Alice Gerstel wurde 1894 als Kind einer deutsch-jüdischen großbürgerlichen Familie in Prag geboren. Nachdem sie im Hause Habsburg als Hauslehrerin tätig war, ging sie nach München, wo sie sich während ihres Philosophiestudiums mit der Schule Alfred Adlers vertraut machte und sich als Individualpsychologin engagierte. 1922 heiratete sie Otto Rühle, den Mitbegründer der KPD, der sich aber vom Leninismus distanzierte. Zusammen mit ihm gründete sie den Verlag "Am andern Ufer" in Dresden, in dem sie wichtigen sozialwissenschaftlichen Publikationen ein Forum bot, und wurde zu einer Zentralfigur der linken intellektuellen Szene der 1920er und frühen 1930er Jahre. Wegen des Aufstiegs des Nationalsozialismus verließ Alice Rühle-Gerstel im Jahre 1932 Deutschland und ging zurück nach Prag, wo sie vier Jahre in der deutschsprachigen liberalen und linken Szene des Prager Tagblatts aktiv war. 1936 folgte sie ihrem Mann nach Mexiko, um sich dort mit ihm gemeinsam auf Einladung der mexikanischenRegierung zunächst pädagogisch zu engagieren. Im Zusammenhang mit Trotzkis Aufenthalt in Mexiko wurde sie in die Auseinandersetzungen des Exils verstrickt und wurde - ohne selbst Trotzkistin zu sein - zu einer wichtigen Person der antistalinistischen Linken. Alice Rühle-Gerstel übersetzte viele wichtige Werke aus dem Tschechischen und Deutschen ins Spanische, 1941 wurde sie Honorarprofessorin an der Universität Morelia in Mexiko. Unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes wählte sie im Jahre 1943 den Freitod.Das Leben der Alice Rühle-Gerstel wird als Beispiel für die intellektuelle Entwicklung des frühen 20. Jahrhunderts in Zentraleuropa und in Mexiko beschrieben und analysiert: Ihre Lebensstationen in Prag, Wien, München, Dresden, schließlich Paris und Mexiko und ihre Mehrfachidentitäten als Österreicherin, Tschechin, Jüdin, Deutsche und Mexikanerin und als Feministin und Individualpsychologin spiegeln das Leben einer außergewöhnlichen Frau exemplarisch wider.Die 2008 erschienene 2. Auflage wurde um ein Personenregister ergänzt.