"Die liberale Ordnung ist die Ordnung für alle Bürger", schreibt Ralf Dahrendorf. "Erst wenn diese hergestellt ist, kann man von einer freien Gesellschaft sprechen."
Nur sie garantiert, dass eines der wichtigsten Ziele einer politischen Ordnung erreicht werden kann: gleiche Lebenschancen für alle. Aber wie läßt sich diese Freiheit, wo sie besteht, erhalten, wo sie fehlt, herbeiführen - in einer Welt, die unübersichtlich und unregulierbar geworden, die "ohne Halt" ist?
Ralf Dahrendorf über Politik der Freiheit im 21. Jahrhundert
In glänzenden Analysen stellt Ralf Dahrendorf dar, welche Gefahren der liberalen Ordnung in den demokratisch verfaßten Staaten drohen und welche Hindernisse ihrer Etablierung in Ländern im Wege stehen, die sie kaum oder nie gekannt haben. In den westlichen Demokratien ist die Freiheit durch die demokratischer Willensbildung entzogene Globalisierung und den neuen illiberalen Regionalismus bedroht, aber auch gefährdet duch einen politischen Autoritarismus und sein Pendant, die Apathie der Bürger. In der postkommunistischen Welt können die gerade zur Demokratie Bekehrten an ihr schon wieder zu zweifeln beginnen, weil der Wohlstand, den man mit einer demokratisschen Verfassung verschwistert glaubt, sich nicht einstellen will. In den Ländern der "Dritten Welt" schließlich können gerade die Modernisierungsprozesse mit ihren großen Verheißungen und kleinen Fortschritten gefährliche Gegenbewegungen bis hin zum religiösen Fundamentalismus und zum Terrorismus auslösen.
Hier ist ein Buch entstanden, das von der wissenschaftlichen Kompetenz der Soziologen und der praktischen Erfahrung des Politikers lebt, präzise in seiner Analyse, unbestechlich in seinem Urteil, mutig in seinen Empfehlungen für einen Weg aus der Krise. Gerade weil Ralf Dahrendorf sich und seinen Lesern nichts vormacht, haben seine Ratschläge Gewicht. Es gibt derzeit kein anderes Buch, das so überzeugend eine Politik der Freiheit für das 21. Jahrhundert entwirft.
Nur sie garantiert, dass eines der wichtigsten Ziele einer politischen Ordnung erreicht werden kann: gleiche Lebenschancen für alle. Aber wie läßt sich diese Freiheit, wo sie besteht, erhalten, wo sie fehlt, herbeiführen - in einer Welt, die unübersichtlich und unregulierbar geworden, die "ohne Halt" ist?
Ralf Dahrendorf über Politik der Freiheit im 21. Jahrhundert
In glänzenden Analysen stellt Ralf Dahrendorf dar, welche Gefahren der liberalen Ordnung in den demokratisch verfaßten Staaten drohen und welche Hindernisse ihrer Etablierung in Ländern im Wege stehen, die sie kaum oder nie gekannt haben. In den westlichen Demokratien ist die Freiheit durch die demokratischer Willensbildung entzogene Globalisierung und den neuen illiberalen Regionalismus bedroht, aber auch gefährdet duch einen politischen Autoritarismus und sein Pendant, die Apathie der Bürger. In der postkommunistischen Welt können die gerade zur Demokratie Bekehrten an ihr schon wieder zu zweifeln beginnen, weil der Wohlstand, den man mit einer demokratisschen Verfassung verschwistert glaubt, sich nicht einstellen will. In den Ländern der "Dritten Welt" schließlich können gerade die Modernisierungsprozesse mit ihren großen Verheißungen und kleinen Fortschritten gefährliche Gegenbewegungen bis hin zum religiösen Fundamentalismus und zum Terrorismus auslösen.
Hier ist ein Buch entstanden, das von der wissenschaftlichen Kompetenz der Soziologen und der praktischen Erfahrung des Politikers lebt, präzise in seiner Analyse, unbestechlich in seinem Urteil, mutig in seinen Empfehlungen für einen Weg aus der Krise. Gerade weil Ralf Dahrendorf sich und seinen Lesern nichts vormacht, haben seine Ratschläge Gewicht. Es gibt derzeit kein anderes Buch, das so überzeugend eine Politik der Freiheit für das 21. Jahrhundert entwirft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2003Gemeinsam mit Washington
Auf dem Weg in das 21. Jahrhundert bei Tony Blair angelangt
Ralf Dahrendorf: Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Eine Politik der Freiheit für das 21. Jahrhundert. Verlag C. H. Beck, München 2003. 147 Seiten, 15,40 [Euro].
Die vorherrschende Stimmung im Frühjahr 2003 läßt sich in zwei Worte komprimieren: weitverbreitete Ratlosigkeit. Jedermann ist zwar imstande, die Merkmale der kritischen Lage vorwärts und rückwärts zu buchstabieren: der geplatzte High-Tech-Boom der neunziger Jahre, das altmodische "Modell Deutschland", an dem viele herumdoktern, und jetzt - als wäre das nicht schon genug - urplötzlich auch eine tiefe Krise der atlantischen Gemeinschaft und des Projekts "Europa". Doch auf die Frage, wie es weitergehen soll, gemahnen die Antworten der Regierungen, Parteien, Kirchen und weiterer Großorganisationen an den Kalauer, mit dem Alfred Kerr seinerzeit das 20. Jahrhundert begrüßte: "Unsere Zukunft liegt im dunkeln, wüste Worte hört man munkeln."
So greift der Leser neugierig zu der neuen Studie von Ralf Dahrendorf, dem bedeutendsten, auch literarisch produktivsten liberalen Intellektuellen, den Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht und England uneingeschränkt akzeptiert hat. Er gehört nicht zu den Verzagten. Seit gut vier Jahrzehnten fasziniert es ihn immer wieder aufs neue, in die im dunkeln liegende Zukunft - so formuliert er es hier - "ein paar Schneisen des Verständnisses zu schlagen". Konkrete Policy-Empfehlungen wird zwar niemand bei ihm suchen, wohl aber Prinzipien, die einerseits hell illuminiert, andererseits aber auch mit der Vorsicht, die den abwägenden Liberalen ziert, zugleich kundig abschattiert werden.
Fixsterne der universal konzipierten, dynamischen Angebotstheorie Dahrendorfs sind nach wie vor die Freiheit der Individuen und der Nationen, die Schaffung günstiger Bedingungen zur Eigenständigkeit sowie die Verbreitung von Lebenschancen. Immer noch sieht er sich auch in den Traditionen der Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die von evolutionärem Optimismus bewegt waren und im Zweifelsfall der Freiheit und dem Rechtsstaat vor der Gleichheit den Vorzug gegeben haben. Dieses dominierende Leitmotiv eines optimistischen Liberalismus ist aber mit einem zweiten, recht düsteren Leitmotiv verwoben, das gleichfalls durchgehend erklingt und vielfach variiert wird. Es lautet: Wir befinden uns heute in einer "Welt ohne Halt" - "keiner kann sie halten, und wir finden in ihr keinen Halt".
Die Geschichte, so betont Dahrendorf, bleibt zwar weiterhin offen. Irgendwann könnte sie sogar zu einer "liberalen Weltverfassung" führen. Doch die Richtung ist nicht festgelegt: "Möglicherweise werden alle unsere Errungenschaften wieder zerstört, durch äußere Feinde oder durch das selbstmörderische Potential unseres eigenen Tuns." Zwar sieht Dahrendorf nach wie vor eine Hauptaufgabe darin, unter Bejahung der Chancen des Wandels gerade den Ausgeschlossenen in der Dritten Welt, die "im Tal der Tränen zu verkommen drohen", Perspektiven für eine hoffnungsvollere Zukunft zu geben. Aber sorgenvoll registriert er doch im Blick auf den 11. September den selbstmörderischen Terrorismus junger Männer, "die von alten Männern verführt worden sind". Und ihrer sind viele.
Gewiß, es sei weder sinnvoll noch möglich, die Wandlungsprozesse anzuhalten. Die Alternative zur "runaway world" wäre die "stagnant world" - wer wolle noch darin leben? Doch an das Problem, wie Sicherheit in Freiheit und die gebotene Strenge gegenüber Gesetzesbrechern miteinander vereinbar sein könnten, tastet sich Dahrendorf nur mit vorsichtigen Fragen heran. "Vorbeugende Haft? Schutzhaft? Öffentlichmachung der Privatsphäre aller?" Abwägendes Urteil sei jedenfalls geboten.
Wie schon in früheren Büchern betont er auch hier: "Die große Frage ist also, wie wir haltbare, nachhaltige Strukturen in dieser Welt ohne Halt schaffen können . . . Der Wert dessen, was von Dauer ist, bedarf der Wiederbelebung." - "Vielleicht", so liest man nicht ganz ohne Erstaunen, "brauchen wir ein paar neue Kathedralen."Daß zu den bewahrenswerten Strukturen auch die gefestigten Nationalstaaten Europas als "Rückgrat der Verfassung der Freiheit" gehören, unterstreicht Dahrendorf hier einmal mehr, während er die regionalistischen Narreteien der Bossis ("Padanien") und die Hoffnungen der europäischen Föderalisten für gleicherweise illusionär hält: "Die Europäische Union ist keine Demokratie und auch nicht auf dem Wege dorthin."
Man findet in dieser pointiert formulierten Studie zahlreiche derart leicht hingetupfte Provokationen, so etwa die folgenden, recht aktuellen Sätze: Europa "ist so künstlich wie die Währung, die es sich gegeben hat, auf der kein reales Monument zu finden ist. Ein Weg voran ist nur realistisch, wenn er damit beginnt, sich auf die Vereinigten Staaten als rückhaltlos Verbündeter einzulassen. Das darf zudem kein taktisches Handeln sein; es muß aus der Anerkennung gemeinsamer Wertbezüge kommen." In Sachen Amerika ist der vom radikal-demokratischen Liberalen zum Liberal-Konservativen mutierte Dahrendorf auf seinem Weg ins 21. Jahrhundert bei den Positionen von Tony Blair und Angela Merkel angelangt. Wer somit bei Dahrendorf aufspüren möchte, wie ein in der Wolle gefärbter Liberaler auf die heutigen Krisen reagiert, findet viel Nachdenkliches, Begrüßenswertes oder Anstößiges - echte Liberale waren schließlich nie besonders windschlüpfige Zeitgenossen. "Die tätige Freiheit", so endet dieses vorerst letzte von Dahrendorfs liberalen Manifesten, "bleibt also die oberste Maxime."
HANS-PETER SCHWARZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf dem Weg in das 21. Jahrhundert bei Tony Blair angelangt
Ralf Dahrendorf: Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Eine Politik der Freiheit für das 21. Jahrhundert. Verlag C. H. Beck, München 2003. 147 Seiten, 15,40 [Euro].
Die vorherrschende Stimmung im Frühjahr 2003 läßt sich in zwei Worte komprimieren: weitverbreitete Ratlosigkeit. Jedermann ist zwar imstande, die Merkmale der kritischen Lage vorwärts und rückwärts zu buchstabieren: der geplatzte High-Tech-Boom der neunziger Jahre, das altmodische "Modell Deutschland", an dem viele herumdoktern, und jetzt - als wäre das nicht schon genug - urplötzlich auch eine tiefe Krise der atlantischen Gemeinschaft und des Projekts "Europa". Doch auf die Frage, wie es weitergehen soll, gemahnen die Antworten der Regierungen, Parteien, Kirchen und weiterer Großorganisationen an den Kalauer, mit dem Alfred Kerr seinerzeit das 20. Jahrhundert begrüßte: "Unsere Zukunft liegt im dunkeln, wüste Worte hört man munkeln."
So greift der Leser neugierig zu der neuen Studie von Ralf Dahrendorf, dem bedeutendsten, auch literarisch produktivsten liberalen Intellektuellen, den Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht und England uneingeschränkt akzeptiert hat. Er gehört nicht zu den Verzagten. Seit gut vier Jahrzehnten fasziniert es ihn immer wieder aufs neue, in die im dunkeln liegende Zukunft - so formuliert er es hier - "ein paar Schneisen des Verständnisses zu schlagen". Konkrete Policy-Empfehlungen wird zwar niemand bei ihm suchen, wohl aber Prinzipien, die einerseits hell illuminiert, andererseits aber auch mit der Vorsicht, die den abwägenden Liberalen ziert, zugleich kundig abschattiert werden.
Fixsterne der universal konzipierten, dynamischen Angebotstheorie Dahrendorfs sind nach wie vor die Freiheit der Individuen und der Nationen, die Schaffung günstiger Bedingungen zur Eigenständigkeit sowie die Verbreitung von Lebenschancen. Immer noch sieht er sich auch in den Traditionen der Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die von evolutionärem Optimismus bewegt waren und im Zweifelsfall der Freiheit und dem Rechtsstaat vor der Gleichheit den Vorzug gegeben haben. Dieses dominierende Leitmotiv eines optimistischen Liberalismus ist aber mit einem zweiten, recht düsteren Leitmotiv verwoben, das gleichfalls durchgehend erklingt und vielfach variiert wird. Es lautet: Wir befinden uns heute in einer "Welt ohne Halt" - "keiner kann sie halten, und wir finden in ihr keinen Halt".
Die Geschichte, so betont Dahrendorf, bleibt zwar weiterhin offen. Irgendwann könnte sie sogar zu einer "liberalen Weltverfassung" führen. Doch die Richtung ist nicht festgelegt: "Möglicherweise werden alle unsere Errungenschaften wieder zerstört, durch äußere Feinde oder durch das selbstmörderische Potential unseres eigenen Tuns." Zwar sieht Dahrendorf nach wie vor eine Hauptaufgabe darin, unter Bejahung der Chancen des Wandels gerade den Ausgeschlossenen in der Dritten Welt, die "im Tal der Tränen zu verkommen drohen", Perspektiven für eine hoffnungsvollere Zukunft zu geben. Aber sorgenvoll registriert er doch im Blick auf den 11. September den selbstmörderischen Terrorismus junger Männer, "die von alten Männern verführt worden sind". Und ihrer sind viele.
Gewiß, es sei weder sinnvoll noch möglich, die Wandlungsprozesse anzuhalten. Die Alternative zur "runaway world" wäre die "stagnant world" - wer wolle noch darin leben? Doch an das Problem, wie Sicherheit in Freiheit und die gebotene Strenge gegenüber Gesetzesbrechern miteinander vereinbar sein könnten, tastet sich Dahrendorf nur mit vorsichtigen Fragen heran. "Vorbeugende Haft? Schutzhaft? Öffentlichmachung der Privatsphäre aller?" Abwägendes Urteil sei jedenfalls geboten.
Wie schon in früheren Büchern betont er auch hier: "Die große Frage ist also, wie wir haltbare, nachhaltige Strukturen in dieser Welt ohne Halt schaffen können . . . Der Wert dessen, was von Dauer ist, bedarf der Wiederbelebung." - "Vielleicht", so liest man nicht ganz ohne Erstaunen, "brauchen wir ein paar neue Kathedralen."Daß zu den bewahrenswerten Strukturen auch die gefestigten Nationalstaaten Europas als "Rückgrat der Verfassung der Freiheit" gehören, unterstreicht Dahrendorf hier einmal mehr, während er die regionalistischen Narreteien der Bossis ("Padanien") und die Hoffnungen der europäischen Föderalisten für gleicherweise illusionär hält: "Die Europäische Union ist keine Demokratie und auch nicht auf dem Wege dorthin."
Man findet in dieser pointiert formulierten Studie zahlreiche derart leicht hingetupfte Provokationen, so etwa die folgenden, recht aktuellen Sätze: Europa "ist so künstlich wie die Währung, die es sich gegeben hat, auf der kein reales Monument zu finden ist. Ein Weg voran ist nur realistisch, wenn er damit beginnt, sich auf die Vereinigten Staaten als rückhaltlos Verbündeter einzulassen. Das darf zudem kein taktisches Handeln sein; es muß aus der Anerkennung gemeinsamer Wertbezüge kommen." In Sachen Amerika ist der vom radikal-demokratischen Liberalen zum Liberal-Konservativen mutierte Dahrendorf auf seinem Weg ins 21. Jahrhundert bei den Positionen von Tony Blair und Angela Merkel angelangt. Wer somit bei Dahrendorf aufspüren möchte, wie ein in der Wolle gefärbter Liberaler auf die heutigen Krisen reagiert, findet viel Nachdenkliches, Begrüßenswertes oder Anstößiges - echte Liberale waren schließlich nie besonders windschlüpfige Zeitgenossen. "Die tätige Freiheit", so endet dieses vorerst letzte von Dahrendorfs liberalen Manifesten, "bleibt also die oberste Maxime."
HANS-PETER SCHWARZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2009Wirtschaftsbuch
Zum Thema
Andere Dinge lernen
Hartmut von Hentig: Bildung. Ein Essay. Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2004, 210 Seiten, 12.90 Euro
Hartmut von Hentig hat ein radikales, fast schon subversives Werk geschrieben, das den vorherrschenden schulischen Bildungskanon ins Jenseits kickt.
Mehr Solidarität
Ralf Dahrendorf: Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Eine Politik der Freiheit für das 21. Jahrhundert. C. H. Beck Verlag, München 2003, 160 Seiten, 14,90 Euro.
Eine Politik der Freiheit bedeutet, die größten Lebenschancen der größten Zahl zu garantieren. Dafür benötige man eine Kultur der Solidarität und Zusammengehörigkeit, meint Ralf Dahrendorf.
Bildung ist das Einzige, was zählt
In Deutschland sind knapp 40 Millionen Menschen erwerbstätig. Das ist die höchste Zahl, die es hierzulande je gab. Auch wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt, gilt die Faustregel: Je besser man qualifiziert ist, desto kürzer bleibt man im Zweifelsfall ohne Arbeit. Darauf weisen die beiden Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther und Thomas Straubhaar hin. „Am schnellsten, nämlich nach 98 Tagen, kehren Ärzte und Apotheker in ihren Beruf zurück. Ein Rechtsanwalt ist im Schnitt 123, ein Werkzeugmacher 125 Tage arbeitslos – ebenso lange wie, wer hätte das gedacht, ein Künstler”, schreiben sie in ihrem neuen Buch. Obwohl sie am unteren Ende der Liste rangieren, finden im Schnitt auch ungelernte Hilfsarbeiter oder Reinigungskräfte innerhalb von einem Jahr wieder Arbeit.
Das ist die gute Nachricht. Die meisten Menschen haben Arbeit und sind sozial wie wirtschaftlich angemessen integriert. Vorausgesetzt, sie haben vorher ausreichend in ihre Bildung investiert. Parallel dazu hat sich jedoch seit Mitte der 90er Jahre das Gefühl ausgebreitet, in einer Gesellschaft zu leben, die sozial ungerecht ist. 1995 sagten noch 43 Prozent, dass sie die Verhältnisse in Deutschland im Großen und Ganzen als gerecht empfinden. Inzwischen betrachten 68 Prozent diese als ungerecht. Nur noch eine Minderheit von 16 Prozent glaubt, Besitz und Verdienst in unserer Gesellschaft seien halbwegs gerecht verteilt. 1995 waren es mehr als doppelt so viele.
Das Buch von Straubhaar und Hüther ist der Versuch, die gefühlte Ungerechtigkeit zu lindern. Es ist eine kernige Verteidigungsschrift liberaler Wirtschaftsprinzipien und eine Absage an den Subventions- und Verteilungsstaat, der die Reichen schröpft, der Wirtschaft Fesseln anlegt und von oben nach unten reguliert. Ungerechtigkeit und Ungleichheit akzeptieren sie als „Ausdruck der Unterschiedlichkeit der Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Begabungen und Präferenzen”. Dieses könne kein Staat der Welt einebnen wollen, weil er kreative Vielfalt seiner Bewohner zerstören würde.
Politik müsse den Raum schaffen, in dem unterschiedlich begabte und erfolgreiche Menschen sich als Gleiche begegnen dürfen. Gleichheit wird als politische Teilhabe verstanden. Sie beinhalte „das Recht, eigene Interessen zu verfolgen und im gesellschaftlichen Diskurs eigene Positionen und Meinungen vorzubringen, mit dem Ziel, auch andere zu überzeugen”. Die Logik: Das bessere Argument, die bessere Idee und die bessere Problemlösung mögen siegen.
Es geht in der modernen Gesellschaft darum, klüger als die anderen zu sein, davon zu profitieren und den gemeinsamen Wohlstand zu sichern. Nicht nur im Wettbewerb um die besten Arbeitsplätze, sondern auch im Wettbewerb zwischen Staaten. „In der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts werden die Klügsten, also die globalen Bildungs-Champions, auf dem Treppchen stehen – nicht die, die am härtesten arbeiten.” Bildung oder keine Bildung sei die Schicksalsfrage von heute. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung jedes einzelnen hänge nur noch von seiner Bildung ab. Sie befähigt Menschen, mit Zukunft umzugehen. „Die Chancen und Optionen sind so groß wie nie zuvor, nur sie zu nutzen müsse man willens und befähigt sein.”
Das Motto für Wirtschaft und Gesellschaft: Man muss die Leute starkmachen und ihre Befähigung stärken, die Probleme künftig selbst zu lösen. Dafür aber bedarf es eines grundsätzlichen Wandels in allen gesellschaftlichen Agenturen, etwa konkret in der Schule. „Jede Schule sollte Lehrer selbst einstellen dürfen, selbst über Lehrmittel bestimmen und die Lehrpläne selbst erstellen und verantworten”, fordern die Autoren. Ein Versuch wäre es wert. Peter Felixberger
Michael Hüther, Thomas Straubhaar: Die gefühlte Ungerechtigkeit. Warum wir Ungleichheit aushalten müssen, wenn wir Freiheit wollen. 336 Seiten, Econ Verlag,
Berlin 2009, 19,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Hartmut von Hentig: Bildung. Ein Essay. Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2004, 210 Seiten, 12.90 Euro
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Eine Politik der Freiheit bedeutet, die größten Lebenschancen der größten Zahl zu garantieren. Dafür benötige man eine Kultur der Solidarität und Zusammengehörigkeit, meint Ralf Dahrendorf.
Bildung ist das Einzige, was zählt
In Deutschland sind knapp 40 Millionen Menschen erwerbstätig. Das ist die höchste Zahl, die es hierzulande je gab. Auch wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt, gilt die Faustregel: Je besser man qualifiziert ist, desto kürzer bleibt man im Zweifelsfall ohne Arbeit. Darauf weisen die beiden Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther und Thomas Straubhaar hin. „Am schnellsten, nämlich nach 98 Tagen, kehren Ärzte und Apotheker in ihren Beruf zurück. Ein Rechtsanwalt ist im Schnitt 123, ein Werkzeugmacher 125 Tage arbeitslos – ebenso lange wie, wer hätte das gedacht, ein Künstler”, schreiben sie in ihrem neuen Buch. Obwohl sie am unteren Ende der Liste rangieren, finden im Schnitt auch ungelernte Hilfsarbeiter oder Reinigungskräfte innerhalb von einem Jahr wieder Arbeit.
Das ist die gute Nachricht. Die meisten Menschen haben Arbeit und sind sozial wie wirtschaftlich angemessen integriert. Vorausgesetzt, sie haben vorher ausreichend in ihre Bildung investiert. Parallel dazu hat sich jedoch seit Mitte der 90er Jahre das Gefühl ausgebreitet, in einer Gesellschaft zu leben, die sozial ungerecht ist. 1995 sagten noch 43 Prozent, dass sie die Verhältnisse in Deutschland im Großen und Ganzen als gerecht empfinden. Inzwischen betrachten 68 Prozent diese als ungerecht. Nur noch eine Minderheit von 16 Prozent glaubt, Besitz und Verdienst in unserer Gesellschaft seien halbwegs gerecht verteilt. 1995 waren es mehr als doppelt so viele.
Das Buch von Straubhaar und Hüther ist der Versuch, die gefühlte Ungerechtigkeit zu lindern. Es ist eine kernige Verteidigungsschrift liberaler Wirtschaftsprinzipien und eine Absage an den Subventions- und Verteilungsstaat, der die Reichen schröpft, der Wirtschaft Fesseln anlegt und von oben nach unten reguliert. Ungerechtigkeit und Ungleichheit akzeptieren sie als „Ausdruck der Unterschiedlichkeit der Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Begabungen und Präferenzen”. Dieses könne kein Staat der Welt einebnen wollen, weil er kreative Vielfalt seiner Bewohner zerstören würde.
Politik müsse den Raum schaffen, in dem unterschiedlich begabte und erfolgreiche Menschen sich als Gleiche begegnen dürfen. Gleichheit wird als politische Teilhabe verstanden. Sie beinhalte „das Recht, eigene Interessen zu verfolgen und im gesellschaftlichen Diskurs eigene Positionen und Meinungen vorzubringen, mit dem Ziel, auch andere zu überzeugen”. Die Logik: Das bessere Argument, die bessere Idee und die bessere Problemlösung mögen siegen.
Es geht in der modernen Gesellschaft darum, klüger als die anderen zu sein, davon zu profitieren und den gemeinsamen Wohlstand zu sichern. Nicht nur im Wettbewerb um die besten Arbeitsplätze, sondern auch im Wettbewerb zwischen Staaten. „In der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts werden die Klügsten, also die globalen Bildungs-Champions, auf dem Treppchen stehen – nicht die, die am härtesten arbeiten.” Bildung oder keine Bildung sei die Schicksalsfrage von heute. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung jedes einzelnen hänge nur noch von seiner Bildung ab. Sie befähigt Menschen, mit Zukunft umzugehen. „Die Chancen und Optionen sind so groß wie nie zuvor, nur sie zu nutzen müsse man willens und befähigt sein.”
Das Motto für Wirtschaft und Gesellschaft: Man muss die Leute starkmachen und ihre Befähigung stärken, die Probleme künftig selbst zu lösen. Dafür aber bedarf es eines grundsätzlichen Wandels in allen gesellschaftlichen Agenturen, etwa konkret in der Schule. „Jede Schule sollte Lehrer selbst einstellen dürfen, selbst über Lehrmittel bestimmen und die Lehrpläne selbst erstellen und verantworten”, fordern die Autoren. Ein Versuch wäre es wert. Peter Felixberger
Michael Hüther, Thomas Straubhaar: Die gefühlte Ungerechtigkeit. Warum wir Ungleichheit aushalten müssen, wenn wir Freiheit wollen. 336 Seiten, Econ Verlag,
Berlin 2009, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Pointiert formuliert findet ein trotzdem leicht enttäuscht wirkender Rezensent Hans-Peter Schwarz diese Studie, an der ihm zahlreiche Provokationen "leicht hingetupft" erscheinen, er aber auch "Nachdenkliches, Begrüßenswertes oder Anstößiges" findet. Insgesamt erscheint ihm der "radikal-demokratische Liberale zum Liberal-Konservativen mutiert". Die Fixsterne von Dahrendorfs universal konzipierter, dynamischer "Angebotstheorie" seien nach wie vor die Freiheit der Individuen und Nationen, die Schaffung günstiger Bedingungen zur Eigenständigkeit sowie die Verbreitung der Lebenschancen. Doch findet Schwarz das dominierende Leitmotiv eines optimistischen Liberalismus in diesem Buch mit einem zweiten, recht düsteren Leitmotiv verwoben: "Wir befinden uns in einer Welt ohne Halt - keiner kann sie halten und wir finden in ihr keinen Halt." An das Problem, wie Sicherheit in Freiheit und die gebotene Strenge gegenüber Gesetzesbrechern und Terroristen vereinbar sein könnten, sieht der Rezensent Autor Dahrendorf sich nur mit vorsichtigen Fragen herantasten. Auch bekommt Europa keine guten Noten, lesen wir, weshalb für Dahrendorf ein Weg voran nur als rückhaltloser Verbündeter der USA denkbar ist.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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