Ein spannender Einblick in das Regierungshandeln Helmut Kohls auch hinter den Kulissen: Inwieweit gab es in den 80er Jahren eine graduelle Entwicklung hin zu einer verstärkten Führungsrolle des Kanzleramts als Instrument Kohls in der Außenpolitik?
Dabei werden die Interessen, Konflikte und Entscheidungen im Beziehungsgeflecht Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundesministerium der Verteidigung am Beispiel der drei großen außenpolitischen Themen der Zeit analysiert: der Rüstungskontrollpolitik, der Europapolitik und der Deutschlandpolitik bis zur Wiedervereinigung.
Der Autor zeigt, dass sich die außenpolitischen Gewichtsverhältnisse zwischen Kohl und Kanzleramt und Genscher und Auswärtigem Amt nicht erst in der zweiten Amtsperiode Kohls verschoben, als die weltpolitischen Ereignisse auf die Wiedervereinigung zusteuerten. Besonders in der Europapolitik kamen wesentliche Impulse bereits 1984/85 im Vorfeld der Einheitlichen Europäischen Akte aus dem Kanzleramt. Im Bereich der Rüstungskontrollpolitik hingegen war das AA in den 80er Jahren Kohl und seinem Stab stets eine Nasenlänge voraus. In der Deutschlandpolitik schließlich kulminierte die Kanzlermacht, da Kohl sich ab einem bestimmten Zeitpunkt über alle koalitionspolitischen Bedenken hinwegsetzte, um die Weichen entschlossen in Richtung Einheit zu stellen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Dabei werden die Interessen, Konflikte und Entscheidungen im Beziehungsgeflecht Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundesministerium der Verteidigung am Beispiel der drei großen außenpolitischen Themen der Zeit analysiert: der Rüstungskontrollpolitik, der Europapolitik und der Deutschlandpolitik bis zur Wiedervereinigung.
Der Autor zeigt, dass sich die außenpolitischen Gewichtsverhältnisse zwischen Kohl und Kanzleramt und Genscher und Auswärtigem Amt nicht erst in der zweiten Amtsperiode Kohls verschoben, als die weltpolitischen Ereignisse auf die Wiedervereinigung zusteuerten. Besonders in der Europapolitik kamen wesentliche Impulse bereits 1984/85 im Vorfeld der Einheitlichen Europäischen Akte aus dem Kanzleramt. Im Bereich der Rüstungskontrollpolitik hingegen war das AA in den 80er Jahren Kohl und seinem Stab stets eine Nasenlänge voraus. In der Deutschlandpolitik schließlich kulminierte die Kanzlermacht, da Kohl sich ab einem bestimmten Zeitpunkt über alle koalitionspolitischen Bedenken hinwegsetzte, um die Weichen entschlossen in Richtung Einheit zu stellen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2002Graduelle Gewichtsverlagerung
Helmut Kohls persönliches Regiment in der deutschen Außenpolitik
Stefan Fröhlich: "Auf den Kanzler kommt es an": Helmut Kohl und die deutsche Außenpolitik. Persönliches Regiment und Regierungshandeln vom Amtsantritt bis zur Wiedervereinigung. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 311 Seiten, 25,40 Euro.
Die deutschen Bundeskanzler starteten alle als exzellente Kenner der Innenpolitik. In der Amtszeit profilierten sie sich zu Außenpolitikern. Für den derzeitigen Kanzler Schröder trifft das ebenso zu wie auf seinen Vorgänger Kohl. Das ist nicht auf ein gewachsenes persönliches Interesse an der Außenpolitik zurückzuführen, sondern hat machtpolitische Hintergründe. Außenpolitik kann ihren ganzen Charme voll entfalten: sie stellt den Kanzler ins Rampenlicht des politischen Geschehens. Die Grundthese des Bonner Politikwissenschaftlers Stefan Fröhlich klingt deshalb plausibel. Er unterstellt eine graduelle Gewichtsverlagerung in der Außenpolitik der Ära Kohl/Genscher (1982 bis 1990): vom Auswärtigen Amt hin zu einer verstärkten Führungsrolle des Kanzlers mit seinem Bundeskanzleramt.
Die Kanzler pochten häufig gleich zu Beginn ihrer Amtszeit auf die Durchsetzung des Kanzlerprinzips gegenüber dem Ressortprinzip, besonders gegenüber dem Auswärtigen Amt. Kohl machte da keine Ausnahme. Hinzu kam eine koalitionspolitische Herausforderung für den Kanzler, der in der Regel nicht dem kleineren Koalitionspartner das außenpolitische Terrain als Profilierungsfläche alleine überlassen wollte. Im Auswärtigen Amt blickte man häufig mit Mißtrauen auf die eigensinnigen, zunehmend einflußreichen Ansprechpartner im Kanzleramt. Kohl brach 1982 mit der Tradition, einen Karrierediplomaten aus dem Auswärtigen Amt zum Leiter der Außenpolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt zu machen. Horst Teltschik war kein Berufsdiplomat. Die Wahl Teltschiks war ein Signal, womit Kohl von Beginn an Anspruch auf ein außenpolitisches Eigenprofil erhob.
Man erfährt solche Hintergründe zunächst im ersten institutionellen Teil der Studie. Darin wird das Kanzleramt als zentrale Leitungs- und Koordinationsinstitution des Regierungschefs charakterisiert. Andere Ressorts, die an der außenpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsstruktur beteiligt waren, kommen auch zu ihrem Recht. Außenpolitisches Regieren wird somit für den Untersuchungszeitraum der achtziger Jahre institutionell präzisiert. Im zweiten, policy-orientierten Teil sucht sich Fröhlich drei ausgewählte Politikfelder: die Rüstungskontrollpolitik, die Europapolitik und die Deutschlandpolitik.
Am ausführlichsten werden die europapolitischen Entscheidungsprozesse von der damals so beschriebenen Eurosklerose bis zum Maastrichter Vertrag fallstudienhaft vorgeführt. In allen drei Politikfeldern kommt Fröhlich zum Ergebnis, daß Kohl - gleich von Beginn an - einen außenpolitischen Führungsanspruch reklamierte. Zwar leistete das Außenministerium nach wie vor die inhaltliche und konzeptionelle Vorarbeit. Doch die wesentlichen Akzente setzte das Kanzleramt besonders in Kooperation mit dem Pariser Elysée. Etwas anders akzentuiert stellt sich das Bild in der Rüstungspolitik dar. Hier besaß Außenminister Genscher ein untrügliches Gespür für Themenagenda und innenpolitische Rückwirkungen. Genscher personifizierte den Abrüstungs- und Entspannungsprozeß und konfrontierte den Kanzler mit vollendeten Tatsachen. Wiederum anders verhielt sich die Lage deutschlandpolitisch. Für Kohl war Deutschlandpolitik von Beginn an Chefsache, jedoch erst ab Ende 1989 auch operative Wiedervereinigungspolitik.
Außenpolitik war eine zentrale Machtressource des Kanzleramtes, wie Fröhlich nachweist. Sie ist Reservat der Exekutive. Daß auch Kohl deshalb die Domäne der Außenpolitik für sich reklamierte, ist nachvollziehbar. Entscheidend für die Bedeutung des Kanzleramtes als Machtquelle in der Außenpolitik war nicht allein das außenpolitische Klima, das mal zupackende und weichenstellende Entscheidungen verlangte oder ein anderes Mal eher die stille Alltagsdiplomatie. Hinzukommen mußte immer die besondere machtpolitische Konstellation innerhalb der Koalition. Ein doppeltes Spannungsverhältnis ist eingebaut: zum einen zwischen Bundeskanzler und Ressortminister und zum anderen zwischen den Koalitionsparteien.
Mal überließ das Kanzleramt fast unbeteiligt große Politikfelder wie beispielsweise den KSZE-Prozeß dem Außenministerium. Mal stellte das Kanzleramt wie beim 10-Punkte-Programm auch den Außenminister vor vollendete Tatsachen und drängte ihn in eine Nebenrolle. Fröhlich zeigt somit präzise akteursspezifisches Handeln im systembedingten Umfeld. Regierungshandeln hat nach seinem Verständnis auch mit handelnden Akteuren zu tun. Gerade dieses methodische Herangehen zeichnet die Studie politikwissenschaftlich aus. Die Konzentration auf die Außenpolitik fördert die Regierungssteuerung. Außenpolitik ist jedoch keinesfalls wahlentscheidend - ganz im Gegenteil. Das Renommee des Regierungschefs kann nicht in Stimmenmaximierung umgesetzt werden. Von dieser Regel stellte auch Kanzler Kohl keine Ausnahme dar.
KARL-RUDOLF KORTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helmut Kohls persönliches Regiment in der deutschen Außenpolitik
Stefan Fröhlich: "Auf den Kanzler kommt es an": Helmut Kohl und die deutsche Außenpolitik. Persönliches Regiment und Regierungshandeln vom Amtsantritt bis zur Wiedervereinigung. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 311 Seiten, 25,40 Euro.
Die deutschen Bundeskanzler starteten alle als exzellente Kenner der Innenpolitik. In der Amtszeit profilierten sie sich zu Außenpolitikern. Für den derzeitigen Kanzler Schröder trifft das ebenso zu wie auf seinen Vorgänger Kohl. Das ist nicht auf ein gewachsenes persönliches Interesse an der Außenpolitik zurückzuführen, sondern hat machtpolitische Hintergründe. Außenpolitik kann ihren ganzen Charme voll entfalten: sie stellt den Kanzler ins Rampenlicht des politischen Geschehens. Die Grundthese des Bonner Politikwissenschaftlers Stefan Fröhlich klingt deshalb plausibel. Er unterstellt eine graduelle Gewichtsverlagerung in der Außenpolitik der Ära Kohl/Genscher (1982 bis 1990): vom Auswärtigen Amt hin zu einer verstärkten Führungsrolle des Kanzlers mit seinem Bundeskanzleramt.
Die Kanzler pochten häufig gleich zu Beginn ihrer Amtszeit auf die Durchsetzung des Kanzlerprinzips gegenüber dem Ressortprinzip, besonders gegenüber dem Auswärtigen Amt. Kohl machte da keine Ausnahme. Hinzu kam eine koalitionspolitische Herausforderung für den Kanzler, der in der Regel nicht dem kleineren Koalitionspartner das außenpolitische Terrain als Profilierungsfläche alleine überlassen wollte. Im Auswärtigen Amt blickte man häufig mit Mißtrauen auf die eigensinnigen, zunehmend einflußreichen Ansprechpartner im Kanzleramt. Kohl brach 1982 mit der Tradition, einen Karrierediplomaten aus dem Auswärtigen Amt zum Leiter der Außenpolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt zu machen. Horst Teltschik war kein Berufsdiplomat. Die Wahl Teltschiks war ein Signal, womit Kohl von Beginn an Anspruch auf ein außenpolitisches Eigenprofil erhob.
Man erfährt solche Hintergründe zunächst im ersten institutionellen Teil der Studie. Darin wird das Kanzleramt als zentrale Leitungs- und Koordinationsinstitution des Regierungschefs charakterisiert. Andere Ressorts, die an der außenpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsstruktur beteiligt waren, kommen auch zu ihrem Recht. Außenpolitisches Regieren wird somit für den Untersuchungszeitraum der achtziger Jahre institutionell präzisiert. Im zweiten, policy-orientierten Teil sucht sich Fröhlich drei ausgewählte Politikfelder: die Rüstungskontrollpolitik, die Europapolitik und die Deutschlandpolitik.
Am ausführlichsten werden die europapolitischen Entscheidungsprozesse von der damals so beschriebenen Eurosklerose bis zum Maastrichter Vertrag fallstudienhaft vorgeführt. In allen drei Politikfeldern kommt Fröhlich zum Ergebnis, daß Kohl - gleich von Beginn an - einen außenpolitischen Führungsanspruch reklamierte. Zwar leistete das Außenministerium nach wie vor die inhaltliche und konzeptionelle Vorarbeit. Doch die wesentlichen Akzente setzte das Kanzleramt besonders in Kooperation mit dem Pariser Elysée. Etwas anders akzentuiert stellt sich das Bild in der Rüstungspolitik dar. Hier besaß Außenminister Genscher ein untrügliches Gespür für Themenagenda und innenpolitische Rückwirkungen. Genscher personifizierte den Abrüstungs- und Entspannungsprozeß und konfrontierte den Kanzler mit vollendeten Tatsachen. Wiederum anders verhielt sich die Lage deutschlandpolitisch. Für Kohl war Deutschlandpolitik von Beginn an Chefsache, jedoch erst ab Ende 1989 auch operative Wiedervereinigungspolitik.
Außenpolitik war eine zentrale Machtressource des Kanzleramtes, wie Fröhlich nachweist. Sie ist Reservat der Exekutive. Daß auch Kohl deshalb die Domäne der Außenpolitik für sich reklamierte, ist nachvollziehbar. Entscheidend für die Bedeutung des Kanzleramtes als Machtquelle in der Außenpolitik war nicht allein das außenpolitische Klima, das mal zupackende und weichenstellende Entscheidungen verlangte oder ein anderes Mal eher die stille Alltagsdiplomatie. Hinzukommen mußte immer die besondere machtpolitische Konstellation innerhalb der Koalition. Ein doppeltes Spannungsverhältnis ist eingebaut: zum einen zwischen Bundeskanzler und Ressortminister und zum anderen zwischen den Koalitionsparteien.
Mal überließ das Kanzleramt fast unbeteiligt große Politikfelder wie beispielsweise den KSZE-Prozeß dem Außenministerium. Mal stellte das Kanzleramt wie beim 10-Punkte-Programm auch den Außenminister vor vollendete Tatsachen und drängte ihn in eine Nebenrolle. Fröhlich zeigt somit präzise akteursspezifisches Handeln im systembedingten Umfeld. Regierungshandeln hat nach seinem Verständnis auch mit handelnden Akteuren zu tun. Gerade dieses methodische Herangehen zeichnet die Studie politikwissenschaftlich aus. Die Konzentration auf die Außenpolitik fördert die Regierungssteuerung. Außenpolitik ist jedoch keinesfalls wahlentscheidend - ganz im Gegenteil. Das Renommee des Regierungschefs kann nicht in Stimmenmaximierung umgesetzt werden. Von dieser Regel stellte auch Kanzler Kohl keine Ausnahme dar.
KARL-RUDOLF KORTE
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Plausibel" findet Rezensent Karl-Rudolf Korte diese politikwissenschaftliche Studie. Für ihn belegt der Autor Stefan Fröhlich seine These schlüssig, dass Helmut Kohl in seiner Regierungszeit eine "graduelle Gewichtsverlagerung in der Außenpolitik" bewirkt hat - hin zu einer größeren Bedeutung des Kanzlers und des Bundeskanzleramts, weg vom Auswärtigen Amt. Fröhlichs "methodische Herangehensweise" - bei ihm hat "Regierungshandeln auch mit handelnden Akteuren zu tun" - hat Korte besonders überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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