Marcel ist nun ein gern gesehener Gast im Hause Swann und verbringt viel Zeit mit Gilberte. Auf Spaziergängen im Bois de Boulogne begegnen sie dabei namhaften Personen, wie etwa Prinzessin Mathilde, der Nichte von Napoleon I. Bei einem Abendessen trifft Marcel den Schriftsteller Bergotte, den er sehr verehrt. Zu seiner Enttäuschung entspricht dieser so gar nicht seinen Vorstellungen, sodass dessen literarisches Werk mit einem Mal seinen Reiz verliert. Nach einiger Zeit bemerkt Marcel, dass seine Freundschaft zu Gilberte erkaltet und sie ihn immer mehr meidet. Er schreibt ihr wütende Briefe, mit der Absicht, sich von ihr abzukehren, doch bereut er dies bald darauf und hofft auf Versöhnung. Gilberte jedoch geht ihm aus dem Weg und so versinkt Marcel in Liebeskummer. Doch der nahende Frühling verspricht Linderung ...
Gewohnt gekonnt setzt Stéphane Heuet in seinem Stil der »Ligne claire« einen weiteren Teil von Marcel Prousts Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit um und setzt damit die Teilserie »Im Schatten junger Mädchenblüte« fort.
Gewohnt gekonnt setzt Stéphane Heuet in seinem Stil der »Ligne claire« einen weiteren Teil von Marcel Prousts Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit um und setzt damit die Teilserie »Im Schatten junger Mädchenblüte« fort.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2022Lange Zeit ist er früh ans Zeichenbrett gegangen
Ein Lebenswerk im Dienste des Lebenswerks von Marcel Proust: Nach mehr als zwanzig Jahren beendet Stéphane Heuet seine Comicadaption von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".
Heute endet sie: die lange Gedenksaison für Marcel Proust, die mit der Feier seines hundertfünfzigsten Geburtstags im Juli 2021 begonnen und am hundertsten Todestag im November 2022 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Noch aber läuft in der französischen Nationalbibliothek die beeindruckendste von gleich drei Pariser Großausstellungen zu den Jahrestagen (F.A.Z. vom 18. November), und an Publikationen von und über Proust herrschte in den letzten achtzehn Monaten kein Mangel, weder in Frankreich noch in Deutschland. Darunter ist auch der Abschlussband eines Projekts, das dessen Autor mehr Zeit gekostet hat als jene knapp anderthalb Jahrzehnte, die Proust von der ersten Ideenskizze an für die Abfassung des schließlich mehr als viertausendseitigen Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" (À la Recherche du temps perdu) noch vergönnt waren. Stéphane Heuet nämlich verbrachte ein Vierteljahrhundert damit, dieses Riesenwerk als Comic zu gestalten.
Als der bisherige Werbezeichner 1997 damit begann - als Comic-Autodidakt, der aber über etwas verfügte, was damals noch wenige Kollegen im neuen Fach besaßen: Computergraphikkenntnisse -, hatte Stéphane Heuet vor, tatsächlich den gesamten Romanzyklus zu adaptieren. Und er zeichnete denn auch zunächst "Combray", die Kindheitsgeschichte von Prousts Ich-Erzähler, die auch den Auftakt der Romanhandlung bildet. 1998 kam Heuets erster Band in Frankreich heraus: sechzig Seiten Comic für 250 Seiten Roman. Bis er ins Deutsche übersetzt wurde, vergingen zwölf Jahre, während derer der 1957 geborene Heuet bereits vier weitere Proust-Alben veröffentlicht hatte. Denjenigen, die diese französischen Fortsetzungen verfolgten, wurde klar, dass Heuet es ernst meinte. Und dass er sich genau deshalb große Probleme eingehandelt hatte.
Nicht Probleme mit dem Prinzip der Comicadaption eines anerkannten literarischen Meisterwerks. Von Beginn an ist Heuet für die Akribie, mit der er dabei ans Werk ging, und den Detailreichtum seiner Bilder gepriesen worden (gerade von versierten Proust-Lesern), wie auch für seinen Einfallsreichtum im Umgang mit den Proust'schen Textmassen. Originalzitate aus der siebenteiligen "Recherche" setzt Heuet in Kästen auf beigem Fond - nach der typischen Farbe der Bände der "Nouvelle Revue Française", in deren Buchreihe Prousts Romanzyklus seit 1919 erscheint. Dagegen sind die Sprechblasen weiß gehalten, weil ihre Texte von Heuet stammen - seien es Exzerpte aus Prousts Dialogen oder auf der Grundlage des erzählten Geschehens rekonstruierte wörtliche Figurenreden. Heuet legt auf diese Weise optisch Rechenschaft über die Authentizität der schriftlichen Komponente seiner Comics ab. Und bildästhetisch bedient er sich bei allen Einflüssen des fin de siècle, die man bei Proust nachgewiesen hat: Gemälde, Plakate, Mode, Bühneninszenierungen, Architektur.
Aber die vier Folgebände hatten trotz der Regelmäßigkeit ihres Erscheinens (meist alle zwei Jahre) ein anderes Problem offenbart: Heuet hatte sich bei ihnen auf jeweils 48 Comicseiten pro Album beschränkt, also insgesamt deren knapp zweihundert hinzugefügt, was aber jetzt nur noch 650 Seiten von Prousts Romanhandlung entsprach. Eine Komplettadaption war bei einem solchen Verhältnis in Heuets absehbarer Schaffenszeit unmöglich geworden. Und er hatte sich in den Alben zwei und drei von Prousts Romankomposition gelöst und auf "Combray" erst einmal die Adaption des Kapitels "Namen und Orte: Orte" folgen lassen, ehe er dann wieder zur ursprünglichen Reihenfolge zurückkehrte, als er im vierten und fünften Band "Eine Liebe Swanns" in Bilder setzte.
Bis zum Abschluss des sechsten sollten dann fünf Jahre vergehen - eine Zeit, in der er sich selbst Rechenschaft darüber ablegte, wie es weitergehen könnte. Heuet zeichnete währenddessen das Kurzkapitel "Namen und Orte: Namen" - 48 Comicseiten für kaum sechzig des Romans, aber damit war nun wenigstens der erste Teil von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vollständig adaptiert. Und mit "Namen und Orte: Orte" auch schon die zweite Hälfte des zweiten Teils. Blieben aber immer noch fünfeinhalb mit insgesamt mehr als dreitausend Romanseiten, und das nach mittlerweile fünfzehn Jahren Arbeit. Stéphane Heuet war da bereits Mitte fünfzig.
Wenn man damals mit ihm sprach, verdichtete sich der Eindruck, dass er mit einem Plan liebäugelte, der lange Prousts favorisierte Idee gewesen war: eine dreiteilige Handlung, bestehend aus den späteren Teilen eins ("Unterwegs zu Swann"), zwei ("Im Schatten junger Mädchenblüte") und sieben ("Die wiedergefundene Zeit"). Bis zum November 1922 hatte der Schriftsteller aber immer weitere Passagen zwischen den schon publizierten zweiten und den erst als Manuskript vorliegenden Abschlussteil eingeschoben, und niemand kann sagen, wohin das noch geführt hätte, wenn Proust nicht darüber gestorben wäre. "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist bei aller Illusion literarischer Vollendung ein Torso, von dem man nur nicht weiß, welche Glieder ihm noch angefügt worden wären. Oder auch wieder amputiert. So wollte Proust einen großen Teil des heute als "Die Flüchtige" bekannten sechsten Teils gestrichen sehen; seine Erben indes missachteten die im hinterlassenen Manuskript enthaltene Weisung bei der postum erschienenen Publikation.
Warum sich also nicht bei der Comicadaption an das halten, was Proust nie infrage gestellt hat: die Teile eins, zwei und sieben? Und so machte sich Heuet an die Abrundung von Teil zwei. Auf dessen erste Hälfte, "Im Umkreis von Madame Swann" betitelt, verwandte er noch einmal zwei Comicalben, mit knapp hundert Seiten für etwa dreihundert aus dem Roman. "Die wiedergefundene Zeit" als danach anstehende Herausforderung hat mehr als sechshundert Seiten, Heuet, mittlerweile Mitte sechzig, hatte für sein siebtes und achtes Album noch einmal acht Jahre gebraucht. Er zog einen Schlussstrich: Mit dem zweiten Band von "Im Umkreis von Madame Swann", erschienen auf Deutsch in diesem Jubiläumsjahr, hat er seine Serie beendet. Lange genug ist er täglich früh ans Zeichenbrett gegangen.
Also auch ein Torso? Ja, und doch einer, der Literaturgeschichte geschrieben hat: Auf keinen anderen Roman ist eine derartige Adaptionsmühe verwendet worden. Dafür erhielt Heuet 2021 den Prix Céleste Albaret, benannt nach der treuen Haushälterin von Proust und gewidmet Menschen, die sich um das Werk des Schriftstellers so verdient gemacht haben wie sie.
Aber hat Heuets Proust-Projekt auch Comicgeschichte geschrieben? Wie gesagt: Die Sorgfalt der Textgestalt ist bemerkenswert. Was dagegen die Bilder angeht, war Heuets Vorgehen von Beginn an Gegenstand von Diskussionen, weniger in Frankreich selbst - wo man seinen eindeutigen Bezug auf die von Hergés "Tim und Struppi" begründete Ligne claire, die vor realistischen Hintergründen stark stilisierte Figuren agieren lässt, erkannte und würdigte - als im Ausland: Der Mangel eigener Zeichner-Handschrift wurde da beklagt. Dass Heuet dadurch Proust Reverenz erwies, weil er sein Lebenswerk ganz in den Dienst von dessen Lebenswerk stellte und nicht ästhetisch auftrumpfte, wurde übersehen oder nicht verstanden.
Und deshalb ein letzter Blick in dieser Zeitung auf den Comic "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", auf dessen Abschlussband (Stéphane Heuet: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Im Schatten junger Mädchenblüte: Im Umkreis von Madame Swann II. Knesebeck Verlag, München 2022. 48 S., geb., 22,- Euro). Heuet konnte darin noch eine Schlüsselszene umsetzen: das erste Erscheinen von Bergotte, der im Romanzyklus als Figur die Literatur verkörpert - wie Vinteuil die Musik, die Berma das Theater oder Elstir die Malerei. Diese drei Figuren waren alle schon bei Heuet aufgetreten, aber Bergotte sehen wir erst jetzt, und er prägt das ganze letzte Album. Denn der Ich-Erzähler ist ein leidenschaftlicher Bewunderer seines Schreibens, und wie Heuet aus einer winzigen Bemerkung bei Proust zu Bergottes "schneckenhausartiger Nase" (en forme de coquille de colimaçon) ein zeichnerisches Leitmotiv in seinen Ligne-claire-Bildern macht, das ist eine zauberhafte Hommage an den Text. Der Band schließt mit einem Satz von Proust, in dem festgestellt wird, dass "die mittlere Lebenserwartung poetischer Empfindungen größer ist als die Leiden unseres Herzens". Das ist ein Trost angesichts des Endes von Stéphane Heuets Wunderwerk. ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Lebenswerk im Dienste des Lebenswerks von Marcel Proust: Nach mehr als zwanzig Jahren beendet Stéphane Heuet seine Comicadaption von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".
Heute endet sie: die lange Gedenksaison für Marcel Proust, die mit der Feier seines hundertfünfzigsten Geburtstags im Juli 2021 begonnen und am hundertsten Todestag im November 2022 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Noch aber läuft in der französischen Nationalbibliothek die beeindruckendste von gleich drei Pariser Großausstellungen zu den Jahrestagen (F.A.Z. vom 18. November), und an Publikationen von und über Proust herrschte in den letzten achtzehn Monaten kein Mangel, weder in Frankreich noch in Deutschland. Darunter ist auch der Abschlussband eines Projekts, das dessen Autor mehr Zeit gekostet hat als jene knapp anderthalb Jahrzehnte, die Proust von der ersten Ideenskizze an für die Abfassung des schließlich mehr als viertausendseitigen Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" (À la Recherche du temps perdu) noch vergönnt waren. Stéphane Heuet nämlich verbrachte ein Vierteljahrhundert damit, dieses Riesenwerk als Comic zu gestalten.
Als der bisherige Werbezeichner 1997 damit begann - als Comic-Autodidakt, der aber über etwas verfügte, was damals noch wenige Kollegen im neuen Fach besaßen: Computergraphikkenntnisse -, hatte Stéphane Heuet vor, tatsächlich den gesamten Romanzyklus zu adaptieren. Und er zeichnete denn auch zunächst "Combray", die Kindheitsgeschichte von Prousts Ich-Erzähler, die auch den Auftakt der Romanhandlung bildet. 1998 kam Heuets erster Band in Frankreich heraus: sechzig Seiten Comic für 250 Seiten Roman. Bis er ins Deutsche übersetzt wurde, vergingen zwölf Jahre, während derer der 1957 geborene Heuet bereits vier weitere Proust-Alben veröffentlicht hatte. Denjenigen, die diese französischen Fortsetzungen verfolgten, wurde klar, dass Heuet es ernst meinte. Und dass er sich genau deshalb große Probleme eingehandelt hatte.
Nicht Probleme mit dem Prinzip der Comicadaption eines anerkannten literarischen Meisterwerks. Von Beginn an ist Heuet für die Akribie, mit der er dabei ans Werk ging, und den Detailreichtum seiner Bilder gepriesen worden (gerade von versierten Proust-Lesern), wie auch für seinen Einfallsreichtum im Umgang mit den Proust'schen Textmassen. Originalzitate aus der siebenteiligen "Recherche" setzt Heuet in Kästen auf beigem Fond - nach der typischen Farbe der Bände der "Nouvelle Revue Française", in deren Buchreihe Prousts Romanzyklus seit 1919 erscheint. Dagegen sind die Sprechblasen weiß gehalten, weil ihre Texte von Heuet stammen - seien es Exzerpte aus Prousts Dialogen oder auf der Grundlage des erzählten Geschehens rekonstruierte wörtliche Figurenreden. Heuet legt auf diese Weise optisch Rechenschaft über die Authentizität der schriftlichen Komponente seiner Comics ab. Und bildästhetisch bedient er sich bei allen Einflüssen des fin de siècle, die man bei Proust nachgewiesen hat: Gemälde, Plakate, Mode, Bühneninszenierungen, Architektur.
Aber die vier Folgebände hatten trotz der Regelmäßigkeit ihres Erscheinens (meist alle zwei Jahre) ein anderes Problem offenbart: Heuet hatte sich bei ihnen auf jeweils 48 Comicseiten pro Album beschränkt, also insgesamt deren knapp zweihundert hinzugefügt, was aber jetzt nur noch 650 Seiten von Prousts Romanhandlung entsprach. Eine Komplettadaption war bei einem solchen Verhältnis in Heuets absehbarer Schaffenszeit unmöglich geworden. Und er hatte sich in den Alben zwei und drei von Prousts Romankomposition gelöst und auf "Combray" erst einmal die Adaption des Kapitels "Namen und Orte: Orte" folgen lassen, ehe er dann wieder zur ursprünglichen Reihenfolge zurückkehrte, als er im vierten und fünften Band "Eine Liebe Swanns" in Bilder setzte.
Bis zum Abschluss des sechsten sollten dann fünf Jahre vergehen - eine Zeit, in der er sich selbst Rechenschaft darüber ablegte, wie es weitergehen könnte. Heuet zeichnete währenddessen das Kurzkapitel "Namen und Orte: Namen" - 48 Comicseiten für kaum sechzig des Romans, aber damit war nun wenigstens der erste Teil von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vollständig adaptiert. Und mit "Namen und Orte: Orte" auch schon die zweite Hälfte des zweiten Teils. Blieben aber immer noch fünfeinhalb mit insgesamt mehr als dreitausend Romanseiten, und das nach mittlerweile fünfzehn Jahren Arbeit. Stéphane Heuet war da bereits Mitte fünfzig.
Wenn man damals mit ihm sprach, verdichtete sich der Eindruck, dass er mit einem Plan liebäugelte, der lange Prousts favorisierte Idee gewesen war: eine dreiteilige Handlung, bestehend aus den späteren Teilen eins ("Unterwegs zu Swann"), zwei ("Im Schatten junger Mädchenblüte") und sieben ("Die wiedergefundene Zeit"). Bis zum November 1922 hatte der Schriftsteller aber immer weitere Passagen zwischen den schon publizierten zweiten und den erst als Manuskript vorliegenden Abschlussteil eingeschoben, und niemand kann sagen, wohin das noch geführt hätte, wenn Proust nicht darüber gestorben wäre. "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist bei aller Illusion literarischer Vollendung ein Torso, von dem man nur nicht weiß, welche Glieder ihm noch angefügt worden wären. Oder auch wieder amputiert. So wollte Proust einen großen Teil des heute als "Die Flüchtige" bekannten sechsten Teils gestrichen sehen; seine Erben indes missachteten die im hinterlassenen Manuskript enthaltene Weisung bei der postum erschienenen Publikation.
Warum sich also nicht bei der Comicadaption an das halten, was Proust nie infrage gestellt hat: die Teile eins, zwei und sieben? Und so machte sich Heuet an die Abrundung von Teil zwei. Auf dessen erste Hälfte, "Im Umkreis von Madame Swann" betitelt, verwandte er noch einmal zwei Comicalben, mit knapp hundert Seiten für etwa dreihundert aus dem Roman. "Die wiedergefundene Zeit" als danach anstehende Herausforderung hat mehr als sechshundert Seiten, Heuet, mittlerweile Mitte sechzig, hatte für sein siebtes und achtes Album noch einmal acht Jahre gebraucht. Er zog einen Schlussstrich: Mit dem zweiten Band von "Im Umkreis von Madame Swann", erschienen auf Deutsch in diesem Jubiläumsjahr, hat er seine Serie beendet. Lange genug ist er täglich früh ans Zeichenbrett gegangen.
Also auch ein Torso? Ja, und doch einer, der Literaturgeschichte geschrieben hat: Auf keinen anderen Roman ist eine derartige Adaptionsmühe verwendet worden. Dafür erhielt Heuet 2021 den Prix Céleste Albaret, benannt nach der treuen Haushälterin von Proust und gewidmet Menschen, die sich um das Werk des Schriftstellers so verdient gemacht haben wie sie.
Aber hat Heuets Proust-Projekt auch Comicgeschichte geschrieben? Wie gesagt: Die Sorgfalt der Textgestalt ist bemerkenswert. Was dagegen die Bilder angeht, war Heuets Vorgehen von Beginn an Gegenstand von Diskussionen, weniger in Frankreich selbst - wo man seinen eindeutigen Bezug auf die von Hergés "Tim und Struppi" begründete Ligne claire, die vor realistischen Hintergründen stark stilisierte Figuren agieren lässt, erkannte und würdigte - als im Ausland: Der Mangel eigener Zeichner-Handschrift wurde da beklagt. Dass Heuet dadurch Proust Reverenz erwies, weil er sein Lebenswerk ganz in den Dienst von dessen Lebenswerk stellte und nicht ästhetisch auftrumpfte, wurde übersehen oder nicht verstanden.
Und deshalb ein letzter Blick in dieser Zeitung auf den Comic "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", auf dessen Abschlussband (Stéphane Heuet: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Im Schatten junger Mädchenblüte: Im Umkreis von Madame Swann II. Knesebeck Verlag, München 2022. 48 S., geb., 22,- Euro). Heuet konnte darin noch eine Schlüsselszene umsetzen: das erste Erscheinen von Bergotte, der im Romanzyklus als Figur die Literatur verkörpert - wie Vinteuil die Musik, die Berma das Theater oder Elstir die Malerei. Diese drei Figuren waren alle schon bei Heuet aufgetreten, aber Bergotte sehen wir erst jetzt, und er prägt das ganze letzte Album. Denn der Ich-Erzähler ist ein leidenschaftlicher Bewunderer seines Schreibens, und wie Heuet aus einer winzigen Bemerkung bei Proust zu Bergottes "schneckenhausartiger Nase" (en forme de coquille de colimaçon) ein zeichnerisches Leitmotiv in seinen Ligne-claire-Bildern macht, das ist eine zauberhafte Hommage an den Text. Der Band schließt mit einem Satz von Proust, in dem festgestellt wird, dass "die mittlere Lebenserwartung poetischer Empfindungen größer ist als die Leiden unseres Herzens". Das ist ein Trost angesichts des Endes von Stéphane Heuets Wunderwerk. ANDREAS PLATTHAUS
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