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Produktdetails
  • Verlag: Tropen Verlag
  • ISBN-13: 9783932170676
  • ISBN-10: 3932170679
  • Artikelnr.: 11841664
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2004

Dichter sind keine Speichellecker
Die Lesung, als schöne Kunst betrachtet: Ein Sammelband

Die Autorenlesung ist ein Bastard. In ihr kreuzen sich die gegensätzlichsten Interessen - der Autor beispielsweise möchte seine Persönlichkeit schützend hinter dem Text verstecken, während das Publikum partout dieselbe dahinter zu entdecken versucht. Weniger aus voyeuristischem Antrieb als aus dem Wunsch heraus, die Legitimation des Autors - seine Autorität - bestätigt zu sehen. Jedenfalls gipfelt diese Suche mit zwangsläufiger Monotonie immer in derselben Frage: "War das jetzt autobiographisch?" So beschreibt der Schriftsteller John von Düffel seine bisherigen Lesungserfahrungen.

Dabei geht er stillschweigend davon aus, im Zentrum einer Lesung stünden Person und Werk des Autors selbst. Zeugnisse dafür, daß dem nicht immer so ist, enthält der Sammelband "Auf kurze Distanz". Herausgeber Thomas Böhm, Leiter des Literaturhauses Köln, fängt darin nicht nur Stimmen von Schriftstellern, sondern auch von Buchhändlern, Rezitatoren und Veranstaltern ein. Die klassische Autorenlesung müßte man nach dieser Lektüre mit den Worten von Stephan Porombka, der in Hildesheim Kulturjournalismus und Literatur lehrt, als "Non-event-Marketing" bezeichnen. Eine Lesung ist für ihn "eine unter marketinghermeneutischen Gesichtspunkten entworfene Veranstaltung", in deren Zentrum Inszenierung und Konsum eines Lebensgefühls stehen, "das Buch gibt es gratis dazu".

Insofern verwundert es nicht, daß der Herausgeber Berichte über Beat-Performances und über Poetry-Slammer im Kostüm einer überdimensionierten Teekanne neben höchst kunstvolle Essays beispielsweise der Lyrikerin Brigitte Oleschinski stellt; Harry Rowohlt sinniert über seinen exorbitanten Whisky-Konsum bei Lesungen, während der Schriftsteller Richard Powers empfiehlt, niemals eine derartige Veranstaltung zu besuchen. Der Band bietet einen Querschnitt dessen, was derzeit unter dem Begriff "Lesung" kursiert: kuriose Events, aber auch differenzierte Auseinandersetzungen mit der eigenen Rolle als Schreibendem und Vortragendem zugleich. Die wenigen erhellenden, ungewöhnlichen und sprachlich gelungenen Betrachtungen über das gerade in letzter Zeit üppig blühende Lesungswesen liefern dabei in erster Linie die Schriftsteller selbst.

Zwar plädiert Thomas Böhm in seiner Schlußbetrachtung für ein "literarisches Verständnis" von Lesungen und will diese Veranstaltungen - nicht ganz uneigennützig - bei dieser Gelegenheit gleich als eigenständige Kunstform etablieren. Dabei wünscht er sich beispielsweise, daß Autoren und Veranstalter mehr Zeit zur Vorbereitung ihrer Lesungen investierten. Doch möchte man statt einer professionalisierten Darstellung lieber John von Düffels "platzenden Speichelbläschen und kieferorthopädischen Artikulationsschwierigkeiten" lauschen - und den Autor den Rest der Zeit hinter seinem Schreibtisch wissen, und nicht beim Sprachtraining oder der Vorbereitung der nächsten Performance. Literatur ist auf Mitteilung angewiesen, aber sie erschöpft sich zum Glück nicht darin.

ELKE BIHUSCH

"Auf kurze Distanz". Die Autorenlesung: O-Töne, Geschichten, Ideen. Herausgegeben von Thomas Böhm. Tropen Verlag, Köln 2003. 192 S., br., 15,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Höchste Zeit" sei es gewesen, den Schriftsteller "in Erscheinung des Sprechstellers unter die Lupe zu nehmen", scherzt Tobias Lehmkuhl. Denn der öffentliche Vortrag ist nicht nur zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor des Literaturbetriebs avanciert, er verlange auch bestimmte Leistungen vom Lesenden ab, die bisher kaum oder gar keine professionelle Beachtung gefunden hätten. Dies zumindest ist die Feststellung des Herausgebers dieses Bandes. Thomas Böhm, Leiter des Kölner Literaturhauses, zeige nun in seinem "luziden Grundaufsatz", so Lehmkuhl, mögliche Kategorien und Maßstäbe einer gelungenen Lesung auf. Welche das sind, erfahren wir von unserem Rezensenten nicht. An den übrigen Beiträgen, die offenbar von der historischen Bedeutung und aktuellen Problematik des lauten Lesen handeln, hat der Rezensent, wie es scheint, nichts auszusetzen. Veranstaltern, Künstlern und Kritikern zeige der Band, wie anspruchsvoll eine Lesung ist; Zuschauern und Zuhören dagegen sage er, was sie von ihr erwarten können, versichert Lehmkuhl.

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