Stockholm aufbrechen ließ. Es hätte ihr nicht gefallen, dass Jens Andersen diesen Teil ihres Lebens so ausführlich darstellt, dem Vater des Kindes, dessen Existenz sie lange nicht preisgab, so viel Platz einräumt. Der Autor nutzt dieses vor der breiten Öffentlichkeit geheim gehaltene Ereignis – erst mit 70 Jahren sprach sie in der Biografie von Margareta Strömstedt darüber – für seine Theorie, dass Astrid Lindgren ein Leben lang von Schuldgefühlen geplagt war, weil sie ihren Sohn Lasse drei Jahre bei einer Pflegemutter in Kopenhagen untergebracht hatte. Schuldgefühle, die der wahre Grund für ihren unermüdlichen Einsatz für die Rechte der Kinder waren und sich nach Ansicht des Autors auch bei einigen Helden ihrer späteren Kinderbücher, zum Beispiel in „Mio, mein Mio“, zeigten.
Allmählich beginnt Astrid Lindgren dann literarische Texte zu verfassen, die sie auch zu Wettbewerben einreicht. Ihr Frühwerk, ihre ersten 15 Geschichten, die hier genau analysiert werden, sind wohl nur für die schwedische Literaturwissenschaft von Bedeutung. Sie hatte 1931 geheiratet, bekam ihr Tochter Karin, doch die Ehe gestaltete sich sehr viel schwieriger, als der Biograf hier andeutet. Sie lebte nun als Hausfrau und Mutter zweier Kinder und beobachtete, wie in ihren gerade auf Deutsch erschienenen Tagebüchern beschrieben, die politische Weltlage und später das Kriegsgeschehen, auch als Postkontrolleurin für den Geheimdienst.
Eine direkte Folge dieser Zeit war nach Andersen die Arbeit an Pippi Langstrumpf: „Die Figur Pippi Langstrumpf wurzelt in den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und in Astrid Lindgrens Abscheu vor Gewalt, Demagogen und totalitären Ideologien.“ Bis das Buch erschien, war es ein weiter, hier ausführlich beschriebener Weg durch die schwedische Verlagswelt, bei der auch die Bekanntschaft und spätere Freundschaft wichtiger Kulturvermittler wie der Kinderbibliothekarin Elsa Olenius half. So erschien nicht nur ihr gesamtes Werk bei Raben & Sjögren, sie wurde dort selbst als Cheflektorin der Kinderbuchabteilung eingestellt.
Der literarische Erfolg bringt es mit sich, dass Astrid Lindgren zunehmend zu einer wichtigen politischen Stimme in Schweden wird. So setzt sie sich gegen die überhöhte Steuern ein, kämpft gegen Atomkraft und Kinderpornografie. Wieder zieht ihr Biograf eine Parallele zu ihrem Werk: „Mit ,Ferien auf Saltkrokan‘ und nicht zuletzt ,Michel in der Suppenschüssel‘ begann Astrid Lindgren den letzten großen Abschnitt ihres Werks und ihres Lebens, in dem sie als Humanistin, Zivilisationskritikerin und politische Aktivistin auftrat.“ Erwähnt wird auch ihre berühmte Rede „Niemals Gewalt“ zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels – ansonsten gibt es wenig zu Astrid Lindgrens internationale Rolle, zu sehr hat Jens Andersen sie in der schwedischen Kulturgeschichte verankert. In Deutschland wurden nicht nur ihre Bücher begeistert gelesen. Durch ihre Vermittlung erschienen beim Oetinger Verlag auch wichtige Titel der skandinavischen Jugendliteratur, die in den siebziger und achtziger Jahren deutsche Autoren inspirierten.
In der Stofffülle dieser Biografie droht die Persönlichkeit Astrid Lindgrens manchmal zu verschwinden. Aber wenn man dann zu ihren Büchern greift, wird man wieder gepackt von ihrer Ironie, ihrem unsentimentalen Umgang mit ihrem Leben, ihrer Schlagfertigkeit. Auf die Frage, ob sie pädagogische Absichten mit ihren Büchern verfolge, antwortete sie noch als 90Jährige: „Nein, darauf pfeife ich“.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Jens Andersen: Astrid Lindgren. Ihr Leben. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 447 S., 26,99 Euro. E-Book 21,99 Euro. (Am Montag um 20 Uhr wird die Biografie in der LMU in München vorgestellt.)
„Niemals Gewalt“ hieß
ihre Rede bei der
Verleihung des Friedenspreises
Astrid Lindgren auf dem Sofa, Stenografie und Literatur verknüpfend.
Foto: DVA
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine neue Biografie der kämpferischen Astrid Lindgren
„Vollkommen glücklich bin ich wohl nur, wenn ich schreibe“, bekannte Astrid Lindgren 1958 ihrer deutschen Freundin Louise Hartung: „Damit meine ich nicht eine bestimmte Schaffensperiode, sondern genau die Augenblicke, in denen ich tatsächlich schreibe.“ Zu dieser Zeit hatte sich die 1907 geborene Autorin schon längst zur Chronisten ihres Lebens und ihrer Zeit entwickelt. Mit den Tagebucheinträgen über politische und persönliche Ereignisse, ihren zahllosen Briefen an Freunde und Verwandte, mit ihren Notizen in ihrem Haushaltsbuch über die Entwicklung der Kinder und der Korrespondenz als Lektorin bei Raben & Sjögren.
Für sein Buch „Astrid Lindgren. Ihr Leben“, sichtete Jens Andersen das riesige Archiv, wählte zahlreiche Zitate und Fotos aus. Und versuchte eine Verbindung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit als literarische Spur ihres Lebens darzustellen. Am Anfang begegnet man einer stürmischen, jugendlichen Astrid, die gegen das Leben in der smaländischen Kleinstadt rebelliert – eine Bauerntochter, die sich eine Zukunft als Journalistin wünscht und ein Volontariat in der Zeitung antritt. Ausführlich wird dargestellt, wie sie mit ihren Freundinnen Wandertouren unternimmt und darüber schreibt, dass sie sogar die Pianistin Elly Ney treffen, oder wie ein „gut gelaunter Deutscher auf ihr Wohl trinkt“. Der Autor lässt seiner Erzähllust viel Raum, er will nicht nur ein Lebens-, sondern auch ein Zeitbild entwerfen, das die Leser über die Persönlichkeit von Astrid Lindgren hinaus, mit der schwedischen Kultur- und Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, vertraut macht und eine Fundgrube für Skandinavisten sein dürfte.
Ein Motiv, das immer wieder in den Schriften und Reden Astrid Lindgrens auftaucht, ist der Einsatz für die Rechte von Frauen und Kindern Mit diesen Rechten musste sie sich schon als achtzehnjährige auseinandersetzen, denn sie wurde Mutter eines unehelichen Sohnes. Ein Skandal, der sie fluchtartig nach Stockholm aufbrechen ließ. Es hätte ihr nicht gefallen, dass Jens Andersen diesen Teil ihres Lebens so ausführlich darstellt, dem Vater des Kindes, dessen Existenz sie lange nicht preisgab, so viel Platz einräumt. Der Autor nutzt dieses vor der breiten Öffentlichkeit geheim gehaltene Ereignis – erst mit 70 Jahren sprach sie in der Biografie von Margareta Strömstedt darüber – für seine Theorie, dass Astrid Lindgren ein Leben lang von Schuldgefühlen geplagt war, weil sie ihren Sohn Lasse drei Jahre bei einer Pflegemutter in Kopenhagen untergebracht hatte. Schuldgefühle, die der wahre Grund für ihren unermüdlichen Einsatz für die Rechte der Kinder waren und sich nach Ansicht des Autors auch bei einigen Helden ihrer späteren Kinderbücher, zum Beispiel in „Mio, mein Mio“, zeigten.
Allmählich beginnt Astrid Lindgren dann literarische Texte zu verfassen, die sie auch zu Wettbewerben einreicht. Ihr Frühwerk, ihre ersten 15 Geschichten, die hier genau analysiert werden, sind wohl nur für die schwedische Literaturwissenschaft von Bedeutung. Sie hatte 1931 geheiratet, bekam ihr Tochter Karin, doch die Ehe gestaltete sich sehr viel schwieriger, als der Biograf hier andeutet. Sie lebte nun als Hausfrau und Mutter zweier Kinder und beobachtete, wie in ihren gerade auf Deutsch erschienenen Tagebüchern beschrieben, die politische Weltlage und später das Kriegsgeschehen, auch als Postkontrolleurin für den Geheimdienst.
Eine direkte Folge dieser Zeit war nach Andersen die Arbeit an Pippi Langstrumpf: „Die Figur Pippi Langstrumpf wurzelt in den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und in Astrid Lindgrens Abscheu vor Gewalt, Demagogen und totalitären Ideologien.“ Bis das Buch erschien, war es ein weiter, hier ausführlich beschriebener Weg durch die schwedische Verlagswelt, bei der auch die Bekanntschaft und spätere Freundschaft wichtiger Kulturvermittler wie der Kinderbibliothekarin Elsa Olenius half. So erschien nicht nur ihr gesamtes Werk bei Raben & Sjögren, sie wurde dort selbst als Cheflektorin der Kinderbuchabteilung eingestellt.
Der literarische Erfolg bringt es mit sich, dass Astrid Lindgren zunehmend zu einer wichtigen politischen Stimme in Schweden wird. So setzt sie sich gegen die überhöhte Steuern ein, kämpft gegen Atomkraft und Kinderpornografie. Wieder zieht ihr Biograf eine Parallele zu ihrem Werk: „Mit ,Ferien auf Saltkrokan‘ und nicht zuletzt ,Michel in der Suppenschüssel‘ begann Astrid Lindgren den letzten großen Abschnitt ihres Werks und ihres Lebens, in dem sie als Humanistin, Zivilisationskritikerin und politische Aktivistin auftrat.“ Erwähnt wird auch ihre berühmte Rede „Niemals Gewalt“ zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels – ansonsten gibt es wenig zu Astrid Lindgrens internationale Rolle, zu sehr hat Jens Andersen sie in der schwedischen Kulturgeschichte verankert. In Deutschland wurden nicht nur ihre Bücher begeistert gelesen. Durch ihre Vermittlung erschienen beim Oetinger Verlag auch wichtige Titel der skandinavischen Jugendliteratur, die in den siebziger und achtziger Jahren deutsche Autoren inspirierten.
In der Stofffülle dieser Biografie droht die Persönlichkeit Astrid Lindgrens manchmal zu verschwinden. Aber wenn man dann zu ihren Büchern greift, wird man wieder gepackt von ihrer Ironie, ihrem unsentimentalen Umgang mit ihrem Leben, ihrer Schlagfertigkeit. Auf die Frage, ob sie pädagogische Absichten mit ihren Büchern verfolge, antwortete sie noch als 90Jährige: „Nein, darauf pfeife ich“.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Jens Andersen: Astrid Lindgren. Ihr Leben. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 447 S., 26,99 Euro. E-Book 21,99 Euro. (Am Montag um 20 Uhr wird die Biografie in der LMU in München vorgestellt.)
„Niemals Gewalt“ hieß
ihre Rede bei der
Verleihung des Friedenspreises
Astrid Lindgren auf dem Sofa, Stenografie und Literatur verknüpfend.
Foto: DVA
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»Eine herausragende Biografie, deren Verfasser Jens Andersen [Astrid Lindgren] als eine Frau porträtiert, die ihrer Zeit aufgeschlossen begegnete.« Der Spiegel
»Lindgren fasziniert immer noch, als Ikone der Gleichberechtigung und des Feminismus, zu einer Zeit, als es diese Wörter noch gar nicht gab.« SR 2, 16.10.2015