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Seit 1988 kämpft die Moskauer Mathematikdozentin Swetlana Gannuschkina, 80, für Flüchtlinge und Vertriebene in Russland. Die russische Menschenrechtlerin, Trägerin des Stieg-Larsson-Preises, des Menschenrechtspreises von Amnesty International und des Alternativen Nobelpreises, hat sich durch die aktuellen Entwicklungen in ihrer Heimat niemals einschüchtern lassen. In ihrem Buch erzählt die enge Freundin der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über ihren Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung sowie ihr Engagement für die Menschen in Russland."Auch wir sind Russland" ist zugleich Biografie…mehr

Produktbeschreibung
Seit 1988 kämpft die Moskauer Mathematikdozentin Swetlana Gannuschkina, 80, für Flüchtlinge und Vertriebene in Russland. Die russische Menschenrechtlerin, Trägerin des Stieg-Larsson-Preises, des Menschenrechtspreises von Amnesty International und des Alternativen Nobelpreises, hat sich durch die aktuellen Entwicklungen in ihrer Heimat niemals einschüchtern lassen. In ihrem Buch erzählt die enge Freundin der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über ihren Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung sowie ihr Engagement für die Menschen in Russland."Auch wir sind Russland" ist zugleich Biografie und Deutung der aktuellen Situation eines Landes im Zerfall. Swetlana Gannuschkina analysiert mit großem Erfahrungsschatz ein korruptes Rechtssystem, prangert die Annexion der Krim und den Überfall auf die Ukraine genauso an wie Methoden der Regierung, den Terrorismus im Land mit Terror zu bekämpfen. Eindringlich schildert sie ihre Arbeit für Flüchtlinge und Vertriebene, unter anderem für die von Putin verbotene Menschen- und Bürgerrechtsorganisation »Memorial«, aber auch den Verlust ihrer ermordeten Freundinnen Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa. Sie zeigt ein Land, in dem die politischen Zustände kriminellen Strukturen ähneln, Unschuldige im Strafvollzug gefoltert werden und die Fremdenfeindlichkeit bedrohlich wächst. Ein Land, das sie für seine Kultur und seine Menschen liebt. Ihr Buch weist alle »Putin-Versteher« im Westen zurecht und stellt uns vor die aufrüttelnde Frage, wie wir mit unserem großen Nachbarn in Zukunft weiter zusammenleben können.
Autorenporträt
Swetlana Gannuschkina, geb. 1942, Menschenrechtlerin und Gründerin der NGO »Zivile Unterstützung«, leitet das Netzwerk »Memorial« mit Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene. In Prozessen vor russischen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhinderte sie die Zwangsrückführung von Migranten aus Russland in zentralasiatische Länder, in denen ihnen Haft und Folter gedroht hätten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2015

Stimme des anderen Russlands
Das schwierige Leben als Menschenrechtsschützerin und "ausländische Agentin"

Auch in Russland hat sich herumgesprochen, dass es in Deutschland "Putinversteher" gibt. Der Präsident hat nicht nur Politik, Medien und Justiz seines Landes, sondern auch dessen Bild im Ausland gekapert. Das stört Swetlana Gannuschkina, die Gründerin der Organisation "Zivile Unterstützung", die Flüchtlingen und Vertriebenen hilft. Die frühere Mathematikdozentin, die 1942 in Moskau geboren wurde, ist eine Stütze der russischen Zivilgesellschaft, die immer mehr stärker unter Druck geraten ist. Trotzdem punktet Präsident Wladimir Putin bei einem Teil des westlichen Publikums mit der Logik, nach der er im Inneren vorgeht: Wer nicht hinter der Führung steht, ist Agent, Spion, Verräter; umgekehrt soll gelten, dass, wer Russland mag, hinter Putin steht. Gannuschkina sagt, in Deutschland habe sie bemerkt, wie stark der Einfluss des Regimes auch dort sei. "Aber es gibt ein anderes Russland." Deshalb hat sie ihr Buch, das sie zusammen mit der deutschen Journalistin Alexandra Cavelius verfasst hat, "Auch wir sind Russland" genannt. Es mischt Familienerinnerungen, etwa an die Krim und das Aufwachsen im Stalinismus, mit Einblicken in die lange Arbeit als Menschenrechtsschützerin, die sich in vielen Konflikten für diejenigen eingesetzt hat, die zu Opfern wurden. Opfer von Menschen, die eben noch Nachbarn waren, oft auch: des Staates.

Gannuschkina landete wegen ihres Engagements auf einer Todesliste im Internet. Mit Foto, Telefonnummer, Adresse und "Todesurteil" durch russische Rechtsextremisten. Die Staatsanwaltschaft, an die sie sich mit anderen Betroffenen wandte, reichte das Gesuch an den Geheimdienst FSB weiter. Der teilte mit, es handele sich nicht um einen Aufruf zum Mord: "Einige von Ihnen sind weiten Schichten der Bevölkerung bekannt, trotzdem ist die Einschätzung von Ihnen in der Gesellschaft nicht eindeutig. Tatsächlich ist Ihr Einfluss auf die Gesellschaft der Russischen Föderation sogar gering." Ähnlich äußerte sich Putin über die Journalistin Anna Politkowskaja nach deren Ermordung. "Hieß das, dass man Menschen, die nicht einflussreich sind und wenig bedeuten, mit dem Tode bedrohen darf?", fragt Gannuschkina. Sie kannte und schätzte Politkowskaja, kannte und schätzte auch viele andere, die ermordet worden sind, so die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa, die in Tschetscheniens Hauptstadt Grosnyj arbeitete; sie ist eine der vielen Heldinnen von "Auch wir sind Russland".

Für Gannuschkinas Hilfsorganisation wird die Arbeit immer schwieriger. Wenn die "Zivile Unterstützung", etwas veröffentlicht, muss sie darauf hinweisen, dass sie das Justizministerium seit dem 20. April dieses Jahres als "ausländischer Agent" führt. Helfer der Organisation wollen nicht genannt werden, aus Angst vor Repressalien. Obwohl "Zivile Unterstützung" auch Fördergelder des Präsidenten erhält. Gerade hat die Duma, das Unterhaus, ein Gesetzprojekt verabschiedet, dass die Verbindlichkeit von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter den Vorbehalt stellt, dass das russische Verfassungsgericht nicht anderweitig entscheidet. Aus Sicht Gannuschkinas ist das ein klarer Bruch der russischen Verfassung und "furchtbar". Denn für viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Russland ist "Straßburg" die einzige Hoffnung. Etwa für Elena Gontscharuk, die im Jahr 2000 eine Mordaktion von Soldaten in Grosnyj knapp überlebte. Im Buch wird ihr Fall eindringlich beschrieben: eines von vielen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung, verübt durch Soldaten, die sagten, sie seien "mit dem Befehl gekommen, alles, was wächst und was sich bewegt, dem Erdboden gleichzumachen". Gannuschkina blickt zudem mit Sorge auf Pläne, Beamten per Gesetz zu verbieten, mit "ausländischen Agenten" zusammenzuarbeiten. Gerade erst saß Gannuschkina mit einer Mitarbeiterin der Migrationsbehörde zusammen, um die Ausweisung einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie zu verhindern. Mit dem Verbot wären solche Gespräche nicht mehr möglich.

Gannuschkinas zwei Kinder leben mittlerweile im Ausland. Sie aber will in ihrer Heimat bleiben, auf dass es dort besser werde. "Der Staat gibt uns jeden Tag einen Adrenalinschub", sagt sie.

FRIEDRICH SCHMIDT

Swetlana Gannuschkina mit Alexandra Cavelius: "Auch wir sind Russland", Europa Verlag, 432 Seiten, 24,99 Euro

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