Entschleunigung mal anders - Michael Wigge will mit seinem Tretroller Ferdinand vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt Deutschlands gelangen; von der idyllischen Nordseeinsel Sylt bis zum Haldenwanger Eck auf fast 2000 Höhenmetern. Er sucht nach Superlativen wie der ältesten Eiche, der größten Kuckucksuhr und dem schiefsten Turm. Trifft Ufo-Forscher und Weltmeister im Kunstbügeln, findet Radarblitzer in Fußgängerzonen und landet urplötzlich in Kalifornien und Brasilien. Bizarre und außergewöhnliche Begegnungen entschädigen den Autor für die mühsame Art der Fortbewegung - doch ihm bleiben nur 80 Tage, um sein Ziel zu erreichen ... Ein höchst originelles Deutschlandporträt voller Überraschungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2014Tante Emma im Kopf
Die achtzig Tage verdanken sich Jules Verne, die Entscheidung zur entschleunigten Reiseform dem Zeitgeist - die Idee des Tretrollers mag Michael Wigge beigesteuert haben. Mit diesem Fahrzeug, wenn man es denn so nennen will, war er für das Fernsehprogramm der Deutschen Welle unterwegs von Sylt zum Haldenwanger Eck, um während dieser "Nord-Süd-Tortour" der deutschen Seele auf den Grund zu gehen. Denn das ist der Auftrag der Redaktion: in dreißig Episoden am Wegesrand, in Umfragen oder Experimenten mit Passanten Deutschlands Mentalität, Gemüt und Geschichte auszuloten. So führen die Touren zu Erfinderclubs, Hundesalons, Ufo-Meldestellen, Privatbrauereien, Gartenzwergmanufakturen, Handwerkszünften, deren Gesellen auf die Walz gehen, aber auch zu den denkmalgeschützten Grenzanlagen von Behrungen. Das Buch schwankt zwischen Ethno-Kabarett, Slapstick, Populärphilosophie ("Ich bin gerade absolut bei mir!") und ernsteren, dabei durchaus gewitzten Passagen, wenn der Autor etwa auf der Hallig Gröde über das Verhältnis von Glück und Bewegungsradius nachdenkt. Mehr als die Suche nach Skurrilitäten und Superlativen wie der ältesten Eiche Deutschlands oder dem geheimsten Ort, und mehr noch als die Aktionen in Fußgängerzonen überzeugen Wigges Provinzstudien etwa zur schwäbischen Kehrwoche oder Sequenzen zur "German Angst", zur "Übermutter Volkswagen" in Wolfsburg oder einer ausgeprägten Ordnungsliebe in Oberstdorf. Dann wiederum nimmt er eine Gerichtseiche zum Anlass, Schlaglichter der Geschichte Revue passieren zu lassen, er sinniert angesichts eines Discounters über das verschwindende Sozialgefüge, oder legt den Reichtum Brokdorfs - erworben durch die Gewerbesteuer des AKWs - wie eine Schablone über das mediale Grummeln der achtziger Jahre. So tretrollert der Autor durch etliche trügerische Idyllen.
sg
"Auf dem Tretroller durch Deutschland. 2473 Kilometer im Schneckentempo" von Michael Wigge. Piper Verlag, München 2013. 256 Seiten, 38 Fotos, 30 Links zu Filmmaterial, eine Karte. Broschiert, 14,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die achtzig Tage verdanken sich Jules Verne, die Entscheidung zur entschleunigten Reiseform dem Zeitgeist - die Idee des Tretrollers mag Michael Wigge beigesteuert haben. Mit diesem Fahrzeug, wenn man es denn so nennen will, war er für das Fernsehprogramm der Deutschen Welle unterwegs von Sylt zum Haldenwanger Eck, um während dieser "Nord-Süd-Tortour" der deutschen Seele auf den Grund zu gehen. Denn das ist der Auftrag der Redaktion: in dreißig Episoden am Wegesrand, in Umfragen oder Experimenten mit Passanten Deutschlands Mentalität, Gemüt und Geschichte auszuloten. So führen die Touren zu Erfinderclubs, Hundesalons, Ufo-Meldestellen, Privatbrauereien, Gartenzwergmanufakturen, Handwerkszünften, deren Gesellen auf die Walz gehen, aber auch zu den denkmalgeschützten Grenzanlagen von Behrungen. Das Buch schwankt zwischen Ethno-Kabarett, Slapstick, Populärphilosophie ("Ich bin gerade absolut bei mir!") und ernsteren, dabei durchaus gewitzten Passagen, wenn der Autor etwa auf der Hallig Gröde über das Verhältnis von Glück und Bewegungsradius nachdenkt. Mehr als die Suche nach Skurrilitäten und Superlativen wie der ältesten Eiche Deutschlands oder dem geheimsten Ort, und mehr noch als die Aktionen in Fußgängerzonen überzeugen Wigges Provinzstudien etwa zur schwäbischen Kehrwoche oder Sequenzen zur "German Angst", zur "Übermutter Volkswagen" in Wolfsburg oder einer ausgeprägten Ordnungsliebe in Oberstdorf. Dann wiederum nimmt er eine Gerichtseiche zum Anlass, Schlaglichter der Geschichte Revue passieren zu lassen, er sinniert angesichts eines Discounters über das verschwindende Sozialgefüge, oder legt den Reichtum Brokdorfs - erworben durch die Gewerbesteuer des AKWs - wie eine Schablone über das mediale Grummeln der achtziger Jahre. So tretrollert der Autor durch etliche trügerische Idyllen.
sg
"Auf dem Tretroller durch Deutschland. 2473 Kilometer im Schneckentempo" von Michael Wigge. Piper Verlag, München 2013. 256 Seiten, 38 Fotos, 30 Links zu Filmmaterial, eine Karte. Broschiert, 14,99 Euro.
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"Am Ende steht die Erkenntnis, dass der Weg das Ziel ist - und dass es immer lohnt, unterwegs zu sein. (...) Eine amüsante, kurzweilige Lektüre.", Die Rheinpfalz, 15.01.2014 20151120