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Willem Frederik Hermans' letzter Roman ist ein imposantes Buch über die Undurchschaubarkeit der uns umgebenden Welt, über Sein und Schein, Wahrheit und Betrug.
Kunstgeschichte und Französisch - das möchte Paulina, eine 19jährige Abiturientin aus Vlissingen, studieren. Aber natürlich nicht in Amsterdam wie ihre Cousine Klara, sondern in Paris, wo Französisch auch wirklich gelehrt und gesprochen wird. Weil Paulinas Eltern ihre abenteuerlichen Studienwünsche nicht finanzieren können, beschließt die junge Frau, sich als Au-pair-Mädchen zu bewerben. Nach mehrfacher Vermittlung gerät sie an den…mehr

Produktbeschreibung
Willem Frederik Hermans' letzter Roman ist ein imposantes Buch über die Undurchschaubarkeit der uns umgebenden Welt, über Sein und Schein, Wahrheit und Betrug.

Kunstgeschichte und Französisch - das möchte Paulina, eine 19jährige Abiturientin aus Vlissingen, studieren. Aber natürlich nicht in Amsterdam wie ihre Cousine Klara, sondern in Paris, wo Französisch auch wirklich gelehrt und gesprochen wird. Weil Paulinas Eltern ihre abenteuerlichen Studienwünsche nicht finanzieren können, beschließt die junge Frau, sich als Au-pair-Mädchen zu bewerben. Nach mehrfacher Vermittlung gerät sie an den kunstsinnigen General de Lune. In seinem Haus begegnet man Paulina sehr respektvoll, stellt ihr ein luxuriöses Appartement zur Verfügung und überhäuft sie mit Geschenken. Paulina fragt sich allerdings, wozu diese Familie ein Au-pair-Mädchen braucht. Sucht der General womöglich eine Ehefrau für seinen mißratenen Enkelsohn? Als Paulina schließlich in ein Familiengeheimnis eingeweiht wird und in sonderbarer Mission in die Schweiz reisen soll, wird ihr der General noch suspekter. Was hat es mit dem Vermögen auf sich, das Paulina ins Ausland schmuggeln soll?
Autorenporträt
Willem Frederik Hermans, geboren 1921 in Amsterdam, Studium der Physischen Geographie, Promotion auf diesem Gebiet und Lehre bis 1973 als ordentlicher Professor an der Universität Groningen. Während des Zweiten Weltkriegs begann Hermans zu schreiben, Veröffentlichung neben Romanen auch Gedichte, Dramen, Erzählungen und Essays. Zahlreiche Literaturpreise, die er jedoch zumeist ablehnte. Seine Werke sind in den Niederlanden Schullektüre. Der Autor verstarb 1995 in Utrecht.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2004

Der General und das Mädchen
Willem Frederik Hermans verirrt sich in einer Kolportage
„Ich bin ja nur ein armer Niederländer”, sagt Cees Nooteboom, wenn ihn sein Publikum besonders verliebt ansieht. Vermutlich hat Willem Frederik Hermans solch doppelsinnige Sätze niemals ausgesprochen; wie sehr er aber seine Selbstironie genießt, liest man gleich im ersten Satz. Holland schrumpft zum Zwergenstaat, in dem Willem Frederik Hermans 1921 geboren wurde, Physische Geographie studierte, in Groningen eine Professur bekam und 1995 in Utrecht starb. Seine Neigung zum Spott zeugt weniger von Landesverrat als von einer pessimistischen Haltung dem so genannten Guten gegenüber.
Hermans’ Romane „Die Dunkelkammer des Damokles” (1957, deutsch 2001) und „Nie mehr schlafen” (1966, deutsch 2002) setzen sich mit den Egoismen der Menschen auseinander, die große Aufgaben erfüllen, aber doch nur am kleinen eigenen Ruhm Interesse haben. Und weil Hermans’ Figuren darüber hinaus keinen ausgeprägten Willen, Antrieb oder bezeichnende Eigenschaften besitzen, wird er als „Nihilist” gefeiert. Auch die deutsche Kritik sparte nicht an Begriffen wie „meisterhaft” und „brillant” und rief, brav und vermessen musterschülerhaft, Namen wie Kleist, Kafka, Céline oder Sartre.
Auf dem Foto, das Willem Frederik Hermans mit mehreren Schreibmaschinen im Hintergrund zeigt, ähnelt er dem Bild des perfekten niederländischen Grandseigneurs, gestylt nach englischem Vorbild, und seine Biographen sprechen mit ebenso viel Respekt wie Angst über diesen komplexen und komplizierten Charakter.
In seinem Alterswerk „Au pair” hat Willem Frederik Hermans seine profunde Kenntnis der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts ausgekostet. Er hat sich Paulina ausgedacht, eine neunzehnjährige Niederländerin, blond, riesengroß und ganz unvorstellbar unschuldig. Obwohl der Roman irgendwann in den Sechzigern spielt, behandelt der Autor seinen Stoff wie Material des 19. Jahrhunderts. Er expediert Paulina in der Rolle des Au-Pair-Mädchens in das Pariser Bürgertum. Dort schlittert sie in dekadente Milieus, an denen Joris-Karl Huysmans sich längst gütlich getan hat.
Kennen Sie Multatuli?
Als Au-Pair-Mädchen, das in Paris Kunstgeschichte studieren möchte, wird Paulina von einer Agentur dem alten General de Lune zugeteilt, einem fanatischen Sammler der Zeichnungen von Constantin Guys. Letzterer stammte, wie Paulina, aus Vlissingen, ging nach Paris, skizzierte das Leben auf den Boulevards, wurde von Baudelaire entdeckt und in dem berühmten Essay „Le Peintre de la vie moderne” als exemplarische Figur ästhetischer Modernität gefeiert.
De Lune interessiert sich ausschließlich für die Zeichnungen von Constantin Guys. Aber leider schreibt Willem Frederik Hermans keinen kurzen Roman über einen alten Sammler, seine verrückten, verwöhnten Kinder und Enkel, über ein kurioses Haus und einen Maler, der sich für die Geschwindigkeit des Alltags interessierte, sondern er will auf knapp fünfhundert Seiten auch die Geschichte einer Last aufschreiben, die so unglaubwürdig klingt, dass alles zur Kolportage gerät oder eigentlich zu einem Buch aus vielen bekannten Büchern.
„Au pair” ist das Patchwork des begierigen Lesers Hermans, der alles aus der Erinnerung zusammenschüttelt und dabei vergessen hat, was er einmal konnte. Der kleine Krimi, den Hermans einbaut, handelt von Geld, viel Geld, das General de Lune treuhänderisch von Juden vor der Flucht übergeben wurde. Über die Jahre hat das Vermögen sich vervielfacht. Paulina soll, das ist die Aufgabe, die hinter ihrem Au-Pair-Job lauert, das Geld in einem Koffer über die Grenze nach Basel bringen, und man fragt sich, weshalb das alles so kompliziert ist, aber der einzige überlebende Verwandte der jüdischen Familie ist der ehemalige SS-Offizier Müller, und der General möchte unbedingt das Geld, an dem Ex-Nazi vorbei, an eine wohltätige Organisation umleiten. Frederik Willem Hermans setzt dubiose Anwälte und einen kleinen Spion in einem auffallend karierten Mantel ein, Paulina besteigt nicht den Zug nach Basel, sondern den nach Luxemburg.
„Manche Bücher gehen gut aus, andere nicht”, sagt Paulina zu einem Niederländer, der ihr in einem Pariser Café Flauberts „Emma Bovary” madig machen will. Und dann, das gehört sich für einen niederländischen Schriftsteller, der doch ein bisschen stolz darauf ist, ein Niederländer zu sein, wird das große niederländische Epos, Multatulis „Max Havelaar”, eingeflochten, und man kann hoffen, dass der Multatuli-Kenner aus dem Café der erste sein wird, der endlich mit der schönen Paulina ins Bett geht, denn es ist der Ärmsten, „als seien ihre Schenkel ineinander verliebt”.
Schade, dass der achtundsechzigjährige Willem Frederik Hermans in diesem Buch nicht nur seine Kunst, bedrängende Geschichten zwingend zu erzählen, sondern auch seine Originalität vergessen hat. Hier wollte er einmal der gute Mann sein, der anderen ein schlechtes Gewissen macht, aber das ist vor lauter Themen und Rechtfertigungen, Schilderungen bekannter Milieus und sprachlicher Durchschnittlichkeit gründlich misslungen.
VERENA AUFFERMANN
WILLEM FREDERIK HERMANS: Au pair. Roman. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2003. 495 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2003

Blonder Lichtblick in einem sadistischen Universum
Auch Humanisten sind Gefühlsdusel: Willem Frederik Hermans erzählt von der Erziehung eines niederländischen Mädchenherzens

Nach Meinung von Ernährungsphysiologen hat die viele Milch in der Ernährung zu ausgeprägtem Längenwachstum niederländischer Kinder geführt. Paulina, die Heldin des Romans "Au pair" von Willem Frederik Hermans, ist dadurch über einsneunzig hochgeschossen, was das hübsche Mädchen in ihrer Heimatstadt Vlissingen bis übers Abitur hinaus in die Höhenluft erotischer Einsamkeit entrückt hat. Die reckenhafte, dabei sehr verträumte Blondine macht den Männern schlicht angst. In der Weltstadt Paris, in der schon manch andere reine Seele die schäbige große Welt kennenlernte, will Paulina studieren und nebenbei etwas erleben. Und weil ihr Vater, ein biederer holländischer Verwaltungsmann, sich solche Eskapaden nicht leisten kann, sucht sie eine Stelle als Au-pair-Mädchen.

Hermans, einer der bedeutendsten Nachkriegsautoren der niederländischen Sprache, hatte im selbstgewählten Exil in Frankreich genug Gelegenheit, den Aufenthalt seiner Heldin realistisch zu unterfüttern: die namenlose Arroganz des Pariser Bürgertums; das verdreckte Dienstbotenzimmer; die obszöne Anmache von Dienstherr und verzogenem Sohn des Hauses; den Geiz der Reichen; die Anarchie arabischer Wanderarbeiter unterm Dachboden. Paulina, unerschütterlich in ihrem humanistischen Glauben wie eine de Sadesche Justine, überlebt all das, bevor sie schließlich in einer ganz anderen Welt landet. Die Generalsfamilie De Lune bietet ihr luxuriöse Räumlichkeiten mit Badezimmer, neue Kleider, reichlich Taschengeld. Dafür muß sie dem uralten und steinreichen Hausherrn, dem von allen Leidenschaften vorzugsweise diejenige für den vergessenen holländischen Maler Constantin Guys geblieben scheint, ab und zu Gesellschaft leisten.

Daß an dieser vermeintlichen Uneigennützigkeit irgend etwas faul ist, das schwant dem Leser früher als der arglosen Paulina. Hermans hat nicht ohne Grund seine Weltanschauung als "sadistisches Universum" beschrieben, hat nicht in seinen anderen Romanen genügsam den blinden Zufall gefeiert, die Illusionen von Religion und Moralismus gegeißelt, um seine Versuchsperson hier nun ganz ungeschoren davonkommen zu lassen. Abgesehen davon, daß die Sippe De Lune einen selbst für Pariser Verhältnisse gehörigen Knall hat, führt sie mit ihrer hochgewachsenen "petite Hollandaise" irgend etwas im Schilde. Lungert etwa irgend jemand hinter den Badezimmerspiegeln, vor denen Paulina ihren makellosen Körper mit französischen Essenzen einölt? Vielleicht gar der hochdekorierte Kriegsheld und Kunstsammler selber?

Leider zieht sich dann der Roman über das Alltagsgeplauder mit den überzüchteten Bourgeois in die Länge. Generalssohn Armand ist ein verkrachter Dichterling, sein Bruder Michel pflegt in seinen Räumen mittelmäßige Klavierkunst, die Schwägerin säuft, und Sohn Edouard wirkt als häßlicher Riese, der sich verdächtig gut mit Geld auskennt, derart enigmatisch auf die provinzielle Niederländerin, daß sie sich - aus Dankbarkeit, aber auch aus Berechnung - prompt in ihn verliebt. Das kann nicht gutgehen. Hermans schildert diese Verhältnisse mit abgebrühter Illusionslosigkeit und erinnert dabei, wenn über Marschall Pétain, alte Autos oder das Personal hergezogen wird, manchmal an das herrlich peinliche Alltagsgeplauder etwa der Filme eines Eric Rohmer. Allein, das Ganze liest sich dann zäh und hätte auch etwas zügiger auf den Punkt kommen können: Paulina soll einen Geldkoffer außer Landes schaffen, ein Legat eines im Krieg verschollenen jüdischen Nachbarn, das nun ausgerechnet an weitläufige Naziverwandtschaft fallen könnte. Paulina bewältigt den gefährlichen Schmuggel nach Luxemburg, aber nur, um hinterher zu erfahren, daß sie einem schäbigen Betrug aufgesessen ist.

Mehr soll nicht verraten werden. Doch ganz so genial, wie der Erzähler sie vielleicht fand, ist die Finte denn doch nicht. Die Moral, daß die Menschen schlecht und Humanisten Gefühlsdusel sind, hätte sich auch weniger umständlich erzählen lassen. Hermans gestattet sich auf knapp fünfhundert Seiten allzu viele Abschweifungen und ist deshalb weit von der zynischen Eiseskälte seiner direkten Nachkriegsprosa entfernt, die zum Härtesten und Besten in der europäischen Literatur jener Zeit gehört: "Die Dunkelkammer des Damokles" und vor allem das noch nicht übersetzte "Behouden Huis" (Das behütete Haus). Dafür, dieses OEuvre eines politisch unkorrekten Dauerpolterers und Sprachpedanten in der starken Übersetzung von Waltraud Hüsmert dem deutschen Publikum zugänglich zu machen, gebührt dem Gustav Kiepenheuer Verlag aber jetzt schon höchstes Lob.

Über seiner langen Paulina und ihrem nicht minder langen Entwicklungsroman ist Hermans - er starb 1995 - offenbar selber altersmilde und sentimental geworden, was seine vorher eisige Prosa ein wenig verwässert. Hat er, was gefährlich ist für einen Autor, sich gar ein bißchen in seine blonde Walküre verliebt? Er schildert ihre Pariser Erziehung des Herzens in diversen Anspielungen als moderne Irrfahrt in den Fußspuren von Flauberts Helden. Das Mädchen - eine moderne Emma, der dann allerdings dank den Segnungen der sachlichen Neuzeit ein fatales Abstürzen erspart bleibt. So geht sie, umgeben von lauter Geschmeiß, am Ende geläutert, aber immer noch jungfräulich aus den Pariser Abenteuern hervor. Ihr Autor begegnet ihr noch kurz im Café und kann sie, die milchgesichtige, kühläugige Schönheit von der Polderweide, dann mit allen 192 perfekt gewachsenen Zentimetern in das entlassen, was nach dem Au pair so zu kommen pflegt: das erwachsene Leben nach dem Abstillen.

Willem Frederik Hermans: "Au pair". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Waltraud Hüsmert. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2003. 495 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Dirk Schümer ist enttäuscht von diesem Roman des 1995 verstorbenen Willem Frederik Hermans. Auf fast fünfhundert Seiten gestatte Herman sich in seiner Geschichte eines niederländischen Au-Pair-Mädchens in Paris "allzu viele Ausschweifungen", weshalb er von der zynischen Eiseskälte früherer Bücher weit entfernt sei, die der Rezensent zum "Härtesten und Besten" der europäischen Literatur nach 1945 zählt. Es geht, wie man Schümers Beschreibung entnehmen kann, um die junge Holländerin Paulina, die in Paris bei zwei Familien als Au-Pair zunächst mit der Arroganz des Pariser Bürgertums, später mit dessen Monstrositäten in Kontakt kommt. Den Rezensenten erinnert die Protagonistin in ihrem unerschütterlichen humanistischen Glauben gelegentlich an eine walkürenhafte Version der Sadeschen Justine. Alles in allem findet er jedoch den Roman durch das "Alltagsgeplauder mit den überzüchteten Bourgeois" in die Länge gezogen, dass sich, trotz gelegentlicher Nähe zum "herrlich peinlichen Alltagsgeplauder" a la Eric Rohmer, eher zäh lese. Dennoch lobt er neben der starken Übersetzung auch den Verlag für sein Engagement für diesen Autor.

© Perlentaucher Medien GmbH"