"Das Leben zerfetzt sich mir in 1000 Stücke", schreibt Annemarie Schwarzenbach 1935 in einem Brief an Klaus Mann - düstere Zeilen für eine 27-Jährige. Dabei scheint die begabte Schriftstellerin und Tochter aus reichem Schweizer Elternhaus vom Glück eigentlich begünstigt: hochbegabt, von außergewöhnlich androgyner Schönheit und Melancholie - sie verdreht Männern und Frauen gleichermaßen den Kopf - und mit einer großen Leidenschaft für alles Fremde führt sie ein unangepasstes Leben. Mit ihrem Auto fährt sie von der Schweiz (!) nach Afghanistan, Indien, Iran und den Irak, wo sie auch einige Zeit lebt, sie arbeitet in Belgisch-Kongo und den USA. Ihre Erlebnisse hält sie in faszinierenden Fotografien und poetischen Texten fest, die international publiziert werden. Aber es gibt auch eine dunkle Seite: Exzesse, Drogen, Depressionen, immer wieder vermischt mit kreativen Schüben, ein Tanz auf einer schmalen Klinge, der immer wieder in Entzugskliniken und die Psychiatrie führt. Man vermutet beginnende Schizophrenie und vernachlässigt die Suche nach den Gründen: Die komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung, ihre Homosexualität und die Stigmatisierung durch die Gesellschaft, das Leiden als Lebensziel... Klaus Mann antwortet damals: "Wir werden es schon zuwege bringen, das Leben". Annemarie stirbt 1942 an den Folgen eines Fahrradunfalls, Klaus sieben Jahre später an einer Überdosis Schlaftabletten. Alexis Schwarzenbach zeichnet mithilfe zum Teil unveröffentlichter, aus Familienbesitz stammender Dokumente und Fotos, sowie umfangreichen Archivmaterials (darunter der Nachlass der Familie Mann) das Leben seiner Großtante nach. Erstmals publizierte Texte und zahlreiche Bilder, die das Talent Schwarzenbachs als Fotojournalistin belegen, ermöglichen ein umfassendes Portrait der schillernden Schweizerin.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2008Wer von Leidenschaft spricht, meint auch leiden
Annemarie Schwarzenbach wäre heute hundert Jahre alt geworden. Zwei Biographien und mehrere Neuerscheinungen huldigen jetzt der Reiseschriftstellerin und Antifaschistin. Die Entdeckung einer Erzählung aus ihrem Nachlass ist eine kleine Sensation.
Annemarie Schwarzenbachs Pupillen sind Halbmonde, die im Weiß der Augen versinken, sich unter die schweren Lider schieben; kein Schlaf, kein Sanatoriumsaufenthalt konnte ihr im Jahr 1938 den klaren Blick zurückgeben, den sie auf Fotografien aus frühen Tagen hat. Im Juli 1922 entstand ein Bild, auf dem die vierzehnjährige Tochter des reichen Schweizer Seidenfabrikanten Alfred Schwarzenbach glücklich strahlt. Wahrscheinlich hat sie den Tag wieder mit Rollenspielen verbracht: den Parsifal hoch zu Ross, einen Pagen des Bockencorps oder den Rosenkavalier mimend, sich selbst dabei als Paul, Otto oder Fritz vorstellend. Annemarie war nicht das erste Mädchen in der Familie, das sich in eine männliche Identität hineinträumte.
Später, nach dem Schock über die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den Drogenentzügen, fehlt ihren Lidern die Kraft, sich zu heben - so dokumentieren es Hunderte von Fotos. Sie sind Zeugnisse eines kurzen leidenschaftlichen und verzweifelten Lebens als Reiseschriftstellerin, bekennende Homosexuelle und kämpferische Antifaschistin. Sie war es, die Klaus Mann zur Gründung seiner Exilzeitschrift "Die Sammlung" anregte, obwohl ihr Vater, ein Anhänger Hitlers, sie unter Druck setzte. Ihre dramatische Geschichte findet sich jetzt gleich doppelt aufgearbeitet: in Dominique Laure Miermonts Biographie "Eine beflügelte Ungeduld" sowie in Alexis Schwarzenbachs umfänglicher Bildmonographie "Auf der Schwelle des Fremden - Das Leben der Annemarie Schwarzenbach". Letztere ist ein Ergebnis akribischer Quellenarbeit. Sie stellt gleichzeitig den Katalog für die Ausstellung "Eine Frau zu sehen" dar, die derzeit in Zürich, danach in Berlin und München gezeigt wird.
Alexis Schwarzenbach setzt der Schriftstellerin ein Denkmal, ein grandioses. An ihrem Beginn stehen historische Familienfotos, welche die Mutter von ihrem Wunderkind machte, das sie als "Buben" erzog und später mit ihren Konventionen und ihrer Strenge so quälte. Trotz ihrer eigenen Homosexualität, die Renée Schwarzenbach mit ihrer Geliebten, der Sopranistin Emmy Krüger, offen und vom Gatten geduldet auslebte, akzeptierte sie die Sexualität der Tochter nie. Eine Manie der Mutter war es, Annemarie als Fotomodell zu betrachten: Mehr als neuntausend Negative hat sie hinterlassen. Den Nachlass der Tochter behandelte sie weniger sorgfältig, zerstörte sogar einen Großteil der Korrespondenz und Tagebücher.
Zur Erscheinung der Annemarie Schwarzenbach äußerte sich Thomas Mann einmal mit den Worten: "Merkwürdig, wenn Sie ein Junge wären, dann müssten Sie doch als ungewöhnlich hübsch gelten." Sie selbst zelebrierte ihren Reiz geduldig in vielen Posen: Die schönsten Fotos machte Marianne Breslauer von der zierlichen Frau mit Schlips und Jackett, meist eine Zigarette zwischen den Fingern. Von ihrer ausgefallenen Schönheit, der betörenden Mischung der Geschlechter ließen sich sowohl Männer als auch Frauen hinreißen. Marianne Breslauer schrieb über die Freundin in ihren Erinnerungen: "Ich bewunderte ihre Schönheit und die Eleganz ihrer Bewegungen, auch wenn ich ahnte, dass ihr dies womöglich gar nicht so recht war. Denn in ihrer Schönheit blieb sie allein und war ein sehr einsames, unglückliches Wesen."
Auf einem der eindringlichsten Bilder, aufgenommen in Berlin im Jahre 1931, ist sie erst dreiundzwanzig Jahre alt und hat gerade ihren ersten Roman "Freunde um Bernhard" publiziert: Die Ausleuchtung unterstützt die feinen Linien ihres schmalen, zarten Gesichts. Die geschwungenen Lippen liegen nur leicht aufeinander. Ihr Blick ist direkt und verliert sich doch in Melancholie - umhüllt von einem beständigen Schleier.
Nachdem Annemarie Schwarzenbach im Fach Geschichte promoviert worden war, zog es sie nach Berlin, wo sie die beiden Menschen kennenlernte, die ihr weiteres Leben zutiefst beeinflussten: Klaus und Erika Mann. Ihr Kampf gegen Hitler, der Glaube an eine intellektuell-literarische Elite und eine unstillbare Schreibwut verbanden die drei jungen Künstler und manifestierten sich im Aufbau der "Pfeffermühle", Erika Manns politischem Kabarett. Annemarie Schwarzenbach erhoffte sich eine Liebesbeziehung mit der Tochter von Thomas Mann, die ihr aber trotz jahrelangen Werbens verwehrt blieb. Erika schreibt 1934 an ihren Bruder: "Es ist ein Sonderbares mit dem Kinde. Und leider wird wohl nie etwas dabei herauskommen, weder menschlich noch produktiv. Auch ihre Skepsis sich selber gegenüber hat etwas Schlappes, und was sie aus der Reise macht, ist nicht viel: Whisky, Thunfisch, ein bisschen Fern-Hochmut." In dieser Zeit beginnt Annemarie, ihre innere Einsamkeit mit Morphium zu betäuben. Alexis Schwarzenbach hat zudem eine bislang unbekannte, jetzt publizierte Erzählung von Annemarie Schwarzenbach über die Liebe zwischen zwei Frauen in ihrem Nachlass entdeckt: "Eine Frau zu sehen". Der Einstieg des autobiographisch gefärbten Bändchens offenbart ihre Empfindsamkeit, aber auch ihre Lust an der Erfahrung, dem Abenteuer, der Leidenschaft: "Eine Frau zu sehen: nur eine Sekunde lang, nur im kurzen Raum eines Blickes, um sie dann wieder zu verlieren, irgendwo im Dunkel eines Ganges, hinter einer Türe, die ich nicht öffnen darf - aber eine Frau zu sehen, und im selben Augenblick zu fühlen, dass auch sie mich gesehen hat, dass ihre Augen fragend an mir hängen, als müssten wir uns begegnen auf der Schwelle des Fremden, dieser dunklen und schwermütigen Grenze des Bewusstseins . . ." Im Mittelpunkt von Annemarie Schwarzenbachs persönlicher Ethik steht die Sünde und das Leiden am Leben. Sie betrachtet das Leiden zugleich als Quelle der Größe und glaubt, dass die Traurigkeit sie über andere erhebt: "Im Moment, da ich glücklich bin, bin ich klein wie alle, und das ertrage ich nicht", schreibt sie an Claude Bourdet 1934. Das Schreiben war ihr Mittel, um die "Seelenängste" einzudämmen: "Es war der Gottesdienst ihres Lebens, er beherrschte sie ganz und gar", notierte Ella Maillart in Erinnerung an eine gemeinsame Reise nach Afghanistan im Jahr 1939, nannte ihre empfindsame Begleiterin aber auch eine gnadenlose Lügnerin, wenn es um die Beschaffung von Drogen ging.
Alexis Schwarzenbach und Dominique Laure Miermont zeichnen in Wort und Bild den Lebensweg der bis in die achtziger Jahre gänzlich vergessenen Autorin nach, die heute hundert Jahre alt geworden wäre: wie sich Annemarie nach und nach von ihrer Mutter entfernt, zunächst Pianistin werden will und dann zu schreiben beginnt. Wie sie den Diplomaten Claude Clarac heiratet, in der Hoffnung, dadurch Ordnung in ihr Leben zu bringen. Doch alle Beziehungen zerbrechen - viele an ihrer Drogensucht und an ihrer Verzweiflung, die sich mit den Jahren immer weiter zuspitzte. Ihre letzte Partnerin Margot von Opel muss erleben, wie sie in eine Psychose gerät, in eine geschlossene Anstalt in den Vereinigten Staaten eingeliefert wird und nur unter der Auflage, das Land zu verlassen, wieder entlassen wird.
Viermal reiste sie nach Persien, viermal in die Vereinigten Staaten, regelmäßig quer durch Europa und dann im Jahr 1939, dem Schicksalsjahr in Deutschland, gemeinsam mit der Genfer Ethnologin Ella Maillart im Ford von der Schweiz nach Afghanistan. In Herat schreibt sie am 1. August 1939: "aber was zählen schon, hier, Kilometerzahlen und Zeittabellen". Ihre vielen Reisen dokumentierte sie fotografisch. Zahlreiche ihrer Bilder hat Alexis Schwarzenbach in die Biographie mit aufgenommen. Betende Männer, Steinen gleich, in der kargen Weite des Hindukuschs. In Eritrea porträtiert sie einen knöchrig gebauten Jungen am Hafen Massawa. Sie beherrschte ihr Medium. Doch sind ihre Bilder von einer unheimlichen Distanz, als wollten sie bestätigen, was Annemarie Schwarzenbach in "Tod in Persien" schreibt: "Du weißt doch, dass kein Mensch auch nur für einen noch so kurzen Augenblick in das Herz des anderen eindringen und sich mit ihm vereinigen kann." Der Zeuge, die Fotografie, verwebt sich mit ihren Wort-Bildern. Jedoch: Wenn sie aufgehört hätte, zu schreiben, so wäre sie wohl daran gestorben.
Wie Annemarie Schwarzenbach im November 1942 tatsächlich starb, ist eine Ironie des Schicksals: An einem ungewöhnlich unbeschwerten Tag in ihrer Wahlheimat Sils wollte sie beweisen, dass sie freihändig Fahrrad fahren kann, stürzte, schlug so mit dem Kopf auf, dass sie wenige Wochen später an den Folgen verstarb - mit vierunddreißig Jahren. In knapp zehn Jahren hatte sie nahezu dreihundert Reportagen und drei Romane veröffentlicht. Noch im Berner Archiv schlummert "Das Wunder des Baums". Weitere Neuerscheinungen umkreisen gegenwärtig die Autorin: Alexandra Lavizzari etwa sucht in ihrem Doppel-Porträt nach einer "Fast-Liebe" zwischen Annemarie Schwarzenbach und der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers.
SWANTJE KARICH
Dominique Laure Miermont: "Annemarie Schwarzenbach. Eine beflügelte Ungeduld". Aus dem Französischen übersetzt von Susanne Wittek. Ammann Verlag, Zürich 2008. 480 S., geb., 34,90 [Euro].
Alexis Schwarzenbach: "Auf der Schwelle des Fremden. Das Leben der Annemarie Schwarzenbach". Collection Rolf Heyne, München 2008.
420 S., geb., 58,- [Euro].
Alexandra Lavizzari: "Fast eine Liebe. Annemarie Schwarzenbach und Carson McCullers". Edition Ebersbach, Berlin 2008. 144 S., geb., 18,- [Euro].
Annemarie Schwarzenbach: "Eine Frau zu sehen". Verlag Kein & Aber, Zürich 2008. 80 S., geb., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Annemarie Schwarzenbach wäre heute hundert Jahre alt geworden. Zwei Biographien und mehrere Neuerscheinungen huldigen jetzt der Reiseschriftstellerin und Antifaschistin. Die Entdeckung einer Erzählung aus ihrem Nachlass ist eine kleine Sensation.
Annemarie Schwarzenbachs Pupillen sind Halbmonde, die im Weiß der Augen versinken, sich unter die schweren Lider schieben; kein Schlaf, kein Sanatoriumsaufenthalt konnte ihr im Jahr 1938 den klaren Blick zurückgeben, den sie auf Fotografien aus frühen Tagen hat. Im Juli 1922 entstand ein Bild, auf dem die vierzehnjährige Tochter des reichen Schweizer Seidenfabrikanten Alfred Schwarzenbach glücklich strahlt. Wahrscheinlich hat sie den Tag wieder mit Rollenspielen verbracht: den Parsifal hoch zu Ross, einen Pagen des Bockencorps oder den Rosenkavalier mimend, sich selbst dabei als Paul, Otto oder Fritz vorstellend. Annemarie war nicht das erste Mädchen in der Familie, das sich in eine männliche Identität hineinträumte.
Später, nach dem Schock über die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den Drogenentzügen, fehlt ihren Lidern die Kraft, sich zu heben - so dokumentieren es Hunderte von Fotos. Sie sind Zeugnisse eines kurzen leidenschaftlichen und verzweifelten Lebens als Reiseschriftstellerin, bekennende Homosexuelle und kämpferische Antifaschistin. Sie war es, die Klaus Mann zur Gründung seiner Exilzeitschrift "Die Sammlung" anregte, obwohl ihr Vater, ein Anhänger Hitlers, sie unter Druck setzte. Ihre dramatische Geschichte findet sich jetzt gleich doppelt aufgearbeitet: in Dominique Laure Miermonts Biographie "Eine beflügelte Ungeduld" sowie in Alexis Schwarzenbachs umfänglicher Bildmonographie "Auf der Schwelle des Fremden - Das Leben der Annemarie Schwarzenbach". Letztere ist ein Ergebnis akribischer Quellenarbeit. Sie stellt gleichzeitig den Katalog für die Ausstellung "Eine Frau zu sehen" dar, die derzeit in Zürich, danach in Berlin und München gezeigt wird.
Alexis Schwarzenbach setzt der Schriftstellerin ein Denkmal, ein grandioses. An ihrem Beginn stehen historische Familienfotos, welche die Mutter von ihrem Wunderkind machte, das sie als "Buben" erzog und später mit ihren Konventionen und ihrer Strenge so quälte. Trotz ihrer eigenen Homosexualität, die Renée Schwarzenbach mit ihrer Geliebten, der Sopranistin Emmy Krüger, offen und vom Gatten geduldet auslebte, akzeptierte sie die Sexualität der Tochter nie. Eine Manie der Mutter war es, Annemarie als Fotomodell zu betrachten: Mehr als neuntausend Negative hat sie hinterlassen. Den Nachlass der Tochter behandelte sie weniger sorgfältig, zerstörte sogar einen Großteil der Korrespondenz und Tagebücher.
Zur Erscheinung der Annemarie Schwarzenbach äußerte sich Thomas Mann einmal mit den Worten: "Merkwürdig, wenn Sie ein Junge wären, dann müssten Sie doch als ungewöhnlich hübsch gelten." Sie selbst zelebrierte ihren Reiz geduldig in vielen Posen: Die schönsten Fotos machte Marianne Breslauer von der zierlichen Frau mit Schlips und Jackett, meist eine Zigarette zwischen den Fingern. Von ihrer ausgefallenen Schönheit, der betörenden Mischung der Geschlechter ließen sich sowohl Männer als auch Frauen hinreißen. Marianne Breslauer schrieb über die Freundin in ihren Erinnerungen: "Ich bewunderte ihre Schönheit und die Eleganz ihrer Bewegungen, auch wenn ich ahnte, dass ihr dies womöglich gar nicht so recht war. Denn in ihrer Schönheit blieb sie allein und war ein sehr einsames, unglückliches Wesen."
Auf einem der eindringlichsten Bilder, aufgenommen in Berlin im Jahre 1931, ist sie erst dreiundzwanzig Jahre alt und hat gerade ihren ersten Roman "Freunde um Bernhard" publiziert: Die Ausleuchtung unterstützt die feinen Linien ihres schmalen, zarten Gesichts. Die geschwungenen Lippen liegen nur leicht aufeinander. Ihr Blick ist direkt und verliert sich doch in Melancholie - umhüllt von einem beständigen Schleier.
Nachdem Annemarie Schwarzenbach im Fach Geschichte promoviert worden war, zog es sie nach Berlin, wo sie die beiden Menschen kennenlernte, die ihr weiteres Leben zutiefst beeinflussten: Klaus und Erika Mann. Ihr Kampf gegen Hitler, der Glaube an eine intellektuell-literarische Elite und eine unstillbare Schreibwut verbanden die drei jungen Künstler und manifestierten sich im Aufbau der "Pfeffermühle", Erika Manns politischem Kabarett. Annemarie Schwarzenbach erhoffte sich eine Liebesbeziehung mit der Tochter von Thomas Mann, die ihr aber trotz jahrelangen Werbens verwehrt blieb. Erika schreibt 1934 an ihren Bruder: "Es ist ein Sonderbares mit dem Kinde. Und leider wird wohl nie etwas dabei herauskommen, weder menschlich noch produktiv. Auch ihre Skepsis sich selber gegenüber hat etwas Schlappes, und was sie aus der Reise macht, ist nicht viel: Whisky, Thunfisch, ein bisschen Fern-Hochmut." In dieser Zeit beginnt Annemarie, ihre innere Einsamkeit mit Morphium zu betäuben. Alexis Schwarzenbach hat zudem eine bislang unbekannte, jetzt publizierte Erzählung von Annemarie Schwarzenbach über die Liebe zwischen zwei Frauen in ihrem Nachlass entdeckt: "Eine Frau zu sehen". Der Einstieg des autobiographisch gefärbten Bändchens offenbart ihre Empfindsamkeit, aber auch ihre Lust an der Erfahrung, dem Abenteuer, der Leidenschaft: "Eine Frau zu sehen: nur eine Sekunde lang, nur im kurzen Raum eines Blickes, um sie dann wieder zu verlieren, irgendwo im Dunkel eines Ganges, hinter einer Türe, die ich nicht öffnen darf - aber eine Frau zu sehen, und im selben Augenblick zu fühlen, dass auch sie mich gesehen hat, dass ihre Augen fragend an mir hängen, als müssten wir uns begegnen auf der Schwelle des Fremden, dieser dunklen und schwermütigen Grenze des Bewusstseins . . ." Im Mittelpunkt von Annemarie Schwarzenbachs persönlicher Ethik steht die Sünde und das Leiden am Leben. Sie betrachtet das Leiden zugleich als Quelle der Größe und glaubt, dass die Traurigkeit sie über andere erhebt: "Im Moment, da ich glücklich bin, bin ich klein wie alle, und das ertrage ich nicht", schreibt sie an Claude Bourdet 1934. Das Schreiben war ihr Mittel, um die "Seelenängste" einzudämmen: "Es war der Gottesdienst ihres Lebens, er beherrschte sie ganz und gar", notierte Ella Maillart in Erinnerung an eine gemeinsame Reise nach Afghanistan im Jahr 1939, nannte ihre empfindsame Begleiterin aber auch eine gnadenlose Lügnerin, wenn es um die Beschaffung von Drogen ging.
Alexis Schwarzenbach und Dominique Laure Miermont zeichnen in Wort und Bild den Lebensweg der bis in die achtziger Jahre gänzlich vergessenen Autorin nach, die heute hundert Jahre alt geworden wäre: wie sich Annemarie nach und nach von ihrer Mutter entfernt, zunächst Pianistin werden will und dann zu schreiben beginnt. Wie sie den Diplomaten Claude Clarac heiratet, in der Hoffnung, dadurch Ordnung in ihr Leben zu bringen. Doch alle Beziehungen zerbrechen - viele an ihrer Drogensucht und an ihrer Verzweiflung, die sich mit den Jahren immer weiter zuspitzte. Ihre letzte Partnerin Margot von Opel muss erleben, wie sie in eine Psychose gerät, in eine geschlossene Anstalt in den Vereinigten Staaten eingeliefert wird und nur unter der Auflage, das Land zu verlassen, wieder entlassen wird.
Viermal reiste sie nach Persien, viermal in die Vereinigten Staaten, regelmäßig quer durch Europa und dann im Jahr 1939, dem Schicksalsjahr in Deutschland, gemeinsam mit der Genfer Ethnologin Ella Maillart im Ford von der Schweiz nach Afghanistan. In Herat schreibt sie am 1. August 1939: "aber was zählen schon, hier, Kilometerzahlen und Zeittabellen". Ihre vielen Reisen dokumentierte sie fotografisch. Zahlreiche ihrer Bilder hat Alexis Schwarzenbach in die Biographie mit aufgenommen. Betende Männer, Steinen gleich, in der kargen Weite des Hindukuschs. In Eritrea porträtiert sie einen knöchrig gebauten Jungen am Hafen Massawa. Sie beherrschte ihr Medium. Doch sind ihre Bilder von einer unheimlichen Distanz, als wollten sie bestätigen, was Annemarie Schwarzenbach in "Tod in Persien" schreibt: "Du weißt doch, dass kein Mensch auch nur für einen noch so kurzen Augenblick in das Herz des anderen eindringen und sich mit ihm vereinigen kann." Der Zeuge, die Fotografie, verwebt sich mit ihren Wort-Bildern. Jedoch: Wenn sie aufgehört hätte, zu schreiben, so wäre sie wohl daran gestorben.
Wie Annemarie Schwarzenbach im November 1942 tatsächlich starb, ist eine Ironie des Schicksals: An einem ungewöhnlich unbeschwerten Tag in ihrer Wahlheimat Sils wollte sie beweisen, dass sie freihändig Fahrrad fahren kann, stürzte, schlug so mit dem Kopf auf, dass sie wenige Wochen später an den Folgen verstarb - mit vierunddreißig Jahren. In knapp zehn Jahren hatte sie nahezu dreihundert Reportagen und drei Romane veröffentlicht. Noch im Berner Archiv schlummert "Das Wunder des Baums". Weitere Neuerscheinungen umkreisen gegenwärtig die Autorin: Alexandra Lavizzari etwa sucht in ihrem Doppel-Porträt nach einer "Fast-Liebe" zwischen Annemarie Schwarzenbach und der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers.
SWANTJE KARICH
Dominique Laure Miermont: "Annemarie Schwarzenbach. Eine beflügelte Ungeduld". Aus dem Französischen übersetzt von Susanne Wittek. Ammann Verlag, Zürich 2008. 480 S., geb., 34,90 [Euro].
Alexis Schwarzenbach: "Auf der Schwelle des Fremden. Das Leben der Annemarie Schwarzenbach". Collection Rolf Heyne, München 2008.
420 S., geb., 58,- [Euro].
Alexandra Lavizzari: "Fast eine Liebe. Annemarie Schwarzenbach und Carson McCullers". Edition Ebersbach, Berlin 2008. 144 S., geb., 18,- [Euro].
Annemarie Schwarzenbach: "Eine Frau zu sehen". Verlag Kein & Aber, Zürich 2008. 80 S., geb., 12,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nichts als Lob und Bewunderung hat Swantje Karich für diese Biografie, die Alexis Schwarzenbach über seine Großtante, die "Reiseschriftstellerin, bekennende Homosexuelle und kämpferische Antifaschistin" Annemarie Schwarzenbach geschrieben hat. Die Rezension des Bandes versteht sich gleichzeitig als Artikel zum 100. Geburtstag der vor 66 Jahren an den Folgen eines Fahrradunfalls gestorbenen Autorin. Viel ist deshalb vom Leben Schwarzenbachs die Rede, recht wenig vom Buch. Es geht um Schwarzenbachs Mutter, die selbst recht offen - und mit Wissen ihres Ehemanns - eine lesbische Beziehung lebte, die Homosexualität der Tochter dennoch nicht ertrug. Und um Schwarzenbachs unerwiderte Liebe für Erika Mann, mit der (und mit deren Bruder Klaus) sie an der Gründung des Kabaretts "Pfeffermühle" beteiligt war. Um Drogen geht es, den Schock über die Machtergreifung der Nazis, Schwarzenbachs "ausgefallene Schönheit", die unzähligen Fotos, die die Mutter von ihr machte. An Fotografien reich ist auch dieser Band, der zugleich der Katalog ist zur Schwarzenbach-Ausstellung "Eine Frau zu sehen", derzeit in Zürich, danach in München und Berlin. Und das alles, so Karich ist ein mehr als würdiges, nämlich ein "grandioses Denkmal" für die lange völlig vergessene, inzwischen aber wiederentdeckte Autorin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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