Adam Tessdorff wird bei einem Bombenanschlag in Jerusalem verletzt. Es gibt kein Bekennerschreiben, keine weiteren Verletzten. Die israelischen Behörden sind ratlos. Der Grund der Reise des Deutschen nach Jerusalem sind die Schriftrollen Qumrans, für Adam das Zeugnis echten Glaubens. Auf dem Schwarzmarkt konnte Adam ein Rollenfragment erwerben, das er nun abholen will. Gekommen um zu sterben, soll die Übergabe des Fragments sein Leben beschließen. Dann aber tritt eine Frau in sein Leben - Nurit, die Tochter des jüdischen Zwischenhändlers. Gleichzeitig mit dem Anschlag setzt eine Spirale der Gewalt ein ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2012In diesen Perlenmomenten kam eine Helligkeit über sein Antlitz
Wie weit reicht der Anspruch demokratischer Werte? Mariam Kühsel-Hussaini beschwert ihren Roman "Attentat auf Adam" mit dem Bild eines gottlosen Westens.
Das Buch einer Fünfundzwanzigjährigen aufzuschlagen und auf ein emphatisches Bekenntnis zur Kunstreligion zu stoßen: Das ist in der deutschen Gegenwartsliteratur eine Überraschung. Mariam Kühsel-Hussaini, Berliner Schriftstellerin, geboren 1987 in Kabul, schickt ihrem dritten Roman einige einleitende Gedanken voran. In diesen verkündet sie, dass wahre Kunst zum Heiligen vordringe und den Glauben und die Menschen verändere. Mehr kann man sich wohl nicht vornehmen, als eine "Glaubensoper" zur Aufführung zu bringen, die "wie alle meine Bücher, nicht für Menschen geeignet ist, die sich vor Schönheit und Seele, vor Wortrausch und Sprachfülle schützen wollen". Aber die Kritik, der nüchterne und skeptische Blick, darf sich auch vor dem rauschenden Wort nicht senken.
Der Roman "Attentat auf Adam" ist nicht in Kapitel, sondern in Arien, Rezitative, Duette und weitere Elemente des Musiktheaters gegliedert und verhandelt in dialogischen Passagen den folgenschweren Besuch eines entlaufenen Katholiken in Jerusalem. An diesen hoch symbolischen Ort ist Adam Tessdorff gereist, um auf dem Schwarzmarkt das Fragment einer Schriftrolle von Qumran zu erwerben, für ihn das schönste "Geschmeide und Gold menschlicher Aufzeichnungen". Die zwischen 1947 und 1956 in Felsenhöhlen im Westjordanland entdeckten Schriftrollen aus dem antiken Judentum, darunter Regeln und Lehren einer jüdischen Gemeinschaft und die ältesten bekannten Bibelhandschriften, sind seither nicht nur Gegenstand archäologischer und theologischer Forschungen, sondern auch populärer Spekulationen über ein wahres Urchristentum. In Mariam Kühsel-Hussainis Roman verkörpern sie als "ungeformter Goldbarren" einen Glaubenskern der Religionen, zu dem es zurückzukehren gilt.
Adam Tessdorff wird in Jerusalem Opfer eines Bombenanschlags. Am Krankenbett des Verletzten steht ein Mann in weißer Soutane - der fiktionalisierte Papst Benedikt XVI: "Joseph brach in Weinen aus. Adams müde Schönheit in den Augen, die nassen Wimpern, das schwere Grün seiner Linsen, all das schimmerte leise, als er den alten Freund so sah." In der Geschichte ist Joseph, der "Mozart der Theologie", ein Vertrauter des Helden seit gemeinsamen Tagen in Regensburg und Rom. Nach Jahren der Trennung führen sie einen Glaubensdisput: Adam liest aus den Qumran-Schriften eine Verdammung der Gottlosen, die eine Trennung von Licht und Schatten fordert und mit den vergebenden Zügen des Christentums kollidiert. Mariam Kühsel-Hussaini lässt den Helden mit dem Papst um theologische Positionen ringen. Das ist ein ästhetisches Problem. Denn eine Figur mit einem so sprachmächtigen Vorbild wie dem Bischof von Rom neigt - wie viele einfühlend gestaltete historische Personen - zum Abgleiten ins Lächerliche.
Als "Handschriften Gottes" gelten die Qumran-Rollen dem Helden, als Offenbarung, und an Offenbarungen ist seine Welt reich - auch da runzelt der Papst die Stirn. Denn Gott spricht für ihn nicht nur durch die Propheten, sondern auch durch andere auserwählte Menschen, vor allem durch Künstler - Verlaine, Goethe, Dostojewski, Tintoretto und Mozart: "Und es kam eine Helligkeit über sein Antlitz in diesen Augenblicken, in diesen Perlenmomenten, in denen er diese Musik der Musik der Musik hörte, verschwand all sein Angegriffensein, verging all sein Abgeneigtsein - ein Erlöstsein, ein Fliegen von höchster Höhe legte sich auf seinen geschlossenen Lidern und auf seinen plötzlich weichen Lippen nieder, wie zierlichste Blütengeschöpfe ewiger Gärten." Mit einer Bilderflut, sich steigernden Wiederholungen und Gegensätzen in pathetischen Tönen will die Autorin das Heilige fassen. Dabei scheinen die sperrigen Substantivierungen und Bildbrüche nicht immer beabsichtigt. Es sieht nicht so aus, als sollten sie uns zeigen, wie schwer das Absolute zu fassen ist. Denn anders als in der kunstreligiösen Tradition der Romantik, die von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck ihren Ausgang nahm, glaubt die Autorin, dass Kunst jederzeit die Wahrheit sagen kann.
Überwacht vom israelischen Geheimdienst schleppt sich der hinkende Held in die Wohnung eines jüdischen Autographenhändlers. Dort nimmt er das lang ersehnte Schriftrollenfragment in Empfang und findet in dem alten Daniel Seeliger den nächsten Gesprächspartner. Er beschwört den Frieden der Religionen, die Nähe des "wunderbaren Islam", des Christentums und des "großen Anfangs, des Judentums" zueinander. Die Unterschiede schwinden, wenn man die Religionen als Spiegelungen des Ewigen versteht, die einen gemeinsamen Gegner haben: die westliche, moderne Welt. Nacheinander werden Aufklärung, Vernunft und Demokratie abgekanzelt und es geht, wenn auch arg schematisch, um den springenden Punkt von Religion in der Moderne: Der Glaube geht von einer Wahrheit aus, die moderne Gesellschaft akzeptiert viele Wahrheiten. Das ist in den Augen von Mariam Kühsel-Hussaini ein verachtenswerter Zustand, der den Menschen in den Abgrund führt. Denn eine Freiheit, die den Menschen zu nichts bestimmt, ihn nicht bindet, nimmt ihm "Würde" und "Tiefe". Gerade aber diese Freiheit, für sich zu sein, hat der liberale britische Philosoph Isaiah Berlin gepriesen, denn nur sie schützt den Einzelnen vor jenen, die die vermeintliche Wahrheit kennen und sie mit aller Macht durchsetzten wollen.
Der Roman von Mariam Kühsel-Hussaini ist so anregend, weil er ein entscheidendes Problem unserer Gegenwart benennt, eines das den Integrationsdebatten ebenso zugrundeliegt wie den Diskussionen um Interventionen in der islamischen Welt. Wie weit reicht der Anspruch demokratischer Werte? Leider macht es sich die Autorin zu leicht und zeichnet einen Westen von schlaffer Beliebigkeit und einfältigem Rationalismus, den sie ein "Fortschrottsmodell" nennt. Weiß sie wirklich nicht, dass man seit zweihundert Jahren einen Ausgleich zwischen der Vernunft, dem Wissen um ihre Grenzen und der Sehnsucht nach einem absoluten Bezugspunkt sucht?
Vielleicht hätte sie sich mehr Zeit nehmen sollen. 2010 erschien ihr vielgelobtes Debüt "Gott im Reiskorn", die Geschichte einer afghanischen Kalligraphenfamilie, ihrer Vorfahren, die nach Deutschland immigrierten. 2011 folgte der Roman "Abfahrt", das Porträt eines nach Erfüllung suchenden Mannes in einer Villa am Griebnitzsee. Vielleicht wäre die Gegenwartsdiagnose in ihrem dritten Roman dann etwas feiner ausgefallen. Denn auch in der Liebesgeschichte des Helden mit der Tochter des Autographenhändlers wächst die Lehre über die Figuren hinaus, wird mehr gepredigt als gestaltet. Auch die Liebe zwischen zwei Menschen ist eine Erscheinungsform des Göttlichen, das zu feiern sich diese "Glaubensoper" vorgenommen hat. Mariam Kühsel-Hussaini hat ein Buch geschrieben, auf dem das Gewicht seiner Ansprüche schwer lastet.
SANDRA KERSCHBAUMER
Mariam Kühsel-Hussaini: "Attentat auf Adam". Roman.
Berlin University Press, Berlin 2012. 192 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie weit reicht der Anspruch demokratischer Werte? Mariam Kühsel-Hussaini beschwert ihren Roman "Attentat auf Adam" mit dem Bild eines gottlosen Westens.
Das Buch einer Fünfundzwanzigjährigen aufzuschlagen und auf ein emphatisches Bekenntnis zur Kunstreligion zu stoßen: Das ist in der deutschen Gegenwartsliteratur eine Überraschung. Mariam Kühsel-Hussaini, Berliner Schriftstellerin, geboren 1987 in Kabul, schickt ihrem dritten Roman einige einleitende Gedanken voran. In diesen verkündet sie, dass wahre Kunst zum Heiligen vordringe und den Glauben und die Menschen verändere. Mehr kann man sich wohl nicht vornehmen, als eine "Glaubensoper" zur Aufführung zu bringen, die "wie alle meine Bücher, nicht für Menschen geeignet ist, die sich vor Schönheit und Seele, vor Wortrausch und Sprachfülle schützen wollen". Aber die Kritik, der nüchterne und skeptische Blick, darf sich auch vor dem rauschenden Wort nicht senken.
Der Roman "Attentat auf Adam" ist nicht in Kapitel, sondern in Arien, Rezitative, Duette und weitere Elemente des Musiktheaters gegliedert und verhandelt in dialogischen Passagen den folgenschweren Besuch eines entlaufenen Katholiken in Jerusalem. An diesen hoch symbolischen Ort ist Adam Tessdorff gereist, um auf dem Schwarzmarkt das Fragment einer Schriftrolle von Qumran zu erwerben, für ihn das schönste "Geschmeide und Gold menschlicher Aufzeichnungen". Die zwischen 1947 und 1956 in Felsenhöhlen im Westjordanland entdeckten Schriftrollen aus dem antiken Judentum, darunter Regeln und Lehren einer jüdischen Gemeinschaft und die ältesten bekannten Bibelhandschriften, sind seither nicht nur Gegenstand archäologischer und theologischer Forschungen, sondern auch populärer Spekulationen über ein wahres Urchristentum. In Mariam Kühsel-Hussainis Roman verkörpern sie als "ungeformter Goldbarren" einen Glaubenskern der Religionen, zu dem es zurückzukehren gilt.
Adam Tessdorff wird in Jerusalem Opfer eines Bombenanschlags. Am Krankenbett des Verletzten steht ein Mann in weißer Soutane - der fiktionalisierte Papst Benedikt XVI: "Joseph brach in Weinen aus. Adams müde Schönheit in den Augen, die nassen Wimpern, das schwere Grün seiner Linsen, all das schimmerte leise, als er den alten Freund so sah." In der Geschichte ist Joseph, der "Mozart der Theologie", ein Vertrauter des Helden seit gemeinsamen Tagen in Regensburg und Rom. Nach Jahren der Trennung führen sie einen Glaubensdisput: Adam liest aus den Qumran-Schriften eine Verdammung der Gottlosen, die eine Trennung von Licht und Schatten fordert und mit den vergebenden Zügen des Christentums kollidiert. Mariam Kühsel-Hussaini lässt den Helden mit dem Papst um theologische Positionen ringen. Das ist ein ästhetisches Problem. Denn eine Figur mit einem so sprachmächtigen Vorbild wie dem Bischof von Rom neigt - wie viele einfühlend gestaltete historische Personen - zum Abgleiten ins Lächerliche.
Als "Handschriften Gottes" gelten die Qumran-Rollen dem Helden, als Offenbarung, und an Offenbarungen ist seine Welt reich - auch da runzelt der Papst die Stirn. Denn Gott spricht für ihn nicht nur durch die Propheten, sondern auch durch andere auserwählte Menschen, vor allem durch Künstler - Verlaine, Goethe, Dostojewski, Tintoretto und Mozart: "Und es kam eine Helligkeit über sein Antlitz in diesen Augenblicken, in diesen Perlenmomenten, in denen er diese Musik der Musik der Musik hörte, verschwand all sein Angegriffensein, verging all sein Abgeneigtsein - ein Erlöstsein, ein Fliegen von höchster Höhe legte sich auf seinen geschlossenen Lidern und auf seinen plötzlich weichen Lippen nieder, wie zierlichste Blütengeschöpfe ewiger Gärten." Mit einer Bilderflut, sich steigernden Wiederholungen und Gegensätzen in pathetischen Tönen will die Autorin das Heilige fassen. Dabei scheinen die sperrigen Substantivierungen und Bildbrüche nicht immer beabsichtigt. Es sieht nicht so aus, als sollten sie uns zeigen, wie schwer das Absolute zu fassen ist. Denn anders als in der kunstreligiösen Tradition der Romantik, die von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck ihren Ausgang nahm, glaubt die Autorin, dass Kunst jederzeit die Wahrheit sagen kann.
Überwacht vom israelischen Geheimdienst schleppt sich der hinkende Held in die Wohnung eines jüdischen Autographenhändlers. Dort nimmt er das lang ersehnte Schriftrollenfragment in Empfang und findet in dem alten Daniel Seeliger den nächsten Gesprächspartner. Er beschwört den Frieden der Religionen, die Nähe des "wunderbaren Islam", des Christentums und des "großen Anfangs, des Judentums" zueinander. Die Unterschiede schwinden, wenn man die Religionen als Spiegelungen des Ewigen versteht, die einen gemeinsamen Gegner haben: die westliche, moderne Welt. Nacheinander werden Aufklärung, Vernunft und Demokratie abgekanzelt und es geht, wenn auch arg schematisch, um den springenden Punkt von Religion in der Moderne: Der Glaube geht von einer Wahrheit aus, die moderne Gesellschaft akzeptiert viele Wahrheiten. Das ist in den Augen von Mariam Kühsel-Hussaini ein verachtenswerter Zustand, der den Menschen in den Abgrund führt. Denn eine Freiheit, die den Menschen zu nichts bestimmt, ihn nicht bindet, nimmt ihm "Würde" und "Tiefe". Gerade aber diese Freiheit, für sich zu sein, hat der liberale britische Philosoph Isaiah Berlin gepriesen, denn nur sie schützt den Einzelnen vor jenen, die die vermeintliche Wahrheit kennen und sie mit aller Macht durchsetzten wollen.
Der Roman von Mariam Kühsel-Hussaini ist so anregend, weil er ein entscheidendes Problem unserer Gegenwart benennt, eines das den Integrationsdebatten ebenso zugrundeliegt wie den Diskussionen um Interventionen in der islamischen Welt. Wie weit reicht der Anspruch demokratischer Werte? Leider macht es sich die Autorin zu leicht und zeichnet einen Westen von schlaffer Beliebigkeit und einfältigem Rationalismus, den sie ein "Fortschrottsmodell" nennt. Weiß sie wirklich nicht, dass man seit zweihundert Jahren einen Ausgleich zwischen der Vernunft, dem Wissen um ihre Grenzen und der Sehnsucht nach einem absoluten Bezugspunkt sucht?
Vielleicht hätte sie sich mehr Zeit nehmen sollen. 2010 erschien ihr vielgelobtes Debüt "Gott im Reiskorn", die Geschichte einer afghanischen Kalligraphenfamilie, ihrer Vorfahren, die nach Deutschland immigrierten. 2011 folgte der Roman "Abfahrt", das Porträt eines nach Erfüllung suchenden Mannes in einer Villa am Griebnitzsee. Vielleicht wäre die Gegenwartsdiagnose in ihrem dritten Roman dann etwas feiner ausgefallen. Denn auch in der Liebesgeschichte des Helden mit der Tochter des Autographenhändlers wächst die Lehre über die Figuren hinaus, wird mehr gepredigt als gestaltet. Auch die Liebe zwischen zwei Menschen ist eine Erscheinungsform des Göttlichen, das zu feiern sich diese "Glaubensoper" vorgenommen hat. Mariam Kühsel-Hussaini hat ein Buch geschrieben, auf dem das Gewicht seiner Ansprüche schwer lastet.
SANDRA KERSCHBAUMER
Mariam Kühsel-Hussaini: "Attentat auf Adam". Roman.
Berlin University Press, Berlin 2012. 192 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Da ist die Rezensentin erstaunt: Die 25-jährige Autorin konfrontiert sie im Vorwort mit einem Bekenntnis zur Kunstreligion! Der dritte Roman der in Kabul geborenen Mariam Kühsel-Hussaini überzeugt Sandra Kerschbaumer dann allerdings nicht ganz. Die folgenschwere Jerusalem-Reise eines Katholiken auf der Suche nach einer Schriftrolle von Qumran wartet aber auch mit ziemlich heiklen Passagen auf, in denen der Held mit dem Papst höchstpersönlich um Glaubensfragen streitet. Der hier drohenden Lächerlichkeitsfalle kann die Autorin nicht entkommen, wie Kerschbaumer feststellt. Auch die Gefahr des Pathetischen beim Versuch, das Heilige zu fassen, umschifft Kühsel-Hussaini laut Rezensentin nicht immer. Unbeabsichtigte Bildbrüche, schematische Überlegungen zu Religion und Moderne und den Werteansprüchen des Westens machen den Roman für Kerschbaumer problematisch. Daran, dass die Autorin entscheidende Gegenwartsprobleme angeht und zum Nachdenken anregt, ändert das laut Rezensentin jedoch nichts.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH