Auf der Flucht!
Sich erinnern heißt für Hellmuth Karasek Geschichten erzählen, Geschichten, die er erlebt hat, die anderen widerfahren sind, die ihn mit Freunden und Feinden, mit Frauen und Kindern, mit Kollegen und Weggefährten aus der Kulturbranche verbinden.
Für den Elfjährigen endet die Kindheit nach einem trügerisch glänzenden Weihnachtsfest 1944 mit der Flucht aus der österreichischen Tuchstadt Bielitz an der Grenze zu Galizien. Zusammen mit der hochschwangeren Mutter und drei kleinen Geschwistern, ist er unterwegs nach Schlesien, nach Sachsen und schließlich nach Sachsen-Anhalt, wo nach Kriegsende eine neue Zeit der Ängste, Lügen und Behauptungen beginnt. Mit dem DDR-Abitur in der Tasche, studiert er in Tübingen. Frontwechsel im Kalten Krieg. Die Ziele des Heranwachsenden sind klar: Er möchte satt werden und einer Welt der wechselnden Lügen entrissen - auch für den Preis der Anpassung. Dabei wird er von der Phantasie, auch der der Bücher und des Kinos getröstet und von derlität verbogen. Er erfährt Liebe, Betrug, Verrat, Nähe und Fremdheit, Lüge und eigene Wahrheit. Oder, um es in Goethes Worten zu sagen: "Eines schickt sich nicht für alle!Sehe jeder, wie er`s treibe, Sehe jeder, wo er bleibe,Und wer steht, dass er nicht falle".
Sich erinnern heißt für Hellmuth Karasek Geschichten erzählen, Geschichten, die er erlebt hat, die anderen widerfahren sind, die ihn mit Freunden und Feinden, mit Frauen und Kindern, mit Kollegen und Weggefährten aus der Kulturbranche verbinden.
Für den Elfjährigen endet die Kindheit nach einem trügerisch glänzenden Weihnachtsfest 1944 mit der Flucht aus der österreichischen Tuchstadt Bielitz an der Grenze zu Galizien. Zusammen mit der hochschwangeren Mutter und drei kleinen Geschwistern, ist er unterwegs nach Schlesien, nach Sachsen und schließlich nach Sachsen-Anhalt, wo nach Kriegsende eine neue Zeit der Ängste, Lügen und Behauptungen beginnt. Mit dem DDR-Abitur in der Tasche, studiert er in Tübingen. Frontwechsel im Kalten Krieg. Die Ziele des Heranwachsenden sind klar: Er möchte satt werden und einer Welt der wechselnden Lügen entrissen - auch für den Preis der Anpassung. Dabei wird er von der Phantasie, auch der der Bücher und des Kinos getröstet und von derlität verbogen. Er erfährt Liebe, Betrug, Verrat, Nähe und Fremdheit, Lüge und eigene Wahrheit. Oder, um es in Goethes Worten zu sagen: "Eines schickt sich nicht für alle!Sehe jeder, wie er`s treibe, Sehe jeder, wo er bleibe,Und wer steht, dass er nicht falle".
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2005Lärmender Teilhaber
Probebohrungen: Hellmuth Karaseks Lebenserinnerungen
Für einen Mann wie Daniel Doppler war im deutschen Kulturbetrieb nie eine Planstelle frei - zu unruhig war sein Temperament, zu unernst seine Sprache, zu undeutsch seine Verliebtheit in die eigenen Pointen. Doppler, so schien es, hatte im einen Ohr noch die Echos jenes alten Österreichs, dessen Selbstverrat und Untergang er als Kind erlebt hatte. Und mit dem anderen Ohr lauschte er den Dialogen aus Hollywood, so lange, bis er alle Tricks durchschaut zu haben glaubte. Nur fürs Schweigen hat Doppler immer der Sinn gefehlt, das war sein Glanz und seine Schwäche.
Doppler schrieb Glossen für den "Spiegel" und Komödien fürs Theater; diese Stücke bekamen von der Kritik immer das Etikett "Boulevard" verpaßt und wurden nur dort aufgeführt, wo es keine Boulevards gibt: in der Provinz. Und in den späten neunziger Jahren hat sich Doppler aus der Wirklichkeit zurückgezogen und ist nur noch in der Fiktion aufgetaucht. Daniel Doppler: So hieß der Schelm in dem Schelmenroman "Das Magazin", für welchen dessen Autor Hellmuth Karasek heftige Verrisse und wenig Lob bekam.
Benjamin Henrichs hat einst, in der "Zeit", anläßlich einer Kritik von Dopplers "Hitchcock - eine Komödie", enthüllt, daß Daniel Doppler damals unter dem Pseudonym Hellmuth Karasek den Kulturteil des "Spiegels" leitete, und wenngleich der große Kritiker Henrichs seinen Theaterkritikerkollegen Karasek leidenschaftlich lobte und den Theaterautor Doppler voller Sympathie beschrieb, lief der Artikel doch auf das Fazit hinaus, daß die multiple Persönlichkeit Doppler/Karasek sich gefälligst auf eines ihrer Talente konzentrieren möge.
Hellmuth Karasek, geboren in Mähren, von dort vertrieben in die Sowjetische Besatzungszone und gleich nach dem Abitur geflohen in die Bundesrepublik, Hellmuth Karasek hat, meistens unter diesem Namen, als Sprachlehrer, Operndramaturg, Theaterkritiker, Ressortchef, Drehbuchautor, Romancier, Bühnenautor, Fernsehmensch sein Geld verdient. Er hat erst vor kurzem wieder den Arbeitgeber gewechselt - so, als wollte er, der Siebzigjährige, dringend Jean Amérys These dementieren, wonach das Älterwerden sich darin zeige, daß das Mögliche vom Wirklichen immer mehr verdrängt werde, bis schließlich keine Option mehr bleibe.
Selbst vom Vergangenen, von jener aufgeschichteten und abgelagerten Zeit, die Hellmuth Karaseks Leben ist, schreibt Karasek in seinem Erinnerungsbuch "Auf der Flucht" gewissermaßen in der Möglichkeitsform. Er erzählt nicht chronologisch, schon weil das bedeutet hätte, daß er das Verfassen dieser Memoiren zu Apotheose oder Katastrophe hätte erklären müssen, und für beides fühlt sich Karasek ganz offensichtlich zu jung. Er sitzt vielmehr an seinem Schreibtisch in der Gegenwart, und von hier aus betreibt er seine Probebohrungen durch die Sedimente seiner Erinnerung, und manchmal wird er fündig.
Da ist, zum Beispiel, eine wundervolle Erinnerungsskizze aus einem Sommer in den frühen Fünfzigern. Der junge Karasek ist, nur für die Sommerferien, abgehauen aus der DDR, und bei Verwandten in Würzburg leiht er sich ein Fahrrad, mit dem er sich auf die Reise nach Stuttgart macht, und unterwegs verliebt er sich in die süddeutsche Landschaft, in die behaglichen Städte und Dörfer, die selbstgewissen Menschen, und gerade weil Karasek da weniger von sich selber spricht und mehr von dem, was er um sich herum sieht, gerade deshalb wird Karasek, der Held der Erzählung, auf diesen Seiten sehr plastisch.
In Stuttgart hat Karasek dann, als Kritiker, als Dramaturg, als Feuilletonchef der örtlichen Zeitung, Karriere gemacht, und jene, die Stuttgart bloß für einen abgelegenen Vorort Münchens oder die Nachschubbasis der Berliner Subkultur halten, werden überrascht sein davon, wie leidenschaftlich Karasek Modernität und Liberalität dieser Stadt rühmt und wie er, mit einigen knappen Skizzen aus dem sozialen, kulturellen und erotischen Leben, den Beweis erbringt, daß ausgerechnet in Stuttgart die Bundesrepublik der Aufstiegs- und Wirtschaftswunderjahre ganz bei sich war. "Ehen in Philippsburg" heißt eines der Stuttgarter Kapitel, und Martin Walser, den das Buch als entschlossenen Verführer und jovialen Patriarchen zugleich porträtiert, Martin Walser wird von Karasek zur paradigmatischen Figur seiner Generation erklärt.
"Ich wollte also Journalist werden, natürlich auch, um die Großen dieser Welt interviewen, sprechen, kritisieren und bewundern zu können, als Teilhaber ihrer Welt; nicht als stiller Teilhaber, sondern als lärmender." Der Kultur- und Literaturbetrieb, das deutsche Feuilleton der sechziger und siebziger Jahre, wie Karasek es beschreibt, waren Teil und nicht das Gegenteil jenes Deutschlands, in dem die Aufsteiger, die Anpasser und Karrieristen den Ton angaben, und die Töne, die das Feuilleton von sich gab, waren nicht unbedingt wahrhaftiger, nur meistens eleganter formuliert. Als er von der "Stuttgarter Zeitung" zur "Zeit" gewechselt und deren hauptamtlicher Theaterkritiker war, so erzählt Karasek, da sei er schon am ersten Premierenabend so berauscht gewesen von der eigenen Wichtigkeit und dem vielen Wein, daß er, zu spät aufgewacht und schwer verkatert, seine Kritik aus dem Stegreif direkt ins Telefon diktieren mußte. Es gibt Passagen in diesem Buch, die sich lesen, als ob Karasek noch heute gelegentlich diese Art zu schreiben praktizierte.
Er ist eben, trotz all der anderen Talente, im Hauptberuf fast immer Journalist gewesen, er hat Meinungen produziert, mit Meinungen gehandelt, und in den schwächeren Passagen dieses Buchs erinnert er sich weniger an die Ereignisse als an die Meinungen, die er dazu hatte, was keine besonders sinnliche, immerhin aber eine interessante Lektüre ist: Wer Texte für den Tag verfaßt, redigiert und in Umlauf bringt, läuft stets Gefahr, mit den Texten und den Meinungen identisch zu werden. Und was sich abends in der Hamburger Angestelltenwelt noch rührt, taugt auch nur selten dazu, in einer Autobiographie die Glanzlichter zu setzen.
Kein Wunder also, daß Karasek dieser Welt immer wieder zu entkommen suchte: nach Hollywood, wo ihm Billy Wilder von einem ganz anderen Leben erzählte; nach Südfrankreich, wo er mit Helmut Dietl an einem Drehbuch arbeitete, das er dann aber nicht zu Ende schreiben konnte, weil "Der Spiegel" seinen Redakteur wieder in Hamburg haben wollte und Karasek, wie er ohne Umschweife bekennt, nicht mutig genug war zu kündigen. Und darin, wie er sich selber immer wieder einen Mangel an Mut attestiert und einen Hang zum schönen und bequemen Leben, darin ist Karasek eben doch ganz schön mutig. Die Kämpfer und Asketen genießen jedenfalls mehr Bewunderung in diesem Land.
Es wäre leicht, Hellmuth Karasek vorzuwerfen, daß er es sich, zum Schluß hin, ein wenig zu leicht gemacht hat. Je näher er sich herantastet an die Gegenwart, desto weniger Distanz und Differenz bleiben da zwischen der öffentlichen, aus Presse und Fernsehen bekannten Figur Karasek und dem Autor, der doch anfangs so nachdenklich und selbstkritisch war. Wenn er etwa davon erzählt, wie er zum "Spiegel" kam, entwirft er ein scharfes und plastisches Bild von Rudolf Augstein. Wie es aber kam, daß er nach mehr als zwanzig Jahren den "Spiegel" verließ, und welche Rolle Augstein dabei spielte, davon spricht Karasek nur am Rande. Es ist allerdings sein gutes Recht, über die Jüngstvergangenheit zu schweigen - und bevor sich einer darüber beschwert, daß Karasek sich selber noch nicht historisch geworden ist, sollte er bedenken, was das für Karasek bedeutet. Er ist kein alter Mann. Er wird noch viel schreiben in seinem Leben. Nicht nur über das Ende seiner "Spiegel"-Affäre.
CLAUDIUS SEIDL
Hellmuth Karasek: "Auf der Flucht". Erinnerungen. Ullstein Verlag, Berlin 2004. 526 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Probebohrungen: Hellmuth Karaseks Lebenserinnerungen
Für einen Mann wie Daniel Doppler war im deutschen Kulturbetrieb nie eine Planstelle frei - zu unruhig war sein Temperament, zu unernst seine Sprache, zu undeutsch seine Verliebtheit in die eigenen Pointen. Doppler, so schien es, hatte im einen Ohr noch die Echos jenes alten Österreichs, dessen Selbstverrat und Untergang er als Kind erlebt hatte. Und mit dem anderen Ohr lauschte er den Dialogen aus Hollywood, so lange, bis er alle Tricks durchschaut zu haben glaubte. Nur fürs Schweigen hat Doppler immer der Sinn gefehlt, das war sein Glanz und seine Schwäche.
Doppler schrieb Glossen für den "Spiegel" und Komödien fürs Theater; diese Stücke bekamen von der Kritik immer das Etikett "Boulevard" verpaßt und wurden nur dort aufgeführt, wo es keine Boulevards gibt: in der Provinz. Und in den späten neunziger Jahren hat sich Doppler aus der Wirklichkeit zurückgezogen und ist nur noch in der Fiktion aufgetaucht. Daniel Doppler: So hieß der Schelm in dem Schelmenroman "Das Magazin", für welchen dessen Autor Hellmuth Karasek heftige Verrisse und wenig Lob bekam.
Benjamin Henrichs hat einst, in der "Zeit", anläßlich einer Kritik von Dopplers "Hitchcock - eine Komödie", enthüllt, daß Daniel Doppler damals unter dem Pseudonym Hellmuth Karasek den Kulturteil des "Spiegels" leitete, und wenngleich der große Kritiker Henrichs seinen Theaterkritikerkollegen Karasek leidenschaftlich lobte und den Theaterautor Doppler voller Sympathie beschrieb, lief der Artikel doch auf das Fazit hinaus, daß die multiple Persönlichkeit Doppler/Karasek sich gefälligst auf eines ihrer Talente konzentrieren möge.
Hellmuth Karasek, geboren in Mähren, von dort vertrieben in die Sowjetische Besatzungszone und gleich nach dem Abitur geflohen in die Bundesrepublik, Hellmuth Karasek hat, meistens unter diesem Namen, als Sprachlehrer, Operndramaturg, Theaterkritiker, Ressortchef, Drehbuchautor, Romancier, Bühnenautor, Fernsehmensch sein Geld verdient. Er hat erst vor kurzem wieder den Arbeitgeber gewechselt - so, als wollte er, der Siebzigjährige, dringend Jean Amérys These dementieren, wonach das Älterwerden sich darin zeige, daß das Mögliche vom Wirklichen immer mehr verdrängt werde, bis schließlich keine Option mehr bleibe.
Selbst vom Vergangenen, von jener aufgeschichteten und abgelagerten Zeit, die Hellmuth Karaseks Leben ist, schreibt Karasek in seinem Erinnerungsbuch "Auf der Flucht" gewissermaßen in der Möglichkeitsform. Er erzählt nicht chronologisch, schon weil das bedeutet hätte, daß er das Verfassen dieser Memoiren zu Apotheose oder Katastrophe hätte erklären müssen, und für beides fühlt sich Karasek ganz offensichtlich zu jung. Er sitzt vielmehr an seinem Schreibtisch in der Gegenwart, und von hier aus betreibt er seine Probebohrungen durch die Sedimente seiner Erinnerung, und manchmal wird er fündig.
Da ist, zum Beispiel, eine wundervolle Erinnerungsskizze aus einem Sommer in den frühen Fünfzigern. Der junge Karasek ist, nur für die Sommerferien, abgehauen aus der DDR, und bei Verwandten in Würzburg leiht er sich ein Fahrrad, mit dem er sich auf die Reise nach Stuttgart macht, und unterwegs verliebt er sich in die süddeutsche Landschaft, in die behaglichen Städte und Dörfer, die selbstgewissen Menschen, und gerade weil Karasek da weniger von sich selber spricht und mehr von dem, was er um sich herum sieht, gerade deshalb wird Karasek, der Held der Erzählung, auf diesen Seiten sehr plastisch.
In Stuttgart hat Karasek dann, als Kritiker, als Dramaturg, als Feuilletonchef der örtlichen Zeitung, Karriere gemacht, und jene, die Stuttgart bloß für einen abgelegenen Vorort Münchens oder die Nachschubbasis der Berliner Subkultur halten, werden überrascht sein davon, wie leidenschaftlich Karasek Modernität und Liberalität dieser Stadt rühmt und wie er, mit einigen knappen Skizzen aus dem sozialen, kulturellen und erotischen Leben, den Beweis erbringt, daß ausgerechnet in Stuttgart die Bundesrepublik der Aufstiegs- und Wirtschaftswunderjahre ganz bei sich war. "Ehen in Philippsburg" heißt eines der Stuttgarter Kapitel, und Martin Walser, den das Buch als entschlossenen Verführer und jovialen Patriarchen zugleich porträtiert, Martin Walser wird von Karasek zur paradigmatischen Figur seiner Generation erklärt.
"Ich wollte also Journalist werden, natürlich auch, um die Großen dieser Welt interviewen, sprechen, kritisieren und bewundern zu können, als Teilhaber ihrer Welt; nicht als stiller Teilhaber, sondern als lärmender." Der Kultur- und Literaturbetrieb, das deutsche Feuilleton der sechziger und siebziger Jahre, wie Karasek es beschreibt, waren Teil und nicht das Gegenteil jenes Deutschlands, in dem die Aufsteiger, die Anpasser und Karrieristen den Ton angaben, und die Töne, die das Feuilleton von sich gab, waren nicht unbedingt wahrhaftiger, nur meistens eleganter formuliert. Als er von der "Stuttgarter Zeitung" zur "Zeit" gewechselt und deren hauptamtlicher Theaterkritiker war, so erzählt Karasek, da sei er schon am ersten Premierenabend so berauscht gewesen von der eigenen Wichtigkeit und dem vielen Wein, daß er, zu spät aufgewacht und schwer verkatert, seine Kritik aus dem Stegreif direkt ins Telefon diktieren mußte. Es gibt Passagen in diesem Buch, die sich lesen, als ob Karasek noch heute gelegentlich diese Art zu schreiben praktizierte.
Er ist eben, trotz all der anderen Talente, im Hauptberuf fast immer Journalist gewesen, er hat Meinungen produziert, mit Meinungen gehandelt, und in den schwächeren Passagen dieses Buchs erinnert er sich weniger an die Ereignisse als an die Meinungen, die er dazu hatte, was keine besonders sinnliche, immerhin aber eine interessante Lektüre ist: Wer Texte für den Tag verfaßt, redigiert und in Umlauf bringt, läuft stets Gefahr, mit den Texten und den Meinungen identisch zu werden. Und was sich abends in der Hamburger Angestelltenwelt noch rührt, taugt auch nur selten dazu, in einer Autobiographie die Glanzlichter zu setzen.
Kein Wunder also, daß Karasek dieser Welt immer wieder zu entkommen suchte: nach Hollywood, wo ihm Billy Wilder von einem ganz anderen Leben erzählte; nach Südfrankreich, wo er mit Helmut Dietl an einem Drehbuch arbeitete, das er dann aber nicht zu Ende schreiben konnte, weil "Der Spiegel" seinen Redakteur wieder in Hamburg haben wollte und Karasek, wie er ohne Umschweife bekennt, nicht mutig genug war zu kündigen. Und darin, wie er sich selber immer wieder einen Mangel an Mut attestiert und einen Hang zum schönen und bequemen Leben, darin ist Karasek eben doch ganz schön mutig. Die Kämpfer und Asketen genießen jedenfalls mehr Bewunderung in diesem Land.
Es wäre leicht, Hellmuth Karasek vorzuwerfen, daß er es sich, zum Schluß hin, ein wenig zu leicht gemacht hat. Je näher er sich herantastet an die Gegenwart, desto weniger Distanz und Differenz bleiben da zwischen der öffentlichen, aus Presse und Fernsehen bekannten Figur Karasek und dem Autor, der doch anfangs so nachdenklich und selbstkritisch war. Wenn er etwa davon erzählt, wie er zum "Spiegel" kam, entwirft er ein scharfes und plastisches Bild von Rudolf Augstein. Wie es aber kam, daß er nach mehr als zwanzig Jahren den "Spiegel" verließ, und welche Rolle Augstein dabei spielte, davon spricht Karasek nur am Rande. Es ist allerdings sein gutes Recht, über die Jüngstvergangenheit zu schweigen - und bevor sich einer darüber beschwert, daß Karasek sich selber noch nicht historisch geworden ist, sollte er bedenken, was das für Karasek bedeutet. Er ist kein alter Mann. Er wird noch viel schreiben in seinem Leben. Nicht nur über das Ende seiner "Spiegel"-Affäre.
CLAUDIUS SEIDL
Hellmuth Karasek: "Auf der Flucht". Erinnerungen. Ullstein Verlag, Berlin 2004. 526 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
"Es ist nicht despektierlich gemeint, wenn Dieter Hildebrandt in seiner Besprechung der Karasek-Memoiren als allererstes die Erinnerungen Harald Juhnkes in den Sinn kommen; philologische Akuratesse ist der Grund, denn sowohl der omnipräsente "Pop-Proteus" als auch der nunmehr delirierende Entertainer haben in ihren Autobiografien Horvath falsch zitiert: "Ich bin ja ganz anders, aber ich komme so selten dazu", lautet das von beiden als Motto falsch wiedergegebene Credo. Ansonsten hat Hildebrandt nicht viel zu beanstanden. Mit einem "Schuss Schwejk" und "nie larmoyant" erzählt Karasek von der Flucht der Familie in den letzten Kriegsjahren. Gerade aus den damaligen Nöten heraus habe sich Karaseks besondere Gewitztheit entwickelt, deutet der Kritiker. Wenn an den Jugendepisoden etwas störe, dann die "Schlaumeierei", mit der der alte den jungen Karasek garniere. Die Schilderung der geradlinigen Journalistenkarriere gerate zum "Wer ist wer?" der westdeutschen Intellektuellenszene mit einigen "hübsch boshaften Porträts". Der Schluss stößt dem Kritiker dann wieder etwas übel auf, denn da geht der Lebensbericht "in eine Klatschgeschichte über, in der Frauen meist nur als Vernaschkatzen vorkommen".
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