"Die ganze Saat des Verderbens und der Ursprung der verschiedenen Katastrophen, welche die Wut des Kriegsgottes, alles mit außergewöhnlichem Brand erfüllend, heraufbeschwor, hatte folgende Ursache ... das Volk der Hunnen." So beginnt der Historiker Ammianus Marcellinus seine Ausführungen über jene Reiterscharen von unbeschreiblicher Wildheit, deren Vordringen den römischen Erdkreis mit Entsetzen erfüllte. An der Spitze dieses Heeres stand um die Mitte des 5. Jahrhunderts Attila, die "Geißel Gottes" - wie er in der mittelalterlichen Überlieferung genannt wird. Klaus Rosen legt eine spannende Darstellung der Hunnen und ihrer Geschichte und zugleich eine Biographie ihres Königs Attila vor. Er bietet einen exzellenten Überblick über die Hunnen von ihren Anfängen bis zum Zerfall des Attilareiches unter den Söhnen des Herrschers. Und er entwirft ein anschauliches Bild von den Konflikten zwischen Barbaricum und Imperium Romanum, von den Machtstrukturen, den Protagonisten, den Schlachten - insbesondere der dramatischen Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (451) - und schließlich vom Ende Attilas.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Kilb hat mit dem Buch des Althistorikers Klaus Rosen eine sehr lesbare Biografie des Hunnenherrschers gefunden. Auch wenn er das Buch nicht für ein Hauptwerk Rosens hält, dagegen spricht laut Kilb schon der Umfang, scheint es ihm trotz der spärlichen Quellenlage doch informativ und unterhaltsam. Gelungen für Kilb auch der rezeptionsgeschichtliche Ansatz, der die nebulöse Gestalt Attilas ins Heute transportiert, zu Karneval und Bildungswesen, bevor der Autor sich der Spätantike zuwendet, dem Stammeswesen und dem Charisma Attilas, wie es der Rhetor Priskus überliefert. Ein fragmentarisches Porträt, aber ein gutes, findet Kilb.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2016Er bleibt der Inbegriff von Stärke und Schrecken
Die Geißel Gottes trank aus einem hölzernen Becher: Klaus Rosen erzählt die Geschichte des Hunnenkönigs Attila, seiner Blitzkriege und was sein Tod für die Steppenkrieger bedeutete.
Es dauert gut hundert Seiten, bis das Objekt dieser Biographie zum ersten Mal zum Subjekt eines Satzes wird. Attila, heißt es da mit einem Zitat aus der Gotengeschichte des Jordanes, sei zusammen mit seinem Bruder Bleda ihrem Onkel in der Herrschaft über das Hunnenreich gefolgt, und Bleda als der Ältere habe den größeren Teil des Herrschaftsgebiets bekommen. Selbst hier also ist Attila nur zweite Besetzung für den Part des Hunnenkönigs, bevor er nach Bledas Ermordung im Triumph auf die Bühne der Weltgeschichte tritt. Es ist, als sei er aus der Nacht der Zeiten aufgetaucht, um im letzten Akt der antiken Welt die Handlung an sich zu reißen. Klaus Rosen indessen verfügt über die geeignete Lichtregie, um diese Nacht und das Spektakel, das ihr folgt, zu erhellen.
Der Bonner Althistoriker hat vor seiner Emeritierung 2002 Bücher über Mark Aurel und die Völkerwanderung und seither Biographien von Julian Apostata, Konstantin dem Großen und Augustinus veröffentlicht. Dass Rosens "Attila" nicht unbedingt ein Hauptwerk ist, zeigt schon sein Umfang: zweihundertsechzig Seiten Text plus Anhang, das ist ungefähr die Hälfte dessen, was Julian und Konstantin an Platz beanspruchten. Aber viel mehr gibt es im Ernst über den Hunnenherrscher auch nicht zu sagen, denn die Quellenlage ist mehr als dürftig.
Wer Attilas Persönlichkeit und die Atmosphäre an seinem Hof zeichnen will, muss sich im Wesentlichen auf den Bericht des oströmischen Diplomaten und Rhetors Priskos über seine Gesandtschaft im Jahr 449 stützen, den der Konstantin VII. Porphyrogennetos fünf Jahrhunderte später in seine Sammlung klassischer Reiseschilderungen aufnahm und dadurch für die Nachwelt bewahrte. Alle anderen Quellen, von Zeitgenossen wie dem Gallorömer Sidonius Apollinaris über den erwähnten Jordanes bis zum anonymen Autor des byzantinischen Suda-Lexikons aus dem zehnten Jahrhundert, sind so fragmentarisch und vom Hörensagen getrübt, dass aus ihnen kein taugliches Bild entstehen kann.
Aber gerade für solche Nebelgestalten schlägt das Herz der Historiker und ihrer Leser. Der mysteriöse Attila ist ein ergiebigerer Gegenstand als seine viel besser dokumentierten römischen Kontrahenten Theodosius und Valentinian, schon deshalb, weil er als Topos und Mythengestalt weiterlebt. Folgerichtig beginnt Rosen seine Biographie mit einem Sprung ins Heute. Ein französischer Schriftsteller klagt die Attilas des Bildungswesens an, und beim Kölner Karneval trifft sich alljährlich "Etzels Hunnenhorde". Vor hundert Jahren waren die Deutschen die Hunnen des Krieges, und Friedrich Gundolf fand bei Attila mehr Kultur als bei Shaw und Maeterlinck. Danach reinigten Fritz Langs "Nibelungen" das deutsche wie das hunnische Ansehen, aber wenig später war "Hunne" in Hitlers Tiraden gegen den Bolschewismus wieder ein Schimpfwort. Es sind Stationen eines Sprachspiels, das sich von Epoche zu Epoche weiterwirkt, mit der einzigen Konstante, dass das Hunnische und sein Inbegriff, eben Attila, für Stärke und Schrecken stehen.
Erst danach beginnt Rosen seinen Gang durch die Spätantike. Zunächst kommt das bekannte Völkerdomino: die Hunnen - offenbar ein Konglomerat aus Stämmen wie die germanischen Franken und Alamannen - schlagen die Goten, die Goten die Römer, und schließlich gründen die Steppenkrieger einen Vielvölkerstaat mit Zentrum im Karpatenbecken östlich der Theiß. Dann erkauft sich Ostrom, das gerade keinen weiteren Gegner gebrauchen kann, durch Tribute den Frieden und päppelt so, als Empfänger und Verteiler der Goldlieferungen, die Fürstensippe auf, der Bleda und Attila entspringen.
Schließlich nutzt Attila die strategische Mittellage seines Machtbereichs für Blitzkriege gegen Konstantinopel und Ravenna, um die Tributsummen zu erhöhen. Im Osten zerstört er die Balkanmetropolen Sirmium und Naissus, im Westen scheitert er auf den Katalaunischen Feldern und am Po. Als er 453 stirbt, ist das Hunnenreich nicht viel größer als bei seinem Amtsantritt, aber sein Ruf hallt wie Donner durch die Geschichte. Warum? Weil Attila, anders als seine Vorgänger und glücklosen Erben, wohl doch Ausstrahlung besaß, "personality", napoleonisches Charisma. Der Gewährsmann dafür ist Priskos. Seinem Bericht widmet Rosen die zentralen Kapitel seines Buchs, und nur in ihnen entsteht so etwas wie ein fragmentarisches Porträt des Hunnenherrschers.
Der gebildete Priskos hat den Analphabeten Attila offenbar geschätzt oder zumindest respektiert. Jedenfalls verzichtet er in seiner Schilderung fast auf die gesamte Barbarentopik der Antike. Stattdessen zeichnet er einen Autokraten zu Pferde, dem junge Mädchen Blüten auf den Weg streuen, der mit knappen Worten Rechtshändel entscheidet und an seiner Tafel aus hölzernem Becher trinkt. Auch das ist topisch, aber eher für spätere Germanen- als frühere Römerkaiser. Die charismatische Herrschaft, die sich in Ost- und Westrom in pompösen Ritualen verkörperte, hing bei den Hunnen an einem einzigen Mann. Und sie ging mit ihm dahin. Nur Monate nach Attilas Tod zerbrach der Völkerbund, den er zusammengehalten hatte, und wenig später waren die Hunnen ein Barbarenvolk unter vielen, die an Roms Grenzen wüteten.
Am Schluss seiner Studie nimmt Rosen den rezeptionsgeschichtlichen Faden des Anfangs wieder auf. Während im Byzantinischen Reich die Erinnerung an die Hunnenkriege unter dem Eindruck immer neuer Bedrohungen durch Awaren, Bulgaren, Araber und Türken rasch erlosch, blieben Attilas Reiter im Westen ein Begriff. Über christliche Legenden, etwa jene von der heiligen Ursula, die mitsamt ihren elftausend Jungfrauen hunnischen Kriegern zum Opfer fiel, gelangten sie in den Sagenschatz des Mittelalters. Zugleich lebte mit den Ungarn-Einfällen im zehnten Jahrhundert das Gedächtnis der Hunnenplage wieder auf.
Damals entstand das geflügelte Wort vom flagellum Dei, der "Geißel Gottes". Über die Dekadenz-Diskurse der Aufklärung, über Corneille, Montesquieu und Gibbon fand es seinen Weg zu Napoleon, den Benjamin Constant zum "Attila unserer Zeit" ernannte. Aber schon sechzig Jahre später waren die gegen Frankreich siegreichen Preußen die neuen Hunnen Europas. Mit ihnen schließt sich der Kreis dieses eminent lesbaren, umfassend informierten und dennoch übersichtlichen und kurzweiligen Buchs.
ANDREAS KILB
Klaus Rosen: "Attila".
Der Schrecken der Welt. Eine Biographie.
C. H. Beck Verlag, München 2016. 320 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geißel Gottes trank aus einem hölzernen Becher: Klaus Rosen erzählt die Geschichte des Hunnenkönigs Attila, seiner Blitzkriege und was sein Tod für die Steppenkrieger bedeutete.
Es dauert gut hundert Seiten, bis das Objekt dieser Biographie zum ersten Mal zum Subjekt eines Satzes wird. Attila, heißt es da mit einem Zitat aus der Gotengeschichte des Jordanes, sei zusammen mit seinem Bruder Bleda ihrem Onkel in der Herrschaft über das Hunnenreich gefolgt, und Bleda als der Ältere habe den größeren Teil des Herrschaftsgebiets bekommen. Selbst hier also ist Attila nur zweite Besetzung für den Part des Hunnenkönigs, bevor er nach Bledas Ermordung im Triumph auf die Bühne der Weltgeschichte tritt. Es ist, als sei er aus der Nacht der Zeiten aufgetaucht, um im letzten Akt der antiken Welt die Handlung an sich zu reißen. Klaus Rosen indessen verfügt über die geeignete Lichtregie, um diese Nacht und das Spektakel, das ihr folgt, zu erhellen.
Der Bonner Althistoriker hat vor seiner Emeritierung 2002 Bücher über Mark Aurel und die Völkerwanderung und seither Biographien von Julian Apostata, Konstantin dem Großen und Augustinus veröffentlicht. Dass Rosens "Attila" nicht unbedingt ein Hauptwerk ist, zeigt schon sein Umfang: zweihundertsechzig Seiten Text plus Anhang, das ist ungefähr die Hälfte dessen, was Julian und Konstantin an Platz beanspruchten. Aber viel mehr gibt es im Ernst über den Hunnenherrscher auch nicht zu sagen, denn die Quellenlage ist mehr als dürftig.
Wer Attilas Persönlichkeit und die Atmosphäre an seinem Hof zeichnen will, muss sich im Wesentlichen auf den Bericht des oströmischen Diplomaten und Rhetors Priskos über seine Gesandtschaft im Jahr 449 stützen, den der Konstantin VII. Porphyrogennetos fünf Jahrhunderte später in seine Sammlung klassischer Reiseschilderungen aufnahm und dadurch für die Nachwelt bewahrte. Alle anderen Quellen, von Zeitgenossen wie dem Gallorömer Sidonius Apollinaris über den erwähnten Jordanes bis zum anonymen Autor des byzantinischen Suda-Lexikons aus dem zehnten Jahrhundert, sind so fragmentarisch und vom Hörensagen getrübt, dass aus ihnen kein taugliches Bild entstehen kann.
Aber gerade für solche Nebelgestalten schlägt das Herz der Historiker und ihrer Leser. Der mysteriöse Attila ist ein ergiebigerer Gegenstand als seine viel besser dokumentierten römischen Kontrahenten Theodosius und Valentinian, schon deshalb, weil er als Topos und Mythengestalt weiterlebt. Folgerichtig beginnt Rosen seine Biographie mit einem Sprung ins Heute. Ein französischer Schriftsteller klagt die Attilas des Bildungswesens an, und beim Kölner Karneval trifft sich alljährlich "Etzels Hunnenhorde". Vor hundert Jahren waren die Deutschen die Hunnen des Krieges, und Friedrich Gundolf fand bei Attila mehr Kultur als bei Shaw und Maeterlinck. Danach reinigten Fritz Langs "Nibelungen" das deutsche wie das hunnische Ansehen, aber wenig später war "Hunne" in Hitlers Tiraden gegen den Bolschewismus wieder ein Schimpfwort. Es sind Stationen eines Sprachspiels, das sich von Epoche zu Epoche weiterwirkt, mit der einzigen Konstante, dass das Hunnische und sein Inbegriff, eben Attila, für Stärke und Schrecken stehen.
Erst danach beginnt Rosen seinen Gang durch die Spätantike. Zunächst kommt das bekannte Völkerdomino: die Hunnen - offenbar ein Konglomerat aus Stämmen wie die germanischen Franken und Alamannen - schlagen die Goten, die Goten die Römer, und schließlich gründen die Steppenkrieger einen Vielvölkerstaat mit Zentrum im Karpatenbecken östlich der Theiß. Dann erkauft sich Ostrom, das gerade keinen weiteren Gegner gebrauchen kann, durch Tribute den Frieden und päppelt so, als Empfänger und Verteiler der Goldlieferungen, die Fürstensippe auf, der Bleda und Attila entspringen.
Schließlich nutzt Attila die strategische Mittellage seines Machtbereichs für Blitzkriege gegen Konstantinopel und Ravenna, um die Tributsummen zu erhöhen. Im Osten zerstört er die Balkanmetropolen Sirmium und Naissus, im Westen scheitert er auf den Katalaunischen Feldern und am Po. Als er 453 stirbt, ist das Hunnenreich nicht viel größer als bei seinem Amtsantritt, aber sein Ruf hallt wie Donner durch die Geschichte. Warum? Weil Attila, anders als seine Vorgänger und glücklosen Erben, wohl doch Ausstrahlung besaß, "personality", napoleonisches Charisma. Der Gewährsmann dafür ist Priskos. Seinem Bericht widmet Rosen die zentralen Kapitel seines Buchs, und nur in ihnen entsteht so etwas wie ein fragmentarisches Porträt des Hunnenherrschers.
Der gebildete Priskos hat den Analphabeten Attila offenbar geschätzt oder zumindest respektiert. Jedenfalls verzichtet er in seiner Schilderung fast auf die gesamte Barbarentopik der Antike. Stattdessen zeichnet er einen Autokraten zu Pferde, dem junge Mädchen Blüten auf den Weg streuen, der mit knappen Worten Rechtshändel entscheidet und an seiner Tafel aus hölzernem Becher trinkt. Auch das ist topisch, aber eher für spätere Germanen- als frühere Römerkaiser. Die charismatische Herrschaft, die sich in Ost- und Westrom in pompösen Ritualen verkörperte, hing bei den Hunnen an einem einzigen Mann. Und sie ging mit ihm dahin. Nur Monate nach Attilas Tod zerbrach der Völkerbund, den er zusammengehalten hatte, und wenig später waren die Hunnen ein Barbarenvolk unter vielen, die an Roms Grenzen wüteten.
Am Schluss seiner Studie nimmt Rosen den rezeptionsgeschichtlichen Faden des Anfangs wieder auf. Während im Byzantinischen Reich die Erinnerung an die Hunnenkriege unter dem Eindruck immer neuer Bedrohungen durch Awaren, Bulgaren, Araber und Türken rasch erlosch, blieben Attilas Reiter im Westen ein Begriff. Über christliche Legenden, etwa jene von der heiligen Ursula, die mitsamt ihren elftausend Jungfrauen hunnischen Kriegern zum Opfer fiel, gelangten sie in den Sagenschatz des Mittelalters. Zugleich lebte mit den Ungarn-Einfällen im zehnten Jahrhundert das Gedächtnis der Hunnenplage wieder auf.
Damals entstand das geflügelte Wort vom flagellum Dei, der "Geißel Gottes". Über die Dekadenz-Diskurse der Aufklärung, über Corneille, Montesquieu und Gibbon fand es seinen Weg zu Napoleon, den Benjamin Constant zum "Attila unserer Zeit" ernannte. Aber schon sechzig Jahre später waren die gegen Frankreich siegreichen Preußen die neuen Hunnen Europas. Mit ihnen schließt sich der Kreis dieses eminent lesbaren, umfassend informierten und dennoch übersichtlichen und kurzweiligen Buchs.
ANDREAS KILB
Klaus Rosen: "Attila".
Der Schrecken der Welt. Eine Biographie.
C. H. Beck Verlag, München 2016. 320 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine bereichernde, angenehme und hilfreiche Lektüre."
Roland Steinacher, Damals, Juli 2016
"Eminent lesbares, umfassend informiertes und dennoch übersichtliches und kurzweiliges Buch."
Andreas Kilb, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Mai 2016
Roland Steinacher, Damals, Juli 2016
"Eminent lesbares, umfassend informiertes und dennoch übersichtliches und kurzweiliges Buch."
Andreas Kilb, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Mai 2016