Die Aleuteninseln sind der letzte Pfeiler einer versunkenen Brücke, die einst Asien mit Amerika verband. In dieser Winterwelt mit ihren flammenden Vulkanen leben die Einwohner seit undenklichen Zeiten ihr täglich im Kampf mit der unbarmherzigen Natur gefährdetes Leben. Doch dann erfolgt die Begegnung mit dem Industriezeitalter. Das erste Schiff, das vor Attu Anker wirft, halten die Aleuten für einen ungeheuren Vogel, bis aus seinem Leib fahlhäutige Männer strömen, die von den Inselbewohnern arglos willkommen geheißen werden. Aus der gemeinsamen Otterjagd wird bald Sklaverei. Die Begegnung mit der Moderne wird zur Tragödie.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2003Das Wassergrab ist der Anfang vom Ende
Nimm mich mit auf die Jagd, Häuptling Zok: Allen Roy Evans paddelt durch das Bering-Meer
Ob es irgendwo sonst noch Menschen gibt? Wenn man ins Boot steigt und kräftig durch den Nebel paddelt, kommt man zur Nachbarinsel. Die ist bewohnt, mit den Leuten dort kann man sich verständigen. Sie wissen auch von weiteren Inseln, die sich hinter dem Horizont zu einer Kette aufreihen, einige von ihnen sind auch bewohnt, sagt man. Und dann, ganz weit im Osten, soll schließlich ein sagenhaftes Volk leben, blutrünstig und grausam. Die fremden Krieger hat allerdings noch keiner je gesehen, und für den Stamm von der Insel Attu gibt es gute Gründe, an der Existenz der wilden Kolosch vollends zu zweifeln.
Vermutlich gibt es kaum eine so abgelegene und dennoch seit Urzeiten besiedelte Region der Erde wie das Aleuten-Archipel zwischen Sibirien und Alaska. Der Roman, den Allen Roy Evans dort spielen läßt, trägt dann auch das Privileg und die Bürde eines Pionierwerks mit sich, das sich anschickt, eine über Jahrhunderte ausgreifende Geschichte zu erzählen, deren Protagonisten das Inselvolk und ihre europäischen und asiatischen Besucher sind. Weil Evans, der im kanadischen Manitoba aufwuchs und sich als Schriftsteller immer wieder dem Norden zuwandte, seinem Publikum eine Landschaft vor Augen führen möchte, die nicht ihresgleichen hat, ist sein Blick auf die Natur - hier heißt das: karge, baumlose Inseln, sehr viel Wasser und unberechenbare Vulkane - so ausdauernd, exakt und gleichzeitig voller Begeisterung.
Evans will verstehen, was er sieht, und daraus formen, was man nicht mehr sehen kann: So reiht er, wenn er sich die zur Seelöwenjagd ausfahrenden Aleuten längst vergangener Tage vorstellt, ein Detail ans nächste, um aus den Einzelheiten die ganze Welt einer archaischen Gesellschaft erstehen zu lassen, die sich mit den gleichen Ritualen, Jagdtechniken und Werkzeugen unverändert über viele Jahrhunderte gebracht hat - wenigstens bis russische Seeleute die Inseln entdeckten.
Denn natürlich ist die Aleuten-Saga auch eine Geschichte von der Zerstörung einer archaischen Kultur durch die Repräsentanten der Moderne. Hier sind es erst russische Pelzjäger, die sich das Geschick der Ureinwohner zunutze machen und sie schließlich brutal unterdrücken, dann englische Soldaten, die sich ebenfalls für die Jagdgründe interessieren und bald mit den Russen ebenso aneinandergeraten wie mit den Inselbewohnern. Als die - mittlerweile von den Vereinigten Staaten beherrschte - Inselgruppe ab 1942 dann auch noch zum Schauplatz heftiger Gefechte wird und die Bewohner evakuiert werden, ist es mit der tradierten Stammeskultur längst vorbei.
Wann sich dieses Ende abzeichnete, ist schwer zu sagen - natürlich ist der erste Kontakt mit Menschen von jenseits des Meeres für die einzelnen Stämme auf den Aleuten ein Einschnitt; für die Bewohner der Insel Attu, deren Geschichte Evans vor allem erzählt, ist es vielleicht das Ende der jahrtausendealten Begräbniskultur: Schon früh schildert Evans jene Grabhöhlen im Vulkan von Attu, der die Gestorbenen als balsamierte Leichen aufnimmt, doch als die russischen Soldaten im Kampf die Insulaner töten, die sich auf diese Kunst der Grablege verstehen, beschließen die übrigen, die Toten fortan ins Meer zu werfen.
Evans, der von 1885 bis 1965 lebte, war weder ein großer Stilist noch frei von Klischees, seine Insulaner sind manchmal gar zu arglos und gut gezeichnet, seine Zivilisationskritik trägt grelle Farben, und wenn er eine Botschaft vermitteln will, trägt er dabei gern dick auf. Dies läßt, wo immer er vom Zusammenprall der Kulturen erzählt, seinen Roman bei aller Spannung und bei allen überaus lebendig geschilderten Kämpfen, gelegentlich etwas zäh werden.
Umso erstaunlicher ist, daß diese Schwächen - die das Buch mit einer anderen, fast gleichzeitig entstandenen großen Insel-Saga teilt, James A. Micheners "Hawaii" von 1959 - dem Roman insgesamt nichts anhaben können. Denn Evans verliert das Faszinosum der Aleuten-Natur nicht eine Sekunde aus den Augen, er schildert die Steine, Gräser und Wellen, wo immer er es kann, und wenn er gleich zu Beginn die Leute von Attu, angeführt von ihrem Häuptling Zok, auf Seelöwenjagd schickt, wenn er beschreibt, wie jeder für sich in einem fellüberzogenen Nachen quer übers Meer rudert, wie die schweren, grünen Wellen das Boot fortwährend anheben und fallen lassen, dann erzeugt das eine derart fesselnde Atmosphäre, daß man dem Autor leicht sein gelegentliches Pathos verzeiht.
Daß der Roman jetzt wieder zugänglich wird, wäre also eine weithin ungetrübte Freude, hätte sich der Verlag nur zu einer neuen Übersetzung bewegen lassen. Denn die vorliegende, die von dem Journalisten Edmund Theodor Kauer 1961 für die deutsche Erstausgabe angefertigt wurde, klebt so erkennbar an der Wortfolge, ja sogar am Lautstand des Originals, daß man dies gelegentlich fast schon rückübersetzen kann. Dafür ist der Neuausgabe ein nützliches Dossier über die Geschichte der Aleuten beigegeben, nicht einmal eine Landkarte des Archipels fehlt. Die Leute von Attu fänden dort nicht nur ihre Insel, sondern könnten sich auch ein Bild von den Siedlungen anderer Menschen machen, fern im Osten. Aber seit dem Zweiten Weltkrieg wohnt auf Attu niemand mehr.
Allen Roy Evans: "Attu". Die Aleuten-Saga. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Edmund Theodor Kauer. Unionsverlag Zürich, Zürich 2003. 318 S., br., 10,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nimm mich mit auf die Jagd, Häuptling Zok: Allen Roy Evans paddelt durch das Bering-Meer
Ob es irgendwo sonst noch Menschen gibt? Wenn man ins Boot steigt und kräftig durch den Nebel paddelt, kommt man zur Nachbarinsel. Die ist bewohnt, mit den Leuten dort kann man sich verständigen. Sie wissen auch von weiteren Inseln, die sich hinter dem Horizont zu einer Kette aufreihen, einige von ihnen sind auch bewohnt, sagt man. Und dann, ganz weit im Osten, soll schließlich ein sagenhaftes Volk leben, blutrünstig und grausam. Die fremden Krieger hat allerdings noch keiner je gesehen, und für den Stamm von der Insel Attu gibt es gute Gründe, an der Existenz der wilden Kolosch vollends zu zweifeln.
Vermutlich gibt es kaum eine so abgelegene und dennoch seit Urzeiten besiedelte Region der Erde wie das Aleuten-Archipel zwischen Sibirien und Alaska. Der Roman, den Allen Roy Evans dort spielen läßt, trägt dann auch das Privileg und die Bürde eines Pionierwerks mit sich, das sich anschickt, eine über Jahrhunderte ausgreifende Geschichte zu erzählen, deren Protagonisten das Inselvolk und ihre europäischen und asiatischen Besucher sind. Weil Evans, der im kanadischen Manitoba aufwuchs und sich als Schriftsteller immer wieder dem Norden zuwandte, seinem Publikum eine Landschaft vor Augen führen möchte, die nicht ihresgleichen hat, ist sein Blick auf die Natur - hier heißt das: karge, baumlose Inseln, sehr viel Wasser und unberechenbare Vulkane - so ausdauernd, exakt und gleichzeitig voller Begeisterung.
Evans will verstehen, was er sieht, und daraus formen, was man nicht mehr sehen kann: So reiht er, wenn er sich die zur Seelöwenjagd ausfahrenden Aleuten längst vergangener Tage vorstellt, ein Detail ans nächste, um aus den Einzelheiten die ganze Welt einer archaischen Gesellschaft erstehen zu lassen, die sich mit den gleichen Ritualen, Jagdtechniken und Werkzeugen unverändert über viele Jahrhunderte gebracht hat - wenigstens bis russische Seeleute die Inseln entdeckten.
Denn natürlich ist die Aleuten-Saga auch eine Geschichte von der Zerstörung einer archaischen Kultur durch die Repräsentanten der Moderne. Hier sind es erst russische Pelzjäger, die sich das Geschick der Ureinwohner zunutze machen und sie schließlich brutal unterdrücken, dann englische Soldaten, die sich ebenfalls für die Jagdgründe interessieren und bald mit den Russen ebenso aneinandergeraten wie mit den Inselbewohnern. Als die - mittlerweile von den Vereinigten Staaten beherrschte - Inselgruppe ab 1942 dann auch noch zum Schauplatz heftiger Gefechte wird und die Bewohner evakuiert werden, ist es mit der tradierten Stammeskultur längst vorbei.
Wann sich dieses Ende abzeichnete, ist schwer zu sagen - natürlich ist der erste Kontakt mit Menschen von jenseits des Meeres für die einzelnen Stämme auf den Aleuten ein Einschnitt; für die Bewohner der Insel Attu, deren Geschichte Evans vor allem erzählt, ist es vielleicht das Ende der jahrtausendealten Begräbniskultur: Schon früh schildert Evans jene Grabhöhlen im Vulkan von Attu, der die Gestorbenen als balsamierte Leichen aufnimmt, doch als die russischen Soldaten im Kampf die Insulaner töten, die sich auf diese Kunst der Grablege verstehen, beschließen die übrigen, die Toten fortan ins Meer zu werfen.
Evans, der von 1885 bis 1965 lebte, war weder ein großer Stilist noch frei von Klischees, seine Insulaner sind manchmal gar zu arglos und gut gezeichnet, seine Zivilisationskritik trägt grelle Farben, und wenn er eine Botschaft vermitteln will, trägt er dabei gern dick auf. Dies läßt, wo immer er vom Zusammenprall der Kulturen erzählt, seinen Roman bei aller Spannung und bei allen überaus lebendig geschilderten Kämpfen, gelegentlich etwas zäh werden.
Umso erstaunlicher ist, daß diese Schwächen - die das Buch mit einer anderen, fast gleichzeitig entstandenen großen Insel-Saga teilt, James A. Micheners "Hawaii" von 1959 - dem Roman insgesamt nichts anhaben können. Denn Evans verliert das Faszinosum der Aleuten-Natur nicht eine Sekunde aus den Augen, er schildert die Steine, Gräser und Wellen, wo immer er es kann, und wenn er gleich zu Beginn die Leute von Attu, angeführt von ihrem Häuptling Zok, auf Seelöwenjagd schickt, wenn er beschreibt, wie jeder für sich in einem fellüberzogenen Nachen quer übers Meer rudert, wie die schweren, grünen Wellen das Boot fortwährend anheben und fallen lassen, dann erzeugt das eine derart fesselnde Atmosphäre, daß man dem Autor leicht sein gelegentliches Pathos verzeiht.
Daß der Roman jetzt wieder zugänglich wird, wäre also eine weithin ungetrübte Freude, hätte sich der Verlag nur zu einer neuen Übersetzung bewegen lassen. Denn die vorliegende, die von dem Journalisten Edmund Theodor Kauer 1961 für die deutsche Erstausgabe angefertigt wurde, klebt so erkennbar an der Wortfolge, ja sogar am Lautstand des Originals, daß man dies gelegentlich fast schon rückübersetzen kann. Dafür ist der Neuausgabe ein nützliches Dossier über die Geschichte der Aleuten beigegeben, nicht einmal eine Landkarte des Archipels fehlt. Die Leute von Attu fänden dort nicht nur ihre Insel, sondern könnten sich auch ein Bild von den Siedlungen anderer Menschen machen, fern im Osten. Aber seit dem Zweiten Weltkrieg wohnt auf Attu niemand mehr.
Allen Roy Evans: "Attu". Die Aleuten-Saga. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Edmund Theodor Kauer. Unionsverlag Zürich, Zürich 2003. 318 S., br., 10,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht angeregt berichtet Tilman Spreckelsen diesen Roman, der das Leben auf einer der abgelegensten Inselketten der Welt zum Thama hat. Es geht um die Naturvölker, die dort lebten, erzählt der Rezensent und um ihre ersten und erwartbar fatalen Kontakte mit Europäern aus Russland und England. Die Klischees vom guten Wilden und dem grausamen Zivbilisationseinbruch kommen Spreckelsen zwar arg grell vor. Doch gibt es für ihn zwei Argumente für den Roman: Und das sind die Faszination der Naturschilderungen und die Tatsache, dass man hier überhaupt etwas über dei Geschichte der Aleuten erfährt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Zwischen Asien und Amerika liegen die Aleuten, eine Inselkette, die Geologen als den letzten Rest der Brücke zwischen den Kontinenten betrachten. Sie wurden 1741 von Vitus Bering entdeckt und gerieten in den Folgejahren ins Visier der großen Mächte, die die natürlichen Reichtümer abtransportierten und den Menschen dort Hunger und Elend, Krankheit und schließlich Tod brachten. Anfang der 1960er Jahre schrieb der kanadische Autor Allen Roy Evans die tragische Geschichte dieser Inseln und ihrer Bewohner nieder: 'Attu - Die Aleuten-Saga' gehört sicher zu den berührendsten Zeugnissen arktischer Literatur.« Friederike Raderer Österreichischer Rundfunk