Im Frühjahr 2015 kehrt Frank Quilitzsch nach China zurück, um noch einmal jene Orte und Einrichtungen aufzusuchen, an denen er vor 25 Jahren unterrichtet hat. Schon kurz nach der Landung reiben sich die Erinnerungen an der bizarren chinesischen Gegenwart. Damals, 1989, war gerade der Studentenaufstand auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" niedergeschlagen worden, die Gesellschaft wirkte gelähmt, und auf den Straßen fuhren fast nur Fahrräder. Jetzt boomt die Wirtschaft, recken sich Wolkenkratzer in den Himmel und verkehren Expresszüge zwischen den Millionenstädten. Doch wie geht es den Menschen? Eigentlich sucht der Rückkehrer seine Studentin Wang Wei, eine abenteuerliche Reise beginnt.Der bekannte Autor und TLZ-Redakteur lässt sich erneut von der asiatischen Kultur und Poesie verzaubern und wird vom modernen China überwältigt. Quilitzsch ist per Fahrrad, Bus und Transrapid unterwegs, begegnet Mao, Konfuzius und Deng Xiaopings Katze und lüftet das Rätsel um die Kopie des Weimarer Goethe-Schiller-Denkmals in Anting.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2017Die Reste Rotchinas und die Suche nach Zeit
Frank Quilitzsch, Literat aus Thüringen und von 1989 bis 1990 Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Nanjing-Universität, besuchte im Jahr 2015 noch einmal Orte in China, in denen er ein Vierteljahrhundert zuvor glücklich war, aber auch besorgt und überwältigt vom Strudel historischer Ereignisse, denn 1989 war in China und in der DDR ein Schicksalsjahr. Eine einstige Schülerin des Autors, heute Filialleiterin eines großen Verlags, die Kontakte zu Kommilitonen und Ex-Kollegen des Autors pflegt und bisweilen Treffen organisiert, bietet sich als Reisebegleiterin an. Liebevoll rekonstruierte Karrieren und Lebenslinien der Ehemaligen offenbaren nun ideologische Signaturen des Riesenreichs. Die Route umfasst Nanjing, Peking, Suzhou und Schanghai. Im Erzählfokus steht unter anderem die deutsch-chinesische Beziehungsgeschichte, etwa wie Schanghai zum Zufluchtsort deutscher Juden wurde, oder John Rabe, der "gute Deutsche von Nanjing". Mehrwert bieten Mitschriften von Tonbandaufnahmen des ersten China-Besuchs, die "geheimen Aufzeichnungen des Herrn Ye", eines befreundeten Professors an der Nanjing-Universität als Zeugnis von verirrten Träumen und Bilderstürmereien der Kulturrevolution und fahrlässiger Entfesselung. Kundig werden Exkurse zu China-Stationen deutschsprachiger Autorinnen wie Anna Seghers und Klara Blum im Reisereport verwoben, auch wenn dessen Leitmotiv die private Suche Frank Quilitzschs nach seiner - bis zum Happy End lange Zeit unauffindbaren - Ex-Studentin Wang Wei ist. Als Flaneur durch die Reste des roten Chinas beschreibt Quilitzsch Modernisierungsschübe vom Fahrrad zum Transrapid, von indigenen Werten zu Kopierkulturen und vom Mentalitätenwandel der Herzen. Nach entledigter Studentenrevolte und Wirtschaftsreformen stehen über makellosen Skylines die Leitsterne Konsum und Hedonismus. Statt Maos Kampagnen locken Werbefeldzüge des Markenwahns. Als Epilog und ironische Moral der Geschichte trifft der Reisende zwischen den Zeiten, Welten und Geistesheimaten doch noch Wang Wei, nur nicht in China, sondern in Stuttgart: Integriert zwischen Kehrwoche und Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung, fand sie im Westen ihr Glück.
sg
"Auf der Suche nach Wang Wei. Eine Reise durch China zwischen Damals und Heute" von Frank Quilitzsch. Drachenhaus Verlag, Esslingen 2016. 250 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 16,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frank Quilitzsch, Literat aus Thüringen und von 1989 bis 1990 Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Nanjing-Universität, besuchte im Jahr 2015 noch einmal Orte in China, in denen er ein Vierteljahrhundert zuvor glücklich war, aber auch besorgt und überwältigt vom Strudel historischer Ereignisse, denn 1989 war in China und in der DDR ein Schicksalsjahr. Eine einstige Schülerin des Autors, heute Filialleiterin eines großen Verlags, die Kontakte zu Kommilitonen und Ex-Kollegen des Autors pflegt und bisweilen Treffen organisiert, bietet sich als Reisebegleiterin an. Liebevoll rekonstruierte Karrieren und Lebenslinien der Ehemaligen offenbaren nun ideologische Signaturen des Riesenreichs. Die Route umfasst Nanjing, Peking, Suzhou und Schanghai. Im Erzählfokus steht unter anderem die deutsch-chinesische Beziehungsgeschichte, etwa wie Schanghai zum Zufluchtsort deutscher Juden wurde, oder John Rabe, der "gute Deutsche von Nanjing". Mehrwert bieten Mitschriften von Tonbandaufnahmen des ersten China-Besuchs, die "geheimen Aufzeichnungen des Herrn Ye", eines befreundeten Professors an der Nanjing-Universität als Zeugnis von verirrten Träumen und Bilderstürmereien der Kulturrevolution und fahrlässiger Entfesselung. Kundig werden Exkurse zu China-Stationen deutschsprachiger Autorinnen wie Anna Seghers und Klara Blum im Reisereport verwoben, auch wenn dessen Leitmotiv die private Suche Frank Quilitzschs nach seiner - bis zum Happy End lange Zeit unauffindbaren - Ex-Studentin Wang Wei ist. Als Flaneur durch die Reste des roten Chinas beschreibt Quilitzsch Modernisierungsschübe vom Fahrrad zum Transrapid, von indigenen Werten zu Kopierkulturen und vom Mentalitätenwandel der Herzen. Nach entledigter Studentenrevolte und Wirtschaftsreformen stehen über makellosen Skylines die Leitsterne Konsum und Hedonismus. Statt Maos Kampagnen locken Werbefeldzüge des Markenwahns. Als Epilog und ironische Moral der Geschichte trifft der Reisende zwischen den Zeiten, Welten und Geistesheimaten doch noch Wang Wei, nur nicht in China, sondern in Stuttgart: Integriert zwischen Kehrwoche und Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung, fand sie im Westen ihr Glück.
sg
"Auf der Suche nach Wang Wei. Eine Reise durch China zwischen Damals und Heute" von Frank Quilitzsch. Drachenhaus Verlag, Esslingen 2016. 250 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 16,95 Euro.
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