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Wohin geht das "Land der unbegrenzten Widersprüche"? Der bekannte Türkei-Experte und ehemalige Redaktionsleiter bei der Deutschen Welle, Baha Güngör, ist ein scharfer Verfechter der Presse- und Meinungsfreiheit. Er analysiert die aktuelle Lage in der Türkei, forscht nach deren Ursachen und erläutert mögliche künftige Entwicklungen. Ende der Meinungsfreiheit, Re-Islamisierung, Verfassungsumbau, abhängige Justiz und innere Säuberungen - führen sie die Türkei weg von Europa, NATO und Demokratie? Wie ist die breite Unterstützung für Präsident Erdogan zu erklären? Welche historischen Ursachen hat…mehr

Produktbeschreibung
Wohin geht das "Land der unbegrenzten Widersprüche"? Der bekannte Türkei-Experte und ehemalige Redaktionsleiter bei der Deutschen Welle, Baha Güngör, ist ein scharfer Verfechter der Presse- und Meinungsfreiheit. Er analysiert die aktuelle Lage in der Türkei, forscht nach deren Ursachen und erläutert mögliche künftige Entwicklungen. Ende der Meinungsfreiheit, Re-Islamisierung, Verfassungsumbau, abhängige Justiz und innere Säuberungen - führen sie die Türkei weg von Europa, NATO und Demokratie? Wie ist die breite Unterstützung für Präsident Erdogan zu erklären? Welche historischen Ursachen hat die heutige Situation? Und welche Mitverantwortung trägt der Westen am Zustand der türkischen Demokratie? Für Güngör ist es zu leicht, nur Erdogan zu verurteilen - er will erreichen, dass man dieses große Land am Bosporus, seine Gegensätze, Traditionen und historischen Umbrüche in Deutschland besser versteht.
Autorenporträt
Güngör, BahaBaha Güngör, geb. 1950 in Istanbul, kam 1961 nach Deutschland, studierte Betriebswirtschaft und ist seit 1976 als Journalist tätig. Er arbeitete für die Kölnische Rundschau, die Nachrichtenagentur Reuters und den Bonner General-Anzeiger, später - von 1984 bis 1999 - in Ankara, Istanbul und Athen, u. a. für die dpa und die WAZ und ab 1999 für die Deutsche Welle, wo er bis 2015 Leiter der türkischen Redaktion war.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2017

Wie die Türkei wurde, was sie ist

Er war einer der ersten Journalisten, die hierzulande zuverlässig über die Türkei berichteten. Von 1984 bis 1999 arbeitete Baha Güngör als dpa-Korrespondent in der Türkei, danach leitete er bis 2015 in Bonn die türkische Redaktion der Deutschen Welle. Sein Buch "Atatürks wütende Enkel" lebt von den Schilderungen des persönlich Erlebten, etwa wie er 1961, im Alter von elf Jahren, aus Istanbul nach Deutschland kam, und wie er von 1984 an, als noch kaum aus der Türkei berichtet wurde, die Politik und Gesellschaft des Landes erfahren hat. Anschaulich zeigt der Autor, wie gut und eng die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei damals waren.

Der Autor verspricht zu zeigen, wie die Türken "ticken". Das wird eher zwischen den Zeilen sichtbar. Vielmehr zeigt das Buch, dass die Entwicklungen in der Türkei nie zufällig waren, sondern nahezu zwangsläufig aus konkreten Konstellationen heraus entstanden sind. So zeichnet Güngör nach, wie die PKK aus der linksextremen Bewegung entstand, deren Führer in den siebziger Jahren verhaftet und gefoltert wurde.

Lesenswert sind die Passagen, in denen sich der Autor mit der "seit vielen Jahrzehnten schwelenden Ignoranz der kemalistischen Eliten, die sich unersetzlich und unangreifbar fühlten", auseinandersetzt. Er zeigt, wie die "Verknöcherung des Kemalismus", also der Staatsdoktrin Atatürks, die demokratischen Entfaltungsmöglichkeiten derart eingeschränkt hat, dass der Spruch "Yeter! Söz milletindir" (Es reicht! Dem Volk das Wort) zum wirksamsten Wahlslogan Erdogans werden konnte. Güngör erweckt den Eindruck, als habe Erdogan von Beginn an ein festes Ziel im Kopf gehabt, bleibt dafür aber einen Nachweis schuldig.

Zu Unrecht kommt Turgut Özal, der die Republik von 1983 bis 1993 als Ministerpräsident und Präsident geprägt hatte, zu schlecht weg. Der Autor sieht ihn lediglich als den Wegbereiter des Islamismus, Özal war aber mehr. Er demokratisierte die Türkei, ging auf die Kurden und andere Minderheiten zu, er liberalisierte die Wirtschaft und holte Investoren ins Land.

Einige Passagen sind stark, etwa wenn der Autor über die Kreativität und den Mut der langsam erstarkenden Frauenbewegung schreibt, andere ziehen sich mit zu vielen Details und ständigen Wiederholungen in die Länge. Etwas mehr Systematik und ein Index hätten dem durchaus lesenswerten Buch gutgetan.

RAINER HERMANN.

Baha Güngör: "Atatürks wütende Enkel". Die Türkei zwischen Demokratie und Demagogie. J. H. W. Dietz Verlag, Bonn 2017. 237 S., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2017

Der Keim der
Fehlentwicklung
Baha Güngör beschreibt den Weg
der Türkei Richtung Islamismus
Kein Wunder, dass Atatürks Enkel wütend sind, sie haben schon einiges mitgemacht. Baha Güngör, zwischen 1984 und 1999 Korrespondent für deutsche Medien in der Türkei, später Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn, kann ein Lied davon singen. Einiges von dem, was er in seiner Laufbahn erlebt hat, schildert er in seinem Buch „Atatürks wütende Enkel“ – etwa den Anwerbeversuch eines Agenten. Der 29. Januar 1986, schreibt Güngör, ist ihm unvergesslich: „Ich hatte nämlich völlig unerwartet die Wahl zwischen der Mitarbeit für den türkischen Geheimdienst MIT als Informant oder dem Risiko, irgendwann die Überlegenheit des türkischen Staates zu spüren zu bekommen.“
Zwar kann Güngör den Schlapphut abwehren, doch der Vorfall zieht allerlei diplomatische Verwicklungen nach sich. Es sind vor allem diese Passagen, in denen der in Istanbul geborene und in Aachen aufgewachsene Journalist aus seinem Fundus an Erlebnissen und Beobachtungen schöpft, die das Buch lesenswert machen. Bedrückend ist seine Schilderung der späten Siebziger, kurz vor dem Militärputsch 1980; damals kämpften auf den Straßen rechte und linke Extremisten, fast täglich gab es Tote. Wer das liest, versteht besser, warum es in dem Land eine tief sitzende Sehnsucht nach Stabilität gibt; und warum jemand, der – wie der heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan – Stabilität verspricht, die Menschen bei dieser Sehnsucht abholt.
Güngör zählt sich selbst zu den wütenden Enkeln Atatürks, zu denen, die den Kurs der religiös-konservativen Regierung ablehnen. Seine Kritik richtet sich aber nicht nur gegen Erdoğan, sondern auch gegen die kemalistischen Eliten; jahrelang hätten diese Fehler über Fehler gemacht und so den Aufstieg des politischen Islams erst ermöglicht. Breiten Raum nehmen die Achtziger- und Neunzigerjahre ein, in denen der Keim für viele Fehlentwicklungen gesät worden sei; Turgut Özal, der die Republik von 1983 bis 1993 als Premier und Präsident geprägt hat, sieht Güngör als Wegbereiter des Islamismus.
Das alles ist durchaus lebendig aufgeschrieben, zugleich zeigt sich hier eine Schwäche des Buches: Entwicklungen, die teils Jahrzehnte zurückliegen, nehmen viel Raum ein, die Gegenwart wird eher knapp abgehandelt. Vieles wird nicht chronologisch erzählt, was das Verständnis erschwert; Leser, die sich noch nicht intensiv mit der Türkei befasst haben, dürften sich mit der oft unsystematischen Analyse schwertun. Unbefriedigend auch das Kapitel zur Gülen-Bewegung – Güngör hegt erkennbares Misstrauen gegen die „Gülenisten“, wie es aber zum Bruch zwischen Erdoğan und dem Prediger Fethullah Gülen kam, dieser Frage widmet er kaum eine Zeile. Dafür belohnt Güngör den Leser mit einem unaufgeregten Ton – viel wert in Zeiten der deutsch-türkischen Hysterie – und Einblicken, die nur geben kann, wer über Jahrzehnte nah dran war am politischen Geschehen.
LUISA SEELING
Baha Güngör:
Atatürks wütende Enkel.
Die Türkei zwischen
Demokratie und
Demagogie, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 2017, 240 Seiten, 19,90 Euro.
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