»In der Nacht, bevor wir die Leiche fanden, konnte ich nicht schlafen.« So beginnt die Geschichte des US-Dorfpolizisten Henry Farrell, Ex-Somalia-Kämpfer und Witwer, der sich auf einen gemütlichen Job in den gottverlassenen Wäldern im Nordwesten von Pennsylvania eingerichtet hat - und dort eine ganze Weile nicht zum Schlafen kommen wird. Die Einheimischen, dickschädelige, traditionsbewusste Nachkommen irischer Einwanderer, ernähren sich mehr schlecht als recht von dem, was das Land hergibt, ignorieren die Staatsmacht und pflegen ihre Waffen. Doch dieGemeinschaft wird nicht nur von mexikanischen Drogenkartellen und verborgenen Crystal-Meth-Küchen bedroht: Ein Fracking-Unternehmen setzt alles daran, die örtlichen Schiefergasvorkommen auszubeuten und lockt mit viel Geld für Grundstücke. Als einer der Einsiedler eine Leiche auf seinem Land findet, beginnt für Henry Farrell die Jagd nach dem Killer ...Ausgezeichnet mit dem »Edgar Award«, dem bedeutendstenKrimipreis der USA, in der Sparte »Debüt«, sowie mit dem»LA Times Book Prize«.
buecher-magazin.deHenry Farrell ist Polizist in Wild Thyme im Nordosten Pennsylvanias, wo an die Stelle der Landwirtschaft schon längst Fracking-Unternehmungen und Meth-Labore getreten sind. Seinen Tag verbringt er mit der Suche nach gestohlenen Gerätschaften, doch dann sorgt ein Leichenfund auf dem Grundstück von Aubrey Dunigan dafür, dass er nicht schlafen kann. Aubrey ist ein alter, vermutlich verrückter Mann, der betont, dass er mit der Leiche nichts zu tun habe. Farrell glaubt ihm - und begibt sich in angenehm unaufgeregter Weise auf die Suche nach der Identität des toten Mannes und seines Mörders. Mit wenigen Worten gelingt es Tom Bouman, die Stimmung und Gefühlswelten dieses Ortes zu erwecken, in dem im Hintergrund stets die Gas-Drilling-Geräusche zu hören sind, schwere Laster sich die Straßen entlang quälen und alles von alten Verwandtschaftsbeziehungen bestimmt ist. Auch Farrell stammt aus dieser Ecke, seine Vorfahren kommen wie dort üblich aus Irland. Seit einem Armee-Einsatz in Somalia und dem Tod seiner Frau ist der aufrichtige Farrell ein trauernder, ruhiger Mann, der die Fidel spielt und seinen Job erledigt. Dabei erscheint er wie alle anderen Charaktere in diesem Buch sehr wirklichkeitsecht, sodass die Schilderung des Lebens in dieser Gegend weitaus überzeugender als der Kriminalfall ist.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2017Hillbilly-Rhapsodie
Selten kann ein Debüt so überzeugen wie das von Tom Bouman: "Auf der Jagd" führt ins rauhe Klima der Appalachen - zu Waffennarren, in Drogenküchen und ins verstockte Herz einer verlorenen Generation.
Sie "umgehen das Gesetz, sind gegen die Regierung und schlagen Profit aus dem, was das Land hergibt. Sie sind Holzdiebe, Wilderer und Einbrecher, strecken angeblich ihre Fühler in Richtung Drogenhandel aus und leben in dem Glauben, in einer immerwährenden ,Whiskey-Rebellion' gegen den Staat zu kämpfen." Sie, das ist der Clan der Stiobhards, Nachfahren irischer Einwanderer, die im Nordosten Pennsylvanias in den Appalachen siedeln. Recht und Gesetz interessieren sie also kaum, zumal wenn es in Gestalt des einzigen örtlichen Polizisten auftritt. Da sind sie nicht zimperlich. Dieser Officer Henry Farrell entstammt ebenfalls einer irischen Familie, den Fearghails, die ihren Namen jedoch amerikanisiert hat. Er ist noch jung an Jahren, aber schon übervoll an leidvoller Erfahrung: Er hat für die US-Streitkräfte in Somalia gekämpft; nach seiner Heimkehr fand er die große Liebe, aber seine Frau erlag einer rätselhaften, von Umweltgiften ausgelösten Krebserkrankung.
Deswegen ist der Einzelgänger zurückgekehrt nach Wild Thyme, wo er zur Ruhe kommen, sich der Hirschjagd und irischen Volksweisen auf der Fiddle widmen will. Aber weder Ruhe noch Frieden findet er in seiner alten Heimat. Das hat auch damit zu tun, dass das Gemeindegebiet auf der Marcellus-Formation liegt, einem riesigen Schiefergas-Vorkommen - "eine Menge Erdgas, schön eingepackt in Gesteinsschichten, wie ein Geschenk für Amerika". Und Amerika greift zu. Mit Fracking. Das zuckende Licht der Gasfackeln und der pausenlose Lärm der Bohrstellen bilden inmitten der finsteren Spätwinterwälder eine Kulisse, die dem Roman des Amerikaners Tom Bouman einen latent bedrohlichen Rahmen verleiht. Bouman arbeitete als Lektor in New York und zog mit seiner Frau aufs Land, als das erste Kind kam. Dass es sich bei dem vor drei Jahren erschienenen "Auf der Jagd" (im Original: "Dry Bones in The Valley") um sein Debüt handelt, ist kaum zu glauben - so sprachlich sorgfältig, atmosphärisch dicht und abgrundtief melancholisch gearbeitet ist dieses Buch.
Der Ars Vivendi Verlag aus dem fränkischen Cadolzburg hat einmal mehr sein Näschen für gute Kriminalliteratur bewiesen: "Auf der Jagd" ist ein Krimi, der gewissermaßen aus dem Mutterboden hervorbricht, dem er entstammt - und dabei doch in einer ganz anderen Liga spielt als das Gros deutscher Regionalkrimis. Denn das erste eigentliche Opfer des Romans ist nicht die auftauende Leiche eines jungen Mannes, die auf dem Grundstück eines alten Sonderlings gefunden wird, sondern die Landschaft selbst. Die sumpfige Hügeldünung der Endless Mountains, recht eigentlich ein Mittelgebirge, holt sich gerade mit Sekundärwald einst bewirtschaftete Flächen zurück.
Doch in die neue Wildnis bricht der Mensch ein. Energiekonzerne roden und planieren, was das Zeug hält: Das Fracking stoppt die Armutsspirale aber nur scheinbar, denn mit seinem giftigen Abwasser schwemmt es Geldgier ans Tageslicht: Wer immer Land besitzt, verkauft es irgendwann gegen "Gasgeld" an die Konzerne. Die Gegend verkommt weiter, weil sich Crystal-Meth-Küchen in den Wäldern verstecken und weil im Fahrwasser des Fracking-Booms mexikanische Drogenkartelle neue Kunden suchen.
Zwei Jahre vor J. D. Vances Memoiren "Hillbilly-Elegie" (F.A.Z. vom 7. April) konnte man also bei Bouman lesen, wie das Innenleben einer verlorenen Generation beschaffen ist, deren Vorfahren einst aus Irland, Schottland und England einwanderten. Verarmte, ungebildete, in Waffen vernarrte Weiße, die sich später als Trump-Wähler betätigten, kämpfen sich durch eine armselige Existenz, in Trailerhomes oder heruntergekommenen Bauernhöfen. Der Roman ist aber viel mehr als eine Milieustudie, die mit dem Schema "Einsamer Gesetzeshüter gegen den Rest der Welt" zum Krimi umfrisiert wird. Boumans Protagonist beherrscht nicht nur Überlebenstechniken, er hat beim Fiddle-Spiel gelernt, dass Langsamkeit eine Tugend sein kann. Auch kennt er die Familiengeschichten der Einheimischen hinreichend, aber nicht gut genug, wie sich bald zeigt, als sein Deputy ermordet wird.
Zwei Mordermittlungen mit vollem körperlichen Einsatz verschleißen seine Kräfte, und doch ist er dem Sheriff und den State Troopers stets eine Nasenlänge voraus. Farrell weiß eben, dass die Karte nicht das Gelände ist, und auskennen tut er sich mit beidem: "Auf der Jagd heißt die Kardinaltugend ,Geduld'. Man kundschaftet aus, man sucht die geeignetste Stelle, man wartet. Es kann Jahre dauern, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo eine solche sein könnte. Hat man sie aber gefunden und sich dort eingerichtet, der Hintern am Erdboden festgefroren und den Rücken an einen Baum gelehnt, absorbiert man den Lebensrhythmus der Weißwedelhirsche."
Es wird ein Wiedersehen mit Henry Farrell geben, "Fateful Mornings" erscheint Ende Juni. Das ist eine ausgesprochen gute Nachricht.
HANNES HINTERMEIER
Tom Bouman: "Auf der Jagd". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Ars Vivendi Verlag,
Cadolzburg 2017.
287 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selten kann ein Debüt so überzeugen wie das von Tom Bouman: "Auf der Jagd" führt ins rauhe Klima der Appalachen - zu Waffennarren, in Drogenküchen und ins verstockte Herz einer verlorenen Generation.
Sie "umgehen das Gesetz, sind gegen die Regierung und schlagen Profit aus dem, was das Land hergibt. Sie sind Holzdiebe, Wilderer und Einbrecher, strecken angeblich ihre Fühler in Richtung Drogenhandel aus und leben in dem Glauben, in einer immerwährenden ,Whiskey-Rebellion' gegen den Staat zu kämpfen." Sie, das ist der Clan der Stiobhards, Nachfahren irischer Einwanderer, die im Nordosten Pennsylvanias in den Appalachen siedeln. Recht und Gesetz interessieren sie also kaum, zumal wenn es in Gestalt des einzigen örtlichen Polizisten auftritt. Da sind sie nicht zimperlich. Dieser Officer Henry Farrell entstammt ebenfalls einer irischen Familie, den Fearghails, die ihren Namen jedoch amerikanisiert hat. Er ist noch jung an Jahren, aber schon übervoll an leidvoller Erfahrung: Er hat für die US-Streitkräfte in Somalia gekämpft; nach seiner Heimkehr fand er die große Liebe, aber seine Frau erlag einer rätselhaften, von Umweltgiften ausgelösten Krebserkrankung.
Deswegen ist der Einzelgänger zurückgekehrt nach Wild Thyme, wo er zur Ruhe kommen, sich der Hirschjagd und irischen Volksweisen auf der Fiddle widmen will. Aber weder Ruhe noch Frieden findet er in seiner alten Heimat. Das hat auch damit zu tun, dass das Gemeindegebiet auf der Marcellus-Formation liegt, einem riesigen Schiefergas-Vorkommen - "eine Menge Erdgas, schön eingepackt in Gesteinsschichten, wie ein Geschenk für Amerika". Und Amerika greift zu. Mit Fracking. Das zuckende Licht der Gasfackeln und der pausenlose Lärm der Bohrstellen bilden inmitten der finsteren Spätwinterwälder eine Kulisse, die dem Roman des Amerikaners Tom Bouman einen latent bedrohlichen Rahmen verleiht. Bouman arbeitete als Lektor in New York und zog mit seiner Frau aufs Land, als das erste Kind kam. Dass es sich bei dem vor drei Jahren erschienenen "Auf der Jagd" (im Original: "Dry Bones in The Valley") um sein Debüt handelt, ist kaum zu glauben - so sprachlich sorgfältig, atmosphärisch dicht und abgrundtief melancholisch gearbeitet ist dieses Buch.
Der Ars Vivendi Verlag aus dem fränkischen Cadolzburg hat einmal mehr sein Näschen für gute Kriminalliteratur bewiesen: "Auf der Jagd" ist ein Krimi, der gewissermaßen aus dem Mutterboden hervorbricht, dem er entstammt - und dabei doch in einer ganz anderen Liga spielt als das Gros deutscher Regionalkrimis. Denn das erste eigentliche Opfer des Romans ist nicht die auftauende Leiche eines jungen Mannes, die auf dem Grundstück eines alten Sonderlings gefunden wird, sondern die Landschaft selbst. Die sumpfige Hügeldünung der Endless Mountains, recht eigentlich ein Mittelgebirge, holt sich gerade mit Sekundärwald einst bewirtschaftete Flächen zurück.
Doch in die neue Wildnis bricht der Mensch ein. Energiekonzerne roden und planieren, was das Zeug hält: Das Fracking stoppt die Armutsspirale aber nur scheinbar, denn mit seinem giftigen Abwasser schwemmt es Geldgier ans Tageslicht: Wer immer Land besitzt, verkauft es irgendwann gegen "Gasgeld" an die Konzerne. Die Gegend verkommt weiter, weil sich Crystal-Meth-Küchen in den Wäldern verstecken und weil im Fahrwasser des Fracking-Booms mexikanische Drogenkartelle neue Kunden suchen.
Zwei Jahre vor J. D. Vances Memoiren "Hillbilly-Elegie" (F.A.Z. vom 7. April) konnte man also bei Bouman lesen, wie das Innenleben einer verlorenen Generation beschaffen ist, deren Vorfahren einst aus Irland, Schottland und England einwanderten. Verarmte, ungebildete, in Waffen vernarrte Weiße, die sich später als Trump-Wähler betätigten, kämpfen sich durch eine armselige Existenz, in Trailerhomes oder heruntergekommenen Bauernhöfen. Der Roman ist aber viel mehr als eine Milieustudie, die mit dem Schema "Einsamer Gesetzeshüter gegen den Rest der Welt" zum Krimi umfrisiert wird. Boumans Protagonist beherrscht nicht nur Überlebenstechniken, er hat beim Fiddle-Spiel gelernt, dass Langsamkeit eine Tugend sein kann. Auch kennt er die Familiengeschichten der Einheimischen hinreichend, aber nicht gut genug, wie sich bald zeigt, als sein Deputy ermordet wird.
Zwei Mordermittlungen mit vollem körperlichen Einsatz verschleißen seine Kräfte, und doch ist er dem Sheriff und den State Troopers stets eine Nasenlänge voraus. Farrell weiß eben, dass die Karte nicht das Gelände ist, und auskennen tut er sich mit beidem: "Auf der Jagd heißt die Kardinaltugend ,Geduld'. Man kundschaftet aus, man sucht die geeignetste Stelle, man wartet. Es kann Jahre dauern, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo eine solche sein könnte. Hat man sie aber gefunden und sich dort eingerichtet, der Hintern am Erdboden festgefroren und den Rücken an einen Baum gelehnt, absorbiert man den Lebensrhythmus der Weißwedelhirsche."
Es wird ein Wiedersehen mit Henry Farrell geben, "Fateful Mornings" erscheint Ende Juni. Das ist eine ausgesprochen gute Nachricht.
HANNES HINTERMEIER
Tom Bouman: "Auf der Jagd". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Ars Vivendi Verlag,
Cadolzburg 2017.
287 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hannes Hintermeier freut sich jetzt schon auf den nächsten Roman von Tom Bouman, der bereits im Juni erscheint. Boumans Debüt hat ihm Lust gemacht. Die unter den hinterwäldlerischen, waffenvernarrten Nachfahren irischer Einwanderer im Norden Pennsylvanias spielende Geschichte nimmt Hintermeier von Anfang an mit ihrem bedrohlichen Hintergrundrauschen gefangen, aber auch mit sprachlicher Sorgfalt, atmosphärischer Dichte und enormer Melancholie. Ein Regionalkrimi der anderen Sorte, meint der Rezensent, in dem eine männliche Leiche der Landschaft den Opferstatus (Fracking!) kaum abzulaufen vermag. Für Hintermeier viel mehr als eine Milieustudie mit Crystal-Meth-Faktor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein Krimi, so flüssig, als wäre er auf Quellwasser geschrieben. Dunkel, flott, unmöglich aus der Hand zu legen. Ich war ganz verzückt. Man darf zu Recht erwarten, dass der Autor bald zu den großen Stars gehören wird.« »Ein aufregendes und beklemmendes Debüt [...] Bouman erweckt seine Welt durch ein Handlungsgerüst zum Leben, das jedem Zimmer, jedem Fahrzeug und jeder Person eine Vergangenheit und individuelle Charakteristik zuordnet und uns Teil dieser faszinierenden und oftmals erschreckenden Geschichte werden lässt.« The Washington Post