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Der Mythos Atlantis lebt. Seit fast 2500 Jahren beschäftigt die Geschichte von dem versunkenen Reich die Menschen. Immer wieder wurde und wird Atlantis als Ort gesucht und als Idee beschworen. Pierre Vidal-Naquet beschreibt den Ursprung des Mythos und seinen Weg durch die Jahrhunderte.
Immer noch wird nach Atlantis gesucht - und immer wieder gibt es Meldungen, daß es endlich gefunden sei. Doch kein Geograph hat Atlantis je lokalisiert. Es verdankt seine Existenz einzig und allein dem genialen Schöpfer Platon, der mit der Beschreibung des untergegangenen Kontinents um 355 vor unserer…mehr

Produktbeschreibung
Der Mythos Atlantis lebt. Seit fast 2500 Jahren beschäftigt die Geschichte von dem versunkenen Reich die Menschen. Immer wieder wurde und wird Atlantis als Ort gesucht und als Idee beschworen. Pierre Vidal-Naquet beschreibt den Ursprung des Mythos und seinen Weg durch die Jahrhunderte.
Immer noch wird nach Atlantis gesucht - und immer wieder gibt es Meldungen, daß es endlich gefunden sei. Doch kein Geograph hat Atlantis je lokalisiert. Es verdankt seine Existenz einzig und allein dem genialen Schöpfer Platon, der mit der Beschreibung des untergegangenen Kontinents um 355 vor unserer Zeitrechnung ein eindeutig politisches Ziel verfolgte, eine politische Sciencefiction, um im Vergleich zwischen Athen und Atlantis sein Bild der guten Staatsform deutlich werden zu lassen. Atlantis machte in der Folgezeit eine erstaunliche Karriere, kein anderer antiker Mythos hat eine solche Wirkung entfaltet. Dabei wandelte sich das Atlantis-Bild vom negativen zum positiven, es wurde im Gegensatz zum platonischen Entwurf zum zivilisatorischen Vorbild - allerdings für sehr unterschiedliche Gesellschaftsmodelle.
Autorenporträt
Pierre Vidal-Naquet, geb. 1930, gehört zu den Altmeistern der französischen Geschichtsschreibung. Er lehrt an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris. Zahlreiche Werke zur griechischen und römischen Antike und zur modernen Politik- und Sozialgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2006

Der feine Sand der Ironie am Strand der sagenumwobenen Insel
Göttliche Drechslerarbeit: Altmeister Pierre Vidal-Naquet folgt den Spuren der Platonischen Geschichte vom sagenhaften Atlantis durch die europäische Geistesgeschichte

Platon war ein Erfolgsautor - auch jenseits der Verkaufszahlen. Er hat um 355 vor Christus eine Erzählung in die Welt gesetzt, deren Wirkung ungebrochen ist und um deren Realitätsgehalt nach wie vor gestritten wird. Im "Kritias" und im Prolog zum "Timaios" berichtet er - nicht ohne ein humorvolles Augenzwinkern - von der sagenumwobenen Insel Atlantis, die bei einer Tombola im Kreis der Götter per Los dem Poseidon als Besitz zugeteilt worden war, der sie zusammen mit der Nymphe Kleito mit seinen Nachkommen bevölkerte. Die Insel war eine ausgeklügelte Naturarchitektur, eine göttliche Drechslerarbeit (mit Platon zu sprechen), die von ihren Bewohnern immer prunkvoller ausgestaltet wurde - insbesondere der die Insel bekrönende Königssitz. Über alle Bodenschätze und natürlichen Ressourcen verfügte man im Überfluß.

Den Atlantiden ging es offenkundig zu gut: Sie gaben sich mit dem Vorhandenen nicht zufrieden, sondern drängten - nachdem in einem Ausmendlungsprozeß nicht mehr viel von ihren göttlichen Genen übrig war - über die Grenzen ihrer paradiesischen Insel und wurden für diese Hybris von Zeus bestraft: Innerhalb eines Tages und einer Nacht wurde Atlantis vom Meer verschlungen und "den Augen entzogen".

Doch diejenigen, die ihre Hoffnung auf utopische Ur-Welten gründen, um eine defizitäre Gegenwart besser zu ertragen, die Mythenklitterer und Menschheitsbeglücker, die sich über die Atlantis-Legende in großer Zahl hergemacht haben, zeigten sich gegenüber Platons Ironiezeichen im Text resistent. Ihr einziges Erkenntnisinteresse war, herauszufinden, wo das in grauer Vorzeit im Meer versunkene Atlantis geographisch zu lokalisieren sei. Pierre Vidal-Naquet, einer der Altmeister französischer Historiographie, hat jetzt (von Annette Lallemand versiert übersetzt) versucht, diese mythisch überhöhte Inselsuche von der Antike bis zur Gegenwart zu verfolgen. Sein Text belegt, daß der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, wenn es darum geht, Mythen fortzuspinnen. Das gleiche gilt für die Irrwege menschlichen Erfindungsgeistes oder, wie Vidal-Naquet es nennt, "intellektuelle Mutationen".

In der bisweilen scholastisch anmutenden Diskussion um die Existenz oder Fiktionalität von Atlantis schlägt sich Vidal-Naquet dezidiert auf die Seite der Nominalisten. Er ist fest davon überzeugt, daß Atlantis nicht zu entdecken ist, da es sich um eine Platonische Utopie, einen Un-Ort handelt. Platons geniale literarische Fiktionen haben für ihn vor allem politischen Hintersinn: Atlantis - so Vidal-Naquets Generalthese - ist eine negative Utopie, die Platon als Kontrastfolie dient, um ein ideales und längst untergegangenes "Ur-Athen" um so strahlender erscheinen zu lassen. Dieses ideale Athen ist in streng binären Oppositionen zu Atlantis entworfen und liegt mit diesem in einem Krieg, aus dem es siegreich hervorgeht. Atlantis sei eine Chiffre für das in Platons Augen defizitäre und dekadente Athen seiner Gegenwart, das sich denkbar weit von dem vormaligen griechischen Idealstaat entfernt habe. Eine attische Urdemokratie wird hier zum utopischen Gegenbild einer machtbesessenen imperialistischen Herrschaftsform, die schon in mythischer Vorzeit notwendig zum Untergang eines blühenden Staates geführt hatte und wieder führen wird.

Atlantis wurde im Laufe seiner jahrhundertelangen Rezeption zu einem Mythos - und nicht, wie der deutsche Untertitel des Buches suggeriert, zu einem Traum. Der Übergang von der literarisch-fiktionalen Welt des Platonischen Textes zur Realität der (sei es durch den Zorn des Zeus oder durch die Sintflut) versenkten Insel wurde ebenfalls früh vollzogen. In der christlichen Deutung von Atlantis interpretierte man die Insel gerne als chiffrierte Beschreibung Palästinas. Neue Schubkraft erhielt der Mythos durch die Entdeckung Amerikas, dessen Bewohner man mit den Überlebenden von Atlantis gleichsetzte. Insbesondere seit dem achtzehnten Jahrhundert dient die Vereinnahmung der Atlantismythen handfesten ideologischen Interessen, die die Insel - von ihren Platonischen Wurzeln sauber getrennt - beliebig zu nationalistischer Propaganda und zur Erfindung national-universalistischer Gründungsgeschichten instrumentalisieren.

Als besonders absurdes Beispiel, das ihm "noch immer Schauder" einflöße, führt Vidal-Naquet den Rektor der Universität Uppsala und Universalgelehrten Olof Rudbeck an. Dieser hatte in seinem vierbändigen Opus magnum "Atlantica sive Manheim, vera Japheti posterorum sedes ac patria" von 1679 bis 1702 kurzerhand Schweden zu Atlantis erklärt und Uppsala zu dessen Hauptstadt. Mit wild vermengten Versatzstücken aus der Edda und aus den Legenden über Noahs Enkel Atlas (den Sohn Japhets), der sich im Norden niedergelassen habe, wird hier dem Volke Israels der Anspruch auf seine Auserwähltheit streitig gemacht und Schweden zum Geburts- und Stammland sämtlicher Völker Asiens und Europas ernannt. Rudbeck postulierte darüber hinaus, daß die Runen die Vorläufer der phönizischen und griechischen Buchstaben seien und Platon ein Lügner, dem es gelungen sei, die Auffindung des wahren nordischen Atlantis zu verhindern.

Vidal-Naquets Buch ist eine Geschichte der intellektuellen Welt Europas am Leitseil des Atlantis-Mythos. Es ist daher erstaunlich, daß der C.H. Beck Verlag sich die einmalige Chance hat entgehen lassen, den französischen Originaltitel des Buches "L'Atlantide. Petite histoire d'un mythe platonicien" wörtlich übersetzt zu übernehmen - scheint man in München doch in letzter Zeit auf "kleine Geschichten" zu menschheitsumfassenden Themen geradezu spezialisiert zu sein. Viele der Texte, die Vidal-Naquet aus seinem Zettelkasten zieht, werden für die meisten Leser teils interessante, teils kuriose Neuentdeckungen sein.

Doch der Duktus des Autors macht die Lektüre des Buches nicht immer zu einem Lesevergnügen: Sein Text bewegt sich unentschlossen zwischen gelehrtem und oft nur abbreviaturartig, sprunghaft-assoziativ (und zuweilen fast unverständlich) aufgerufenem Wissen einerseits und einer selbstgefälligen Magniloquenz andererseits. Immer wieder werden eigene Forschungsleistungen in den Vordergrund gespielt, werden ehemalige Lehrer des Autors und andere Berühmtheiten der Geistesgeschichte aufgerufen, die eine abendländische Sentenz beisteuern dürfen. Man kann aus diesem Schreibstil nur schließen: Auch Altmeister kommen mit der Zeit in die Jahre.

CHRISTINE TAUBER

Pierre Vidal-Naquet: "Atlantis". Geschichte eines Traums. Aus dem Französischen von Annette Lallemand. C. H. Beck Verlag, München 2006. 188 S., geb., Abb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als eine "Geschichte der intellektuellen Welt Europas am Leitseil des Atlantis-Mythos" hat Rezensentin Christine Tauber dieses Buch des französischen Historikers Pierre Vidal-Naquet gelesen. Sie berichtet über die Wirkungsgeschichte der platonischen Erzählung vom sagenhaften Atlantis, deren Realitätsgehalt nach wie vor von einigen Autoren behauptet wird. Demgegenüber hebt sie Vidal-Naquets Auffassung hervor, bei Atlantis handle es sich um eine literarische Fiktion, eine negative Utopie, die Platon als Kontrastfolie gedient habe, um ein ideales und längst untergegangenes "Ur-Athen" um so strahlender erscheinen zu lassen. Die Rezeptionsgeschichte des "Atlantis-Mythos" belegt für Tauber vor allem, "dass der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, wenn es darum geht, Mythen fortzuspinnen". Das gleiche gelte für die Irrwege menschlichen Erfindungsgeistes. Kritisch äußert sie sich über den Duktus des Autors, der die Lektüre des Buches "nicht immer zu einem Lesevergnügen" mache. Sein Text bewege sich "zwischen gelehrtem und oft nur abbreviaturartig, sprunghaft-assoziativ (und zuweilen fast unverständlich) aufgerufenem Wissen einerseits und einer selbstgefälligen Magniloquenz andererseits".

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