Am 4. April 1866 marschiert der große britische Afrikareisende David Livingstone mit seiner Karawane in Sansibar los, um die Quellen des Nils zu entdecken. Mit dem Augenblick, in dem er den Urwald betritt, verschwindet er für die Außenwelt von der Bildfläche. Fünf Jahre später glaubt niemand mehr, daß Livingstone noch leben könnte. Nur der Draufgänger und Sensationsjournalist Henry Morton Stanley macht sich auf in die Sümpfe und Wälder im Herzen Afrikas und in sein größtes Abenteuer ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2004Wie man in Afrika zum Mann wird
Die Geschichte, wie Henry Morton Stanley den Dr. David Livingstone mitten im schwärzesten Afrika fand, ist schon oft erzählt worden. Und der Satz: "Dr. Livingstone, I presume" vom Tag seiner Veröffentlichung an wohl so häufig zitiert wie nur ein geflügeltes Wort der Weltgeschichte. Also hat sich der Autor dieser aktuellsten Darstellung entschlossen, einen weiten dramaturgischen Bogen zu spannen, der die beiden Protagonisten aus größtmöglicher Distanz nach Jahren des Leidens, der Entbehrungen, des Kampfes und der Irrtümer endlich zusammenführt. Hier der Forscher und Missionar, auf der Suche nach der Nilquelle, mit deren Entdeckung er seine über ein Vierteljahrhundert sich hinziehenden Forschungsreisen durch Afrika hatte krönen wollen, am Ufer des Tanganjikasees im heutigen Tansania: halb gestrandet, halb gescheitert, bis auf die Knochen abgemagert und ohne ernstliche Hoffnung, sein Ziel noch zu erreichen. Dort der ausgemusterte Soldat des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs und spätere Journalist, der allerlei Erfahrungen gesammelt, aber nichts Rechtes gelernt hat, immerhin flott zu schreiben verstand, in den Front-Range-Bergen am Rande der Rocky Mountains. Von diesen Punkten aus bewegen sich die beiden aufeinander zu, der eine in kaum erkennbaren kleinsten Schritten, die durch Schwäche und Mittellosigkeit bestimmt sind, der andere in großen Sätzen, mit denen er den nordamerikanischen Kontinent und den Atlantik überquert und die afrikanische Küste bis auf die Höhe von Sansibar hinunterfährt. Obwohl wir genau wissen, wie die Geschichte ausgeht, nämlich gut, schlägt sie uns wieder in ihren Bann. Während Livingstone, nicht ahnend, was sich auf ihn, angetrieben und geschmiert durch die Gelder des "New York Herald", zubewegt, nur noch zu überleben trachtet, verliert Stanley trotz aller Umwege und Aufenthalte sein Ziel keine Stunde lang aus den Augen. Gefesselt von einer gleichsam dramatischen Zuspitzung der Entwicklung, folgen wir den verschlungenen Wegen seiner Karawane, den Intrigen der Widersacher auf Sansibar, den Kämpfen mit korrupten Aufsehern, aufsässigen Eingeborenenstämmen, herrschsüchtigen Häuptlingen, brutalen Sklavenhändlern, trunksüchtigen Begleitern - von den zahllosen Unbillen, die die feindselige Natur für ihn und die Seinen bereithält, nicht zu reden. Kein Abeteuerromancier mit einigem Anspruch auf Glaubwürdigkeit kann mehr Widrigkeiten auf seinen Buchseiten erfinden, als Stanley in den Notizen seiner Reise zwischen Januar 1871 und Mai 1872 aufgezeichnet hat. Die wahre Überraschung des Buches ist aber nicht das Eindringen in die Tiefe des Kontinents. Es ist der Weg, der den fünfundzwanzig Jahre alte Stanley vom Nobody ohne Lebensplan zum souveränen, wenn auch nicht sehr humanen Chef einer großen und erfolgreichen Forschungsexpedition hat werden lassen. Vielleicht sind Berichte von tragisch gescheiterten Expeditionen noch fesselnder. Doch darf man die Details nicht übersehen - etwa Stanleys Überlegungen, mit welcher Begrüßungsformel er dem endlich gefundenen Dr. Livingstone gegenübertreten soll. Dieser junge Mann, der seine Reise ohne Wissen, Erfahrung, menschliche Reife begann, hat nichts dem Zufall überlassen.
H.E.R.
"Auf nach Afrika! Stanley, Livingstone und die Suche nach den Quellen des Nils" von Martin Dugard. Malik - Piper, München 2004. 230 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 22,90 Euro. ISBN 3-89029-231-3.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte, wie Henry Morton Stanley den Dr. David Livingstone mitten im schwärzesten Afrika fand, ist schon oft erzählt worden. Und der Satz: "Dr. Livingstone, I presume" vom Tag seiner Veröffentlichung an wohl so häufig zitiert wie nur ein geflügeltes Wort der Weltgeschichte. Also hat sich der Autor dieser aktuellsten Darstellung entschlossen, einen weiten dramaturgischen Bogen zu spannen, der die beiden Protagonisten aus größtmöglicher Distanz nach Jahren des Leidens, der Entbehrungen, des Kampfes und der Irrtümer endlich zusammenführt. Hier der Forscher und Missionar, auf der Suche nach der Nilquelle, mit deren Entdeckung er seine über ein Vierteljahrhundert sich hinziehenden Forschungsreisen durch Afrika hatte krönen wollen, am Ufer des Tanganjikasees im heutigen Tansania: halb gestrandet, halb gescheitert, bis auf die Knochen abgemagert und ohne ernstliche Hoffnung, sein Ziel noch zu erreichen. Dort der ausgemusterte Soldat des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs und spätere Journalist, der allerlei Erfahrungen gesammelt, aber nichts Rechtes gelernt hat, immerhin flott zu schreiben verstand, in den Front-Range-Bergen am Rande der Rocky Mountains. Von diesen Punkten aus bewegen sich die beiden aufeinander zu, der eine in kaum erkennbaren kleinsten Schritten, die durch Schwäche und Mittellosigkeit bestimmt sind, der andere in großen Sätzen, mit denen er den nordamerikanischen Kontinent und den Atlantik überquert und die afrikanische Küste bis auf die Höhe von Sansibar hinunterfährt. Obwohl wir genau wissen, wie die Geschichte ausgeht, nämlich gut, schlägt sie uns wieder in ihren Bann. Während Livingstone, nicht ahnend, was sich auf ihn, angetrieben und geschmiert durch die Gelder des "New York Herald", zubewegt, nur noch zu überleben trachtet, verliert Stanley trotz aller Umwege und Aufenthalte sein Ziel keine Stunde lang aus den Augen. Gefesselt von einer gleichsam dramatischen Zuspitzung der Entwicklung, folgen wir den verschlungenen Wegen seiner Karawane, den Intrigen der Widersacher auf Sansibar, den Kämpfen mit korrupten Aufsehern, aufsässigen Eingeborenenstämmen, herrschsüchtigen Häuptlingen, brutalen Sklavenhändlern, trunksüchtigen Begleitern - von den zahllosen Unbillen, die die feindselige Natur für ihn und die Seinen bereithält, nicht zu reden. Kein Abeteuerromancier mit einigem Anspruch auf Glaubwürdigkeit kann mehr Widrigkeiten auf seinen Buchseiten erfinden, als Stanley in den Notizen seiner Reise zwischen Januar 1871 und Mai 1872 aufgezeichnet hat. Die wahre Überraschung des Buches ist aber nicht das Eindringen in die Tiefe des Kontinents. Es ist der Weg, der den fünfundzwanzig Jahre alte Stanley vom Nobody ohne Lebensplan zum souveränen, wenn auch nicht sehr humanen Chef einer großen und erfolgreichen Forschungsexpedition hat werden lassen. Vielleicht sind Berichte von tragisch gescheiterten Expeditionen noch fesselnder. Doch darf man die Details nicht übersehen - etwa Stanleys Überlegungen, mit welcher Begrüßungsformel er dem endlich gefundenen Dr. Livingstone gegenübertreten soll. Dieser junge Mann, der seine Reise ohne Wissen, Erfahrung, menschliche Reife begann, hat nichts dem Zufall überlassen.
H.E.R.
"Auf nach Afrika! Stanley, Livingstone und die Suche nach den Quellen des Nils" von Martin Dugard. Malik - Piper, München 2004. 230 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 22,90 Euro. ISBN 3-89029-231-3.
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