"Eines der schönsten deutschen Bücher dieses Jahres." Volker Weidemann, Der Spiegel. Wir hatten immer so getan, als ob das Leben im Auerhaus schon unser richtiges Leben wäre, also ewig. Frieder sagte: "Du hast die Augen zu und treibst auf deiner Luftmatratze, ein sanfter Wind weht und du denkst, geil, jetzt lebe ich für den Rest meines Lebens hier in dieser Lagune, in der Südsee. Und dann machst du die Augen auf und merkst, es ist bloß ein Nachmittag am Baggersee, und zack ist der auch schon vorbei." "Ich lese dieses Buch und bin vergnügt und bin bewegt und bin berührt - unheimlich schön." Christine Westermann, Das literarische Quartett
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015Rendezvous mit Joe Black
Rührend jugendlich, unglaublich komisch und voller Melancholie: Thees Uhlmann und Bov Bjerg begegnen in ihren Romanen dem Tod mit einem Lächeln.
Von Jan Wiele
Schwafeln können viele, aber die hohe Kunst der Verknappung beherrschen nur wenige Schriftsteller. Bov Bjerg weiß sie auf die Spitze zu treiben. Mit wenigen Pinselstrichen entwirft er eine Welt: Oberstufenschüler in den achtziger Jahren, manche haben schon ein Auto, einer sogar eines mit Zentralverriegelung, die er stolz vorführt. Als er später im Buch wieder auftaucht, wird er nur noch "Zentralverriegelungsaxel" genannt. Ein anderer, Harry, kauft sich gar einen Ami-Schlitten: "Cadillac Eldorado. Angeberkarre." Das Gefährt heißt fortan "Gluck Gluck". Der kurze, aber stark nachhallende Roman heißt "Auerhaus". Man muss sich das Wort schwäbisch denken: Denn so nennen ein paar Abiturienten aus der süddeutschen Provinz, die zu Hause ausgezogen sind, ihre wunderbare Wohngemeinschaft, in der ständig das Lied "Our House" von Madness läuft.
Thees Uhlmann beherrscht die Kunst der Verknappung besonders in Dialogen. Bei seinem Ich-Erzähler klingeln drei Frauen an der Tür: "Die: ,Lesen Sie die Bibel?' Ich: ,Nur die brutalen Stellen und die Verwandschaftsverhältnisse im Alten Testament. Zu welcher Kirche gehört ihr eigentlich?' Die: ,Zu den Zeugen Jehovas.' Ich: ,Krass, ihr seid die?' Die: ,Ja.' Ich: ,Find ich gut, dass ihr hier durch die Gegend geht. Anstrengend für euch, oder?' Die: ,Ja.' Ich: ,Ich bin leider nicht der richtige Ansprechpartner für euch, aber echt alles Gute. So hugenottisch gemeint. Gott liebt die, die den harten Acker pflügen.' Die: ,Wollen Sie uns verarschen?' Ich: ,Ich meine das ernst. Wenn selbst die Zeugen Jehovas an Ironie glauben, geht es wirklich mit der Welt zu Ende.'" Uhlmanns Buch "Sophia, der Tod und ich" lebt von solchen Dialogen, und er hält sie bis zum bitteren Ende durch.
Warum aber beide Bücher in einer Rezension zusammenbringen? Weil es neben dem extrem lakonischen Stil, den beide pflegen und der eine wirklich wohltuende Abwechslung zu den teils sehr ausufernden Büchern der Saison in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur darstellt, noch eine andere zentrale Gemeinsamkeit gibt: Beide handeln vom Tod.
Bei Uhlmann wirkt es zunächst wie eine aus diversen Filmen bekannte Anordnung. Als es bei seinem Erzähler wieder an der Tür klingelt, steht der Tod im Treppenhaus und sagt: "Sie müssen jetzt mitkommen". Doch das Rendezvous mit Joe Black verläuft anders als geplant. Und so sitzt wenig später der Tod mit dem Erzähler und dessen Ex-Freundin in der Kneipe und reißt schlechte Witze. Dann begeben sich die drei auf eine Reise durch Deutschland, zur Mutter des Erzählers und zu seinem Sohn, es muss einiges geradegerückt werden. Wie nebenbei entsteht in diesem absurden Sprechstück die immer amüsante, aber auch zutiefst melancholische Lebensgeschichte eines Enddreißigers, dessen Beziehungen sämtlich gescheitert sind und der Zuflucht im Fußball sucht, der phlegmatisch und damit auch noch zufrieden ist, bis sich in dem magisch-realistischen Romangeschehen sein ganzes Leben plötzlich noch einmal verdichtet. Sternstück des Romans ist die Figur der Sophia, die den derben Humor ihres polnischen Vaters geerbt hat. Auch eine hintergründig-witzige Konfrontation von Deutschen und Polen mit ihrer Geschichte und ihren Klischees gelingt Uhlmann wie nebenbei.
Bei Bov Bjerg ist die ganze Geschichte aus der Rückschau geschildert: Der erwachsene Erzähler erinnert sich an seine Zeit im "Auerhaus". Der Grund, warum die Jugendlichen dort überhaupt einziehen, lässt bereits nichts Gutes ahnen: Es geht darum, ihrem Mitschüler Frieder, der einen Suizidversuch unternommen hat, ein Heim jenseits des Elternhauses zu geben, das besser ist als die Psychiatrie. Das klappt zeitweise gut und führt zu rebellisch-befreiendem Kommunenleben: Frieder klaut Fressalien und Wein beim Penny-Markt, die ebenfalls aus der Klinik entkommene Pauline hat grüne Haare. Der Erzähler, der nur Höppner genannt wird und froh ist, der Vollvertäfelung seines Lebens durch den "fiesen Freund meiner Mutter", genannt F2M2, zu entkommen, zieht mit seiner Freundin Vera in die WG. Doch die fängt plötzlich etwas mit Harry an, einem Elektriker in Ausbildung, der kifft und eigentlich schwul ist.
Komischer Höhepunkt des Romans ist eine Silvesterparty im Auerhaus, zu der "die komplette Oberstufe, die halbe Psychiatrie und alle Schwulen zwischen München und Paris" erscheinen. Kurz zuvor hat Frieder in einer nächtlichen Aktion den Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz gefällt. Eine Art Anti-Motto des Buches ist ein Song namens "Birth, School, Work, Death" von den Godfathers. So soll das Leben der Jugendlichen nicht verlaufen, schwören sie sich. Aber die Gespräche des Erzählers mit dem derangierten Frieder verraten auch, dass dieser "es jederzeit wieder tun" könnte und somit die sehr frühe Erfüllung des bedrohlichen Mottos stets in der Luft liegt.
In beiden Büchern stecken sehr treffende Erinnerungen an das Aufwachsen in der deutschen Provinz in den achtziger Jahren, bei Uhlmann im Norden, im Süden bei Bjerg. Quälende Enge und Spießigkeit schließen dabei eine tiefe Melancholie nicht aus. Beide handeln letztlich auch von zerrissenen Familien, Alleinerziehung, Halbwaisentum.
Beide Bücher sind von einer großen Jugendlichkeit, genau das macht sie so rührend. Bei beiden Büchern kann man gelegentlich denken: Das sind so Lesebühnenbücher, die vielleicht auch einmal zu oft auf Pointen setzen. (Beide Autoren haben ja auch reiche Bühnenerfahrung: Bov Bjerg als Kabarettist, Thees Uhlmann als Sänger der deutschsprachigen Band Tomte und auf Solopfaden.) Aber dann wird einem auch immer wieder klar, dass der ganz spezielle Humor dieser Bücher dem ernstesten aller Themen abgetrotzt ist, er ist ein letztes Aufbäumen, ein Krachenlassen, bei Uhlmann verbunden mit einer Zeile von Neil Young: "It's better to burn out than to fade away." Das könnte leicht ins zu Pathetische ausschlagen. Aber davor sind beide Autoren gefeit. Uhlmanns personifizierter Tod empfiehlt den Menschen eher seltsames Verhalten in seinem Angesicht: "Warum nicht Kaffeetrinken und ein grünes T-Shirt tragen?" Und bei Bjerg wird das Anti-Motto schließlich durch eine wiederum sehr prägnante Erweiterung entschärft: "Birth, School, Bummbumm, Work, Death." Vielleicht sind diese Todesbücher zugleich auch die lustigsten des Jahres.
Bov Bjerg: "Auerhaus". Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2015. 240 S., geb., 18,- [Euro].
Thees Uhlmann: "Sophia, der Tod und ich". Roman.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015. 320 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rührend jugendlich, unglaublich komisch und voller Melancholie: Thees Uhlmann und Bov Bjerg begegnen in ihren Romanen dem Tod mit einem Lächeln.
Von Jan Wiele
Schwafeln können viele, aber die hohe Kunst der Verknappung beherrschen nur wenige Schriftsteller. Bov Bjerg weiß sie auf die Spitze zu treiben. Mit wenigen Pinselstrichen entwirft er eine Welt: Oberstufenschüler in den achtziger Jahren, manche haben schon ein Auto, einer sogar eines mit Zentralverriegelung, die er stolz vorführt. Als er später im Buch wieder auftaucht, wird er nur noch "Zentralverriegelungsaxel" genannt. Ein anderer, Harry, kauft sich gar einen Ami-Schlitten: "Cadillac Eldorado. Angeberkarre." Das Gefährt heißt fortan "Gluck Gluck". Der kurze, aber stark nachhallende Roman heißt "Auerhaus". Man muss sich das Wort schwäbisch denken: Denn so nennen ein paar Abiturienten aus der süddeutschen Provinz, die zu Hause ausgezogen sind, ihre wunderbare Wohngemeinschaft, in der ständig das Lied "Our House" von Madness läuft.
Thees Uhlmann beherrscht die Kunst der Verknappung besonders in Dialogen. Bei seinem Ich-Erzähler klingeln drei Frauen an der Tür: "Die: ,Lesen Sie die Bibel?' Ich: ,Nur die brutalen Stellen und die Verwandschaftsverhältnisse im Alten Testament. Zu welcher Kirche gehört ihr eigentlich?' Die: ,Zu den Zeugen Jehovas.' Ich: ,Krass, ihr seid die?' Die: ,Ja.' Ich: ,Find ich gut, dass ihr hier durch die Gegend geht. Anstrengend für euch, oder?' Die: ,Ja.' Ich: ,Ich bin leider nicht der richtige Ansprechpartner für euch, aber echt alles Gute. So hugenottisch gemeint. Gott liebt die, die den harten Acker pflügen.' Die: ,Wollen Sie uns verarschen?' Ich: ,Ich meine das ernst. Wenn selbst die Zeugen Jehovas an Ironie glauben, geht es wirklich mit der Welt zu Ende.'" Uhlmanns Buch "Sophia, der Tod und ich" lebt von solchen Dialogen, und er hält sie bis zum bitteren Ende durch.
Warum aber beide Bücher in einer Rezension zusammenbringen? Weil es neben dem extrem lakonischen Stil, den beide pflegen und der eine wirklich wohltuende Abwechslung zu den teils sehr ausufernden Büchern der Saison in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur darstellt, noch eine andere zentrale Gemeinsamkeit gibt: Beide handeln vom Tod.
Bei Uhlmann wirkt es zunächst wie eine aus diversen Filmen bekannte Anordnung. Als es bei seinem Erzähler wieder an der Tür klingelt, steht der Tod im Treppenhaus und sagt: "Sie müssen jetzt mitkommen". Doch das Rendezvous mit Joe Black verläuft anders als geplant. Und so sitzt wenig später der Tod mit dem Erzähler und dessen Ex-Freundin in der Kneipe und reißt schlechte Witze. Dann begeben sich die drei auf eine Reise durch Deutschland, zur Mutter des Erzählers und zu seinem Sohn, es muss einiges geradegerückt werden. Wie nebenbei entsteht in diesem absurden Sprechstück die immer amüsante, aber auch zutiefst melancholische Lebensgeschichte eines Enddreißigers, dessen Beziehungen sämtlich gescheitert sind und der Zuflucht im Fußball sucht, der phlegmatisch und damit auch noch zufrieden ist, bis sich in dem magisch-realistischen Romangeschehen sein ganzes Leben plötzlich noch einmal verdichtet. Sternstück des Romans ist die Figur der Sophia, die den derben Humor ihres polnischen Vaters geerbt hat. Auch eine hintergründig-witzige Konfrontation von Deutschen und Polen mit ihrer Geschichte und ihren Klischees gelingt Uhlmann wie nebenbei.
Bei Bov Bjerg ist die ganze Geschichte aus der Rückschau geschildert: Der erwachsene Erzähler erinnert sich an seine Zeit im "Auerhaus". Der Grund, warum die Jugendlichen dort überhaupt einziehen, lässt bereits nichts Gutes ahnen: Es geht darum, ihrem Mitschüler Frieder, der einen Suizidversuch unternommen hat, ein Heim jenseits des Elternhauses zu geben, das besser ist als die Psychiatrie. Das klappt zeitweise gut und führt zu rebellisch-befreiendem Kommunenleben: Frieder klaut Fressalien und Wein beim Penny-Markt, die ebenfalls aus der Klinik entkommene Pauline hat grüne Haare. Der Erzähler, der nur Höppner genannt wird und froh ist, der Vollvertäfelung seines Lebens durch den "fiesen Freund meiner Mutter", genannt F2M2, zu entkommen, zieht mit seiner Freundin Vera in die WG. Doch die fängt plötzlich etwas mit Harry an, einem Elektriker in Ausbildung, der kifft und eigentlich schwul ist.
Komischer Höhepunkt des Romans ist eine Silvesterparty im Auerhaus, zu der "die komplette Oberstufe, die halbe Psychiatrie und alle Schwulen zwischen München und Paris" erscheinen. Kurz zuvor hat Frieder in einer nächtlichen Aktion den Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz gefällt. Eine Art Anti-Motto des Buches ist ein Song namens "Birth, School, Work, Death" von den Godfathers. So soll das Leben der Jugendlichen nicht verlaufen, schwören sie sich. Aber die Gespräche des Erzählers mit dem derangierten Frieder verraten auch, dass dieser "es jederzeit wieder tun" könnte und somit die sehr frühe Erfüllung des bedrohlichen Mottos stets in der Luft liegt.
In beiden Büchern stecken sehr treffende Erinnerungen an das Aufwachsen in der deutschen Provinz in den achtziger Jahren, bei Uhlmann im Norden, im Süden bei Bjerg. Quälende Enge und Spießigkeit schließen dabei eine tiefe Melancholie nicht aus. Beide handeln letztlich auch von zerrissenen Familien, Alleinerziehung, Halbwaisentum.
Beide Bücher sind von einer großen Jugendlichkeit, genau das macht sie so rührend. Bei beiden Büchern kann man gelegentlich denken: Das sind so Lesebühnenbücher, die vielleicht auch einmal zu oft auf Pointen setzen. (Beide Autoren haben ja auch reiche Bühnenerfahrung: Bov Bjerg als Kabarettist, Thees Uhlmann als Sänger der deutschsprachigen Band Tomte und auf Solopfaden.) Aber dann wird einem auch immer wieder klar, dass der ganz spezielle Humor dieser Bücher dem ernstesten aller Themen abgetrotzt ist, er ist ein letztes Aufbäumen, ein Krachenlassen, bei Uhlmann verbunden mit einer Zeile von Neil Young: "It's better to burn out than to fade away." Das könnte leicht ins zu Pathetische ausschlagen. Aber davor sind beide Autoren gefeit. Uhlmanns personifizierter Tod empfiehlt den Menschen eher seltsames Verhalten in seinem Angesicht: "Warum nicht Kaffeetrinken und ein grünes T-Shirt tragen?" Und bei Bjerg wird das Anti-Motto schließlich durch eine wiederum sehr prägnante Erweiterung entschärft: "Birth, School, Bummbumm, Work, Death." Vielleicht sind diese Todesbücher zugleich auch die lustigsten des Jahres.
Bov Bjerg: "Auerhaus". Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2015. 240 S., geb., 18,- [Euro].
Thees Uhlmann: "Sophia, der Tod und ich". Roman.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015. 320 S., geb., 18,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alex Rühle feiert Bov Bjergs "Auerhaus" als einen der besten Romane über die selige Zeit kurz vor dem Erwachsenwerden, die unsere Gegenwart überhaupt zu bieten habe. Bjerg erzählt die Geschichte einiger eher labiler Jugendlicher, die zusammen in ein leerstehendes Haus in der schwäbischen Provinz ziehen, nachdem einer von ihnen versucht hat, sich umzubringen, fasst der Rezensent zusammen. Das Lebensgefühl der Gruppe, die sich nach und nach sogar vergrößert, findet Rühle so einnehmend beschrieben, dass er am liebsten mit eingezogen wäre - und dass er das Buch ein zweites mal lesen musste, um zu sehen, ob die Geschichte nicht doch ein gutes Ende nehmen könnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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» [Bov Bjerg] versteht es, mit knappen Sätzen gerade witzig sein zu wollen und doch Komik zu erzeugen. « Sabine Schwadorf Trierischer Volksfreund 20160517
»Wir sollten alle im Auerhaus wohnen.« David Wagner