Annie Leibovitz, die berühmteste lebende Photographin der Welt, hat für ihr neues Buch selbst zur Feder gegriffen, um ihre Erinnerungen festzuhalten, die sich mit ihrer Arbeit an den großen photographischen Bildern verbinden, denen sie ihren Weltruhm verdankt. Das Buch enthüllt 90 Leibovitz-Geschichten zu ebenso vielen großen Leibovitz-Photoikonen. Eine Dompteuse berühmter Menschen, die von Mick Jagger bis zu Königin Elisabeth II. alle Stufen menschlicher Exzentrik gezähmt und schließlich in bleibende Bilder gegossen hat, erinnert sich. Sie reflektiert dabei Möglichkeiten und Grenzen der Portraitphotographie als Kunst, als Karikatur und als Handwerk. Eine scharfsichtige Frau, sowohl Photokünstlerin als auch Unternehmerin, dazu in beiden Kategorien Weltspitze, gibt allen, die es hören wollen, erstmals einen ebenso lehrreichen wie amüsanten Einblick in ihre Ego- und Image-Schmiede und was es heißt 'to cast a character'!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2009In die Seele geblitzt
Fotografie: Bei Schirmer und Mosel erscheint ein prächtiger neuer Bildband über die beste Portraitfotografin der Welt, Annie Leibovitz
Wie ist das, die größte lebende Portraitfotografin zu sein? Wie fühlt sich das an? Wie arbeitet man? Und wann weiß man überhaupt, dass man im Olymp ist? Spätestens dann sicherlich, wenn man als Amerikanerin den Auftrag erhält, die Queen zu fotografieren. Letztes Jahr war es soweit. Annie Leibovitz trug ihr Equipment in den Buckingham Palast, schon einen Tag vor den exakt 25 Minuten, die ihr mit Elizabeth II. zugestanden wurden, und sie schaffte es, trotz der Kürze der Zeit und einer Verspätung der Queen vier wohl komponierte Aufnahmen zu liefern, glamourös und gleichzeitig gefühlvoll. Ein wenig verträumt und sehr freundlich wirkt die sonst so unnahbare Herrscherin, eine Aufnahme erinnert mit ihrem dramatischen Wolkenhintergrund an ein Gemälde von William Turner.
„Ich muss ja nicht unbedingt auf diesen Cupcake verzichten”, sagte die amerikanische Komikerin Tina Fey im Interview zu einem Reporter der amerikanischen Vanity Fair, zwei Tage, bevor Leibovitz sie für die aktuelle Titelgeschichte ablichten sollte; „Annie wird ja schließlich meine Seele fotografieren, nicht wahr?”
Und auch wenn das sarkastisch gemeint war, stimmt es irgendwie doch. Annie Leibovitz ist dafür bekannt, dass sie in ihren Bildern aus Menschen etwas herausholt, was man sonst selten sieht. Die Essenz ihrer Persönlichkeit. Oder bei Schauspielerin die Überhöhung der derzeitigen Rolle. Oder beides.
Arnold Schwarzenegger, wie er 1988 in weißer Hose grinsend auf einem Schimmel posiert. Demi Moore, die stolz ihren hochschwangeren Bauch präsentiert – 1991 löste das Coverfoto der Vanity Fair einen Skandal aus. Unvergessen auch das Foto von John Lennon in Embryoposition, der sich an eine angezogene Yoko kuschelt – am Tag seiner Ermordung, nur Stunden zuvor.
Wie der Weg zu den Ikonen der Fotografiegeschichte verlief, erzählt die 1949 geborene Fotografin in dem Buch „Annie Leibovitz at work” (Schirmer Mosel). Von den Serien, die auf der Kunstakademie in San Francisco entstanden, der Freiheit, die sie als Jungfotografin beim Rolling Stone hatte, von Tom Wolfe, Hunter S. Thompson und Andy Warhol und der legendären Tournee mit den Stones 1975, von den ersten Konzeptfotos mit Keith Haring oder den Blues Brothers, von Präsenz und Charisma (Nicole Kidman, Johnny Depp) und dem Spannungsverhältnis zwischen Inszenierung und Zufall. Und dem Wunsch, etwas Unvorhergesehenes zu erreichen, etwas, das man normalerweise nicht zu sehen bekäme. Auch das Buch schafft diese Tiefeneinsicht: in eine ungewöhnliche, faszinierende Künstlerpersönlichkeit. Nadine Barth
Sie will etwas zeigen, das man normalerweise nicht zu sehen kriegt.
Der Mann, Arnold Schwarzenegger, im Augenblick der künstlerischen Überhöhung und die Frau, Nicole Kidman, im Moment ihres größten Zweifels? Auf jeden Fall geht es Annie Leibovitz um einen raffinierten Mix aus Inszenierung und Zufall. Fotos: All Photographs © Annie Leibovitz, From Annie Leibovitz: At Work (Random House 2008); Contact Press Images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Fotografie: Bei Schirmer und Mosel erscheint ein prächtiger neuer Bildband über die beste Portraitfotografin der Welt, Annie Leibovitz
Wie ist das, die größte lebende Portraitfotografin zu sein? Wie fühlt sich das an? Wie arbeitet man? Und wann weiß man überhaupt, dass man im Olymp ist? Spätestens dann sicherlich, wenn man als Amerikanerin den Auftrag erhält, die Queen zu fotografieren. Letztes Jahr war es soweit. Annie Leibovitz trug ihr Equipment in den Buckingham Palast, schon einen Tag vor den exakt 25 Minuten, die ihr mit Elizabeth II. zugestanden wurden, und sie schaffte es, trotz der Kürze der Zeit und einer Verspätung der Queen vier wohl komponierte Aufnahmen zu liefern, glamourös und gleichzeitig gefühlvoll. Ein wenig verträumt und sehr freundlich wirkt die sonst so unnahbare Herrscherin, eine Aufnahme erinnert mit ihrem dramatischen Wolkenhintergrund an ein Gemälde von William Turner.
„Ich muss ja nicht unbedingt auf diesen Cupcake verzichten”, sagte die amerikanische Komikerin Tina Fey im Interview zu einem Reporter der amerikanischen Vanity Fair, zwei Tage, bevor Leibovitz sie für die aktuelle Titelgeschichte ablichten sollte; „Annie wird ja schließlich meine Seele fotografieren, nicht wahr?”
Und auch wenn das sarkastisch gemeint war, stimmt es irgendwie doch. Annie Leibovitz ist dafür bekannt, dass sie in ihren Bildern aus Menschen etwas herausholt, was man sonst selten sieht. Die Essenz ihrer Persönlichkeit. Oder bei Schauspielerin die Überhöhung der derzeitigen Rolle. Oder beides.
Arnold Schwarzenegger, wie er 1988 in weißer Hose grinsend auf einem Schimmel posiert. Demi Moore, die stolz ihren hochschwangeren Bauch präsentiert – 1991 löste das Coverfoto der Vanity Fair einen Skandal aus. Unvergessen auch das Foto von John Lennon in Embryoposition, der sich an eine angezogene Yoko kuschelt – am Tag seiner Ermordung, nur Stunden zuvor.
Wie der Weg zu den Ikonen der Fotografiegeschichte verlief, erzählt die 1949 geborene Fotografin in dem Buch „Annie Leibovitz at work” (Schirmer Mosel). Von den Serien, die auf der Kunstakademie in San Francisco entstanden, der Freiheit, die sie als Jungfotografin beim Rolling Stone hatte, von Tom Wolfe, Hunter S. Thompson und Andy Warhol und der legendären Tournee mit den Stones 1975, von den ersten Konzeptfotos mit Keith Haring oder den Blues Brothers, von Präsenz und Charisma (Nicole Kidman, Johnny Depp) und dem Spannungsverhältnis zwischen Inszenierung und Zufall. Und dem Wunsch, etwas Unvorhergesehenes zu erreichen, etwas, das man normalerweise nicht zu sehen bekäme. Auch das Buch schafft diese Tiefeneinsicht: in eine ungewöhnliche, faszinierende Künstlerpersönlichkeit. Nadine Barth
Sie will etwas zeigen, das man normalerweise nicht zu sehen kriegt.
Der Mann, Arnold Schwarzenegger, im Augenblick der künstlerischen Überhöhung und die Frau, Nicole Kidman, im Moment ihres größten Zweifels? Auf jeden Fall geht es Annie Leibovitz um einen raffinierten Mix aus Inszenierung und Zufall. Fotos: All Photographs © Annie Leibovitz, From Annie Leibovitz: At Work (Random House 2008); Contact Press Images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2009Erzählungen, keine Erklärungen
Die Banderole um das schön gestaltete Textbuch, das sich wie ein Kommentar zu der großen (in Berlin noch zu sehenden) Annie-Leibovitz-Ausstellung und dem Prachtband "A photographer's life 1990-2005" ausnimmt, lockt den Betrachter auf einen Holzweg. Ganz hinten im Buch, wo die Erzählungen der hochberühmten Fotografin scheinbar doch noch die Kurve zum Handwerklichen kriegen, begegnet uns das Bild "Annie mit Nick Rodgers, Houston, Texas, 2008" noch einmal, wesentlich kleiner. Da ist dann aber längstens klar: Es geht in "Annie Leibovitz bei der Arbeit" nicht wirklich um Stative oder Lichtschirme, nicht um die Verwendung von Belichtungsmesser und Softbox - obwohl es aufschlussreich ist, einen kurzen Blick auf das "Making-of" der Leibovitzschen (Selbst-)Inszenierungen zu werfen. Aber dieses Buch will, kann und wird nicht eines der berühmten Bilder entzaubern. (Gewöhnlich werden die Arbeiten von Annie Leibovitz als "Ikonen" bezeichnet; dahinter kann man den Versuch sehen, uns darüber hinwegzutrösten, wie viele unserer vermeintlich persönlichen visuellen Erinnerungen tatsächlich Fotografien der Amerikanerin sind.) Stattdessen reihen sich in den Erzählungen, die auch im Abstand von Jahrzehnten erstaunlich viele technische und situative Einzelheiten enthalten, Momente von wunderbarer Frische aneinander: glückliche Zufälle, Eingebungen, schöpferische Suchbewegungen, hartnäckiger Fleiß. Mittendrin eine Anmerkung zu der von allzu viel Technik befreiten Lebendigkeit: "Es stimmt zwar, dass die Kunst des Photographierens darauf beruht zu wissen, wie man das Beste aus der Kamera herausholt, aber ebenso trifft zu, dass es nur ein vorübergehender und nicht unbedingt lähmender Zustand ist, es nicht zu wissen."
py.
Annie Leibovitz at Work. Herausgegeben von Sharon DeLano, aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula Wulfekamp und Tanja Handels. 240 Seiten, 119 Farb- und Duotone-Tafeln, 106 farbige Illustrationen, Verlag Schirmer/Mosel, München 2008
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Banderole um das schön gestaltete Textbuch, das sich wie ein Kommentar zu der großen (in Berlin noch zu sehenden) Annie-Leibovitz-Ausstellung und dem Prachtband "A photographer's life 1990-2005" ausnimmt, lockt den Betrachter auf einen Holzweg. Ganz hinten im Buch, wo die Erzählungen der hochberühmten Fotografin scheinbar doch noch die Kurve zum Handwerklichen kriegen, begegnet uns das Bild "Annie mit Nick Rodgers, Houston, Texas, 2008" noch einmal, wesentlich kleiner. Da ist dann aber längstens klar: Es geht in "Annie Leibovitz bei der Arbeit" nicht wirklich um Stative oder Lichtschirme, nicht um die Verwendung von Belichtungsmesser und Softbox - obwohl es aufschlussreich ist, einen kurzen Blick auf das "Making-of" der Leibovitzschen (Selbst-)Inszenierungen zu werfen. Aber dieses Buch will, kann und wird nicht eines der berühmten Bilder entzaubern. (Gewöhnlich werden die Arbeiten von Annie Leibovitz als "Ikonen" bezeichnet; dahinter kann man den Versuch sehen, uns darüber hinwegzutrösten, wie viele unserer vermeintlich persönlichen visuellen Erinnerungen tatsächlich Fotografien der Amerikanerin sind.) Stattdessen reihen sich in den Erzählungen, die auch im Abstand von Jahrzehnten erstaunlich viele technische und situative Einzelheiten enthalten, Momente von wunderbarer Frische aneinander: glückliche Zufälle, Eingebungen, schöpferische Suchbewegungen, hartnäckiger Fleiß. Mittendrin eine Anmerkung zu der von allzu viel Technik befreiten Lebendigkeit: "Es stimmt zwar, dass die Kunst des Photographierens darauf beruht zu wissen, wie man das Beste aus der Kamera herausholt, aber ebenso trifft zu, dass es nur ein vorübergehender und nicht unbedingt lähmender Zustand ist, es nicht zu wissen."
py.
Annie Leibovitz at Work. Herausgegeben von Sharon DeLano, aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula Wulfekamp und Tanja Handels. 240 Seiten, 119 Farb- und Duotone-Tafeln, 106 farbige Illustrationen, Verlag Schirmer/Mosel, München 2008
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main