Im April 1952 begann vor dem Landgericht München ein Sensationsprozess. Angeklagt war der prominenteste Jude in Deutschland nach dem Krieg: Philipp Auerbach. Er hatte Auschwitz überlebt und stritt wie kein anderer für die Überlebenden des Holocaust. Seine Richter, ehemalige Nazis, verurteilten ihn wegen geringer Vergehen. Auerbach nahm sich noch am selben Tag das Leben.
Sein Schicksal steht symbolhaft dafür, dass es die »Stunde Null« nach dem Krieg so nicht gegeben hat. Dass alte Eliten zu neuen wurden und der Antisemitismus fortlebte. Hans-Hermann Klares fulminante Biographie taucht die Nachkriegszeit in neues Licht. Sie lässt eine Welt wieder auferstehen, in der Hundertausende Displaced Persons in Deutschland für ein Leben in Würde kämpfen mussten.
Sein Schicksal steht symbolhaft dafür, dass es die »Stunde Null« nach dem Krieg so nicht gegeben hat. Dass alte Eliten zu neuen wurden und der Antisemitismus fortlebte. Hans-Hermann Klares fulminante Biographie taucht die Nachkriegszeit in neues Licht. Sie lässt eine Welt wieder auferstehen, in der Hundertausende Displaced Persons in Deutschland für ein Leben in Würde kämpfen mussten.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Atemlos liest Rezensent Andreas Scheiner die "urgewaltige" Biografie von Hans-Hermann Klare über Philipp Auerbach, den "bekanntesten Juden Deutschlands". Dessen Leben war an sich schon schier unfassbar, wie der Kritiker deutlich macht: Er überlebte mehrere Inhaftierungen in Konzentrationslagern, überstand dort gebrochene Kniescheiben, Malariaerkrankungen und den Todesmarsch von Auschwitz nach Gross-Rosen, setzte sich nach Kriegsende massiv für die überlebenden Juden ein und nahm sich 1952 am Ende eines Schauprozesses das Leben. Wie Klare von all dem erzählt, von Auerbachs Leid und von glücklichen Zufällen, von seiner Fehlbarkeit und seinen Leistungen als Staatskommissar in München, die schließlich vom Überleben des Judenhasses in Deutschland überschattet und im Zuge eines "haarsträubenden" Prozess von Altnazis verurteilt wurden, findet der Kritiker extrem eindrücklich und nahbar - "effektiver" kann Geschichtsschreibung nicht sein, meint er. Und trotzdem schließt er mit der verzweifelten Frage, ob ein solches Buch heute noch gegen das Vergessen ankommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2022Anwalt
der Überlebenden
Hans-Hermann Klares großartige Biografie über
Philipp Auerbach und seinen Zwist mit der CSU
VON CORD ASCHENBRENNER
Wem bei dem Nachnamen Auerbach allenfalls das im „Faust“ erwähnte Lokal in Leipzig einfällt, ist nicht allein. Denn Philipp Auerbach, in den ersten Nachkriegsjahren ein bekannter, sogar berühmter Mann, der den Posten eines „Staatskommissars für rassisch, politisch und religiös Verfolgte“ in München bekleidete – dieser Auerbach, der Auschwitz überlebt hatte, ist so gut wie vergessen. Das könnte sich nun ändern, denn der ehemalige Stern-Redakteur Hans-Hermann Klare hat eine so fundierte wie erhellende Biografie Auerbachs geschrieben, die aus etwa 30 Archiven schöpft. Klare holt nicht nur die eindrucksvolle Gestalt Auerbachs samt ihren durchaus schwierigen Seiten aus dem Dunkel; er leuchtet auch die zum Teil unbelehrbar antisemitische deutsche Nachkriegsgesellschaft aus, die den bei vielen verhassten Juden Auerbach schließlich in den Selbstmord trieb.
Geboren 1906 im Hamburger Grindelviertel – wo das aufstrebende jüdische Bürgertum lebte – als Sohn eines religiös orthodoxen Kaufmanns, begann der knapp 18-jährige Auerbach 1924 nach der Talmud-Tora-Realschule eine Ausbildung zum Drogisten. Er stieg in die väterliche Firma ein, sympathisierte politisch erst mit der linksliberalen DDP und betätigte sich dann beim Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, einer der SPD nahestehenden Massenbewegung.
Allzu viel ist über die ersten Lebensjahrzehnte Auerbachs nicht bekannt, Hans-Hermann Klare gelingt es dennoch, ein knappes, farbiges Bild der ersten Jahrzehnte des hünenhaften, umtriebigen und rednerisch begabten jungen Mannes zu malen. Auf „manche Mutmaßung angewiesen“ ist Klare auch nach dem 5. September 1934, dem Tag, an dem Auerbach aus Nazi-Deutschland illegal nach Belgien reiste; wenige Wochen später folgte ihm seine Frau Martha mit der einjährigen Tochter Helen. Für die kleine jüdische Familie begannen Jahre des Exils, in denen der findige und vielsprachige Geschäftsmann Auerbach mehrere Firmen gründete. Sein Erfolg beruhte offenbar auf einer bezwingenden Mischung aus Großbürgerlichkeit hier und Großspurigkeit dort. Seit 1936 unterstützte er diskret die Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg.
Nach dem deutschen Einmarsch in Belgien im Mai 1940 wurde Auerbach als feindlicher Ausländer interniert, es begann ein Leidensweg, der ihn als Erstes in die Lager der Vichy-Regierung in Südfrankreich führte. Die Familie musste sich trennen, Martha und Helen Auerbach gelang die Flucht nach Kuba und später in die USA; der Ehemann und Vater wurde erst nach Berlin ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz geschafft, 1944 nach Auschwitz deportiert, 1945 nach Buchenwald. Schon in den Lagern St. Cyprien und Gurs hatte Auerbach sich auf seine Kenntnisse als Drogist besonnen und begonnen, aus Abfällen Seife und Mittel gegen den grassierenden Durchfall zu fabrizieren. In Auschwitz gab er sich als Chemiker aus, der Mittel gegen Ungeziefer für die SS herstellen musste – sowie, absurderweise, Seife für den privaten Gebrauch des „Führers“. So überstand er die Zeit an dem Schreckensort, ebenso das Lager Buchenwald. Klare schildert ihn als Mann, der stets nicht nur auf das eigene Überleben, sondern auch darauf bedacht war, seinen Leidensgenossen zu helfen. „Der Mann, der Elend sah“ heißt Auerbachs unveröffentlichter Bericht über die Jahre der Verfolgung, den er kurz nach dem Krieg verfasste.
Nach der Befreiung durch US-Truppen aus Buchenwald begann Auerbach umgehend damit, sich um die traumatisierten Ex-Häftlinge zu kümmern, die Unterkünfte, Essen und Geld brauchten. Und nicht nur das: Anders als den allermeisten seiner Glaubensgenossen, etwa dem in London im Exil lebenden Leo Baeck, schien Auerbach neues jüdisches Leben in Deutschland möglich zu sein. Er gründete schon 1946 ein Gemeindeblatt, aus dem die noch heute erscheinende Jüdische Allgemeine hervorging. Klare bescheinigt Philipp Auerbach „enorme mentale Stärke“, durch die er mit den grauenhaften Umständen in den Lagern zurechtkam und noch Kraft daraus ziehen konnte, für andere da zu sein. Sein Biograf zeichnet keinen makellosen Helden, sondern einen unkonventionellen, facettenreichen Mann, der ein großes Herz hatte – aber auch süchtig nach Anerkennung war, einen begabten Aufschneider mit einem für manche verstörend großen Ego und Zügen von Hybris.
Nur so jedoch wurde Auerbach – erst in der britischen, später in der amerikanischen Zone – sehr schnell als überaus selbstbewusster Interessenvertreter der jüdischen „Displaced Persons“ (DP) wahrgenommen. Er verhalf ihnen zu Entschädigungen, Wohnungen und vielen auch zur Auswanderung nach Palästina, später nach Israel, dabei nicht immer nach den ehernen Grundsätzen deutscher Amtsführung handelnd. Allein in Bayern konnten dank des Staatskommissars Auerbach um die 100 000 Menschen ausreisen. Gleichzeitig ruhte er nicht, NS-Täter anzuprangern, die allzu schnell begnadigt worden oder rasch wieder in hohe Ämter gekommen waren. Viele Deutsche empfanden dies als Anmaßung des Mannes, der sie ohnehin schon die ganze Zeit mit der Wiedergutmachung für jüdische Opfer behelligte. Lediglich Auerbachs Hilfe für die Ausreisewilligen ließen sie gelten, man wollte die Juden ja loswerden. Klares Buch verdeutlicht, mit welcher Kälte, wie angewidert viele Menschen den Überlebenden der Lager begegneten. Mitgefühl zeigten sie, wenn sie hingebungsvoll für die Freilassung inhaftierter Kriegsverbrecher und SS-Mörder demonstrierten, etwa 1951 in Landsberg.
Insbesondere für seinen Intimfeind, den „Ochsensepp“, den schillernden bayerischen Justizminister Josef Müller, war Auerbach zu selbst- und zu machtbewusst. Auch, weil Auerbach über die Rolle, die Müller in den dreißiger Jahren als Anwalt bei der „Arisierung“ gespielt hatte, wohl Bescheid wusste. Der Minister steckte hinter einer Kampagne gegen Auerbach, die 1951 mit einer wochenlangen Durchsuchung des Landesentschädigungsamtes begann und ihm Betrug und Bereicherung an dem für die Entschädigung der Opfer gedachten Geld nachzuweisen versuchte.
Die Geschichte des charismatischen Staatskommissars Auerbach endete 1952 in einem Münchner Gerichtsaal vor einem Staatsanwalt und Richtern, die allesamt der NSDAP angehört hatten, nach einem Jahr Untersuchungshaft, mit einer in sich zusammenfallenden Anklage wegen Untreue und Unterschlagung. Der schwerkranke Angeklagte wurde dennoch zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, unter anderem wegen unberechtigten Führens eines Doktortitels. In der Nacht nach dem Urteil nahm Auerbach sich mit Tabletten das Leben.
Hans-Hermann Klare hat dieses Leben intensiv recherchiert, er erzählt es fesselnd und einfühlsam. Man muss nicht mit jeder seiner Formulierungen einverstanden sein (etwa, wenn von „zugedröhnten“ SS-Leuten die Rede ist), genauso wenig wie mit allen Deutungen von Auerbachs Psyche. Und leider fehlt, trotz einer Fülle von Namen und Orten, ein Register. Das alles ändert nichts daran, dass Klare mit seinem Buch einer bemerkenswerten historischen Gestalt der Nachkriegszeit ein Denkmal gesetzt hat.
Der Staatskommissar
war kein Held, er hatte viele
dunkle Seiten
Hans-Hermann Klare: Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder wie der Antisemitismus den Krieg überlebte. Aufbau Verlag Berlin 2022.
471 Seiten, 28 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Klare Haltung, schwieriger Charakter: Philipp Auerbach (oben). Nach seinem Selbstmord trauerte die jüdische Gemeinde (unten).
Fotos: UPI/dpa, dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Überlebenden
Hans-Hermann Klares großartige Biografie über
Philipp Auerbach und seinen Zwist mit der CSU
VON CORD ASCHENBRENNER
Wem bei dem Nachnamen Auerbach allenfalls das im „Faust“ erwähnte Lokal in Leipzig einfällt, ist nicht allein. Denn Philipp Auerbach, in den ersten Nachkriegsjahren ein bekannter, sogar berühmter Mann, der den Posten eines „Staatskommissars für rassisch, politisch und religiös Verfolgte“ in München bekleidete – dieser Auerbach, der Auschwitz überlebt hatte, ist so gut wie vergessen. Das könnte sich nun ändern, denn der ehemalige Stern-Redakteur Hans-Hermann Klare hat eine so fundierte wie erhellende Biografie Auerbachs geschrieben, die aus etwa 30 Archiven schöpft. Klare holt nicht nur die eindrucksvolle Gestalt Auerbachs samt ihren durchaus schwierigen Seiten aus dem Dunkel; er leuchtet auch die zum Teil unbelehrbar antisemitische deutsche Nachkriegsgesellschaft aus, die den bei vielen verhassten Juden Auerbach schließlich in den Selbstmord trieb.
Geboren 1906 im Hamburger Grindelviertel – wo das aufstrebende jüdische Bürgertum lebte – als Sohn eines religiös orthodoxen Kaufmanns, begann der knapp 18-jährige Auerbach 1924 nach der Talmud-Tora-Realschule eine Ausbildung zum Drogisten. Er stieg in die väterliche Firma ein, sympathisierte politisch erst mit der linksliberalen DDP und betätigte sich dann beim Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, einer der SPD nahestehenden Massenbewegung.
Allzu viel ist über die ersten Lebensjahrzehnte Auerbachs nicht bekannt, Hans-Hermann Klare gelingt es dennoch, ein knappes, farbiges Bild der ersten Jahrzehnte des hünenhaften, umtriebigen und rednerisch begabten jungen Mannes zu malen. Auf „manche Mutmaßung angewiesen“ ist Klare auch nach dem 5. September 1934, dem Tag, an dem Auerbach aus Nazi-Deutschland illegal nach Belgien reiste; wenige Wochen später folgte ihm seine Frau Martha mit der einjährigen Tochter Helen. Für die kleine jüdische Familie begannen Jahre des Exils, in denen der findige und vielsprachige Geschäftsmann Auerbach mehrere Firmen gründete. Sein Erfolg beruhte offenbar auf einer bezwingenden Mischung aus Großbürgerlichkeit hier und Großspurigkeit dort. Seit 1936 unterstützte er diskret die Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg.
Nach dem deutschen Einmarsch in Belgien im Mai 1940 wurde Auerbach als feindlicher Ausländer interniert, es begann ein Leidensweg, der ihn als Erstes in die Lager der Vichy-Regierung in Südfrankreich führte. Die Familie musste sich trennen, Martha und Helen Auerbach gelang die Flucht nach Kuba und später in die USA; der Ehemann und Vater wurde erst nach Berlin ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz geschafft, 1944 nach Auschwitz deportiert, 1945 nach Buchenwald. Schon in den Lagern St. Cyprien und Gurs hatte Auerbach sich auf seine Kenntnisse als Drogist besonnen und begonnen, aus Abfällen Seife und Mittel gegen den grassierenden Durchfall zu fabrizieren. In Auschwitz gab er sich als Chemiker aus, der Mittel gegen Ungeziefer für die SS herstellen musste – sowie, absurderweise, Seife für den privaten Gebrauch des „Führers“. So überstand er die Zeit an dem Schreckensort, ebenso das Lager Buchenwald. Klare schildert ihn als Mann, der stets nicht nur auf das eigene Überleben, sondern auch darauf bedacht war, seinen Leidensgenossen zu helfen. „Der Mann, der Elend sah“ heißt Auerbachs unveröffentlichter Bericht über die Jahre der Verfolgung, den er kurz nach dem Krieg verfasste.
Nach der Befreiung durch US-Truppen aus Buchenwald begann Auerbach umgehend damit, sich um die traumatisierten Ex-Häftlinge zu kümmern, die Unterkünfte, Essen und Geld brauchten. Und nicht nur das: Anders als den allermeisten seiner Glaubensgenossen, etwa dem in London im Exil lebenden Leo Baeck, schien Auerbach neues jüdisches Leben in Deutschland möglich zu sein. Er gründete schon 1946 ein Gemeindeblatt, aus dem die noch heute erscheinende Jüdische Allgemeine hervorging. Klare bescheinigt Philipp Auerbach „enorme mentale Stärke“, durch die er mit den grauenhaften Umständen in den Lagern zurechtkam und noch Kraft daraus ziehen konnte, für andere da zu sein. Sein Biograf zeichnet keinen makellosen Helden, sondern einen unkonventionellen, facettenreichen Mann, der ein großes Herz hatte – aber auch süchtig nach Anerkennung war, einen begabten Aufschneider mit einem für manche verstörend großen Ego und Zügen von Hybris.
Nur so jedoch wurde Auerbach – erst in der britischen, später in der amerikanischen Zone – sehr schnell als überaus selbstbewusster Interessenvertreter der jüdischen „Displaced Persons“ (DP) wahrgenommen. Er verhalf ihnen zu Entschädigungen, Wohnungen und vielen auch zur Auswanderung nach Palästina, später nach Israel, dabei nicht immer nach den ehernen Grundsätzen deutscher Amtsführung handelnd. Allein in Bayern konnten dank des Staatskommissars Auerbach um die 100 000 Menschen ausreisen. Gleichzeitig ruhte er nicht, NS-Täter anzuprangern, die allzu schnell begnadigt worden oder rasch wieder in hohe Ämter gekommen waren. Viele Deutsche empfanden dies als Anmaßung des Mannes, der sie ohnehin schon die ganze Zeit mit der Wiedergutmachung für jüdische Opfer behelligte. Lediglich Auerbachs Hilfe für die Ausreisewilligen ließen sie gelten, man wollte die Juden ja loswerden. Klares Buch verdeutlicht, mit welcher Kälte, wie angewidert viele Menschen den Überlebenden der Lager begegneten. Mitgefühl zeigten sie, wenn sie hingebungsvoll für die Freilassung inhaftierter Kriegsverbrecher und SS-Mörder demonstrierten, etwa 1951 in Landsberg.
Insbesondere für seinen Intimfeind, den „Ochsensepp“, den schillernden bayerischen Justizminister Josef Müller, war Auerbach zu selbst- und zu machtbewusst. Auch, weil Auerbach über die Rolle, die Müller in den dreißiger Jahren als Anwalt bei der „Arisierung“ gespielt hatte, wohl Bescheid wusste. Der Minister steckte hinter einer Kampagne gegen Auerbach, die 1951 mit einer wochenlangen Durchsuchung des Landesentschädigungsamtes begann und ihm Betrug und Bereicherung an dem für die Entschädigung der Opfer gedachten Geld nachzuweisen versuchte.
Die Geschichte des charismatischen Staatskommissars Auerbach endete 1952 in einem Münchner Gerichtsaal vor einem Staatsanwalt und Richtern, die allesamt der NSDAP angehört hatten, nach einem Jahr Untersuchungshaft, mit einer in sich zusammenfallenden Anklage wegen Untreue und Unterschlagung. Der schwerkranke Angeklagte wurde dennoch zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, unter anderem wegen unberechtigten Führens eines Doktortitels. In der Nacht nach dem Urteil nahm Auerbach sich mit Tabletten das Leben.
Hans-Hermann Klare hat dieses Leben intensiv recherchiert, er erzählt es fesselnd und einfühlsam. Man muss nicht mit jeder seiner Formulierungen einverstanden sein (etwa, wenn von „zugedröhnten“ SS-Leuten die Rede ist), genauso wenig wie mit allen Deutungen von Auerbachs Psyche. Und leider fehlt, trotz einer Fülle von Namen und Orten, ein Register. Das alles ändert nichts daran, dass Klare mit seinem Buch einer bemerkenswerten historischen Gestalt der Nachkriegszeit ein Denkmal gesetzt hat.
Der Staatskommissar
war kein Held, er hatte viele
dunkle Seiten
Hans-Hermann Klare: Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder wie der Antisemitismus den Krieg überlebte. Aufbau Verlag Berlin 2022.
471 Seiten, 28 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Klare Haltung, schwieriger Charakter: Philipp Auerbach (oben). Nach seinem Selbstmord trauerte die jüdische Gemeinde (unten).
Fotos: UPI/dpa, dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»... vorzüglich recherchiertes, packend, doch betont nüchtern erzähltes Buch.« Claudia Hollwedel zeitzeichen 20221231