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Ein großer Roman über die Liebe und ihre alle Grenzen überwindende Kraft
In einer namenlosen englischen Stadt sind Jugnu und Chanda verschwunden, ein pakistanisches Liebespaar, das ohne Trauschein zusammenlebte. Böse Gerüchte kursieren in der kleinen pakistanischen Gemeinschaft, und eines verschneiten Januarmorgens werden Chandas Brüder wegen Mordes verhaftet. Für Jugnus Bruder Shamas und seiner Frau entpuppen sich die nächsten zwölf Monate, während der Prozess um den vermeintlichen Ehrenmord läuft, als Lebenskatastrophe, in deren Verlauf sie alles, an das sie je geglaubt haben, in Frage stellen müssen.…mehr

Produktbeschreibung
Ein großer Roman über die Liebe und ihre alle Grenzen überwindende Kraft

In einer namenlosen englischen Stadt sind Jugnu und Chanda verschwunden, ein pakistanisches Liebespaar, das ohne Trauschein zusammenlebte. Böse Gerüchte kursieren in der kleinen pakistanischen Gemeinschaft, und eines verschneiten Januarmorgens werden Chandas Brüder wegen Mordes verhaftet. Für Jugnus Bruder Shamas und seiner Frau entpuppen sich die nächsten zwölf Monate, während der Prozess um den vermeintlichen Ehrenmord läuft, als Lebenskatastrophe, in deren Verlauf sie alles, an das sie je geglaubt haben, in Frage stellen müssen.

Autorenporträt
Nadeem Aslam wurde 1966 in Gujranwala, Pakistan, geboren, musste das Land wegen des Widerstands seines Vaters gegen das Zia-Regime als Jugendlicher verlassen, studierte in England Biochemie und Literatur und lebt heute in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2006

Gefangen im Käfig der Kultur
Der Westen und der Islam: Nadeem Aslams hochaktueller Roman

Gewiß irrt nicht, wer Nadeem Aslams "Atlas für verschollene Liebende" als literarische Antwort auf den Terror bezeichnet. Denn der zweite Roman des 1966 geborenen britisch-pakistanischen Autors ist eine wortgewaltige Klage über den Zusammenprall der Kulturen, diese Tragödie von unveränderter Aktualität. In dem mutigen Buch, das die Wurzeln religiös motivierter Gewalt bloßzulegen versucht, nähert sich Aslam jedoch zugleich, in leisen poetischen Worten um Erkenntnis ringend, einer zeitlosen Frage an: wie ein Mensch bestehen kann in einer Welt voller Leid.

Dabei versetzt er sich tief hinein in die Innenperspektive derer, die uns so fremd erscheinen, und kartographiert ein abgeschottetes pakistanisches Viertel in einer englischen Kleinstadt. Dasht-e-Tanhaii, "Wüste der Einsamkeit", wird dieser Ort von seinen Bewohnern genannt, Immigranten, die sich ihr Exil eher als Leidens- denn als Lebensform erschließen. In der Fremde haben sie ihre Traditionen nicht nur konserviert, sondern radikalisiert. Die Frauen können an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft sie in ihrem Leben mit "Weißen" gesprochen haben, Heiraten werden arrangiert, und das Wort des Geistlichen ist Gesetz. Die Bewohner von Dasht-e-Tanhaii, diesem Getto, in dem es eine "Haltestelle Saddam Hussein" gibt, leben wie in einem Kokon, eingesponnen in ihre Bräuche. Nie verläßt sie die Sehnsucht, weniger nach Pakistan als nach Heimat in einem übergreifenderen Sinne.

Das Leben in Dasht-e-Tanhaii ist ein Balanceakt. Sobald Elemente der fremdgebliebenen westlichen Kultur in diese abgeschlossene Welt vordringen und die gewohnte Ordnung aufzuweichen drohen, entzündet sich ein Funke, der sich zu einem Schwelbrand ausweiten kann. Jugnu und die junge Chanda, die sich die Freiheit herausnahmen, unverheiratet zusammenzuleben, wurden von Chandas Brüdern ermordet. Der Roman zeichnet die Chronologie der Ereignisse des folgenden Jahres nach, das mit der Verurteilung der Brüder endet. Für Jugnus älteren Bruder, den toleranten, gebildeten Shamas, und seine strenggläubige Frau Kaukab bleibt nichts, wie es war. Ihre Ehe, im Roman der wichtigste Schauplatz für den Konflikt zwischen Tradition und Aufklärung, wird mehr und mehr zerrieben. Shamas flüchtet in die Arme einer anderen Frau, und das Scheitern dieser neuen Liebe erschüttert ihn zutiefst. Zwar träumt Shamas, dieser gute Geist des Viertels, von einer Welt, in der Vernunft, Humanität, Mitleid und Zivilcourage über Fanatismus, Aberglauben und die oft so gefährliche Verquickung von Ehre und Scham triumphieren. Er verkörpert aber auch die Brüchigkeit der aufklärerischen Hoffnung auf eine bessere Zukunft und auf die Perfektibilität des Menschen.

In dem ergreifenden Porträt der verbohrten Kaukab, Tochter eines islamischen Geistlichen, findet das Können des Autors, ja, die Größe des Buchs ihren überzeugendsten Ausdruck. Wie leicht hätte diese Figur zur Karikatur oder zum Mysterium geraten können! Feinfühlig und liebevoll spürt Aslam den Verästelungen ihres für sie selbst undurchschaubaren Seelenlebens nach. Kaukabs strenger Glauben und seine Rituale sind das einzige, was ihr in einer ihr entgleitenden Welt Halt gibt. Sie verbindet Liebe mit nichts anderem als Sünde und Schande, ekelt sich vor den in ihren Augen schamlosen Gewohnheiten der Weißen und wollte ihrem jüngsten Sohn während des Ramadans sogar die Muttermilch verweigern. Ihr Glauben schlägt ihr eine tiefe Wunde, weil er sie von ihren Kindern entfremdet. Denn die "wahre Kaukab", heißt es, ist "zufrieden im Kreis ihrer Kinder", sie möchte eine hingebungsvolle Mutter sein. Ihre Kinder aber versuchen, zu ihrem Entsetzen, den Graben zwischen pakistanischem und westlichem Lebensstil zu überwinden. Kaukab, "gefangen im Käfig erlaubten Denkens", flüchtet in dumpfe Verzweiflung, hilflos wie ein angeschossenes Tier.

Vor allem die Frauen sind in diesem polyphonen, zahlreiche Handlungsfäden verwebenden Roman so filigran gezeichnet, daß man glaubt, ihre Schritte zu hören, ihr Atmen, das Rascheln ihrer Gewänder. Frauen, die schon als Kinder lernten, daß sie unrein sind, mit furchtbaren Folgen rechnen müssen, wenn sie in Begleitung des falschen Mannes gesehen werden, und sich dennoch oft als treue Hüterinnen der Tradition erweisen. In ihrer Verwundbarkeit offenbart sich die Unerbittlichkeit der im Namen von Religion und Gemeinschaft ausgeübten Gewalt. Ein Mädchen stirbt nach einer brutalen Geisteraustreibung durch einen islamischen Geistlichen, und die schöne Suraya, deren Ehemann im Alkoholrausch versehentlich dreimal das Wort für "Scheidung" ausgesprochen hat, irrt verzweifelt durch das Viertel. Zu ihrer Familie darf sie nicht zurückkehren, bevor sie nicht einen anderen Mann geheiratet hat und von diesem wiederum geschieden wurde - dies gebieten die Vorschriften der Religion.

Nadeem Aslam lotet im "Atlas für verschollene Liebende" die Kräfte aus, die beim Aufeinandertreffen von westlicher Moderne und islamischen Traditionen entfesselt werden. Wie ein wütender Strom zieht sich seine Anklage gegen Rückständigkeit und die Fesseln der Religion durch den Roman. Abschottung, das Gefühl der Heimatlosigkeit, der Ausschluß aus der Gesellschaft und eine hitzige Frömmigkeit, als Abwehrreaktion gegen das Fremde, versperren den Weg der Einwanderer in die Moderne. Im Klappentext als "heimliche Vorgeschichte des 11. September" angekündigt, wurde der Roman längst von der Realität eingeholt. Die pakistanische Enklave mit dem poetischen Namen Dasht-e-Tanhaii ähnelt Leeds, der Stadt, aus der drei der vier Selbstmordattentäter von London, junge Pakistanis, kamen.

Nadeem Aslam, der als Jugendlicher wegen des Widerstands seines Vaters gegen das Zia-Regime mit seiner Familie aus Pakistan fliehen mußte, ist allerdings zu lebensklug, um allein auf Aufklärung, sezierendes Durchschauen und Fortschritt zu vertrauen. Er schöpft auch aus den reichen Inspirationsquellen der Tradition, etwa der mystischen islamischen Sufi-Dichtung. Seine langsam voranschreitende Prosa scheint nicht nur die epische Kraft der großen europäischen Romanciers aufgesogen zu haben, sondern auch die kraftvolle, überschäumende Metaphorik orientalischer Literatur. In unzähligen Bildern von außerordentlicher Suggestivkraft und atemraubender Schönheit besingt er Flora und Fauna, mit viel Kunstverstand hat er Mythisches in die Erzählstränge eingeflochten. Er erschafft eine erzählte Welt, in der Bilder und Symbole die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen den Dingen sichtbar machen.

Hinter der brutalen Realität schimmert im "Atlas für verschollene Liebende" immer das Ideal einer verwandelten Welt durch. Denn die Herznote des Romans bildet eine beinahe religiös beschworene Liebe, die als Möglichkeit in jedem einzelnen verborgen ist, alle Widersprüche auflöst, die Wirklichkeit transzendiert und in Dichtung verwandelt. Eine Liebe, die symbolisiert wird von dem Falter, der vor dem Feuer, das ihn verzehren will, nicht zurückweicht.

Nachdem er 1993 mit dem Roman "Season of the Rainbirds" debütiert hatte, schrieb Nadeem Aslam elf Jahre an diesem außergewöhnlichen Buch, das bei aller Brisanz keine Milieustudie ist und mehr als ein seelisches Panorama einer Gesellschaft. Wenn es dem Realismus verpflichtet ist, dann einem poetischen.

Trost in der Welt findet man nur durch Liebe, lautet Aslams weise Antwort. Während seine Kritik an Verbohrtheit und starrer Tradition zuweilen bissig ist, überbrückt sein Bekenntnis zu einer Weltphilosophie der Liebe alle Gegensätze. Liebe sei "der Endzweck der Weltgeschichte, das Amen des Universums" schrieb Novalis. Dies ist auch das romantische Credo Nadeem Aslams, der aus seiner Wut Welten schafft.

ANDREA NEUHAUS

Nadeem Aslam: "Atlas für verschollene Liebende". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Rosetta Stein. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 541 S., geb., 22,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Andrea Neuhaus feiert diesen "mutigen" und besonderen Roman des britisch-pakistanischen Autors als als "wortgewaltige Klage" über den Clash der Zivilisationen. Bei den titelgebenden verschollenen Liebenden handelt es sich ihren Informationen zufolge um ein junges Paar, das von den Brüdern der Frau ermordet wurde, weil es unverheiratet zusammenlebte. Nadeem Aslam versetze sich mit seiner Chronologie der Ereignisse tief in die Innenperspektive der Täter, kartografiere ein "abgeschottetes" pakistanisches Viertel in einer englischen Kleinstadt, wo die Tat geschah. Im Zentrum stehen der ältere Bruder des Getöteten und seine "verbohrte" Frau Kaukab, deren Ehe im Roman laut Kritikerin der wichtigste Schauplatz des Konflikts zwischen "Tradition und Aufklärung" sei. Besonders im "ergreifenden Porträt" der in ihren Traditionen festgemauerten Kaukab erweist sich für die Rezensentin Aslams außergewöhnliches Können, den Zusammenprall von Moderne und islamischer Tradition zu beschreiben.

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