Bühne und Schauplatz der Geschichte - das Deutsche Theater Berlin
»Lest Esther Slevogt! Sie hat Ahnung.« Sibylle Berg
Selten spiegeln sich Sternstunden und Abgründe eines Landes so prägnant in der Geschichte eines Theaters wie im Fall des Deutschen Theaters Berlin. Angefangen von Aufbruch und Emanzipation des deutschen Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem dieses Theater seine Gründung verdankt, hin zum Verhängnis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, in das dieses Bürgertum im Nationalsozialismus stürzte. Im anschließenden Kalten Krieg war es die wichtigste Bühne in der DDR, von der während der politisch-gesellschaftlichen Wende von 1989/90 entscheidende bis in die Gegenwart reichende Impulse ausgingen.
Sprachlich genau und elegant erzählt, ein wunderbar inszenierter Text.
»Lest Esther Slevogt! Sie hat Ahnung.« Sibylle Berg
Selten spiegeln sich Sternstunden und Abgründe eines Landes so prägnant in der Geschichte eines Theaters wie im Fall des Deutschen Theaters Berlin. Angefangen von Aufbruch und Emanzipation des deutschen Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem dieses Theater seine Gründung verdankt, hin zum Verhängnis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, in das dieses Bürgertum im Nationalsozialismus stürzte. Im anschließenden Kalten Krieg war es die wichtigste Bühne in der DDR, von der während der politisch-gesellschaftlichen Wende von 1989/90 entscheidende bis in die Gegenwart reichende Impulse ausgingen.
Sprachlich genau und elegant erzählt, ein wunderbar inszenierter Text.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2023Sie lebten in einem Zauberkreis, beschirmt gegen die Finsternis
Dieses Haus trägt
seinen Namen zu Recht: Esther Slevogt legt eine exzellente Geschichte des Deutschen Theaters vor.
Von Simon Strauß
Wenn man den Namen eines Theaters ohne Ortsmarke schreiben kann, dann handelt es sich um einen signifikanten Erinnerungsort. Wer vom "Deutschen Theater" spricht, meint nicht Göttingen, obwohl auch das dortige Theater seit 1950 so heißt. Mit der Intendanz von Heinz Hilpert wurde das Haus zu einem der führenden Schauspielstätten Westdeutschlands. Nur fünfzehn Jahre zuvor hatte ebenjener Hilpert die Intendanz des anderen, weit berühmteren "Deutschen Theaters" in Berlin übernommen - und zwar auf Bitte von Joseph Goebbels. Esther Slevogt hat dem Haus nun eine umfassende Darstellung gewidmet, die die Zeit vom neunzehnten bis zum 21. Jahrhundert umfasst.
Heinz Hilpert jedenfalls war seit den Zwanzigern am Deutschen Theater tätig gewesen und hatte dort unter anderem die Uraufführungen von Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" und Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" inszeniert. 1930 hatte ihn Hauseigentümer Max Reinhardt zum Oberspielleiter gemacht, kurz bevor sein Berliner Theaterimperium in finanzielle Schwierigkeiten geriet und widerrechtlich in den Besitz der Nationalsozialisten gebracht wurde. Reinhardt floh 1933 nach Österreich, Hilpert nahm das geraubte Deutsche Theater im April 1934 "mit freudiger Bereitschaft" entgegen. Allerdings ist seine Rolle ambivalenter, als dieser Vorgang vermuten lässt. Einerseits gratulierte er dem "Schutzherrn und Mäzen" Goebbels überschwänglich zum Geburtstag und setzte nationalsozialistische Gegenwartsdramatik auf den Spielplan, andererseits hielt er zu seiner jüdischen Geliebten und sorgte dafür, dass politisch belastete Künstler an seinem Haus weiterarbeiten konnten. Sein Chefdramaturg Kurt Seeger erinnerte sich später: "Durch Heinz lebten wir wie in einem Zauberkreis, beschirmt gegen die Finsternisse da draußen."
Das klingt fast idyllisch. Und doch lassen Fotoaufnahmen von Nazi-Größen in der "Führerloge" aus dieser Zeit keinen Zweifel daran, unter wessen Aufsicht Hilpert Theater machte. Im November 1943 wurden die Kammerspiele durch Bombenangriffe schwer beschädigt, aber im Großen Haus spielten sie bis zur kriegsbedingten Schließung aller Theater am 1. September 1944 weiter. Noch im März 1945 wurde der fünfundfünfzigjährige Hilpert zum Volkssturm eingezogen. Ein leichter Herzinfarkt rettete Hilpert das Leben, sodass er nach überstandenem Entnazifizierungsverfahren nicht nur das Göttinger Theater übernehmen konnte, sondern 1958 auch als Regisseur ans Deutsche Theater zurückkehrte.
Dort war inzwischen der von den Faschisten gefolterte Kommunist Wolfgang Langhoff zum Intendanten berufen worden. Freudig begrüßte er seinen Vorgänger nicht, und doch ließ er ihn Tschechows "Drei Schwestern" inszenieren - vielleicht auch, um mit der Verpflichtung des bekannten westdeutschen Regisseurs ein Zeichen gegen die drohende Spaltung Deutschlands zu setzen.
Genau diese Spaltung aber, die bald schon auf eine harte Teilung hinauslief, war es, die das Schauspielhaus an der Schumannstraße in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen sollte: organisatorisch, dramaturgisch und ideologisch. Denn früh schon versammelten sich hier Menschen, die die Kritik an den real existierenden Verhältnissen als neu errungene Freiheit verstanden und verteidigt wissen wollten. Das führte zu Konflikten zwischen den Machtzirkeln der SED und den Verantwortlichen am Deutschen Theater. Beispielsweise wurde Langhoffs Inszenierung von Peter Hacks Stück "Die Sorgen und die Macht", das von den Problemen eines sozialistischen Industriebetriebs handelte, wegen zu negativer Darstellung der Partei abgesetzt. Langhoff musste 1963 beim Zentralkomitee öffentlich Abbitte leisten, wurde von Walter Ulbricht beschimpft und zum Rücktritt gezwungen.
Am Abend jener Absetzung saß der junge Wolf Biermann in der DT-Kantine und sang ein Spottlied auf den geschassten Intendanten, der bis zum Schluss daran geglaubt hatte, sein Theater im Einverständnis mit den Parteioberen als Zukunftslabor für ein besseres Deutschland halten zu können: "Wolf Langhoff musste gehen / er wollte es machen recht / der Wahrheit und der Lüge / Er machte beides schlecht." Niemand bemerkte, dass auch Langhoff selbst auf einmal hinzugetreten war und das Lied mit anhörte. "Recht hat er", soll er geflüstert haben, bevor er kehrtmachte und ging.
Es sind solche Szenen, die vor Augen führen, dass dieses Theater seinen Namen zu Recht trägt. Und zwar in dem Sinne, dass sich hier die Ausschläge der deutschen Geschichte exakt nachverfolgen lassen. Dies erstmals in umfassender Deutlichkeit gezeigt zu haben, ist das große Verdienst von Slevogt. Sie erzählt von der herausgehobenen Stellung eines Hauses, das insgesamt sechs deutsche Staatswesen erlebt hat: Von den baulichen Anfängen kurz nach dem Revolutionsjahr 1848 über die Neugründung im Jahr 1883 als privat finanziertes bürgerliches Künstlertheater, das sich unter der Intendanz von Otto Brahm mit der Entdeckung von Ibsen und Hauptmann in den Dienst der nationalen Einheit im Kaiserreich stellte. Bis zur Übernahme durch Max Reinhardt, der die Theatererfahrung durch die Erfindung der Drehbühne und den Einsatz elektrischen Lichts revolutionierte und das Haus während der Weimarer Republik zu einer der berühmtesten Bühnen Europas machte. Dann eben Hilpert und Langhoff und mit ihnen die Frage, wie weit ein Arrangement mit den Machthabern gehen darf. Legendäre regimekritische Aufführungen in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren: etwa die "Faust"-Inszenierung von Adolf Dresen, Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." oder Heiner Müllers "Lohndrücker". Dann das Jahr 1989, als am Deutschen Theater, inspiriert vom "Neuen Forum", die Demonstration auf dem Alexanderplatz vom 4. November vorbereitet wurde.
Nach der Wende übernahm Langhoffs Sohn Thomas das Ruder und versuchte dem Parfümgeruch der neuen Zeit die Idee einer "west-östlichen Theaterfamilie" entgegenzusetzen. Bald aber ging es vor allem um die Frage, wer am Haus als IM tätig gewesen war. Slevogts Geschichte endet 2001 mit der Berufung des Westdeutschen Bernd Wilms, der sich gegenüber dem historischen Erbe des Hauses bewusst ignorant zeigte. Mit Erfolg: Wer heute ins Deutsche Theater geht, betritt einen rein zeitgeistigen Raum. Nur die vier Intendanten-Büsten auf dem Vorplatz erinnern noch an seine historische Prägung.
Esther Slevogt: "Auf den Brettern der Welt". Das Deutsche Theater Berlin.
Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 384 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieses Haus trägt
seinen Namen zu Recht: Esther Slevogt legt eine exzellente Geschichte des Deutschen Theaters vor.
Von Simon Strauß
Wenn man den Namen eines Theaters ohne Ortsmarke schreiben kann, dann handelt es sich um einen signifikanten Erinnerungsort. Wer vom "Deutschen Theater" spricht, meint nicht Göttingen, obwohl auch das dortige Theater seit 1950 so heißt. Mit der Intendanz von Heinz Hilpert wurde das Haus zu einem der führenden Schauspielstätten Westdeutschlands. Nur fünfzehn Jahre zuvor hatte ebenjener Hilpert die Intendanz des anderen, weit berühmteren "Deutschen Theaters" in Berlin übernommen - und zwar auf Bitte von Joseph Goebbels. Esther Slevogt hat dem Haus nun eine umfassende Darstellung gewidmet, die die Zeit vom neunzehnten bis zum 21. Jahrhundert umfasst.
Heinz Hilpert jedenfalls war seit den Zwanzigern am Deutschen Theater tätig gewesen und hatte dort unter anderem die Uraufführungen von Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" und Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" inszeniert. 1930 hatte ihn Hauseigentümer Max Reinhardt zum Oberspielleiter gemacht, kurz bevor sein Berliner Theaterimperium in finanzielle Schwierigkeiten geriet und widerrechtlich in den Besitz der Nationalsozialisten gebracht wurde. Reinhardt floh 1933 nach Österreich, Hilpert nahm das geraubte Deutsche Theater im April 1934 "mit freudiger Bereitschaft" entgegen. Allerdings ist seine Rolle ambivalenter, als dieser Vorgang vermuten lässt. Einerseits gratulierte er dem "Schutzherrn und Mäzen" Goebbels überschwänglich zum Geburtstag und setzte nationalsozialistische Gegenwartsdramatik auf den Spielplan, andererseits hielt er zu seiner jüdischen Geliebten und sorgte dafür, dass politisch belastete Künstler an seinem Haus weiterarbeiten konnten. Sein Chefdramaturg Kurt Seeger erinnerte sich später: "Durch Heinz lebten wir wie in einem Zauberkreis, beschirmt gegen die Finsternisse da draußen."
Das klingt fast idyllisch. Und doch lassen Fotoaufnahmen von Nazi-Größen in der "Führerloge" aus dieser Zeit keinen Zweifel daran, unter wessen Aufsicht Hilpert Theater machte. Im November 1943 wurden die Kammerspiele durch Bombenangriffe schwer beschädigt, aber im Großen Haus spielten sie bis zur kriegsbedingten Schließung aller Theater am 1. September 1944 weiter. Noch im März 1945 wurde der fünfundfünfzigjährige Hilpert zum Volkssturm eingezogen. Ein leichter Herzinfarkt rettete Hilpert das Leben, sodass er nach überstandenem Entnazifizierungsverfahren nicht nur das Göttinger Theater übernehmen konnte, sondern 1958 auch als Regisseur ans Deutsche Theater zurückkehrte.
Dort war inzwischen der von den Faschisten gefolterte Kommunist Wolfgang Langhoff zum Intendanten berufen worden. Freudig begrüßte er seinen Vorgänger nicht, und doch ließ er ihn Tschechows "Drei Schwestern" inszenieren - vielleicht auch, um mit der Verpflichtung des bekannten westdeutschen Regisseurs ein Zeichen gegen die drohende Spaltung Deutschlands zu setzen.
Genau diese Spaltung aber, die bald schon auf eine harte Teilung hinauslief, war es, die das Schauspielhaus an der Schumannstraße in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen sollte: organisatorisch, dramaturgisch und ideologisch. Denn früh schon versammelten sich hier Menschen, die die Kritik an den real existierenden Verhältnissen als neu errungene Freiheit verstanden und verteidigt wissen wollten. Das führte zu Konflikten zwischen den Machtzirkeln der SED und den Verantwortlichen am Deutschen Theater. Beispielsweise wurde Langhoffs Inszenierung von Peter Hacks Stück "Die Sorgen und die Macht", das von den Problemen eines sozialistischen Industriebetriebs handelte, wegen zu negativer Darstellung der Partei abgesetzt. Langhoff musste 1963 beim Zentralkomitee öffentlich Abbitte leisten, wurde von Walter Ulbricht beschimpft und zum Rücktritt gezwungen.
Am Abend jener Absetzung saß der junge Wolf Biermann in der DT-Kantine und sang ein Spottlied auf den geschassten Intendanten, der bis zum Schluss daran geglaubt hatte, sein Theater im Einverständnis mit den Parteioberen als Zukunftslabor für ein besseres Deutschland halten zu können: "Wolf Langhoff musste gehen / er wollte es machen recht / der Wahrheit und der Lüge / Er machte beides schlecht." Niemand bemerkte, dass auch Langhoff selbst auf einmal hinzugetreten war und das Lied mit anhörte. "Recht hat er", soll er geflüstert haben, bevor er kehrtmachte und ging.
Es sind solche Szenen, die vor Augen führen, dass dieses Theater seinen Namen zu Recht trägt. Und zwar in dem Sinne, dass sich hier die Ausschläge der deutschen Geschichte exakt nachverfolgen lassen. Dies erstmals in umfassender Deutlichkeit gezeigt zu haben, ist das große Verdienst von Slevogt. Sie erzählt von der herausgehobenen Stellung eines Hauses, das insgesamt sechs deutsche Staatswesen erlebt hat: Von den baulichen Anfängen kurz nach dem Revolutionsjahr 1848 über die Neugründung im Jahr 1883 als privat finanziertes bürgerliches Künstlertheater, das sich unter der Intendanz von Otto Brahm mit der Entdeckung von Ibsen und Hauptmann in den Dienst der nationalen Einheit im Kaiserreich stellte. Bis zur Übernahme durch Max Reinhardt, der die Theatererfahrung durch die Erfindung der Drehbühne und den Einsatz elektrischen Lichts revolutionierte und das Haus während der Weimarer Republik zu einer der berühmtesten Bühnen Europas machte. Dann eben Hilpert und Langhoff und mit ihnen die Frage, wie weit ein Arrangement mit den Machthabern gehen darf. Legendäre regimekritische Aufführungen in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren: etwa die "Faust"-Inszenierung von Adolf Dresen, Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." oder Heiner Müllers "Lohndrücker". Dann das Jahr 1989, als am Deutschen Theater, inspiriert vom "Neuen Forum", die Demonstration auf dem Alexanderplatz vom 4. November vorbereitet wurde.
Nach der Wende übernahm Langhoffs Sohn Thomas das Ruder und versuchte dem Parfümgeruch der neuen Zeit die Idee einer "west-östlichen Theaterfamilie" entgegenzusetzen. Bald aber ging es vor allem um die Frage, wer am Haus als IM tätig gewesen war. Slevogts Geschichte endet 2001 mit der Berufung des Westdeutschen Bernd Wilms, der sich gegenüber dem historischen Erbe des Hauses bewusst ignorant zeigte. Mit Erfolg: Wer heute ins Deutsche Theater geht, betritt einen rein zeitgeistigen Raum. Nur die vier Intendanten-Büsten auf dem Vorplatz erinnern noch an seine historische Prägung.
Esther Slevogt: "Auf den Brettern der Welt". Das Deutsche Theater Berlin.
Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 384 S., geb., 25,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
"Eine kenntnisreiche Lektüre" ist Esther Slevogts Buch über das Deutsche Theater Berlin, lobt Rezensentin Katrin Bettina Müller: Vor allem weil Slevogt das Geschehen auf und hinter der Bühne mit der deutschen Geschichte zu verbinden wisse. So zum Beispiel, wenn sie über Wolfgang Langhoffs Zeit am Theater erzählt, in der er mit den Widersprüchen der DDR umgehen musste, was Slevogt der Kritikerin "detailliert" schildert. Einen besonderen Fokus setzt Slevogt laut Müller auf die Inszenierungen deutscher Klassiker. "Im Echo der Kritik" und anhand von ausgewertetem Archivmaterial vollzieht Slevogt die vielen Umdeutungen der deutschen Klassiker im Kaiserreich, der Weimarer Republik, in der NS-Zeit oder dann in der DDR nach, erklärt die beeindruckte Kritikerin. Für sie ein Buch, das den früheren Stellenwert des Theaters wie kaum ein anderes herüberbringt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Esther Slevogt schreibt eine lesenswerte Geschichte des Deutschen Theaters Berlin ... Eine spannende Zeitreise, die dieses Theater immer in den Fokus der Knotenpunkte von Zeitgeschichte stellt, was erhellend ist.« Neues Deutschland 20240101