Produktdetails
- Joseph Görres - Gesammelte Schriften
- Verlag: Brill Schöningh / Verlag Ferdinand Schöningh
- Artikelnr. des Verlages: 1918674
- Seitenzahl: 187
- Deutsch
- Abmessung: 239mm x 184mm x 22mm
- Gewicht: 467g
- ISBN-13: 9783506735171
- ISBN-10: 3506735179
- Artikelnr.: 24364937
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Frankfurter Allgemeine ZeitungNa, das knallt aber gewaltig
Wie Joseph Görres eine publizistische Rakete steigen ließ
"Die Kölner Geschichte gleicht einer Rakete, welche zwischen Heu- und Pulvermagazine geflogen ist, und nun geht das Brennen und das Knallen los", bemerkte Clemens Metternich unter dem Eindruck der Unruhen, die die Verhaftung des Erzbischofs Clemens August Droste von Vischering am 20. November 1837 durch preußisches Militär verursacht hatte. Der gemeine Christenhaufen, wie sehr weltfrohe Kirchenfürsten die ihnen anvertrauten Gläubigen nannten, war zur Überraschung der Oberhirten in helle Aufregung geraten. Das verschlug ihnen die Sprache. Heftige Gemütsaufwallungen mißfielen ihnen als Unregelmäßigkeiten ebenso wie dem österreichischen Staatskanzler. "Märtyrer" waren nicht erwünscht bei den Buhlereien politischer Kleriker mit der Staatsgewalt, die es sich in der rechten Mitte, im juste milieu, behaglich machten, wie Joseph Görres ihnen grimmig vorwarf. Diesem kam die "Kölner Geschichte" hingegen sehr gelegen, bot sie ihm doch eine spektakuläre Möglichkeit, Bischöfe aufzuschrecken, die sich damit begnügten, die Kirche als eine staatliche Anstalt zur Verteilung sozialer Beruhigungsmittel zu verstehen. Mit seiner mächtigen Polemik "Athanasius", die im Januar 1838 in erster Auflage erschien - drei weitere folgten unmittelbar hintereinander -, sorgte er dafür, daß an einen eleganten Kompromiß gar nicht mehr zu denken war. Sie ist jetzt wieder zugänglich in der Ausgabe der Gesammelten Schriften.
"Athanasius" heißt die Schrift in Erinnerung an den Bischof von Alexandria, der sich im vierten Jahrhundert hartnäckig gegen weltlich-kaiserliche Bevormundung wehrte. Görres verteidigte vehement den eigensinnigen und wenig diplomatischen Kölner Erzbischof. Ihm ging es um die Freiheit der Kirche, die als Ordnung eigener Legitimität neben dem Staat steht, ihm nicht untergeordnet, sondern als gleichberechtigte civitas zugeordnet. Mit der Freiheit der Kirche sah er die Freiheit eines jeden Christenmenschen verknüpft, seinen Glauben zu bekennen. Die Freiheit galt ihm aber nicht allein als eine seelisch selbstgenügsame, als innere Unabhängigkeit. Er faßte sie im Rechtsstaat als eine rechtlich zu garantierende auf. Denn der nach seinem Glauben Lebende muß gleichberechtigt wie alle übrigen Bürger sein, darf in seinen staatsbürgerlichen Rechten nicht benachteiligt werden. Toleranz, bloße Duldung innerer Überzeugungen, erschien Görres zuwenig. Er verlangte staatsbürgerliche Parität, Gleichstellung des Katholiken mit den Protestanten in Preußen.
Die rechtlich verbriefte Freiheit der Kirche als göttlicher Einrichtung betrachtete er als Voraussetzung für die Rechtssicherheit christlich-katholischer Staatsbürgerlichkeit. Denn die Kirche als selbständige Institution, dem Staate gleichgestellt, konnte vertraglich jedem ihrer Angehörigen seine religiösen wie bürgerlichen Rechte sichern. Indem Görres die Selbständigkeit der Kirche verteidigte, griff er zugleich die deutschen Repräsentanten dieser heiligen Rechtsgemeinschaft an. Sie hatten es sich in der Kollaboration mit dem Staat, mit der Welt als Gesellschaft, bequem gemacht. Görres hielt es für eine trostlose Verkürzung des christlichen Lebens, sich in Bildung zur allgemeinen Menschlichkeit zu erschöpfen, unermüdlich bestrebt, in der Sozialpartnerschaft zur Glückseligkeit der Vernünftigen im Vernunftstaat beizutragen. Daß Bischöfe und katholische Monarchen, nicht nur der preußische, sich darauf verständigten, erbitterte ihn und die Laien, die vom Christentum eine etwas anspruchsvollere Vorstellung besaßen. Seine Schrift steht am Anfang einer erstaunlichen Erneuerung, die das gesamte Kirchenvolk ergriff. Eine aufgebrachte Herde - die erste Massenbewegung in Deutschland - brachte alsbald die vorerst verwirrten Hirten zur Besinnung.
Mehr an ihnen als am preußischen Staat lag es, daß sich die preußischen Behörden die Verhaftung eines Erzbischofs erlauben konnten. Jahrzehntelang hatten sie in der Frage der Mischehen und der religiösen Erziehung der Kinder eine "menschenfreundliche", das heißt inkonsequente Praxis geduldet oder empfohlen. Das preußische Ministerium durfte durchaus verwundert sein, daß Droste von Vischering auf einmal von kirchenrechtlichen Grundsätzen sprach, die nicht einmal die Päpste, um schlimmeren Übeln auszuweichen, allzu streng beachtet wissen wollten, also, daß die Kinder solcher Ehen auf jeden Fall katholisch werden müßten. Das Kirchenrecht sollte freundliche Mitmenschlichkeit nicht stören. Außerdem waren sich deutsche Bischöfe darin einig, dem finsteren Geist, der zu Rom sein Wesen treibe, nicht allzuviel Beachtung zu schenken, obschon Rom nur sehr zaghaft deutschen humanistischen Stimmungen entgegentrat. Ein preußischer Erzbischof, der von Breslau, wurde lieber Protestant im Zusammenhang dieser Affäre, als sich den Rechtsvorstellungen Roms zu beugen.
Der laxen Praxis bei den Mischehen entsprach eine laxe Theorie, für die der Bonner Professor Hermes berühmt und allmählich berüchtigt wurde. Er hielt dafür, daß nur geglaubt werden könne, was die Vernunft dem Glauben als wahr empfehle. Die Bonner Universität gehört zur Erzdiözese Köln. Droste von Vischering, ein frommer, aber theologisch-spekulativ recht schlichter Geist, bekämpfte diesen feingebildeten Professor und seine Schüler, die vor allem in Österreich an Einfluß gewannen. Er bekämpfte, übrigens rechtlich durchaus fragwürdig, die theologische Ausbildung in Bonn und erlaubte sich dabei Übergriffe, die der Staat nicht mit Nachsicht behandeln konnte. Die Einzelheiten dieser beiden Auseinandersetzungen, die sich früher je auf ihre Art in halbwegs gutem Einvernehmen hätten lösen lassen, schildert Görres umständlich in seiner Polemik, die dazu beitrug, daß der Konfessionalismus mit nicht mehr gewohnter Schärfe abermals ausbrach. Zum Heil des Katholizismus, sogar zum Heil des Protestantismus, der sich auf seine eigenen Grundlagen besann, nicht unbedingt zum Vorteil des geselligen Zusammenlebens in Deutschland.
Die Folgen dieser Schrift sind viel interessanter als sie selber. Görres "erweckte" das katholische Deutschland und löste es aus einer freundlichen Verbindung mit der es umgebenden Lebens- und Bildungskultur. Er ermöglichte es, daß der Katholizismus hier wie in England, in Frankreich oder in Italien wieder zu einer intellektuellen Macht wurde, zu einer sozialen, aber zugleich zwang er die anderen dazu, sich dieser Macht zu erwehren. Mit ihm beginnt der "Kulturkampf", den forderte er heraus. Denn es waren die Liberalen, die in der willkürlichen Verhaftung eines Bischofs den Triumph der Freiheit und des Rechtes erblickten. Die Feinde der Kirche verloren 1837 wie später ihre Feldzüge. Die Katholiken in Deutschland sind der Auseinandersetzung allerdings längst müde geworden. Sie möchten wieder als Organisation wichtig genommen werden, wie Gewerkschaften, Parteien oder beliebige Verbände. Von sich als Kirche haben sie keine prägnante Vorstellung. Die neue Auflage einer ehedem fulminanten, mittlerweile doch sehr schwerfälligen Schrift dürfte deutsche Katholiken kaum noch anregen. Aber sie könnte sie zu der Überlegung veranlassen, warum heute kein Görres seiner Kirche Mut zuspricht. EBERHARD STRAUB
Joseph Görres: "Athanasius". Schriften zum Kölner Ereignis 1. Bearbeitet von Heinz Hürten. Gesammelte Schriften, Band 17. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1998. 197 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Joseph Görres eine publizistische Rakete steigen ließ
"Die Kölner Geschichte gleicht einer Rakete, welche zwischen Heu- und Pulvermagazine geflogen ist, und nun geht das Brennen und das Knallen los", bemerkte Clemens Metternich unter dem Eindruck der Unruhen, die die Verhaftung des Erzbischofs Clemens August Droste von Vischering am 20. November 1837 durch preußisches Militär verursacht hatte. Der gemeine Christenhaufen, wie sehr weltfrohe Kirchenfürsten die ihnen anvertrauten Gläubigen nannten, war zur Überraschung der Oberhirten in helle Aufregung geraten. Das verschlug ihnen die Sprache. Heftige Gemütsaufwallungen mißfielen ihnen als Unregelmäßigkeiten ebenso wie dem österreichischen Staatskanzler. "Märtyrer" waren nicht erwünscht bei den Buhlereien politischer Kleriker mit der Staatsgewalt, die es sich in der rechten Mitte, im juste milieu, behaglich machten, wie Joseph Görres ihnen grimmig vorwarf. Diesem kam die "Kölner Geschichte" hingegen sehr gelegen, bot sie ihm doch eine spektakuläre Möglichkeit, Bischöfe aufzuschrecken, die sich damit begnügten, die Kirche als eine staatliche Anstalt zur Verteilung sozialer Beruhigungsmittel zu verstehen. Mit seiner mächtigen Polemik "Athanasius", die im Januar 1838 in erster Auflage erschien - drei weitere folgten unmittelbar hintereinander -, sorgte er dafür, daß an einen eleganten Kompromiß gar nicht mehr zu denken war. Sie ist jetzt wieder zugänglich in der Ausgabe der Gesammelten Schriften.
"Athanasius" heißt die Schrift in Erinnerung an den Bischof von Alexandria, der sich im vierten Jahrhundert hartnäckig gegen weltlich-kaiserliche Bevormundung wehrte. Görres verteidigte vehement den eigensinnigen und wenig diplomatischen Kölner Erzbischof. Ihm ging es um die Freiheit der Kirche, die als Ordnung eigener Legitimität neben dem Staat steht, ihm nicht untergeordnet, sondern als gleichberechtigte civitas zugeordnet. Mit der Freiheit der Kirche sah er die Freiheit eines jeden Christenmenschen verknüpft, seinen Glauben zu bekennen. Die Freiheit galt ihm aber nicht allein als eine seelisch selbstgenügsame, als innere Unabhängigkeit. Er faßte sie im Rechtsstaat als eine rechtlich zu garantierende auf. Denn der nach seinem Glauben Lebende muß gleichberechtigt wie alle übrigen Bürger sein, darf in seinen staatsbürgerlichen Rechten nicht benachteiligt werden. Toleranz, bloße Duldung innerer Überzeugungen, erschien Görres zuwenig. Er verlangte staatsbürgerliche Parität, Gleichstellung des Katholiken mit den Protestanten in Preußen.
Die rechtlich verbriefte Freiheit der Kirche als göttlicher Einrichtung betrachtete er als Voraussetzung für die Rechtssicherheit christlich-katholischer Staatsbürgerlichkeit. Denn die Kirche als selbständige Institution, dem Staate gleichgestellt, konnte vertraglich jedem ihrer Angehörigen seine religiösen wie bürgerlichen Rechte sichern. Indem Görres die Selbständigkeit der Kirche verteidigte, griff er zugleich die deutschen Repräsentanten dieser heiligen Rechtsgemeinschaft an. Sie hatten es sich in der Kollaboration mit dem Staat, mit der Welt als Gesellschaft, bequem gemacht. Görres hielt es für eine trostlose Verkürzung des christlichen Lebens, sich in Bildung zur allgemeinen Menschlichkeit zu erschöpfen, unermüdlich bestrebt, in der Sozialpartnerschaft zur Glückseligkeit der Vernünftigen im Vernunftstaat beizutragen. Daß Bischöfe und katholische Monarchen, nicht nur der preußische, sich darauf verständigten, erbitterte ihn und die Laien, die vom Christentum eine etwas anspruchsvollere Vorstellung besaßen. Seine Schrift steht am Anfang einer erstaunlichen Erneuerung, die das gesamte Kirchenvolk ergriff. Eine aufgebrachte Herde - die erste Massenbewegung in Deutschland - brachte alsbald die vorerst verwirrten Hirten zur Besinnung.
Mehr an ihnen als am preußischen Staat lag es, daß sich die preußischen Behörden die Verhaftung eines Erzbischofs erlauben konnten. Jahrzehntelang hatten sie in der Frage der Mischehen und der religiösen Erziehung der Kinder eine "menschenfreundliche", das heißt inkonsequente Praxis geduldet oder empfohlen. Das preußische Ministerium durfte durchaus verwundert sein, daß Droste von Vischering auf einmal von kirchenrechtlichen Grundsätzen sprach, die nicht einmal die Päpste, um schlimmeren Übeln auszuweichen, allzu streng beachtet wissen wollten, also, daß die Kinder solcher Ehen auf jeden Fall katholisch werden müßten. Das Kirchenrecht sollte freundliche Mitmenschlichkeit nicht stören. Außerdem waren sich deutsche Bischöfe darin einig, dem finsteren Geist, der zu Rom sein Wesen treibe, nicht allzuviel Beachtung zu schenken, obschon Rom nur sehr zaghaft deutschen humanistischen Stimmungen entgegentrat. Ein preußischer Erzbischof, der von Breslau, wurde lieber Protestant im Zusammenhang dieser Affäre, als sich den Rechtsvorstellungen Roms zu beugen.
Der laxen Praxis bei den Mischehen entsprach eine laxe Theorie, für die der Bonner Professor Hermes berühmt und allmählich berüchtigt wurde. Er hielt dafür, daß nur geglaubt werden könne, was die Vernunft dem Glauben als wahr empfehle. Die Bonner Universität gehört zur Erzdiözese Köln. Droste von Vischering, ein frommer, aber theologisch-spekulativ recht schlichter Geist, bekämpfte diesen feingebildeten Professor und seine Schüler, die vor allem in Österreich an Einfluß gewannen. Er bekämpfte, übrigens rechtlich durchaus fragwürdig, die theologische Ausbildung in Bonn und erlaubte sich dabei Übergriffe, die der Staat nicht mit Nachsicht behandeln konnte. Die Einzelheiten dieser beiden Auseinandersetzungen, die sich früher je auf ihre Art in halbwegs gutem Einvernehmen hätten lösen lassen, schildert Görres umständlich in seiner Polemik, die dazu beitrug, daß der Konfessionalismus mit nicht mehr gewohnter Schärfe abermals ausbrach. Zum Heil des Katholizismus, sogar zum Heil des Protestantismus, der sich auf seine eigenen Grundlagen besann, nicht unbedingt zum Vorteil des geselligen Zusammenlebens in Deutschland.
Die Folgen dieser Schrift sind viel interessanter als sie selber. Görres "erweckte" das katholische Deutschland und löste es aus einer freundlichen Verbindung mit der es umgebenden Lebens- und Bildungskultur. Er ermöglichte es, daß der Katholizismus hier wie in England, in Frankreich oder in Italien wieder zu einer intellektuellen Macht wurde, zu einer sozialen, aber zugleich zwang er die anderen dazu, sich dieser Macht zu erwehren. Mit ihm beginnt der "Kulturkampf", den forderte er heraus. Denn es waren die Liberalen, die in der willkürlichen Verhaftung eines Bischofs den Triumph der Freiheit und des Rechtes erblickten. Die Feinde der Kirche verloren 1837 wie später ihre Feldzüge. Die Katholiken in Deutschland sind der Auseinandersetzung allerdings längst müde geworden. Sie möchten wieder als Organisation wichtig genommen werden, wie Gewerkschaften, Parteien oder beliebige Verbände. Von sich als Kirche haben sie keine prägnante Vorstellung. Die neue Auflage einer ehedem fulminanten, mittlerweile doch sehr schwerfälligen Schrift dürfte deutsche Katholiken kaum noch anregen. Aber sie könnte sie zu der Überlegung veranlassen, warum heute kein Görres seiner Kirche Mut zuspricht. EBERHARD STRAUB
Joseph Görres: "Athanasius". Schriften zum Kölner Ereignis 1. Bearbeitet von Heinz Hürten. Gesammelte Schriften, Band 17. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1998. 197 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main