Nach Friedrich Kümmels systematisch orientierter Untersuchung zur Logik der Disjunktion, die 2017 unter dem Titel Der Ort des Menschen in der disjunktiven Struktur erschien, folgt nun seine zweibändige hermeneutisch orientierte Untersuchung zur disjunktiven Logik bei Parmenides, Heraklit und Protagoras. Diese Denker haben die disjunktive Logik auf den Weg gebracht. Sie angemessen zu würdigen ist deshalb das vorzügliche Anliegen dieser Studien, die allerdings selber insofern noch ‚auf dem Weg‘ sind, als sie aufgrund der Erkrankung des Autors von ihm nicht abgeschlossen werden konnten. Über den Grad ihrer Ausarbeitung informiert die Editorische Vorbemerkung. Friedrich Kümmel sieht Parmenides und Heraklit nicht, wie sonst üblich, in Opposition zueinander. Seiner Auffassung nach bedienen sie sich der gleichen Logik. Nur der Bezugspol ist bei ihnen verschieden: Parmenides macht die Einheit an einem zeit-überhobenen Bleibenden fest, während Heraklit das Ganze und seine Einheit unter dem Aspekt der Zeit thematisiert und sie in das Absolulte selbst hineinnimmt: als ein in der Aktualität vor sich gehendes Werden. Der von Protagoras aufgestellte Homo-mensura-Satz bringt hinsichtlich des menschlichen Erkenntnisvermögens die von Parmenides aufgestellte Disjunktion von Sein und Nichts in Anschlag, und zwar so, daß sie sich bezüglich der Unterscheidung von Wahrheit (aletheia) und Schein (doxa) nicht mehr relativieren läßt. Der Homo-mensura-Satz zielt so auf ein absolutes Maß der Unterscheidung und wehrt die von Platon vorgelegte und seitdem kanonisch gewordene relativistische Deutung des Satzes gerade ab. Friedrich Kümmel zeigt, daß der Satz mit seiner Zentrierung auf die Unterscheidung des Wirklichen vom Unwirklichen in den Umkreis einer Logik der Disjunktion gehört, die, von Parmenides entwickelt, sich der von Aristoteles etablierten Logik der Alternativen entzieht.